Wer war Mona Lisa wirklich? Giuseppe Pallanti (geb. 1951), Wirtschaftswissenschaftler in Florenz, stieß bei seinen historischen Forschungen über Landgüter im Chianti zufällig auf den Namen Gherardini und erinnerte sich, bei Vasari gelesen zu haben, Mona Lisa sei eine geborene Gherardini gewesen. Er recherchierte weiter und begab sich in den Florentiner Archiven auf eine Zeitreise zurück in die Toskana der Früh- und Hochrenaissance. So entdeckte er u.a. das Testament Francesco del Giocondos, in dem viel über dessen zweite Frau Lisa, genannt"la Gioconda", zu erfahren ist, und Dokumente, die belegen, dass Leonardos Vater, ein angesehener Notar, mit Giocondo geschäftlich in Verbindung stand. Bis zum spektakulären Diebstahl der"Mona Lisa"aus dem Louvre 1911 waren Vasaris Angaben zur Identität der Dargestellten nicht in Frage gestellt worden. Jetzt interessierten sich plötzlich die Presse und die Zunft der Historiker für die schöne Unbekannte. Teils abenteuerliche Thesen machten die Runde, u.a. dass es sich um eine Geliebte Giuliano de'Medicis oder gar ein Selbstportrait Leonardos als Frau handelt. Pallanti kreist seine drei Hauptpersonen - Lisa Gherardini, Francesco del Giocondo und Leonardo - mit Hilfe der historischen Dokumente auf zwei Ebenen ein: vor dem Hintergrund der politischen und sozialen Verhältnisse im Florenz des 15. und frühen 16. Jahrhunderts und mit einer überraschend detailreichen Schilderung des Alltagslebens der Kaufmannsfamilie del Giocondo, ihrer Geschäfte, ihrer gesellschaftlichen Stellung und ihrer Kontakte zu den prominenten Figuren der Stadt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.06.2008Das Monster und die Männerphantasien
Kein Gemälde wird ähnlich mystifiziert und verehrt wie Leonardo da Vincis "Mona Lisa": Wer stand tatsächlich dafür Modell? Zwei Bände nehmen das berühmte Werk unter die Lupe.
Selten liegen Ruhm und Hysterie, Verehrung und Verachtung, Kanonisierung und Vernachlässigung so nahe beieinander wie im Fall prominenter Kunstwerke. Das lehrt eindrucksvoll die Rezeptionsgeschichte von Leonardo da Vincis Porträt der Lisa del Giocondo. Das Gemälde löste im neunzehnten Jahrhundert Leonardos Abendmahl als bekanntestes seiner Werke ab, nicht wenige sahen in der dargestellten jungen Frau ein fatales Monster, das die Männerphantasien ganzer Generationen fortan verfolgen sollte. Doch die wirklich großen Auftritte erlebte das Bild erst im zwanzigsten Jahrhundert, nach ihrem Raub im Jahre 1911, ihrer triumphalen Rückkehr nach Paris 1913 und ihrer politischen Instrumentalisierung während des Kalten Krieges.
Den vorläufig letzten Höhepunkt bescherte der Louvre seinem Prunkstück im Jahre 2005. Das Gemälde kann nun von Besuchern des Museums schneller erreicht werden als je zuvor und hängt isoliert von anderen Werken. Zudem wurde "Mona Lisa" über einer Art Altarmensa installiert, die keinen Zweifel mehr am kultischen Charakter ihrer Präsentation zulässt. Etwa zeitgleich ließ der Louvre das Gemälde durch neununddreißig Wissenschaftler mit Hilfe technisch-naturwissenschaftlicher Methoden untersuchen und die Ergebnisse in einem üppigen Folioband publizieren. Über hundert Aufnahmen vermitteln dem Betrachter die Resultate strahlendiagnostischer und gemäldetechnischer Untersuchungen. Doch die sind selbst mit Hilfe der begleitenden Texte kaum verständlich, so dass man am Ende erneut vor einer gewaltigen Mystifizierung des Gemäldes steht.
Homosexuelle Neigungen.
