DAS DRITTE REICH UND DIE DEUTSCHEN - ANATOMIE EINER DIKTATUR
Wer waren die Nationalsozialisten? Diese einfache Frage berührt den Kern der NS-Herrschaft. Denn wer sie präzise beantworten will, der muss wissen, wer das Dritte Reich ermöglicht und durch sein Handeln - oft bis zuletzt - unterstützt hat. Ulrich Herbert, einer der angesehensten Zeithistoriker der Gegenwart, geht in diesem Buch den spezifischen Merkmalen der nationalsozialistischen Diktatur nach und analysiert von den Ursprüngen des Judenhasses bis zum Werdegang einstiger NS-Funktionäre in der Bundesrepublik zentrale Themen der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts.
War es eine kleine Gruppe von Verbrechern, die das deutsche Volk ins Schlepptau nahm? Ein Projekt traditioneller Eliten? Oder doch eine von breiten Schichten der Bevölkerung getragene faschistische Bewegung? Die Antworten auf die Frage, wer die Nationalsozialisten waren, sind ebenso zahlreich wie die Versuche, personelle Kontinuitäten auszublenden und zwischen den Verbrechen des Regimes und der eigenen Verantwortung einen Trennstrich zu ziehen.
Indem Ulrich Herbert diese Frage zum Ausgangspunkt seiner Studien nimmt, dringt er tief in den Charakter der NS-Diktatur ein und legt zentrale Aspekte ihrer Herrschaft frei. Seine prägnant argumentierenden Aufsätze bündeln nicht nur seine Überlegungen zur Geschichte des Nationalsozialismus, sondern spiegeln zugleich den Weg, den die NS-Forschung in den letzten Jahrzehnten genommen hat.
Eine Charakterstudie der NS-Diktatur
Welche Rolle spielten die Eliten?
Wie groß war die Zustimmungsbereitschaft in der Bevölkerung?
Wie fassten die NS-Führungsgruppen nach dem Krieg wieder Fuß?
Von einem der besten Zeithistoriker seiner Generation
Wer waren die Nationalsozialisten? Diese einfache Frage berührt den Kern der NS-Herrschaft. Denn wer sie präzise beantworten will, der muss wissen, wer das Dritte Reich ermöglicht und durch sein Handeln - oft bis zuletzt - unterstützt hat. Ulrich Herbert, einer der angesehensten Zeithistoriker der Gegenwart, geht in diesem Buch den spezifischen Merkmalen der nationalsozialistischen Diktatur nach und analysiert von den Ursprüngen des Judenhasses bis zum Werdegang einstiger NS-Funktionäre in der Bundesrepublik zentrale Themen der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts.
War es eine kleine Gruppe von Verbrechern, die das deutsche Volk ins Schlepptau nahm? Ein Projekt traditioneller Eliten? Oder doch eine von breiten Schichten der Bevölkerung getragene faschistische Bewegung? Die Antworten auf die Frage, wer die Nationalsozialisten waren, sind ebenso zahlreich wie die Versuche, personelle Kontinuitäten auszublenden und zwischen den Verbrechen des Regimes und der eigenen Verantwortung einen Trennstrich zu ziehen.
Indem Ulrich Herbert diese Frage zum Ausgangspunkt seiner Studien nimmt, dringt er tief in den Charakter der NS-Diktatur ein und legt zentrale Aspekte ihrer Herrschaft frei. Seine prägnant argumentierenden Aufsätze bündeln nicht nur seine Überlegungen zur Geschichte des Nationalsozialismus, sondern spiegeln zugleich den Weg, den die NS-Forschung in den letzten Jahrzehnten genommen hat.
Eine Charakterstudie der NS-Diktatur
Welche Rolle spielten die Eliten?
Wie groß war die Zustimmungsbereitschaft in der Bevölkerung?
Wie fassten die NS-Führungsgruppen nach dem Krieg wieder Fuß?
