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Der neue "Hanser-Schiller" in fünf Bänden. Außer den bewährten und zuverlässigen Texten bietet die Ausgabe eine Kommentierung, die die jüngsten germanistischen und historischen Erkenntnisse textbezogen zugänglich macht. Es ist an der Zeit, Schiller neu zu lesen: diese Ausgabe lädt dazu ein.

Produktbeschreibung
Der neue "Hanser-Schiller" in fünf Bänden. Außer den bewährten und zuverlässigen Texten bietet die Ausgabe eine Kommentierung, die die jüngsten germanistischen und historischen Erkenntnisse textbezogen zugänglich macht. Es ist an der Zeit, Schiller neu zu lesen: diese Ausgabe lädt dazu ein.
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Autorenporträt
Friedrich Schiller wurde 1759 in Marbach geboren. Er studierte zunächst Jura und später Medizin. Unzufrieden mit seinem Beruf veröffentlicht er Theaterstücke, kann aber damit seinen Lebensunterhalt kaum finanzieren. Er stirbt bereits 1805 an den Folgen einer Lungenentzündung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.12.2000

Das Tigerherz der Soldaten
Mit dem Hochmut des Dichters: Friedrich Schillers historische Schriften / Von Ulrich Raulff

In den Magazinen des Deutschen Literaturarchivs in Marbach findet sich ein Bildnis einer schreibenden Dame, gemalt in klassizistischer Manier, konturbetont nach Flaxmanscher Art, vor blauem Hintergrund. Die Dame ist Klio, die Muse der Historie, und sie entstammt dem Besitz von Friedrich Schiller. Klio war seine Muse, seine Göttin, seine Kuh - so wie er in einem Epigramm von der Wissenschaft gesagt hat: "Einem ist sie die hohe, die himmlische Göttin, dem andern / Eine tüchtige Kuh, die ihn mit Butter versorgt." Wie ein Bauer sein Hornvieh hat er sie geliebt und bei Bedarf geschlachtet, wie ein Priester seiner Göttin ihr geopfert und manchen Dramenkranz gewunden. Die Geschichte, seine Rindswurst, die Historie, sein Räucherfaß. Kuhartig erschien ihm die Geschichte in Gestalt des Brotgelehrten, der im Staub der Archive weidete und das frische Wasser der Quellen in die Milch der pedantischen Denkungsart verwandelte; göttlich erschien sie ihm in Gestalt des philosophischen Gedankens, der die versprengten Reste der Überlieferung durchdrang und das verstreute Wissen aus den Tiefen des Aggregats zur Höhe des Systems erhob.

Dabei verließ den Liebhaber Klios, der es auch mit Thalia und Melpomene trieb, nicht der Hochmut des Dichters, der sich einer höheren Wahrheit für fähig hielt und sich nicht unter die Brotgelehrten erniedrigen wollte: immer Hirte sein, nie mit der blöden Herde traben. Wenn es darauf ankam, zog er den Mühen der historischen Richtigkeit die Freiheit der poetisch erfaßten "inneren Wahrheit" vor. "Man lernt auf diesem Weg", schrieb er 1788 an Caroline von Beulwitz, "den Menschen und nicht den Menschen kennen, die Gattung und nicht das sich so leicht verlierende Individuum. In diesem großen Felde ist der Dichter Herr und Meister; aber gerade der Geschichtschreiber ist in den Fall gesetzt diese wichtigere Art von Wahrheit seiner historischen Richtigkeit nachzusetzen, oder mit einer gewißen Unbehilflichkeit anzupaßen, welches noch schlimmer ist. Ihm fehlt die Freiheit, mit der sich der Künstler mit schöner Leichtigkeit und Grazie bewegt."

Dem Dichter, der seine Kräfte nicht schonte, keine seiner Musen unbefriedigt zu lassen, haben Nachlebende solche Promiskuität verübelt. So fand Ranke, Schiller sei als historischer Schriftsteller zweiten Ranges gewesen, während Goethe das Zeug zu einem großen Historiker besessen hätte. Den heutigen Leser von Schillers historischen Schriften, die jetzt, von Otto Dann ediert und kommentiert, erscheinen, entzückt, was Ranke vor den Kopf stoßen mußte: die Greenblattschen Streifzüge zwischen Historie und Literatur, zwischen Fiktion und Tatsachenbericht, die der Autor mit Räuberlust wagt. Freilich muß sich bei diesen Ausschweifungen durch Anekdotenschätze, in den Chroniken vergrabene Merkwürdigkeiten und die manchmal sehr frei übersetzte Memoirenliteratur einem methodenstrengen Historiker das Nackenhaar aufstellen. Aber auch der Stern des Historismus sank dahin, und heute mag manchem die Frage nach der historischen Wahrheit der Dichtung, die Schiller aufgeworfen hat, wieder berechtigt, denkwürdig und aktuell erscheinen.

Was den Leser seiner historischen Schriften für den Autor einnimmt, ist nicht nur die Qualität seiner kraftvoll voranschreitenden Prosa, in der das Echo dramatischer Monologe hörbar bleibt - es ist auch sein bewundernswertes Flair für den Duft, die Farbe, die Aura eines Quellentexts. Wie Stendhal, der die italienischen Chroniken des sechzehnten Jahrhunderts entdecken und ins Licht der Literaturgeschichte heben wird, findet Schiller in den Akten jenes Säkulums eine infame Literatur, die nur der Nacherzählung harrt, um der Begeisterung des nach historischen Stoffen lechzenden Publikums sicher zu sein. Was er anfangs in einer "Geschichte der merkwürdigsten Rebellionen und Verschwörungen" einzufangen sucht, das, so hat Schiller bald erkannt, zeichnet die Memoirenliteratur seit dem späten Mittelalter aus: der "Ton von Überzeugung", die "Lebendigkeit der Schilderung", die farbengebenden Details, die kein späterer Historiker seiner Darstellung mehr wird mitgeben können. Die Lügen und Legenden, der Selbstbetrug der Zeitgenossen gehören zum Besten, was Klio auf ihren Karteikärtchen festzuhalten wußte.

