Wer nicht wirbt, der stirbt? Warum kommerzielle Werbung aus gesellschaftlicher Sicht sinnlos istWerbung informiert, Werbung schafft Orientierung, Werbung hilft dem Kunden, das beste Produkt für seine individuellen Bedürfnisse zu finden - so die Argumentation von Unternehmen und Dienstleistern, die uns tagtäglich mit einer Flut von TV-Spots, Flyern, Plakaten und Co. überschwemmen. Doch brauchen wir Werbung wirklich? Welchen Sinn hat sie? Und würde es uns ohne die kontinuierliche Informationslawine nicht viel besser gehen? Prof. Dr. Christian Kreiß macht deutlich: Kommerzielle Werbung ist nicht nur ein lästiges Übel, das uns allen schadet, sondern sie ist auch weitestgehend sinnlos - aus gesellschaftlicher wie auch aus volkswirtschaftlicher Sicht. Anhand zahlreicher Beispiele zeigt der Experte für Finanzierung und Wirtschaftspolitik, wie die Werbung uns systematisch in die Irre führt, Produkte verteuert, gegen Jugendschutzgesetze verstößt und die Freiheit unserer Medien und Politiker beeinflusst. Dabei hebt Kreiß deutlich hervor: Die werbenden Unternehmen haben sich in einen irrationalen Kampf um Marktanteile begeben, der nicht nur in hohem Maße Ressourcen verschwendet, sondern auch gesamtwirtschaftlich mehr als fragwürdig erscheint. In seinem schlauen wie scharfsinnigen Buch zeigt der Autor, dass es auch ohne Werbung geht.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.04.2017Keine Reklame mehr?
Ein Angriff auf die Werbebranche
Christian Kreiß ist Professor für Finanzierung und Wirtschaftspolitik an der Hochschule Aalen. Zuvor war er neun Jahre als Banker tätig, davon sieben Jahre im Investmentbanking. Kreiß hat sich einen Namen gemacht, weil er gegen die von der Industrie bezahlte Forschung an Universitäten vorgeht - juristisch und publizistisch. Der streitbare Wissenschaftler formuliert gerne apodiktische Thesen, die oft nachvollziehbar sind, natürlich aber auch zum Widerspruch anregen. Sein neuestes Buch "Werbung - nein danke" ist ein Angriff auf die Werbewirtschaft. Denn Kreiß will 90 Prozent aller Reklame verbieten. Dem Mediendienst Kress sagte er vor kurzem, weshalb: "Wenn meine Kinder ein Allianz-Emblem sehen, sagen Sie: Guck mal, der FC Bayern! Und die sind Bayern-Fans. Das heißt, sie sind durch die Werbung positiv auf den Konzern gepolt. Von klein auf."
Ist das schockierend? Und, falls ja: Wo bleiben die Eltern, die ihre Kinder über die Wirkungsweise von Werbung aufklären? Was ist das Grundübel - die Werbung an sich, oder die Tatsache, wie der Konsument damit umgeht? Kreiß zitiert den Künstler Joseph Beuys, der 1985 sagte: "Wenn wir mit einem etwas wachen Auge durch die Straßen laufen und in die Schaufenster schauen: 90 Prozent aller Produkte brauchen wir nicht, und sie sind uns sogar schädlich." Der Kulturphilosoph Charles Eisenstein wird mit den Worten zitiert, wonach das allermeiste, was wir Menschen tun, entweder überflüssig ist oder uns unglücklich macht.
Erstaunlich, sollte man doch meinen, dass jeder gesunde Mensch selbst einzuschätzen vermag, was ihm guttut. Die akademischen Überflieger Beuys und Eisenstein können sich ein Leben mit Seele und Geist, ohne klassischen Konsum, leisten. Viele andere dagegen macht Shoppen glücklich und der Konsum von Werbung jedenfalls nicht unglücklich. Oder ist das nur vordergründig der Fall, und jeder, der Reklame gerne anschaut, wurde bereits manipuliert?