Berühmtheit und Mystifizierung haben das Gemälde zum Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher und populärer Exegesen gemacht: Das Bild sei gar kein Porträt, auch kein Frauenporträt und schon gar nicht das der Lisa del Giocondo, sondern ein maltechnisches Experiment oder aber ein Selbstporträt Leonardos, das seine homosexuellen Neigungen verrate. Falls es sich doch um eine Frau handeln sollte, dann sei sie syphilitisch oder schwanger oder habe zumindest eine halbseitige Gesichtslähmung.
Eigentlich aber besteht zu aberwitzigen Thesen wenig Anlass, da Leonardos "Mona Lisa" im Vergleich zu anderen Porträts der Renaissance sehr gut dokumentiert ist. So kennen wir von den Frauenbildnissen der Zeit zwischen 1440 und 1500 in den allermeisten Fällen nicht den Namen der Dargestellten, oft sind auch die heute üblichen Datierungen und Zuschreibungen der Gemälde reine Konjektur. Diese Unsicherheit ändert sich schlagartig mit den Bildnissen von der Hand Leonardo da Vincis. Sogar für die konkreten Entstehungsbedingungen der "Mona Lisa" liegen konkrete Informationen vor. Lisas Mann, ein wohlhabender Florentiner Kaufmann, unterhielt Kontakte zum Freundeskreis der Familie Leonardos, den er zudem in der Florentiner Kirche SS. Annunziata getroffen haben konnte. Aus diesen Kontakten dürfte sich der Auftrag für das Bildnis ergeben haben. Die Motivation für die Bestellung des Porträts ergab sich aus rekonstruierbaren Umständen. Francesco del Giocondo hatte im Frühjahr 1503 ein neues Haus für seine Familie erworben und Lisa im Dezember 1502 einen Sohn zur Welt gebracht. Aus der neueren Forschung wissen wir, dass solche Ereignisse in der Renaissance Gründe für die Bestellung von Kunst waren.
Ebendiesen Entstehungszusammenhang vertieft nun ein Buch, das zuvor schon in italienischer Sprache und jetzt in deutscher Übersetzung erschienen ist. Giuseppe Pallanti, ein Wirtschaftshistoriker aus Florenz, hat hierzu mehrere bereits bekannte sowie einige bislang nicht ausgewertete Dokumente aus den Archiven herangezogen. So gelingt ihm in seiner sozialgeschichtlichen Studie eine anschauliche Schilderung der Lebensumstände Lisas und ihrer Familie.
Das Buch ist wunderbar ausgestattet, besitzt einen lesbaren Text, einen informativen Quellenanhang und einen kleinen Makel: Die zentralen Thesen sind ausgehend von fast identischem Quellenmaterial bereits seit 1993 mehrfach vertreten worden. Das riecht ein wenig nach Plagiat - zumal Pallanti erfolgreich den Umstand verschleiert, dass er mit der Auswertung der Archivalien zur Familiengeschichte Lisa del Giocondos keineswegs auf neuen Pfaden wandelt.
Wirklich Neues hingegen findet sich in dem zeitgleich erschienenen Büchlein von Veit Probst über den sogenannten "Heidelberger Cicero", dessen Bedeutung für die "Mona Lisa" und andere Gemälde Leonardos bereits vor einigen Monaten in den Feuilletons diskutiert wurde. Probsts Publikation, eine fünfzig Druckseiten starke Broschüre, ist leider keine Augenweide, aber immerhin ein eindrucksvolles Beispiel für die Forderung, dass man ein Buch nicht nach seiner Aufmachung beurteilen soll.
Unter Berücksichtigung der aktuellen Forschung wertet Probst einen 2005 von Armin Schlechter publizierten, dann aber unbeachtet gebliebenen Sensationsfund aus. Dabei handelt es sich um eine Marginalie, die der Florentiner Kanzleischreiber Agostino Vespucci im Oktober 1503 in einen Wiegendruck der Briefe Ciceros notierte. Vespucci, Sekretär Niccolò Machiavellis in der Florentiner Staatskanzlei, nennt drei wichtige Bilder Leonardo da Vincis: die "Mona Lisa", dann eine "Anna Selbdritt" und schließlich das im Herbst 1503 begonnene Wandgemälde der "Anghiarischlacht" für den Großen Ratssaal des Florentiner Regierungspalastes. Ausgehend von der Glosse Vespuccis zeichnet Probst in seinem Buch das Umfeld nach, in dem Leonardo sein Wandbild schuf. Leider versäumt er dabei, auf die dezidiert politische Ikonographie des Gemäldes einzugehen. Gerade das hätte aber nahegelegen, da Vespucci das Bindeglied zwischen Leonardo da Vinci und Niccolò Machiavelli war, der für die politische Konnotierung der damals entstehenden Kunstwerke verantwortlich zeichnete, darunter neben Leonardos "Anghiarischlacht" auch Michelangelos "David" und dessen Wandbild der "Cascinaschlacht".
