Marktplatzangebote
12 Angebote ab € 2,29 €
Produktdetails
  • Verlag: Hanser
  • 2000.
  • Seitenzahl: 359
  • Deutsch
  • Abmessung: 209mm
  • Gewicht: 520g
  • ISBN-13: 9783446197602
  • ISBN-10: 3446197605
  • Artikelnr.: 08540826
Autorenporträt
Arthur Hertzberg, geboren 1921, Religionswissenschaftler und gläubiger Jude, ehemaliger Rabbiner, Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses, Professor (Humanities) an der New York University und Prof. em. (Religion) in Dartmouth.

Von ihm liegen auf deutsch vor: Schalom, Amerika! Die Geschichte der Juden in der Neuen Welt (Knesebeck 1992, jetzt Jüdischer Verlag); Judaismus. Die Grundlage der jüdischen Religion (Knesebeck 1993, jetzt Rowohlt-TB) Aron Hirt-Manheimer, Schriftsteller, Herausgeber des Reform Judaism Magazine und Co-Autor von Jagendorf's Foundry. 1988 erhielt er die Anne-Frank-Medaille (Anne Frank Medal).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2000

Wider die modernen Zeloten
Arthur Hertzberg und Aron Hirt-Mannheimer zeigen, wo ein entschiedenes Judentum die Grenze zieht

Üble Judenriecherei betrieb seit dem Fin de Siècle der rassistische Literaturkundler Adolf Bartels unter den deutschen Literaten. In ihren Werken, ihrem Aussehen und Lebensstil spürte er dem vermeintlich Jüdischen nach und publizierte seine Befunde mit großem Erfolg. Selbst Thomas Mann sah sich genötigt, wiewohl "überzeugter Philosemit", den Verdacht gegen ihn und seinen Bruder öffentlich zu entkräften.

In Zeiten des Multikulturalismus scheint Wesensschau dieser Art, ob positiv, ob negativ, unmöglich. Doch dann liest man zweitausend Sätze wie: "Um unser Porträt der Juden entwerfen zu können, haben wir einen Begriffsrahmen geschaffen, innerhalb dessen der jüdische Charakter durch drei Grundbegriffe bestimmt wird: der Jude als Erwählter, als Aufrührer und als Außenseiter" und "Tragen die Juden möglicherweise selbst zum Antisemitismus bei? Die Antwort lautet grundsätzlich und unweigerlich: ja. Ihr Beitrag zum Judenhass besteht darin, darauf zu bestehen, Juden zu sein."

Deren Verfasser, Arthur Hertzberg und Aron Hirt-Mannheimer, wissen um die Provokation, die ihr Buch "Wer ist Jude?" bedeutet. Lessings Satz fällt ein: "Ich liebe keine Urteile über ganze Völker." Dass Hertzberg Religionswissenschaftler und ehemaliger Rabbiner, Hirt-Mannheimer Herausgeber der Zeitschrift "Reform Judaism" ist, nimmt wenig von dem Risiko, "Wesen und Prägung" der Juden auf knapp vierhundert Seiten bannen zu wollen.

Gleichwohl steht der Versuch in langer Tradition. Aus ganz anderer Position polemisierte Leo Baeck 1905 mit seinem Erstlingswerk "Das Wesen des Judentums" gegen Thesen in Adolf von Harnacks populärem "Wesen des Christentums" (1900). William S. Schlamm forderte 1964 unter demselben Titel "Wer ist Jude?" zur Gründung eines eigenen Staates das Ende der Diaspora und von den Juden kategorisch Assimilation oder Auswanderung nach Israel.

Immer erschien es problematisch, sogar schädlich, jüdische Charakteristika zu bestimmen, die Rassismus begünstigen und die Existenz von Juden in modernen Gesellschaften erschweren könnten. Dagegen setzen Hertzberg und Hirt-Mannheimer ihre Überzeugung: "Die Auflösung des Antisemitismus erfordert, dass die Juden an den Tisch treten und zu ihren Verfolgern sagen: Ja, wir sind anders." Fast unnötig zu erwähnen, dass dies Anderssein auf einer geistigen, religiösen Entscheidung beruht. Wie Ernest Renan eine Nation durch das "tägliche Plebiszit" des Volkes, definieren die Verfasser ganz unorthodox Juden als diejenigen, die sich "als Teil des jüdischen Volkes betrachten". Darunter ist kein Lippenbekenntnis zu verstehen, sondern die lebendige Fortführung einer "einzigartigen" Tradition. Zu ihr gehört das Bewusstsein der Erwähltheit nicht als "Verdienst, sondern als Verantwortung oder gar Heimsuchung", "eine wichtige Rolle zu spielen bei der Vervollkommnung der Welt".

