"Christoph Martin Wieland (1733-1813) hat in seinem langen Leben die deutsche Literaturlandschaft stärker geprägt, als dies heute allgemein im Bewußtsein ist. Mit seiner Shakespeare-übersetzung hat er vor Tieck und A. W. Schlegel diesen größten Dramatiker der Neuzeit im deutschen Sprachraum heimisch gemacht; er hat den Blankvers, wie er durch Lessing und Schiller populär wurde, für die deutsche Bühne etabliert; mit der Alceste hat er die erste deutsche durchkomponierte Oper konzipiert, mit der Geschichte des Agathon, in der Formulierung Lessings der "erste Roman für einen Kopf von klassischem Geschmacke", den ersten modernen deutschen Roman verfaßt. Doch Wieland ist nicht nur ein großer Neuerer, sondern auch ein exzellenter Beobachter und Kritiker. Mit seiner Zeitschrift Teutscher Merkur hat er das kulturelle Leben seiner Zeit maßgeblich mitgeprägt. Die von Jan Philipp Reemtsma und Hans und Johanna Radspieler veranstaltete Ausgabe von Wielands Schriften zur deutschen Sprache und Literatur macht diesen zu Unrecht wenig bekannten Teil des Wielandschen uvre zum erstenmal wieder in beglückender Vollständigkeit zugänglich und gibt so ein einmaliges Panorama jener Epoche von der Aufklärung bis zur Romantik, die man mit Fug und Recht als "Wielandzeit" bezeichnen könnte. "
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Da es sich bei Christoph Martin Wieland um einen schon zu seiner Zeit äußerst seltenen "Kritikertypus" handelt, der heute so gut wie gar nicht mehr auftritt, freut sich Jens Bisky über diese "zuverlässige wie preiswerte" Ausgabe seiner kritischen Schriften. Darin rezensiert Wieland literarische Werke, äußert sich zu geisteswissenschaftlichen Debatten und Übersetzungsproblemen und gibt Auskunft über eigene Schriften, fasst der Rezensent zusammen. Zeitgenossen fanden seine literarischen Urteile zu lasch und wenig pointiert, und wer sich "starke" Meinungsäußerungen oder "kultivierte Rüpeleien" wünscht, wird enttäuscht werden, warnt Bisky. Denn gerade, wenn Wieland "schwere Geschütze auffahre" - ob im Lob oder im Tadel - wirke er "schwach". Wielands "Tugenden" sind sein Interesse an der Sache, die gegenüber bloßem "Rechthaben" die Oberhand behält, und sein Verzicht auf persönliche Angriffe, meint Bisky angetan. Etwas enttäuscht ist er, dass diese Ausgabe es versäumt, den "historischen Kontext" der Texte mitzuliefern, was laut Bisky dazu führt, diese tagesaktuellen Schriften fälschlich als "essayistisches Werk" zu lesen. Wer sich allerdings auf die "wiegenden, wägenden Sätze" dieses Bandes einlassen kann, wird darin die "Arbeitsökonomie der Aufklärung" entdecken können, so der Rezensent eingenommen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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