Am meisten Aufsehen hat naturgemäß Vespuccis Erwähnung der "Mona Lisa" erregt, denn es handelt sich dabei um die mit Abstand früheste eindeutige Nennung des Gemäldes. Die bislang bekannten unstrittigen Notizen über dieses Porträt stammen erst aus den Jahren ab 1518. Später folgen die Angaben in den Künstlerviten Giorgio Vasaris von 1550 und 1568. Gerade die Bemerkungen Vasaris sind oft als widersprüchlich und unzuverlässig eingestuft worden. Doch diese Zweifel kann man nun getrost ad acta legen. Tatsächlich bestätigt die Randbemerkung aus dem Heidelberger Cicero unzweifelhaft Vasaris Angabe, dass Leonardo zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts ein Bildnis der Lisa del Giocondo geschaffen habe.
In seiner Notiz, so lesen wir bei Probst, kommentiert Vespucci eine Bemerkung Ciceros über den antiken Maler Apelles. Der habe an einem Gemälde der "Venus den Kopf und den oberen Teil der Brust kunstvoll ausgeführt, die übrigen Teile des Körpers jedoch unfertig gelassen". Vespucci bemerkt zu diesem Passus, dass "auch Leonardo da Vinci es in allen seinen Bildern" so mache, nämlich beim "Haupt der Lisa del Giocondo und dem von Anna, der Mutter der Jungfrau Maria".
Vespuccis Marginalie, eine der frühesten Nachrichten über die Gemälde Leonardos überhaupt, ist ein ganz besonderer Glücksfall, denn aus der Zeit um 1500 sind nur selten Bemerkungen überliefert, die zu mehreren, noch im Entstehen begriffenen Kunstwerken Stellung nehmen. Gerade im Falle der "Mona Lisa" hätte man niemals zu hoffen gewagt, dass eine solche Bemerkung überhaupt existieren könnte. Isoliert betrachtet, schließt diese Bemerkung den Fall natürlich noch nicht. Das von Vespucci erwähnte Porträt der Lisa del Giocondo könnte ja verlorengegangen und dann später mit dem Gemälde im Louvre verwechselt worden sein. Doch das wäre, wie Probst zu Recht betont, extrem unwahrscheinlich.
Die erste Autobahn.
Aber hier zeigt sich, dass Kunst nicht allein mit Archivalien und Texten zu erklären ist, sondern auch aus der Kunstgeschichte selbst, in diesem Fall aufgrund gattungsgeschichtlicher Überlegungen: Sowohl die Florentiner Bildnistradition der Zeit um 1500 als auch Raffael, der Lisas Porträt zwischen 1504 und 1506 kopierte und adaptierte, zeigen, dass das heute im Louvre verwahrte Bildnis identisch mit dem von Vespucci genannten Gemälde ist. Der "Fall" "Mona Lisa" könnte also endgültig geschlossen werden, wäre da nicht der etwas mystisch anmutende Hintergrund. In diese Landschaft darf man nach wie vor alles Mögliche hineinphantasieren: einen urzeitlichen See, eine Wüste, die Topographie des oberen Tibertales, die erste Autobahn, einen ausgetrockneten Fluss, Leonardos Kunsttheorie oder seine geologischen Vorstellungen. Vielleicht aber kommt der jüngste Vorschlag des Leonardo-Forschers Johannes Nathan der Sache am nächsten: Der Hintergrund blieb einfach nur unvollendet - typisch Leonardo eben.
FRANK ZÖLLNER.