Kreiß zitiert ein bekanntes Lehrbuch zum Marketing, in dem erklärt wird, dass ein Austausch zwischen Anbieter und Nachfrager nur zustande kommt, wenn er für beide Seiten vorteilhaft ist: "Das stimmt so aber nicht. Der Nachfrager beziehungsweise wir Kunden müssen nur glauben, dass der Austausch für uns vorteilhaft ist. Das ist ein großer Unterschied. Die Wahrnehmung eines Tatbestands ist etwas anderes als der Tatbestand selbst."
Kreiß hat recht, doch muss diese Erkenntnis folgenlos bleiben, da es etwas anderes als subjektive Wahrnehmung nicht gibt. Ein objektives "Ding an sich" kann kein Mensch erkennen, dies hat Immanuel Kant in seiner "Kritik der reinen Vernunft" nachgewiesen: Deshalb ist die Wirklichkeit für jeden Menschen etwas anderes. Werbung mag unsere Wahrnehmung verändern, aber das tun auch Gespräche in der Familie, die Lektüre von Büchern oder Reisen. Wir leben nun einmal nicht in einem sterilen Raum.
Beeinflussung findet allenthalben statt. Lässt sie sich trennen in Gut und Böse? Nein, aber sie lässt sich trennen in Erlaubt und Verboten, dafür sorgen Regeln im deutschen Wettbewerbsrecht, Datenschutzrecht oder Jugendschutzrecht. Auch wenn diese Regeln immer mal wieder übertreten werden und die juristische Verfolgung einstweilen stockt, sind sie doch eine Balance aller Interessen.
Dagegen argumentiert Kreiß wie folgt: Werbung enthält heutzutage keine Information mehr. Werbung für Produkte wie Tabak, Zucker oder Alkohol wirkt auf Jugendliche und macht diese krank. Werbung auf Plakaten verschandelt die Landschaft. Werbung ist volkswirtschaftlich ein Nullsummenspiel. Werbung ist in der Bevölkerung unbeliebt, wie der Einsatz von Werbeblockern zeigt.
Kreiß listet in seinem Buch eine ganze Reihe von fragwürdigen Werbepraktiken auf, die einem bewussten Verbraucher freilich schon bekannt sind - etwa bei Kosmetika. Heutzutage ist Allgemeingut, dass "Anti-Falten-Cremes" die Faltenbildung nicht verhindern. Trotzdem glauben viele Verbraucherinnen an Versprechen. Doch Menschen glauben auch ganz andere irrationale Dinge, die sozialen Netzwerke sind voll davon. Sollte man auch Facebook verbieten?
Kreiß greift insbesondere die Tabakwerbung an. Klar ist: Rauchen macht krank und verkürzt das Leben. Doch Rauchen ist erlaubt. Menschen entscheiden sich bewusst für die Zigarette. Daran haben auch die seit Mai 2016 verpflichtend auf die Verpackungen zu druckenden Schockbilder, ein faktisches Verpackungswerbeverbot, nichts geändert. Kreiß beklagt, dass Tabakwerbung besonders häufig mit bei Jugendlichen positiv besetzten Assoziationen wie Attraktivität, Coolness, Emanzipation, Freiheit, Aktivität oder Gelassenheit arbeite. Die abgebildeten Personen würden ganz überwiegend junge attraktive, fröhliche Menschen zeigen. Abbildungen mit älteren Menschen seien eher selten.
Nun lässt sich diese Charakterisierung auf fast jede Werbung übertragen, außer vielleicht auf Treppenlifte. Greifen Jugendliche zur Zigarette, weil sie auf Plakaten oder in Kinospots fröhliche Menschen mit einer Zigarette im Mund sehen? Tabakwerbung im Internet, in Radio und Fernsehen sowie in Printmedien ist verboten. Mehr Aufklärung durch Eltern und ein Mindestmaß an Informationsinteresse seitens der jungen Leute wären sinnvoller als weitere Verbote.
