Gift! Schlangengift ist das, was den erfolglosen Kriminalautor und die unglücklich verheiratete Schlangenzüchterin zusammenbringt. Er braucht Material und Informationen für eine mitreißende Mordgeschichte. Sie braucht Unterstützung bei dem Plan, ihren Mann umzubringen. Die Affaire, die sich zwischen beiden entwickelt, steckt voller Spannung und unausgesprochener Erwartungen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.1999Klapperschlange Handwerk
Schwarze Komödie: Patricia Melos Roman "Wer lügt, gewinnt"
Wenn José Guber, Autor in São Paulo, für eine Kriminalgeschichte recherchiert, greift er im Regelfall in sein Bücherregal und kupfert beherzt einen Klassiker des Genres ab, von Dostojewskijs "Schuld und Sühne" zeitlich aufwärts. Das ist technisch unbedenklich, denn Wilmer da Silva, sein Lektor und beim Verlag Minnesota für die Reihe "Feuerspeier" zuständig, merkt sowieso nichts davon, und es ist auch moralisch kein Problem, weil Gruber auf diese Weise ein Publikum mit guter Literatur in Kontakt bringt, das sie sonst nicht anrühren würden. Nicht einmal sein Selbstwertgefühl nimmt Schaden, denn er begreift sich nicht als Schriftsteller, sondern "eher als so eine Art Arbeiter in der Konservenabfüllung einer Wurstfabrik", dessen im Zwei-Wochen-Turnus erstellte Produkte dann unter den Namen Gregory Turow, John Condon oder Malcolm Lovesay erscheinen. Für einen noch kaum konturierten Plot mit einem Giftmord geht er dann aber doch übers Bücherregal hinaus, bis ins Städtische Institut für Serotherapie, um sich von dessen Mitarbeiterin Fúlvia Melissa über Schlangen und deren möglichen Einsatz als Mordwerkzeug aufschlauen zu lassen. Dieses theoretisch-literarische Interesse wird nach kurzer Zeit praktisch, weil Fúlvia und José bald nicht mehr in erster Linie an Reptilien, sondern mehr und heftig aneinander interessiert sind, und da stört nach Fúlvias Meinung ihr Gatte Ronald empfindlich. "Er wird mich umbringen, wenn du ihn nicht tötest", umgarnt sie den Liebhaber.
Der bezweifelt zwar seine Killerqualitäten, beteiligt sich aber doch an den logistischen Vorbereitungen zu Ronalds Beseitigung qua Schlangenbiss, etwa als Quartiergeber für die als Tatwaffe auserkorene Klapperschlange. Dass der Wechsel vom beschriebenen zum betriebenen Mord Guber zunehmend mitnimmt, ist an den Reibungen mit Lektor da Silva abzulesen, der seine Exposés gereizt ablehnt. "Es ist Ihnen untersagt, Romane über verrückte Exzentriker zu schreiben, die grundlos am Strand Türken ermorden", lautet eines der freundlicheren Ablehnungsschreiben, dann stellt sich die Klapperschlange für den gedachten Zweck als kontraproduktiv träge heraus und muss kurzfristig durch eine agilere Jararaca ersetzt werden - "ein wissenschaftliches Verbrechen macht immer besonders viel Arbeit". Mühe allein aber, so weiß man aus der Werbung, genügt nicht: Die Mörderschlange beißt zwar zu, hat jedoch nicht das erforderliche Aroma, Ronald zu töten. Der wird nach wenigen Tagen, wenn auch unter Hinterlassung eines amputierten Beines, aus dem Krankenhaus entlassen, nur um, nach Fúlvias Angaben, sie weiter zu verprügeln.