Giuseppe Pallanti: "Wer war Mona Lisa?" Die wahre Identität von Leonardos Modell. Aus dem Italienischen von Marianne Schneider. Verlag Schirmer/Mosel, München 2008. 120 S., 6 Farb-Taf., geb., 19,89 [Euro].
Veit Probst: "Zur Entstehungsgeschichte der Mona Lisa". Leonardo da Vinci trifft Niccolò Machiavelli und Agostino Vespucci. Verlag Regionalkultur, Heidelberg 2008. 51 S., br., 9,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kein Gemälde wird ähnlich mystifiziert und verehrt wie Leonardo da Vincis "Mona Lisa": Wer stand tatsächlich dafür Modell? Zwei Bände nehmen das berühmte Werk unter die Lupe.
Selten liegen Ruhm und Hysterie, Verehrung und Verachtung, Kanonisierung und Vernachlässigung so nahe beieinander wie im Fall prominenter Kunstwerke. Das lehrt eindrucksvoll die Rezeptionsgeschichte von Leonardo da Vincis Porträt der Lisa del Giocondo. Das Gemälde löste im neunzehnten Jahrhundert Leonardos Abendmahl als bekanntestes seiner Werke ab, nicht wenige sahen in der dargestellten jungen Frau ein fatales Monster, das die Männerphantasien ganzer Generationen fortan verfolgen sollte. Doch die wirklich großen Auftritte erlebte das Bild erst im zwanzigsten Jahrhundert, nach ihrem Raub im Jahre 1911, ihrer triumphalen Rückkehr nach Paris 1913 und ihrer politischen Instrumentalisierung während des Kalten Krieges.
Den vorläufig letzten Höhepunkt bescherte der Louvre seinem Prunkstück im Jahre 2005. Das Gemälde kann nun von Besuchern des Museums schneller erreicht werden als je zuvor und hängt isoliert von anderen Werken. Zudem wurde "Mona Lisa" über einer Art Altarmensa installiert, die keinen Zweifel mehr am kultischen Charakter ihrer Präsentation zulässt. Etwa zeitgleich ließ der Louvre das Gemälde durch neununddreißig Wissenschaftler mit Hilfe technisch-naturwissenschaftlicher Methoden untersuchen und die Ergebnisse in einem üppigen Folioband publizieren. Über hundert Aufnahmen vermitteln dem Betrachter die Resultate strahlendiagnostischer und gemäldetechnischer Untersuchungen. Doch die sind selbst mit Hilfe der begleitenden Texte kaum verständlich, so dass man am Ende erneut vor einer gewaltigen Mystifizierung des Gemäldes steht.
Homosexuelle Neigungen.
Berühmtheit und Mystifizierung haben das Gemälde zum Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher und populärer Exegesen gemacht: Das Bild sei gar kein Porträt, auch kein Frauenporträt und schon gar nicht das der Lisa del Giocondo, sondern ein maltechnisches Experiment oder aber ein Selbstporträt Leonardos, das seine homosexuellen Neigungen verrate. Falls es sich doch um eine Frau handeln sollte, dann sei sie syphilitisch oder schwanger oder habe zumindest eine halbseitige Gesichtslähmung.
Eigentlich aber besteht zu aberwitzigen Thesen wenig Anlass, da Leonardos "Mona Lisa" im Vergleich zu anderen Porträts der Renaissance sehr gut dokumentiert ist. So kennen wir von den Frauenbildnissen der Zeit zwischen 1440 und 1500 in den allermeisten Fällen nicht den Namen der Dargestellten, oft sind auch die heute üblichen Datierungen und Zuschreibungen der Gemälde reine Konjektur. Diese Unsicherheit ändert sich schlagartig mit den Bildnissen von der Hand Leonardo da Vincis. Sogar für die konkreten Entstehungsbedingungen der "Mona Lisa" liegen konkrete Informationen vor. Lisas Mann, ein wohlhabender Florentiner Kaufmann, unterhielt Kontakte zum Freundeskreis der Familie Leonardos, den er zudem in der Florentiner Kirche SS. Annunziata getroffen haben konnte. Aus diesen Kontakten dürfte sich der Auftrag für das Bildnis ergeben haben. Die Motivation für die Bestellung des Porträts ergab sich aus rekonstruierbaren Umständen. Francesco del Giocondo hatte im Frühjahr 1503 ein neues Haus für seine Familie erworben und Lisa im Dezember 1502 einen Sohn zur Welt gebracht. Aus der neueren Forschung wissen wir, dass solche Ereignisse in der Renaissance Gründe für die Bestellung von Kunst waren.