Und weshalb soll die Werbewirtschaft den Preis zahlen, weil sich die beworbenen Produkte nicht verbieten lassen? Denn Kreiß verlangt kein Verbot von Tabak. Er weiß, dies würde enden wie die Prohibition in den Vereinigten Staaten. Fazit: Das Buch von Kreiß enthält spannende Gedanken und streitbare Forderungen. Über die Außenwerbeverbote in den vier amerikanischen Bundesstaaten Hawaii, Vermont, Alaska und Maine hätte man gerne mehr gelesen. Doch die Welt besteht nicht nur aus den werbefreien Wäldern Neuenglands, sondern auch aus dem Times Square in New York oder Piccadilly Circus in London. Was wären diese Orte ohne Werbung?
JOCHEN ZENTHÖFER
Christian Kreiß: Werbung - nein danke. Europa Verlag, München 2016, 340 Seiten, 24,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Angriff auf die Werbebranche
Christian Kreiß ist Professor für Finanzierung und Wirtschaftspolitik an der Hochschule Aalen. Zuvor war er neun Jahre als Banker tätig, davon sieben Jahre im Investmentbanking. Kreiß hat sich einen Namen gemacht, weil er gegen die von der Industrie bezahlte Forschung an Universitäten vorgeht - juristisch und publizistisch. Der streitbare Wissenschaftler formuliert gerne apodiktische Thesen, die oft nachvollziehbar sind, natürlich aber auch zum Widerspruch anregen. Sein neuestes Buch "Werbung - nein danke" ist ein Angriff auf die Werbewirtschaft. Denn Kreiß will 90 Prozent aller Reklame verbieten. Dem Mediendienst Kress sagte er vor kurzem, weshalb: "Wenn meine Kinder ein Allianz-Emblem sehen, sagen Sie: Guck mal, der FC Bayern! Und die sind Bayern-Fans. Das heißt, sie sind durch die Werbung positiv auf den Konzern gepolt. Von klein auf."
Ist das schockierend? Und, falls ja: Wo bleiben die Eltern, die ihre Kinder über die Wirkungsweise von Werbung aufklären? Was ist das Grundübel - die Werbung an sich, oder die Tatsache, wie der Konsument damit umgeht? Kreiß zitiert den Künstler Joseph Beuys, der 1985 sagte: "Wenn wir mit einem etwas wachen Auge durch die Straßen laufen und in die Schaufenster schauen: 90 Prozent aller Produkte brauchen wir nicht, und sie sind uns sogar schädlich." Der Kulturphilosoph Charles Eisenstein wird mit den Worten zitiert, wonach das allermeiste, was wir Menschen tun, entweder überflüssig ist oder uns unglücklich macht.
Erstaunlich, sollte man doch meinen, dass jeder gesunde Mensch selbst einzuschätzen vermag, was ihm guttut. Die akademischen Überflieger Beuys und Eisenstein können sich ein Leben mit Seele und Geist, ohne klassischen Konsum, leisten. Viele andere dagegen macht Shoppen glücklich und der Konsum von Werbung jedenfalls nicht unglücklich. Oder ist das nur vordergründig der Fall, und jeder, der Reklame gerne anschaut, wurde bereits manipuliert?
Kreiß zitiert ein bekanntes Lehrbuch zum Marketing, in dem erklärt wird, dass ein Austausch zwischen Anbieter und Nachfrager nur zustande kommt, wenn er für beide Seiten vorteilhaft ist: "Das stimmt so aber nicht. Der Nachfrager beziehungsweise wir Kunden müssen nur glauben, dass der Austausch für uns vorteilhaft ist. Das ist ein großer Unterschied. Die Wahrnehmung eines Tatbestands ist etwas anderes als der Tatbestand selbst."
Kreiß hat recht, doch muss diese Erkenntnis folgenlos bleiben, da es etwas anderes als subjektive Wahrnehmung nicht gibt. Ein objektives "Ding an sich" kann kein Mensch erkennen, dies hat Immanuel Kant in seiner "Kritik der reinen Vernunft" nachgewiesen: Deshalb ist die Wirklichkeit für jeden Menschen etwas anderes. Werbung mag unsere Wahrnehmung verändern, aber das tun auch Gespräche in der Familie, die Lektüre von Büchern oder Reisen. Wir leben nun einmal nicht in einem sterilen Raum.