Ein weiteres Problem kommt hinzu: Seine Karriere bei Minnesota ist beendet, einen Talenttest als Texter für pornographische Bildchen hat er nicht bestanden. Schließlich kann er froh sein, als Sonderlektor Pedro Jequitabá bei "Universalis" zu unklaren Bedingungen angestellt zu werden. Jequitabá ist dort der Star, mit bei Dale Carnegie und Co. abgeschriebenen Titeln, die immer mit ". . . kann man lernen" enden, und wird entsprechend hofiert. Aber für seine Verhältnisse offensichtlich nicht genug, denn kaum ist Guber im Boot, wechselt er den Verlag. Mit dem Mut des inzwischen ziemlich Verzweifelten bietet sich nun der funktionslos gewordene Sonderlektor als Jequitabá-Ersatz an und reüssiert nach kurzer Zeit auf der ganzen Linie: Sein "Reichen Sie sich selbst die Hand" wird nicht nur ein Bestseller, sondern macht auch aus ihm einen immer positiveren Menschen, weil er den darin enthaltenen Selbsthilfehumbug an sich ausprobiert, etwa durch konsequente Verwendung des von ihm propagierten "symbiotischen Vokabulars". Die Tantiemen für solchen Tiefsinn hingegen sind gut für die Verbringung von Gubers fidel-verrückter Mutter, die bisher stets konfliktträchtig ein Zimmer in seiner Wohnung belegte, in ein Luxusaltersheim, und nach angemessener Trauerzeit um Ronald, der dem zweiten Mordanschlag nicht entgeht, darf José Guber Fúlvia als Ehefrau im standesgemäßen Eigenheim begrüßen. Das verschärfte Leben kann beginnen und tut es auch. Die Basis freilich bleibt gleich: literarische Hochstapelei, ungesühnte Beziehungsverbrechen und ein Milieu von betrogenen Betrügern, von Betrügerinnen ganz zu schweigen.
Der deutsche Titel von Patricia Melos drittem Roman, "Wer lügt, gewinnt", dem Originaltitel "Loblied der Lüge" erfreulich nahe, verweist auf die Möglichkeit, das Buch als Diskurs über Moral und als Parabel auf gesellschaftliche Zustände nicht nur in Brasilien zu lesen. Man kann aber auch einfach dem Weg des José Guber in schwindelnde Höhen folgen oder die ganze Geschichte als durchwachsene Groteske goutieren - bei keiner Variante wird man sich hinterher über verschwendete Lebenszeit beschweren müssen.
BURKHARD SCHERER.
Patricia Melo: "Wer lügt, gewinnt". Roman. Aus dem Brasilianischen übersetzt von Barbara Mesquita. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1999. 217 S., geb., 32,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schwarze Komödie: Patricia Melos Roman "Wer lügt, gewinnt"
Wenn José Guber, Autor in São Paulo, für eine Kriminalgeschichte recherchiert, greift er im Regelfall in sein Bücherregal und kupfert beherzt einen Klassiker des Genres ab, von Dostojewskijs "Schuld und Sühne" zeitlich aufwärts. Das ist technisch unbedenklich, denn Wilmer da Silva, sein Lektor und beim Verlag Minnesota für die Reihe "Feuerspeier" zuständig, merkt sowieso nichts davon, und es ist auch moralisch kein Problem, weil Gruber auf diese Weise ein Publikum mit guter Literatur in Kontakt bringt, das sie sonst nicht anrühren würden. Nicht einmal sein Selbstwertgefühl nimmt Schaden, denn er begreift sich nicht als Schriftsteller, sondern "eher als so eine Art Arbeiter in der Konservenabfüllung einer Wurstfabrik", dessen im Zwei-Wochen-Turnus erstellte Produkte dann unter den Namen Gregory Turow, John Condon oder Malcolm Lovesay erscheinen. Für einen noch kaum konturierten Plot mit einem Giftmord geht er dann aber doch übers Bücherregal hinaus, bis ins Städtische Institut für Serotherapie, um sich von dessen Mitarbeiterin Fúlvia Melissa über Schlangen und deren möglichen Einsatz als Mordwerkzeug aufschlauen zu lassen. Dieses theoretisch-literarische Interesse wird nach kurzer Zeit praktisch, weil Fúlvia und José bald nicht mehr in erster Linie an Reptilien, sondern mehr und heftig aneinander interessiert sind, und da stört nach Fúlvias Meinung ihr Gatte Ronald empfindlich. "Er wird mich umbringen, wenn du ihn nicht tötest", umgarnt sie den Liebhaber.