Ebendiesen Entstehungszusammenhang vertieft nun ein Buch, das zuvor schon in italienischer Sprache und jetzt in deutscher Übersetzung erschienen ist. Giuseppe Pallanti, ein Wirtschaftshistoriker aus Florenz, hat hierzu mehrere bereits bekannte sowie einige bislang nicht ausgewertete Dokumente aus den Archiven herangezogen. So gelingt ihm in seiner sozialgeschichtlichen Studie eine anschauliche Schilderung der Lebensumstände Lisas und ihrer Familie.
Das Buch ist wunderbar ausgestattet, besitzt einen lesbaren Text, einen informativen Quellenanhang und einen kleinen Makel: Die zentralen Thesen sind ausgehend von fast identischem Quellenmaterial bereits seit 1993 mehrfach vertreten worden. Das riecht ein wenig nach Plagiat - zumal Pallanti erfolgreich den Umstand verschleiert, dass er mit der Auswertung der Archivalien zur Familiengeschichte Lisa del Giocondos keineswegs auf neuen Pfaden wandelt.
Wirklich Neues hingegen findet sich in dem zeitgleich erschienenen Büchlein von Veit Probst über den sogenannten "Heidelberger Cicero", dessen Bedeutung für die "Mona Lisa" und andere Gemälde Leonardos bereits vor einigen Monaten in den Feuilletons diskutiert wurde. Probsts Publikation, eine fünfzig Druckseiten starke Broschüre, ist leider keine Augenweide, aber immerhin ein eindrucksvolles Beispiel für die Forderung, dass man ein Buch nicht nach seiner Aufmachung beurteilen soll.
Unter Berücksichtigung der aktuellen Forschung wertet Probst einen 2005 von Armin Schlechter publizierten, dann aber unbeachtet gebliebenen Sensationsfund aus. Dabei handelt es sich um eine Marginalie, die der Florentiner Kanzleischreiber Agostino Vespucci im Oktober 1503 in einen Wiegendruck der Briefe Ciceros notierte. Vespucci, Sekretär Niccolò Machiavellis in der Florentiner Staatskanzlei, nennt drei wichtige Bilder Leonardo da Vincis: die "Mona Lisa", dann eine "Anna Selbdritt" und schließlich das im Herbst 1503 begonnene Wandgemälde der "Anghiarischlacht" für den Großen Ratssaal des Florentiner Regierungspalastes. Ausgehend von der Glosse Vespuccis zeichnet Probst in seinem Buch das Umfeld nach, in dem Leonardo sein Wandbild schuf. Leider versäumt er dabei, auf die dezidiert politische Ikonographie des Gemäldes einzugehen. Gerade das hätte aber nahegelegen, da Vespucci das Bindeglied zwischen Leonardo da Vinci und Niccolò Machiavelli war, der für die politische Konnotierung der damals entstehenden Kunstwerke verantwortlich zeichnete, darunter neben Leonardos "Anghiarischlacht" auch Michelangelos "David" und dessen Wandbild der "Cascinaschlacht".
Am meisten Aufsehen hat naturgemäß Vespuccis Erwähnung der "Mona Lisa" erregt, denn es handelt sich dabei um die mit Abstand früheste eindeutige Nennung des Gemäldes. Die bislang bekannten unstrittigen Notizen über dieses Porträt stammen erst aus den Jahren ab 1518. Später folgen die Angaben in den Künstlerviten Giorgio Vasaris von 1550 und 1568. Gerade die Bemerkungen Vasaris sind oft als widersprüchlich und unzuverlässig eingestuft worden. Doch diese Zweifel kann man nun getrost ad acta legen. Tatsächlich bestätigt die Randbemerkung aus dem Heidelberger Cicero unzweifelhaft Vasaris Angabe, dass Leonardo zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts ein Bildnis der Lisa del Giocondo geschaffen habe.
