Nahezu neunzig Jahre sind vergangen, seit zum ersten Mal der Versuch unternommen wurde, die Gesammelten Werke des vielseitig talentierten Lyrikers, Dramatikers und Erzählers Alfred Henschke herauszugeben, der unter dem Pseudonym "Klabund" berühmt wurde. Obwohl viele seiner Texte wie der Eulenspiegel-Roman Bracke zu den Klassikern der modernen Literatur zu rechnen sind und seine Bücher immer eine eingeschworene Leserschaft gefunden haben, sind andere Werke Klabunds in Vergessenheit geraten. Sein Drama Der Kreidekreis allerdings machte Literaturgeschichte: Von ihm ließ sich Bertolt Brecht zu seinem Kaukasischen Kreidekreis anregen.Die neue, von Christian v. Zimmermann herausgegebene, achtbändige Edition versammelt erstmals sämtliche zu Lebzeiten des Dichters gedruckten Romane, Erzählungen, Dramen und Gedichte sowie die zahlreichen Nachdichtungen, Übersetzungen, Aufsätze und weitere verstreute Prosa. Alle Texte werden in den Fassungen der Erstdrucke wiedergegeben und mit einem Kommentar zur Textgeschichte versehen.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.04.2000Klabund, doppelt gebündelt
Editorische Parallelaktion um einen fast vergessenen Schriftsteller
Als der früh an Tuberkulose erkrankte Alfred Henschke 1928 im Alter von erst 37 Jahren in Davos starb, hatte er fast achtzig Bücher veröffentlicht. Für Gottfried Benn, der den berühmt gewordenen Nekrolog auf „Klabund” hielt, stand außer Zweifel, dass das Wissen, nur wenig Lebenszeit zu haben, den vielseitigen Kollegen zu einem der produktivsten und populärsten Autoren des frühen 20. Jahrhunderts gemacht hatte.
Alfred Henschke leitete sein Pseudonym Klabund von „Wandlung” ab, auch eine Wortschöpfung aus „Klabautermann” und „Vagabund” liegt nahe. Noch vor Ernst Tollers „Wandlung” sagte sich Klabund von vaterländischen Ideen los und wurde Pazifist. Auch literarisch frönte er dem Wandel, ohne sich Trends und Moden zu verschreiben. Die Einflüsse auf sein Werk reichen vom Naturalismus und von der Neoromantik über den Expressionismus bis hin zur Neuen Sachlichkeit. Schlagworte zu seinem vielfältigen, mal prallbunten, mal filigranen Schaffen sind „Erotik”, „Sozialkritik”, „Geschichte” und „Fernost”, wobei die Lebensfreude Klabunds und seine Jagd nach Liebe thematisch im Mittelpunkt stehen. Das trunkene Lied, seine klassische Anthologie der „schönsten Sauf- und Trinklieder der Weltliteratur”, mündet in vitalem Fatalismus „Wie Feuer brennt’s im Schlund. Mich trägt die Welle / Bis auf des Unbekannten tiefsten Grund. Was tut es, / Ob Himmel mich das Neue lehrt, ob Hölle? / Klabund”.
Seines Werks haben sich nach Ablauf der Urheberrechte gleich zwei Verlage angenommen.
Christian von Zimmermann gibt im Heidelberger Elfenbein Verlag eine achtbändige Ausgabe heraus, von der bisher „Romane der Erfüllung”, „Romane der Sehnsucht – Spuk” und die „Romane der Leidenschaft” erschienen sind. Gedichte, Erzählungen, Dramen, Bearbeitungen sollen folgen. An eine Einbeziehung des Nachlasses ist nicht gedacht. Die Ausgabe bietet bisher editorisch kaum Neues, ist karg kommentiert und folgt im Text den Erstausgaben, während sie in der Zusammenstellung bislang weitgehend der Gesamtausgabe von 1930 entspricht. Die in schwarzem Leinen mit goldenem Pressdruck gestaltete Elfenbein-Edition bemüht sich um eine ansprechende Buchgestaltung, die einen Preis von 78 Mark pro Band rechtfertigt.
Bisher ergänzt sie mit Klabunds Romanen die von Herausgeber Christian von Zimmermann sorgsam verschwiegene Berliner Ausgabe, die mit Gedichten, Dramen und einem ersten Teil der Erzählungen auf den Buchmarkt kam und eine Heidelberger Edition ihrerseits keines Wortes würdigt. Die an der Freien Universität erarbeiteten Sämtlichen Werke Klabunds präsentieren sich schlicht broschiert auf hübschem Papier, bemühen sich dafür jedoch auch um die Erfassung „verstreuter”, in rund 250 Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien publizierter Texte. Die Berliner Ausgabe verspricht, nicht nur umfassender zu sein, sondern auch ausführlicher kommentiert zu werden.
Wie schon im Fall der Tucholsky-Gesamtausgabe lassen knapp hundert Mark pro Band fragen, ob es nicht sinnvoller wäre, Klabunds Werke für die Forschung auf CD-ROM zu veröffentlichen und anschließend eine komprimierte Auswahl für den Buchhandel zusammenzustellen. Zwei konkurrierende Editionen sind unsinnig. Als Münchner Bohemien, Berliner Chansontexter, als Arthur Kutscher-Seminarist zwischen Hanns Johst und Bert Brecht, als liebeslustiger Kaffeehauspoet und literarischer Chronist der zwanziger Jahre ist Klabund neu zu entdecken. Dazu genügt eine Auswahl als Essenz einer wissenschaftlichen Gesamtedition.