Lange Zeit hat der Historiker Schiller in einem doppelten Schatten gestanden - in seinem eigenen als Dramatiker und in dem der großen Historiker des neunzehnten Jahrhunderts, von denen die meisten mehr von ihm gelernt hatten, als sie zugeben mochten. Seitdem diese Schatten kürzer geworden sind, seit dreißig, vierzig Jahren also, haben die historischen Schriften und die universalgeschichtlichen Vorlesungen wieder gerechtere Richter und geneigtere Leser gefunden. An dieser Rehabilitation waren neben Literaturwissenschaftlern wie Ernst Osterkamp und Klaus Weimar vor allem drei Historiker beteiligt: allen voran Otto Dann mit seinem unermüdlichen Interesse an Schillers Quellen. Sodann Ernst Schulin, der darauf hingewiesen hat, wie sehr die denkwürdige Parallelaktion der sich entwickelnden Französischen Revolution und des sich entfaltenden Schillerschen Geschichtsdenkens zur Ausbildung des bürgerlichen Geschichtsbewußtseins im neunzehnten Jahrhundert beigetragen hat. Und Theodor Schieder, der in einem magistralen Vortrag zum 200. Geburtstag des Dichters zum Kern der Schillerschen Geschichtsauffassung vorgestoßen ist.

Im Gegensatz zu der geschichtsoptimistisch abgefaßten Jeneser Antrittsvorlesung ("Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte") vom Mai 1789 sei Schiller, so Schieder, in seiner Abhandlung "Über das Erhabene" vor "das letzte Geheimnis der Geschichte" gelangt, ihre Undurchschaubarkeit und ihre Unvereinbarkeit mit Gesetzen der Vernunft. Aus demselben Grunde sei die "Geschichte des Dreißigjährigen Krieges" die bedeutendste Leistung des Geschichtsschreibers Schiller geworden: weil er nicht von außen an die Geschichte herangetreten sei, sondern "das Unbegreifliche zum Standpunkt der Beurteilung" gemacht habe. Anders als Goethe, der das "Inkalkulable" der Geschichte zugrunde legt, habe Schiller diese Einsicht erst seiner ganz anders gearteten Natur abringen müssen.

Der Arbeit am Unbegreifbaren der Geschichte, dem Ringen mit der grauenhaften Evidenz der Geschichte kann man schon im ersten Band der historischen Schriften, der den "Dreißigjährigen Krieg" nicht enthält, zusehen. Was man erblickt, ist verwirrend genug: ein Historiker, dessen Stirn an die Wolken der Fortschrittskonstruktionen stößt, während unter seinen Füßen sich der Abgrund des Geschichtspessimismus auftut. Man braucht nur zu lesen, wie Schiller die Memoiren des Herzogs von Sully einleitete, um zu erkennen, daß das Problem, der Grausamkeit in der Geschichte eine Sprache zu geben - ein Problem, an dem die "Wehrmachtsausstellung" mit ihrer fotografischen Persuasionsrhetorik scheiterte -, daß dieses Problem seit mehr als zwei Jahrhunderten die Historiographie bedrängt.

"Zwei und zwanzig Dörfer", heißt es dort über das Wüten der Inquisition gegen die Waldenser, "legte man in die Asche, mit einer Unmenschlichkeit, wovon sich bei den rohesten Völkern kein Beispiel findet. Die unglückseligen Bewohner, bei Nachtzeiten überfallen und bei dem Schein ihrer brennenden Habe von Gebirge zu Gebirge gescheucht, entrannen hier einem Hinterhalte nur, um dort in einen anderen zu fallen. Das jämmerliche Geschrei der Alten, der Frauenspersonen und der Kinder, weit entfernt das Tigerherz der Soldaten zu erweichen, diente zu nichts, als diese letztern auf die Spur der Flüchtigen zu führen, und ihrer Mordbegier das Opfer zu verraten. Über siebenhundert dieser Unglücklichen wurden in der einzigen Stadt Cabrieres mit kalter Grausamkeit erschlagen, alle Frauenspersonen dieses Orts im Dampf einer brennenden Scheune erstickt, und die, welche sich von oben herab flüchten wollten, mit Piken aufgefangen . . ."

Formal ist alles dies noch in der Sprache des Klassizismus gesagt, gewiß. Und doch spürt der Leser, wie sich der Schritt verkürzt, der den Geschichtspathetiker Schiller von dem Geschichtspathologen Jacob Burckhardt trennt. Wie weit ist es bis zur "Sentimentalen Reise" Viktor Sklovskijs? Wie weit bis zu jenen, die an unseres Jahrhunderts ernstem Ende dem Entsetzlichen in der Geschichte ihr kaltes Pathos entgegensetzen, Dramatikern wie Heiner Müller, Chronisten wie Alexander Kluge? Angesichts des namenlosen Elends, von denen die Annalen der menschlichen Gefühllosigkeit, die wir auch Geschichte nennen, erfüllt sind, schwinden die Distanzen zwischen ihren Schreibern. Das Grauen am Grunde der Geschichte: Nicht Friedrich Nietzsche hat es entdeckt, sondern Friedrich Schiller.

Friedrich Schiller: "Historische Schriften und Erzählungen I". Werke und Briefe, Band 6. Herausgegeben von Otto Dann. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main 2000. 1006 S., geb., 148,- DM.

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