Von einem der besten Zeithistoriker seiner Generation
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Stephan Speicher entdeckt in Ulrich Herberts Aufsatzsammlung nicht unbedingt neue Gedanken zur Titelfrage, Herberts empirischer Ansatz bei der Suche nach den Ursachen des Judenhasses aber scheint ihm durchaus vielversprechend. So stößt ihn der Autor auf die Gewalterfahrung einer Generation durch den Ersten Weltkrieg. Wie der Autor die Integration der NS-Größen in der frühen Bundesrepublik beschreibt, als soziale Technik, scheint Speicher treffend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.04.2021Unheimliche Gestalten
Mit Interesse am Detail: Ulrich Herbert geht dem Wesen der Nationalsozialisten auf den Grund
1952 sprach Konrad Adenauer im Bundestag über ein Thema, das viele Deutsche bewegte: die Behandlung der NS- und Kriegsverbrecher durch die Alliierten. Die meisten der in den Nürnberger Prozessen Verurteilten, so Adenauer, seien unschuldig, allerdings müsse man zugeben, dass ein "kleiner Prozentsatz von absolut asozialen Elementen" existiere. Damit war umrissen, wie es mit der deutschen Schuld stand: da waren Hitler und seine engste Umgebung als die Schuldigen, dazu die "Asozialen", die anderen Deutschen aber waren "anständig" geblieben, weitestgehend.
Adenauer, dessen Abscheu vor dem NS-Regime außer Frage stand, machte der öffentlichen Meinung hier sicher ein Zugeständnis. Aber es war doch mehr als eine bloß taktische Äußerung. Wenn das Wort vom "Zivilisationsbruch", den der Nationalsozialismus darstellt, sein Recht hat, ist es schwer zu verstehen, dass Menschen, die einen unauffälligen, zivilisierten Eindruck machten, für Verbrechen verantwortlich waren, die mit allen Standards der Zivilisation brachen. Der KZ-Arzt, der nach Kriegsende unter neuem Namen eine Praxis eröffnete, um als hingebungsvoller Kassenarzt die Dankbarkeit seiner Patienten zu erwerben, er ist bis heute eine unheimliche Gestalt.
Der Titel "Wer waren die Nationalsozialisten?", den Ulrich Herbert, emeritierter Professor für Neuere Geschichte in Freiburg, seinem neuen Buch gegeben hat, ist deshalb so einfach wie berechtigt. Und eine erste Antwort, die er auf diese Frage gibt: Es waren sehr unterschiedliche Leute, darunter viele aus gutsituierten Familien, die mit solider Ausbildung unter anderen Umständen eine erfolgreiche bürgerliche Karriere gemacht hätten.
Die Einsicht, dass das Führungspersonal des Nationalsozialismus sich nicht bloß aus gescheiterten Existenzen rekrutierte, ist nicht mehr neu, aber das behauptet das Buch auch nicht. Es ist eine Zusammenstellung von elf Aufsätzen und Reden aus den vergangenen fünfundzwanzig Jahren; und wenn der Autor sagt, er werde "keineswegs originell vorgehen", sondern zusammentragen, was "in den letzten Jahrzehnten herausgefunden" worden sei, so gilt das für die meisten Stücke. Aber das ist kein Fehler. Es geht um die Entstehung des Judenhasses und den Weg zur "Endlösung", die "Volksgemeinschaft", die Planungen für den "Fall Barbarossa" oder den Vergleich nationalsozialistischer und stalinistischer Herrschaft - da ist es willkommen, wenn ein Historiker vom Rang Herberts die Forschungslage zusammenfasst.
Als 2014 seine große "Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert" erschien, wurde der Autor in dieser Zeitung als "Erzempiriker" bezeichnet. Diesen Charakter zeigt auch das neue Buch, schon im Interesse am sprechenden Detail. Schwer wird man die Figur Ludwig Losackers vergessen, eines Juristen, der mit Kriegsbeginn nach Polen geschickt wurde, immer wieder gegen die Behandlung der dortigen Bevölkerung protestierte, nach Berlin reiste, um Hitler von den Übeln dieser Politik zu überzeugen, und 1943 seiner Verwaltungsaufgaben enthoben wurde. Bald darauf tat er sich bei der Ermordung der Lemberger Juden hervor, ein Täter, der bewiesen hatte, dass er Zivilcourage besaß.
In der Studie über nationalsozialistische und stalinistische Herrschaft geht Herbert nur kurz auf die Totalitarismus-Theorie ein, Systemtheoretiker und "Geschichtsdenker" (Anführungszeichen bei U.H.!) seien "nicht selten grundsätzlich und schon aus Selbsterhaltungstrieb empiriefern". Und darauf zeigt er, was Empirienähe abwirft, wenn er die für beide Seiten typische generationelle Homogenität in den Blick nimmt, die Gewalterfahrungen 1914/18 und später, die Kriegsniederlage, den selbst auferlegten Schnelligkeitszwang, Momente, die geeignet waren, alle traditionellen Hemmungen zu überfahren. Die Polykratie wiederum, die man so gern für ein Spezifikum des Dritten Reiches hält, sieht Herbert in der Sowjetunion weit stärker ausgeprägt und knüpft daran einen Vergleich der Rollen Hitlers und Stalins in ihren Staaten.
Und da ist ein dritter Punkt, an dem sich Herberts Neigung zur Empirie zeigt, das ist die übernationale Sicht. Immer wieder betont er die Rolle von Erstem Weltkrieg und Versailles, die die Modernisierungskrisen, die andere Länder bis 1914 ähnlich erlebt hatten, in Deutschland dramatisch verschärften. Oder die "Volksgemeinschaft": Nichts eigentümlich Deutsches, vielmehr international eine "Leitvokabel" der Moderne, vor 1933 und nach 1945.
Und zuletzt wäre die Sicht auf das Fortleben der NS-Eliten in der Bundesrepublik zu erwähnen. Die Bereitschaft, die alten Nazis wirtschaftlich wie gesellschaftlich wieder mitspielen zu lassen unter der Bedingung, sich politisch zurückzuhalten, beschreibt Herbert als wirksame soziale Technik. Die Drohung der strafrechtlichen Verfolgung, auch wenn sie zu selten Realität wurde, übte einen Anpassungsdruck aus, der umso erfolgreicher war, als auch der neue Staat Erfolg hatte. Nicht wenige, die ihre Chance nutzten, wandelten sich zu echten Demokraten. Das moralische Übel ausgebliebener Gerechtigkeit bleibt. Aber Herbert stellt ihm einige bemerkenswerte Überlegungen zur Seite.
STEPHAN SPEICHER
Ulrich Herbert:
"Wer waren die
Nationalsozialisten?"
C. H. Beck Verlag,
München 2021.
303 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit Interesse am Detail: Ulrich Herbert geht dem Wesen der Nationalsozialisten auf den Grund
1952 sprach Konrad Adenauer im Bundestag über ein Thema, das viele Deutsche bewegte: die Behandlung der NS- und Kriegsverbrecher durch die Alliierten. Die meisten der in den Nürnberger Prozessen Verurteilten, so Adenauer, seien unschuldig, allerdings müsse man zugeben, dass ein "kleiner Prozentsatz von absolut asozialen Elementen" existiere. Damit war umrissen, wie es mit der deutschen Schuld stand: da waren Hitler und seine engste Umgebung als die Schuldigen, dazu die "Asozialen", die anderen Deutschen aber waren "anständig" geblieben, weitestgehend.
Adenauer, dessen Abscheu vor dem NS-Regime außer Frage stand, machte der öffentlichen Meinung hier sicher ein Zugeständnis. Aber es war doch mehr als eine bloß taktische Äußerung. Wenn das Wort vom "Zivilisationsbruch", den der Nationalsozialismus darstellt, sein Recht hat, ist es schwer zu verstehen, dass Menschen, die einen unauffälligen, zivilisierten Eindruck machten, für Verbrechen verantwortlich waren, die mit allen Standards der Zivilisation brachen. Der KZ-Arzt, der nach Kriegsende unter neuem Namen eine Praxis eröffnete, um als hingebungsvoller Kassenarzt die Dankbarkeit seiner Patienten zu erwerben, er ist bis heute eine unheimliche Gestalt.
Der Titel "Wer waren die Nationalsozialisten?", den Ulrich Herbert, emeritierter Professor für Neuere Geschichte in Freiburg, seinem neuen Buch gegeben hat, ist deshalb so einfach wie berechtigt. Und eine erste Antwort, die er auf diese Frage gibt: Es waren sehr unterschiedliche Leute, darunter viele aus gutsituierten Familien, die mit solider Ausbildung unter anderen Umständen eine erfolgreiche bürgerliche Karriere gemacht hätten.