MICHAEL BAUER
KLABUND: Sämtliche Werke. Hrsg. von Hans-Gert Roloff u.a. Verlage Rodopi / Königshausen und Neumann, Würzburg und Amsterdam 1998 ff. Bisher Bd. 1/1, Bd. 1/2, Bd. 2/1 und Bd. 3/1, insgesamt mehr als 1 500 Seiten, je Bd. 98 Mark
–: Werke in acht Bänden. Hrsg. von Christian von Zimmermann u.a. Elfenbein Verlag, Heidelberg 1998 ff. Bisher Bd. 1-3 insgesamt mehr als 1000 S. , je Bd. 78 Mark.
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Editorische Parallelaktion um einen fast vergessenen Schriftsteller
Als der früh an Tuberkulose erkrankte Alfred Henschke 1928 im Alter von erst 37 Jahren in Davos starb, hatte er fast achtzig Bücher veröffentlicht. Für Gottfried Benn, der den berühmt gewordenen Nekrolog auf „Klabund” hielt, stand außer Zweifel, dass das Wissen, nur wenig Lebenszeit zu haben, den vielseitigen Kollegen zu einem der produktivsten und populärsten Autoren des frühen 20. Jahrhunderts gemacht hatte.
Alfred Henschke leitete sein Pseudonym Klabund von „Wandlung” ab, auch eine Wortschöpfung aus „Klabautermann” und „Vagabund” liegt nahe. Noch vor Ernst Tollers „Wandlung” sagte sich Klabund von vaterländischen Ideen los und wurde Pazifist. Auch literarisch frönte er dem Wandel, ohne sich Trends und Moden zu verschreiben. Die Einflüsse auf sein Werk reichen vom Naturalismus und von der Neoromantik über den Expressionismus bis hin zur Neuen Sachlichkeit. Schlagworte zu seinem vielfältigen, mal prallbunten, mal filigranen Schaffen sind „Erotik”, „Sozialkritik”, „Geschichte” und „Fernost”, wobei die Lebensfreude Klabunds und seine Jagd nach Liebe thematisch im Mittelpunkt stehen. Das trunkene Lied, seine klassische Anthologie der „schönsten Sauf- und Trinklieder der Weltliteratur”, mündet in vitalem Fatalismus „Wie Feuer brennt’s im Schlund. Mich trägt die Welle / Bis auf des Unbekannten tiefsten Grund. Was tut es, / Ob Himmel mich das Neue lehrt, ob Hölle? / Klabund”.
Seines Werks haben sich nach Ablauf der Urheberrechte gleich zwei Verlage angenommen.
Christian von Zimmermann gibt im Heidelberger Elfenbein Verlag eine achtbändige Ausgabe heraus, von der bisher „Romane der Erfüllung”, „Romane der Sehnsucht – Spuk” und die „Romane der Leidenschaft” erschienen sind. Gedichte, Erzählungen, Dramen, Bearbeitungen sollen folgen. An eine Einbeziehung des Nachlasses ist nicht gedacht. Die Ausgabe bietet bisher editorisch kaum Neues, ist karg kommentiert und folgt im Text den Erstausgaben, während sie in der Zusammenstellung bislang weitgehend der Gesamtausgabe von 1930 entspricht. Die in schwarzem Leinen mit goldenem Pressdruck gestaltete Elfenbein-Edition bemüht sich um eine ansprechende Buchgestaltung, die einen Preis von 78 Mark pro Band rechtfertigt.
Bisher ergänzt sie mit Klabunds Romanen die von Herausgeber Christian von Zimmermann sorgsam verschwiegene Berliner Ausgabe, die mit Gedichten, Dramen und einem ersten Teil der Erzählungen auf den Buchmarkt kam und eine Heidelberger Edition ihrerseits keines Wortes würdigt. Die an der Freien Universität erarbeiteten Sämtlichen Werke Klabunds präsentieren sich schlicht broschiert auf hübschem Papier, bemühen sich dafür jedoch auch um die Erfassung „verstreuter”, in rund 250 Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien publizierter Texte. Die Berliner Ausgabe verspricht, nicht nur umfassender zu sein, sondern auch ausführlicher kommentiert zu werden.
Wie schon im Fall der Tucholsky-Gesamtausgabe lassen knapp hundert Mark pro Band fragen, ob es nicht sinnvoller wäre, Klabunds Werke für die Forschung auf CD-ROM zu veröffentlichen und anschließend eine komprimierte Auswahl für den Buchhandel zusammenzustellen. Zwei konkurrierende Editionen sind unsinnig. Als Münchner Bohemien, Berliner Chansontexter, als Arthur Kutscher-Seminarist zwischen Hanns Johst und Bert Brecht, als liebeslustiger Kaffeehauspoet und literarischer Chronist der zwanziger Jahre ist Klabund neu zu entdecken. Dazu genügt eine Auswahl als Essenz einer wissenschaftlichen Gesamtedition.
MICHAEL BAUER
KLABUND: Sämtliche Werke. Hrsg. von Hans-Gert Roloff u.a. Verlage Rodopi / Königshausen und Neumann, Würzburg und Amsterdam 1998 ff. Bisher Bd. 1/1, Bd. 1/2, Bd. 2/1 und Bd. 3/1, insgesamt mehr als 1 500 Seiten, je Bd. 98 Mark
–: Werke in acht Bänden. Hrsg. von Christian von Zimmermann u.a. Elfenbein Verlag, Heidelberg 1998 ff. Bisher Bd. 1-3 insgesamt mehr als 1000 S. , je Bd. 78 Mark.
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