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Mit dieser lang erwarteten Ausgabe wird das Werk des Schriftstellers, Philosophen, Soziologen und Filmtheoretikers Siegfried Kracauer (1889-1966) erstmals umfassend zugänglich gemacht. Neben bereits erschienenen Schriften Kracauers enthält die Ausgabe auch eine Vielzahl von bisher unbekannten Texten sowie Studien, Entwürfe und Varianten aus dem umfangreichen Nachlaß. Alle Texte werden kritisch durchgesehen und kommentiert. Als erste Bände der Neuausgabe der Werke erscheinen die Kleinen Schriften zum Film und die Frühen Schriften aus dem Nachlaß. Die Schriften zum Film, die den Zeitraum von…mehr

Produktbeschreibung
Mit dieser lang erwarteten Ausgabe wird das Werk des Schriftstellers, Philosophen, Soziologen und Filmtheoretikers Siegfried Kracauer (1889-1966) erstmals umfassend zugänglich gemacht. Neben bereits erschienenen Schriften Kracauers enthält die Ausgabe auch eine Vielzahl von bisher unbekannten Texten sowie Studien, Entwürfe und Varianten aus dem umfangreichen Nachlaß. Alle Texte werden kritisch durchgesehen und kommentiert.
Als erste Bände der Neuausgabe der Werke erscheinen die Kleinen Schriften zum Film und die Frühen Schriften aus dem Nachlaß. Die Schriften zum Film, die den Zeitraum von 1921 bis 1961 umfassen, versammeln in chronologischer Folge sämtliche kleineren Film-Texte Kracauers: rund 800 Kritiken, Rezensionen, Essays, Feuilletons sowie nachgelassene Typoskripte und Entwürfe. Sie dokumentieren die Entwicklung und den Facettenreichtum eine der bedeutendsten Filmtheorien der Gegenwart und stellen zugleich ein einzigartiges Kompendium der Filmgeschichte dar. Mit demBlick eines des genauesten, kenntnisreichsten und theoretisch reflektiertesten Beobachters des Kinos können wir bekannte und vergessene Filme in ihrem ästhetischen Anspruch sowie ihrem historischen und kulturellen Kontext wiederentdecken. Die Frühen Schriften aus dem Nachlaß vereinen sechs unveröffentlichte Arbeiten aus den Jahren 1912 bis 1920, in denen Kracauer sich mit philosophischen Problemen, künstlerischen Strömungen und sozialen und politischen Fragen der Zeit auseinandersetzte. Dazu gehört die wichtige Studie über seinen Lehrer, den Philosophen und Soziologen Georg Simmel, die auch über die philosophischen Fragen, die Kracauer selbst beschäftigten, Aufschluß gibt, und die kritische Studie über die zeitgenössische »Kulturbewegung« des Expressionismus, die - wie alle Werke Kracauers - angesichts der wachsenden Bedeutung der Kulturwissenschaften auch gegenwärtigen Diskussionen entscheidende Impulse geben kann.
Autorenporträt
Kracauer, SiegfriedSiegfried Kracauer, geboren am 8. Februar 1889 in Frankfurt am Main, war Architekt, Soziologe, Filmkritiker und Geschichtsphilosoph. Er gilt als einer der bedeutendsten Feuilletonisten der Weimarer Republik und leitete von 1930 bis 1933 die Feuilleton-Redaktion der Frankfurter Zeitung. Mit Die Angestellten veröffentlichte Kracauer 1930 die erste empirisch-soziologische Studie in Deutschland. Er wird darüber hinaus zu den Begründern der Filmsoziologe gezählt. 1933 floh Kracauer mit seiner Frau nach Paris und 1941, nach Kriegsbeginn, nach New York. Am 26. November 1966 starb er dort an einer Lungenentzündung. Zu den wichtigsten Werken Kracauers zählen neben Die Angestellten u.a. die Theorie des Films, die Essaysammlung Von Caligari zu Hitler und der Roman Ginster.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.08.2004

Froschkönig wird Philosoph
Frühe Aufsätze Siegfried Kracauers in der neuen Werkausgabe
Die Anerkennung Siegfried Kracauers ist zweideutig geblieben. Nicht als Philosoph, nicht als Theoretiker der Moderne wird Kracauer heute gelesen, sondern als der Verfasser unterschiedlichster Standardwerke, die jeweils für sich und auf ihrem Spezialgebiet Maßstäbe gesetzt haben, ohne allerdings erkennbar aufeinander zu verweisen. Das gilt für die meisterliche Momentaufnahme der Angestelltenwelt (1930), die seinerzeit Walter Benjamin begeistert begrüßte, das gilt ebenso für die Jacques Offenbach-Studie von 1937 oder die beiden Filmbücher, von denen eines, die Theorie des Films (1960), neben den einschlägigen Monographien von Balázs und Arnheim unbestritten zu den Klassikern des Genres zählt.