In seiner Notiz, so lesen wir bei Probst, kommentiert Vespucci eine Bemerkung Ciceros über den antiken Maler Apelles. Der habe an einem Gemälde der "Venus den Kopf und den oberen Teil der Brust kunstvoll ausgeführt, die übrigen Teile des Körpers jedoch unfertig gelassen". Vespucci bemerkt zu diesem Passus, dass "auch Leonardo da Vinci es in allen seinen Bildern" so mache, nämlich beim "Haupt der Lisa del Giocondo und dem von Anna, der Mutter der Jungfrau Maria".
Vespuccis Marginalie, eine der frühesten Nachrichten über die Gemälde Leonardos überhaupt, ist ein ganz besonderer Glücksfall, denn aus der Zeit um 1500 sind nur selten Bemerkungen überliefert, die zu mehreren, noch im Entstehen begriffenen Kunstwerken Stellung nehmen. Gerade im Falle der "Mona Lisa" hätte man niemals zu hoffen gewagt, dass eine solche Bemerkung überhaupt existieren könnte. Isoliert betrachtet, schließt diese Bemerkung den Fall natürlich noch nicht. Das von Vespucci erwähnte Porträt der Lisa del Giocondo könnte ja verlorengegangen und dann später mit dem Gemälde im Louvre verwechselt worden sein. Doch das wäre, wie Probst zu Recht betont, extrem unwahrscheinlich.
Die erste Autobahn.
Aber hier zeigt sich, dass Kunst nicht allein mit Archivalien und Texten zu erklären ist, sondern auch aus der Kunstgeschichte selbst, in diesem Fall aufgrund gattungsgeschichtlicher Überlegungen: Sowohl die Florentiner Bildnistradition der Zeit um 1500 als auch Raffael, der Lisas Porträt zwischen 1504 und 1506 kopierte und adaptierte, zeigen, dass das heute im Louvre verwahrte Bildnis identisch mit dem von Vespucci genannten Gemälde ist. Der "Fall" "Mona Lisa" könnte also endgültig geschlossen werden, wäre da nicht der etwas mystisch anmutende Hintergrund. In diese Landschaft darf man nach wie vor alles Mögliche hineinphantasieren: einen urzeitlichen See, eine Wüste, die Topographie des oberen Tibertales, die erste Autobahn, einen ausgetrockneten Fluss, Leonardos Kunsttheorie oder seine geologischen Vorstellungen. Vielleicht aber kommt der jüngste Vorschlag des Leonardo-Forschers Johannes Nathan der Sache am nächsten: Der Hintergrund blieb einfach nur unvollendet - typisch Leonardo eben.
FRANK ZÖLLNER.
Giuseppe Pallanti: "Wer war Mona Lisa?" Die wahre Identität von Leonardos Modell. Aus dem Italienischen von Marianne Schneider. Verlag Schirmer/Mosel, München 2008. 120 S., 6 Farb-Taf., geb., 19,89 [Euro].
Veit Probst: "Zur Entstehungsgeschichte der Mona Lisa". Leonardo da Vinci trifft Niccolò Machiavelli und Agostino Vespucci. Verlag Regionalkultur, Heidelberg 2008. 51 S., br., 9,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Frank Zöllner kann Giuseppe Pallantis Buch über den Entstehungszusammenhang von Leonardo da Vincis "Mona Lisa" und die Frage, wer für dieses berühmte Gemälde Modell stand, nicht uneingeschränkt loben. Zwar bescheinigt er dem Wirtschaftshistoriker, in seiner Studie die Lebensumstände der Mona Lisa und ihrer Familie lebendig und verständlich zu beschreiben. Zudem findet er das Buch "wunderbar ausgestattet". Aber er will nicht verschweigen, dass er Pallantis zentrale Thesen bereits öfter gelesen hat. Der Eindruck, ein Plagiat vor sich zu haben, drängt sich ihm auf. Insbesondere hält er Pallanti vor, zu verbergen, dass er mit der Auswertung der Archivalien zur Familiengeschichte Lisa del Giocondos keineswegs einen neuen Weg eingeschlagen hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH