Silvia Bovenschen, Autorin des Bestsellers »Älter werden«, hat einen mitreißenden und arglistig ausgedachten Krimi geschrieben, der zum aberwitzigen literarischen Spiel wird.
Ein Mord? Professor Urlach liegt auf dem Klo der Universität? Er hat ein Messer im Rücken? Wer hat da ein Motiv? Wer war am Tatort? Sollten diese aufgescheuchten Akademiker das Fragen nicht der Polizei überlassen? Aber warum ist Hauptkommissar Merker so nervös? Stehen nicht alle im Flutlicht des Verdachts? Wird so eine 'nahe' Leiche ihr Leben radikal verändern? Ihr Denken, ihr Fühlen? Und: Ist Molly träge? Krüss verrückt? Johanna nymphoman? Wird die Schriftstellerin Carola ihren braven Hochschullehrer mit dem freundlichen Lektor betrügen? Was hat das mit dem Mord zu tun? Und was sind das für merkwürdige Beobachter, die ihre eigenen Ziele verfolgen? Weiß Kurt das? Aber wer oder was ist Kurt?
Ein Mord? Professor Urlach liegt auf dem Klo der Universität? Er hat ein Messer im Rücken? Wer hat da ein Motiv? Wer war am Tatort? Sollten diese aufgescheuchten Akademiker das Fragen nicht der Polizei überlassen? Aber warum ist Hauptkommissar Merker so nervös? Stehen nicht alle im Flutlicht des Verdachts? Wird so eine 'nahe' Leiche ihr Leben radikal verändern? Ihr Denken, ihr Fühlen? Und: Ist Molly träge? Krüss verrückt? Johanna nymphoman? Wird die Schriftstellerin Carola ihren braven Hochschullehrer mit dem freundlichen Lektor betrügen? Was hat das mit dem Mord zu tun? Und was sind das für merkwürdige Beobachter, die ihre eigenen Ziele verfolgen? Weiß Kurt das? Aber wer oder was ist Kurt?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2009Diese Menschen sind einfach unverbesserlich
Wer Romane liest, liest Lügen: Silvia Bovenschens neues Buch ist Kriminal- und Gesellschaftsroman, campus novel und Science-Fiction in einem - und handelt zugleich von Liebe, Erbarmen und der Möglichkeit des Glücks.
Es gibt eine sehr deutsche Literaturkritik, die argwöhnisch darüber wacht, dass literarische Texte nicht zu viel Gelehrsamkeit oder gar Theorie enthalten. Nicht selten sind es mit einem germanistischen Doktortitel behaftete Damen und Herren, die kurz die eigenen Kenntnisse aufblitzen lassen, um hernach naserümpfend Bildungshochmut zu diagnostizieren. Damit rechnet auch die Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen. So lässt sie die Hauptfigur ihres neuen Romans, die Schriftstellerin Carola Schauer, bekannt als Carola Holm, verheiratet mit dem Literaturwissenschaftler Bruno Schauer, über ihren besserwisserischen Gatten sagen, er fühle sich wohl bei dem Gedanken, "dass belletristische Autoren erzähltechnische Restnaivitäten aufweisen müssen, dass ihnen theoretisches Wissen in höheren Dosen abträglich ist".
Danach will sich die fiktive Schriftstellerin aber nicht richten, und auch was ihr Lektor Freidank Hofmann für publikumsverträglich hält, will sie bei aller Zuneigung ignorieren, vielmehr ihrer Lust folgen, "alles zu tun, was verboten ist". Entsprechend zieht auch Silvia Bovenschen in "Wer weiß was" lauter von der höheren Kritik verpönte Register. Es ist ein Roman, in dem ein Roman geschrieben wird, welcher der Roman ist, den der Leser vor sich hat. Es gibt nicht nur eine unendlich gebildete allwissende Erzählerin, die sich in mehr als dreißig Personen einfühlen kann, sondern überdies noch eine postmodern gewitzte Instanz, die in Parenthesen präzisierend und kommentierend dazwischenfunkt, sich mit Automarken und Typenbezeichnungen bestens auskennt, Entfernungen bemisst oder genaue Uhrzeiten angibt (Kunst der Klammer). Damit nicht genug, wird auch noch der Funkverkehr eines außerirdischen Ethnologenteams abgehört, das versucht, sich ein Bild von den merkwürdig umwegigen Wesen zu machen, von denen hier erzählt wird (Individuen?).
Auch beim Genre wollen sich beide Autorinnen nicht festlegen. "Wer weiß was" ist ein Berliner Gesellschaftsroman mit viel Lokalkolorit. Es ist auch ein Kriminalroman mit "Agatha-Christie-Klischees", exotischem corpus delicti, üblichen Verdächtigen, scharfsinnigen Ermittlern und einer klassischen Zeugenversammlung, die den Leser zum Mitraten herausfordert, zugleich aber ein Anti-Detektiv-Roman in der Gesellschaft von Jorge Luis Borges, Antonio Tabucchi, Paul Auster oder Jean-Philippe Toussaint, in dem die aufklärerische Vernunft des Genres in tiefgründigen Reflexionen dekonstruiert wird. Die Frage, wer der Mörder war und aus welchen Motiven er gehandelt hat, wird dabei durch die nach der Identität des Ermittlers und den Prämissen kausaler Verknüpfung ersetzt (meist vergeblich). Das Ganze wird schließlich verkreuzt mit negativer Science-Fiction, in der gründlich bezweifelt wird, dass Menschen "intelligente selbstgesteuerte Kulturwesen" sind.
Schon in "Verschwunden" (2007) hat Silvia Bovenschen ein trickreiches Spiel mit der Autorschaft und dem Sinnverlangen des Lesers getrieben, in "Wer weiß was" geht es um die Möglichkeit des Entkommens aus der Gefangenschaft von Selbstbildern, aus gesellschaftlichen Mustern, den Gewohnheiten des Ehelebens, aber auch aus dem "Textgefängnis", in das sich Carola Holm hineingeschrieben hat, aus all den Lügen schließlich, die gerade da aufblühen, wo Menschen ihr Fühlen für wahrhaftig halten. So gilt die Sympathie der Erzählerin jenen Personen besonders, die als Individuum oder in ihrer Rolle aus dem Gleichgewicht geraten sind: Molly, die aus Liebe ihre Knechtschaft sehenden Auges erträgt (bis sie einen Ausweg findet), der Journalistin Frederike Kreuzer, die nach der Flucht aus ihrer Ehe manchmal ganz sie selbst ist, dem akademischen Oberrat Norman Krüss, der vor der modularisierten Universität in die Verrücktheit flüchtet, oder der Kriminalhauptkommissarin Leonie Wagner, die plötzlich Dinge tut, die sie noch nie getan hat.
Jene aber, die starr oder eitel in ihrem Selbstbild oder ihrer Rolle verharren, werden kaltlächelnd abserviert. So wird Prof. Dr. Ulf Urlach auf der Diensttoilette in der Universität mit einem exotischen Brieföffner im Rücken aufgefunden. Niemand scheint das zu bedauern (nicht nur weil er Linguist ist). Als "unerklärte Leiche" ist er das Gravitationszentrum des Romans und des darin beschriebenen Biotops. Das Aufklärungsbegehren der Beteiligten, des Kollegen Literaturwissenschaftler und seiner schreibenden Gattin, der Doktorandin, der Sekretärin oder des Bibliothekars schlägt in Selbstaufklärung um, es öffnen sich Türen des Entrinnens aus selbstverschuldeter Unmündigkeit, der Schriftstellerin aber tun sich überdies ungenutzte Möglichkeiten des Schreibens auf, so, wenn sie mit Kriminalkommissar Merker, der auch Identitätsprobleme hat, die Analogien des Schreibens und der Kriminalistik erörtert.
Ob die Chancen genutzt werden, steht dahin. Für die Außerirdischen ist der Fall klar: "anthropologisches Ungenügen. Leider nicht mehr zu ändern." Merkwürdigerweise aber verfangen sich die Hyperintelligenten alsbald in den "kategorialen Netzen" des Menschenwesens, störungsfrei geht es auch bei ihnen nicht zu, es gibt eine "frtzh-Panne", und beinahe geht es ihnen wie den Engeln bei Rilke, die das Mängelwesen Mensch um sein Hiersein beneiden.
Des Rätsels Lösung spielt sich in einem Garten ab, dem ältesten Wunschbild der Menschheitsgeschichte. Da wird in der Perspektive der alternden Ermittlerin rührend deutlich, dass auch Silvia Bovenschens Buch, trotz "kalter Technik", obwohl funkelnd von Scharfsinn und spöttischer Beobachtungsgabe, gespickt mit Anspielungen und Reflexionen, "von der Liebe und dem Erbarmen und der Möglichkeit des Glücks" handelt. Für den Leser aber besteht das Glück vor allem im Erlebnis einer heiteren Leichtigkeit der Intelligenz, die in der deutschen Literatur selten ist.
FRIEDMAR APEL
Silvia Bovenschen: "Wer weiß was". Eine deutliche Mordgeschichte. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 334 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer Romane liest, liest Lügen: Silvia Bovenschens neues Buch ist Kriminal- und Gesellschaftsroman, campus novel und Science-Fiction in einem - und handelt zugleich von Liebe, Erbarmen und der Möglichkeit des Glücks.
Es gibt eine sehr deutsche Literaturkritik, die argwöhnisch darüber wacht, dass literarische Texte nicht zu viel Gelehrsamkeit oder gar Theorie enthalten. Nicht selten sind es mit einem germanistischen Doktortitel behaftete Damen und Herren, die kurz die eigenen Kenntnisse aufblitzen lassen, um hernach naserümpfend Bildungshochmut zu diagnostizieren. Damit rechnet auch die Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen. So lässt sie die Hauptfigur ihres neuen Romans, die Schriftstellerin Carola Schauer, bekannt als Carola Holm, verheiratet mit dem Literaturwissenschaftler Bruno Schauer, über ihren besserwisserischen Gatten sagen, er fühle sich wohl bei dem Gedanken, "dass belletristische Autoren erzähltechnische Restnaivitäten aufweisen müssen, dass ihnen theoretisches Wissen in höheren Dosen abträglich ist".
Danach will sich die fiktive Schriftstellerin aber nicht richten, und auch was ihr Lektor Freidank Hofmann für publikumsverträglich hält, will sie bei aller Zuneigung ignorieren, vielmehr ihrer Lust folgen, "alles zu tun, was verboten ist". Entsprechend zieht auch Silvia Bovenschen in "Wer weiß was" lauter von der höheren Kritik verpönte Register. Es ist ein Roman, in dem ein Roman geschrieben wird, welcher der Roman ist, den der Leser vor sich hat. Es gibt nicht nur eine unendlich gebildete allwissende Erzählerin, die sich in mehr als dreißig Personen einfühlen kann, sondern überdies noch eine postmodern gewitzte Instanz, die in Parenthesen präzisierend und kommentierend dazwischenfunkt, sich mit Automarken und Typenbezeichnungen bestens auskennt, Entfernungen bemisst oder genaue Uhrzeiten angibt (Kunst der Klammer). Damit nicht genug, wird auch noch der Funkverkehr eines außerirdischen Ethnologenteams abgehört, das versucht, sich ein Bild von den merkwürdig umwegigen Wesen zu machen, von denen hier erzählt wird (Individuen?).
Auch beim Genre wollen sich beide Autorinnen nicht festlegen. "Wer weiß was" ist ein Berliner Gesellschaftsroman mit viel Lokalkolorit. Es ist auch ein Kriminalroman mit "Agatha-Christie-Klischees", exotischem corpus delicti, üblichen Verdächtigen, scharfsinnigen Ermittlern und einer klassischen Zeugenversammlung, die den Leser zum Mitraten herausfordert, zugleich aber ein Anti-Detektiv-Roman in der Gesellschaft von Jorge Luis Borges, Antonio Tabucchi, Paul Auster oder Jean-Philippe Toussaint, in dem die aufklärerische Vernunft des Genres in tiefgründigen Reflexionen dekonstruiert wird. Die Frage, wer der Mörder war und aus welchen Motiven er gehandelt hat, wird dabei durch die nach der Identität des Ermittlers und den Prämissen kausaler Verknüpfung ersetzt (meist vergeblich). Das Ganze wird schließlich verkreuzt mit negativer Science-Fiction, in der gründlich bezweifelt wird, dass Menschen "intelligente selbstgesteuerte Kulturwesen" sind.
Schon in "Verschwunden" (2007) hat Silvia Bovenschen ein trickreiches Spiel mit der Autorschaft und dem Sinnverlangen des Lesers getrieben, in "Wer weiß was" geht es um die Möglichkeit des Entkommens aus der Gefangenschaft von Selbstbildern, aus gesellschaftlichen Mustern, den Gewohnheiten des Ehelebens, aber auch aus dem "Textgefängnis", in das sich Carola Holm hineingeschrieben hat, aus all den Lügen schließlich, die gerade da aufblühen, wo Menschen ihr Fühlen für wahrhaftig halten. So gilt die Sympathie der Erzählerin jenen Personen besonders, die als Individuum oder in ihrer Rolle aus dem Gleichgewicht geraten sind: Molly, die aus Liebe ihre Knechtschaft sehenden Auges erträgt (bis sie einen Ausweg findet), der Journalistin Frederike Kreuzer, die nach der Flucht aus ihrer Ehe manchmal ganz sie selbst ist, dem akademischen Oberrat Norman Krüss, der vor der modularisierten Universität in die Verrücktheit flüchtet, oder der Kriminalhauptkommissarin Leonie Wagner, die plötzlich Dinge tut, die sie noch nie getan hat.
Jene aber, die starr oder eitel in ihrem Selbstbild oder ihrer Rolle verharren, werden kaltlächelnd abserviert. So wird Prof. Dr. Ulf Urlach auf der Diensttoilette in der Universität mit einem exotischen Brieföffner im Rücken aufgefunden. Niemand scheint das zu bedauern (nicht nur weil er Linguist ist). Als "unerklärte Leiche" ist er das Gravitationszentrum des Romans und des darin beschriebenen Biotops. Das Aufklärungsbegehren der Beteiligten, des Kollegen Literaturwissenschaftler und seiner schreibenden Gattin, der Doktorandin, der Sekretärin oder des Bibliothekars schlägt in Selbstaufklärung um, es öffnen sich Türen des Entrinnens aus selbstverschuldeter Unmündigkeit, der Schriftstellerin aber tun sich überdies ungenutzte Möglichkeiten des Schreibens auf, so, wenn sie mit Kriminalkommissar Merker, der auch Identitätsprobleme hat, die Analogien des Schreibens und der Kriminalistik erörtert.
Ob die Chancen genutzt werden, steht dahin. Für die Außerirdischen ist der Fall klar: "anthropologisches Ungenügen. Leider nicht mehr zu ändern." Merkwürdigerweise aber verfangen sich die Hyperintelligenten alsbald in den "kategorialen Netzen" des Menschenwesens, störungsfrei geht es auch bei ihnen nicht zu, es gibt eine "frtzh-Panne", und beinahe geht es ihnen wie den Engeln bei Rilke, die das Mängelwesen Mensch um sein Hiersein beneiden.
Des Rätsels Lösung spielt sich in einem Garten ab, dem ältesten Wunschbild der Menschheitsgeschichte. Da wird in der Perspektive der alternden Ermittlerin rührend deutlich, dass auch Silvia Bovenschens Buch, trotz "kalter Technik", obwohl funkelnd von Scharfsinn und spöttischer Beobachtungsgabe, gespickt mit Anspielungen und Reflexionen, "von der Liebe und dem Erbarmen und der Möglichkeit des Glücks" handelt. Für den Leser aber besteht das Glück vor allem im Erlebnis einer heiteren Leichtigkeit der Intelligenz, die in der deutschen Literatur selten ist.
FRIEDMAR APEL
Silvia Bovenschen: "Wer weiß was". Eine deutliche Mordgeschichte. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 334 S., geb., 19,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensentin Jutta Person fühlt sich bestens unterhalten von diesem Romandebüt der Literaturwissenschaftlerin und Essayistin Silvia Bovenschen. Zwar fragt sie sich zwischendurch, ob sich die Autorin nicht manchmal desselben "Gefühlsterrorismus" bedient, den sie eigentlich so scharfsinnig dekonstruiert. Doch der Einwand bleibt kaum hängen. Dazu ist diese als Kriminalfall getarnte und "mit allen Schikanen ausgestattete Selbstreferenzmaschine" einfach zu unterhaltsam. Als Zutaten kommen noch ein paar Außerirdische und eine "perfekte Miss-Marple-Situation" im Rahmen einer ausgewachsenen "Campussatire" dazu. Das Ergebnis sei keine Karikatur, sondern eher von einem "Hyperrealismus" geprägt, findet die Rezensentin. Und das Buch liest sich ihrer Meinung nach schlichtweg "wunderbar".
© Perlentaucher Medien GmbH
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