Die Einsicht, dass das Führungspersonal des Nationalsozialismus sich nicht bloß aus gescheiterten Existenzen rekrutierte, ist nicht mehr neu, aber das behauptet das Buch auch nicht. Es ist eine Zusammenstellung von elf Aufsätzen und Reden aus den vergangenen fünfundzwanzig Jahren; und wenn der Autor sagt, er werde "keineswegs originell vorgehen", sondern zusammentragen, was "in den letzten Jahrzehnten herausgefunden" worden sei, so gilt das für die meisten Stücke. Aber das ist kein Fehler. Es geht um die Entstehung des Judenhasses und den Weg zur "Endlösung", die "Volksgemeinschaft", die Planungen für den "Fall Barbarossa" oder den Vergleich nationalsozialistischer und stalinistischer Herrschaft - da ist es willkommen, wenn ein Historiker vom Rang Herberts die Forschungslage zusammenfasst.
Als 2014 seine große "Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert" erschien, wurde der Autor in dieser Zeitung als "Erzempiriker" bezeichnet. Diesen Charakter zeigt auch das neue Buch, schon im Interesse am sprechenden Detail. Schwer wird man die Figur Ludwig Losackers vergessen, eines Juristen, der mit Kriegsbeginn nach Polen geschickt wurde, immer wieder gegen die Behandlung der dortigen Bevölkerung protestierte, nach Berlin reiste, um Hitler von den Übeln dieser Politik zu überzeugen, und 1943 seiner Verwaltungsaufgaben enthoben wurde. Bald darauf tat er sich bei der Ermordung der Lemberger Juden hervor, ein Täter, der bewiesen hatte, dass er Zivilcourage besaß.
In der Studie über nationalsozialistische und stalinistische Herrschaft geht Herbert nur kurz auf die Totalitarismus-Theorie ein, Systemtheoretiker und "Geschichtsdenker" (Anführungszeichen bei U.H.!) seien "nicht selten grundsätzlich und schon aus Selbsterhaltungstrieb empiriefern". Und darauf zeigt er, was Empirienähe abwirft, wenn er die für beide Seiten typische generationelle Homogenität in den Blick nimmt, die Gewalterfahrungen 1914/18 und später, die Kriegsniederlage, den selbst auferlegten Schnelligkeitszwang, Momente, die geeignet waren, alle traditionellen Hemmungen zu überfahren. Die Polykratie wiederum, die man so gern für ein Spezifikum des Dritten Reiches hält, sieht Herbert in der Sowjetunion weit stärker ausgeprägt und knüpft daran einen Vergleich der Rollen Hitlers und Stalins in ihren Staaten.
Und da ist ein dritter Punkt, an dem sich Herberts Neigung zur Empirie zeigt, das ist die übernationale Sicht. Immer wieder betont er die Rolle von Erstem Weltkrieg und Versailles, die die Modernisierungskrisen, die andere Länder bis 1914 ähnlich erlebt hatten, in Deutschland dramatisch verschärften. Oder die "Volksgemeinschaft": Nichts eigentümlich Deutsches, vielmehr international eine "Leitvokabel" der Moderne, vor 1933 und nach 1945.
Und zuletzt wäre die Sicht auf das Fortleben der NS-Eliten in der Bundesrepublik zu erwähnen. Die Bereitschaft, die alten Nazis wirtschaftlich wie gesellschaftlich wieder mitspielen zu lassen unter der Bedingung, sich politisch zurückzuhalten, beschreibt Herbert als wirksame soziale Technik. Die Drohung der strafrechtlichen Verfolgung, auch wenn sie zu selten Realität wurde, übte einen Anpassungsdruck aus, der umso erfolgreicher war, als auch der neue Staat Erfolg hatte. Nicht wenige, die ihre Chance nutzten, wandelten sich zu echten Demokraten. Das moralische Übel ausgebliebener Gerechtigkeit bleibt. Aber Herbert stellt ihm einige bemerkenswerte Überlegungen zur Seite.
STEPHAN SPEICHER
Ulrich Herbert:
"Wer waren die
Nationalsozialisten?"
C. H. Beck Verlag,
München 2021.
303 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main