Der bezweifelt zwar seine Killerqualitäten, beteiligt sich aber doch an den logistischen Vorbereitungen zu Ronalds Beseitigung qua Schlangenbiss, etwa als Quartiergeber für die als Tatwaffe auserkorene Klapperschlange. Dass der Wechsel vom beschriebenen zum betriebenen Mord Guber zunehmend mitnimmt, ist an den Reibungen mit Lektor da Silva abzulesen, der seine Exposés gereizt ablehnt. "Es ist Ihnen untersagt, Romane über verrückte Exzentriker zu schreiben, die grundlos am Strand Türken ermorden", lautet eines der freundlicheren Ablehnungsschreiben, dann stellt sich die Klapperschlange für den gedachten Zweck als kontraproduktiv träge heraus und muss kurzfristig durch eine agilere Jararaca ersetzt werden - "ein wissenschaftliches Verbrechen macht immer besonders viel Arbeit". Mühe allein aber, so weiß man aus der Werbung, genügt nicht: Die Mörderschlange beißt zwar zu, hat jedoch nicht das erforderliche Aroma, Ronald zu töten. Der wird nach wenigen Tagen, wenn auch unter Hinterlassung eines amputierten Beines, aus dem Krankenhaus entlassen, nur um, nach Fúlvias Angaben, sie weiter zu verprügeln.
Ein weiteres Problem kommt hinzu: Seine Karriere bei Minnesota ist beendet, einen Talenttest als Texter für pornographische Bildchen hat er nicht bestanden. Schließlich kann er froh sein, als Sonderlektor Pedro Jequitabá bei "Universalis" zu unklaren Bedingungen angestellt zu werden. Jequitabá ist dort der Star, mit bei Dale Carnegie und Co. abgeschriebenen Titeln, die immer mit ". . . kann man lernen" enden, und wird entsprechend hofiert. Aber für seine Verhältnisse offensichtlich nicht genug, denn kaum ist Guber im Boot, wechselt er den Verlag. Mit dem Mut des inzwischen ziemlich Verzweifelten bietet sich nun der funktionslos gewordene Sonderlektor als Jequitabá-Ersatz an und reüssiert nach kurzer Zeit auf der ganzen Linie: Sein "Reichen Sie sich selbst die Hand" wird nicht nur ein Bestseller, sondern macht auch aus ihm einen immer positiveren Menschen, weil er den darin enthaltenen Selbsthilfehumbug an sich ausprobiert, etwa durch konsequente Verwendung des von ihm propagierten "symbiotischen Vokabulars". Die Tantiemen für solchen Tiefsinn hingegen sind gut für die Verbringung von Gubers fidel-verrückter Mutter, die bisher stets konfliktträchtig ein Zimmer in seiner Wohnung belegte, in ein Luxusaltersheim, und nach angemessener Trauerzeit um Ronald, der dem zweiten Mordanschlag nicht entgeht, darf José Guber Fúlvia als Ehefrau im standesgemäßen Eigenheim begrüßen. Das verschärfte Leben kann beginnen und tut es auch. Die Basis freilich bleibt gleich: literarische Hochstapelei, ungesühnte Beziehungsverbrechen und ein Milieu von betrogenen Betrügern, von Betrügerinnen ganz zu schweigen.
Der deutsche Titel von Patricia Melos drittem Roman, "Wer lügt, gewinnt", dem Originaltitel "Loblied der Lüge" erfreulich nahe, verweist auf die Möglichkeit, das Buch als Diskurs über Moral und als Parabel auf gesellschaftliche Zustände nicht nur in Brasilien zu lesen. Man kann aber auch einfach dem Weg des José Guber in schwindelnde Höhen folgen oder die ganze Geschichte als durchwachsene Groteske goutieren - bei keiner Variante wird man sich hinterher über verschwendete Lebenszeit beschweren müssen.
BURKHARD SCHERER.
Patricia Melo: "Wer lügt, gewinnt". Roman. Aus dem Brasilianischen übersetzt von Barbara Mesquita. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1999. 217 S., geb., 32,- DM.
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