Allein schon die Missachtung von Denktabus über das jüdische Wesen macht den intellektuellen Reiz der Lektüre aus, der gesteigert wird durch die reiche Textur des Buches. Das Grundgewebe bildet eine konzentrierte, gleichwohl differenzierte Geschichte des Judentums anhand bedeutender Persönlichkeiten wie Abraham, Flavius Josephus, Maimonides, Spinoza, Moses Mendelssohn, Baal Schemtow, Herzl, Rosenzweig, Buber. Nach dem babylonischen Exil, nach der Tempelzerstörung oder selbst nach der Schoa, immer wieder setzten Juden mit einer gewissen "Halsstarrigkeit" auf Neuanfang; zuletzt mit der Gründung des Staates Israel.

Durchwoben sind die historischen Kapitel von Erinnerungen Hertzbergs an seine Ghetto-Kindheit in Polen, an Treffen mit Kardinälen, mit Ben Gurion und Gelehrten wie Mordechaj Kaplan, die - getreu der talmudischen Tradition - Vergangenheit und Gegenwart verknüpfen. Gesäumt ist alles von einem leidenschaftlichen Plädoyer für ein tolerantes, selbstbewusstes und in das Weltgeschehen eingreifendes Judentum und gegen die Ultraorthodoxie mit ihrem aggressiven Chauvinismus: "Die bewaffneten Propheten in der West-Bank und ihre ultranationalistischen Anhänger stellen die jüdische Zukunft auf dasselbe brüchige Fundament wie die Zeloten, die sich einst gegen Rom erhoben, nämlich dass Gott die Zerstörung Jerusalems nie zulassen würde." Ultranationalistische Positionen gefährden nach Meinung den Autoren den Fortbestand des Judentums stärker als Assimilation oder Antisemitismus. Denn sie zerstören das gemeinsame Dach des Judentums, dessen Pluralität geradezu konstitutiv für seine Geschichte war ("Zwei Juden, drei Meinungen"), und stempeln Andersdenkende zu Ketzern oder gar Attentatszielen (Rabin).

Hertzberg und Hirt-Mannheimer isolieren dagegen, halb deskriptiv, halb normativ, aus der historisch gewachsenen Vielfalt des Judentums integrierende Grundpositionen, um damit "die Ära der jüdischen Selbstverleugnung, die mit der Aufklärung begann", zu beenden. Ihre streitbare und intellektuell anregende jüdische Geschichte ist insofern Schlusspunkt und Ausgangspunkt zugleich.

ROLF-BERNHARD ESSIG

Arthur Hertzberg, Aron Hirt-Mannheimer: "Wer ist Jude?" Wesen und Prägung eines Volkes. Aus dem Amerikanischen von Udo Rennert. Hanser Verlag, München 2000. 360 S., geb., 45,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Andreas Kilcher hält sich mit einem Urteil über dieses Buch weitgehend zurück und nutzt die Rezension vielmehr dazu, Hertzbergs wesentlichste Thesen herauszustellen und näher zu erläutern. Demnach lehnt der Autor sowohl eine vollständige Säkularisation wie auch ein dogmatisch-orthodoxes Judentum ab und plädiert für ein zwar religiös fundiertes, aber gleichzeitig liberales, modernes und auch multikulturelles Judentum. Bedingung dafür sei der "jüdische Charakter", dessen Identität Hertzberg an drei Grundbegriffen festmache: `der Jude als Erwählter, als Aufrührer und als Außenseiter`. Erwählt im Sinne eines `moralischen Vorbildes für die Menschheit`, als Aufrührer, weil Judentum nach Hertzbergs Ansicht pluralistisch, ja auch `zerstritten` sein müsse, und zuletzt als Außenseiter, weil sich Juden "in ihrem Nonkonformismus gegenüber dem nichtjüdischen Umfeld" unterscheiden. Kilcher weist dezidiert darauf hin, dass Judentum für Hertzberg nicht losgelöst von religiösen Fundamenten zu betrachten ist, da seiner Ansicht nach ein Judentum, dass sich "ausschließlich durch politische, gesellschaftliche, kulturelle Werte auszeichnet (...) seine konstitutive `Andersheit` aufgeben" würde.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Allein schon die Missachtung von Denktabus über das jüdische Wesen macht den intellektuellen Reiz der Lektüre aus, der gesteigert wird durch die reiche Textur des Buches. (...) Hertzberg und Hirt-Mannheimer isolieren halb deskriptiv, halb normativ aus der historisch gewachsenen Vielfalt des Judentums integrierende Grundpositionen, um damit 'die Ära der jüdischen Selbstverleugnung, die mit der Aufklärung begann', zu beenden. Ihre streitbare und intellektuell höchst anregende jüdische Geschichte ist insofern Schlusspunkt und Ausgangspunkt zugleich."
Rolf-Bernhard Essig, Wiener Zeitung, 11.08.00

"In dem Buch von Hertzberg wird das Anderssein derJuden konsequent und aufrichtig thematisiert. Das Buch fordert Juden auf, sich der Tradition bewußt zu werden und sie zeitgenössisch umzusetzen, es konstatiert eine Rückkehr des Religiösen im Judentum und fordert in der wunderbaren Formel Hertzbergs dazu auf, sich von Strömung des uralten Flusses, der immer weiter fließt, tragen zu lassen.