Beeinflussung findet allenthalben statt. Lässt sie sich trennen in Gut und Böse? Nein, aber sie lässt sich trennen in Erlaubt und Verboten, dafür sorgen Regeln im deutschen Wettbewerbsrecht, Datenschutzrecht oder Jugendschutzrecht. Auch wenn diese Regeln immer mal wieder übertreten werden und die juristische Verfolgung einstweilen stockt, sind sie doch eine Balance aller Interessen.
Dagegen argumentiert Kreiß wie folgt: Werbung enthält heutzutage keine Information mehr. Werbung für Produkte wie Tabak, Zucker oder Alkohol wirkt auf Jugendliche und macht diese krank. Werbung auf Plakaten verschandelt die Landschaft. Werbung ist volkswirtschaftlich ein Nullsummenspiel. Werbung ist in der Bevölkerung unbeliebt, wie der Einsatz von Werbeblockern zeigt.
Kreiß listet in seinem Buch eine ganze Reihe von fragwürdigen Werbepraktiken auf, die einem bewussten Verbraucher freilich schon bekannt sind - etwa bei Kosmetika. Heutzutage ist Allgemeingut, dass "Anti-Falten-Cremes" die Faltenbildung nicht verhindern. Trotzdem glauben viele Verbraucherinnen an Versprechen. Doch Menschen glauben auch ganz andere irrationale Dinge, die sozialen Netzwerke sind voll davon. Sollte man auch Facebook verbieten?
Kreiß greift insbesondere die Tabakwerbung an. Klar ist: Rauchen macht krank und verkürzt das Leben. Doch Rauchen ist erlaubt. Menschen entscheiden sich bewusst für die Zigarette. Daran haben auch die seit Mai 2016 verpflichtend auf die Verpackungen zu druckenden Schockbilder, ein faktisches Verpackungswerbeverbot, nichts geändert. Kreiß beklagt, dass Tabakwerbung besonders häufig mit bei Jugendlichen positiv besetzten Assoziationen wie Attraktivität, Coolness, Emanzipation, Freiheit, Aktivität oder Gelassenheit arbeite. Die abgebildeten Personen würden ganz überwiegend junge attraktive, fröhliche Menschen zeigen. Abbildungen mit älteren Menschen seien eher selten.
Nun lässt sich diese Charakterisierung auf fast jede Werbung übertragen, außer vielleicht auf Treppenlifte. Greifen Jugendliche zur Zigarette, weil sie auf Plakaten oder in Kinospots fröhliche Menschen mit einer Zigarette im Mund sehen? Tabakwerbung im Internet, in Radio und Fernsehen sowie in Printmedien ist verboten. Mehr Aufklärung durch Eltern und ein Mindestmaß an Informationsinteresse seitens der jungen Leute wären sinnvoller als weitere Verbote.
Und weshalb soll die Werbewirtschaft den Preis zahlen, weil sich die beworbenen Produkte nicht verbieten lassen? Denn Kreiß verlangt kein Verbot von Tabak. Er weiß, dies würde enden wie die Prohibition in den Vereinigten Staaten. Fazit: Das Buch von Kreiß enthält spannende Gedanken und streitbare Forderungen. Über die Außenwerbeverbote in den vier amerikanischen Bundesstaaten Hawaii, Vermont, Alaska und Maine hätte man gerne mehr gelesen. Doch die Welt besteht nicht nur aus den werbefreien Wäldern Neuenglands, sondern auch aus dem Times Square in New York oder Piccadilly Circus in London. Was wären diese Orte ohne Werbung?
JOCHEN ZENTHÖFER
Christian Kreiß: Werbung - nein danke. Europa Verlag, München 2016, 340 Seiten, 24,90 Euro.
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