Diesen Eindruck der Disparität hat auch eine Werkausgabe nicht zerstreuen können, die zwischen 1971 und 1990 bei Suhrkamp erschien und die genannten Schriften um soziologische, geschichtsphilosophische und schöngeistige Arbeitsproben aus unterschiedlichen Schaffensphasen Kracauers ergänzte. Die Gründe für diese Wahrnehmung sind zum einen äußerlich: Für gewöhnlich der Kritischen Theorie zugerechnet, mit deren führenden Köpfen er biographisch vielfältig verbunden war, musste Kracauer im Rückblick ganz automatisch als ein Denker der zweiten Reihe erscheinen, dem die melancholische Schärfe Benjamins ebenso abging wie die grimmige Brillanz Adornos oder die geistespolitische Durchsetzungsstärke Horkheimers. Angesichts der Vorherrschaft der Kritischen Theorie und ihres kanonischen, faktisch eng begrenzten Autorenkreises in der Bundesrepublik der sechziger und siebziger Jahre - einer Dominanz, der sich außer Heidegger und seiner dissidenten Schülerschaft kein deutschsprachiger Denker entziehen konnte - war und blieb die Stellung Kracauers äußerst heikel.
Hinzu kommen Gründe interner Natur. Angesichts der breit gestreuten Arbeitsgebiete und Interessen dieses Autors stellt sich aus heutiger Sicht die Frage nach dem inneren Band, nach der übergreifenden Idee oder doch wenigstens der durchgehenden Handschrift des Kulturtheoretikers Siegfried Kracauer. Ob sich ein solches Charakteristikum wird finden lassen, steht dahin. Die aktuelle Werkausgabe, deren Publikation in diesen Monaten begonnen hat, wird diese Frage beantworten müssen. Sie ist umfassender als jene erste Edition und bietet neben zahlreichen kleineren Veröffentlichungen auch Entwürfe und Varianten sowie, als Doppel- und Abschlussband, frühe Aufsätze aus dem Nachlass. Sie zeigen den Autor vor dem Eintritt in die Feuilleton-Redaktion der „Frankfurter Zeitung”, das heißt auch vor der Begegnung mit den späteren Identifikationsfiguren der Kritischen Theorie.
Sehnsucht nach der Tat
Dass die Publikation der neuen Werkausgabe mit Schriften zum Film und mit ebendiesen Nachlassbänden eröffnet wird, ist eine wohlüberlegte, aber auch risikoreiche Entscheidung. Sie bietet die Chance, Kracauer aus dem Assoziationsbereich der Frankfurter Schule herauszulösen und ihn als eigenständigen Denker hervortreten zu lassen - was freilich nur gelingen kann, wenn sich Kracauer als dieser selbständige Denker erweisen ließe. Der Textbestand der Nachlassbände dämpft diese Erwartung. Er präsentiert einen jungen Philosophen, der statt im Dunstkreis der Theorie als Adept eines Denkers auftritt, dem auch die alsbald ins Leben gerufene Frankfurter Schule schließlich mehr verdanken sollte, als sie eingestehen mochte: Georg Simmel.
Man wird dem jungen Kracauer das Räsonieren à la Simmel nicht ernsthaft zum Vorwurf machen wollen. Als diese ersten philosophischen Arbeiten entstehen - Studien über die „Erkenntnismöglichkeit seelischen Lebens” (1916), über das „Leiden unter dem Wissen und die Sehnsucht nach der Tat” (1917), über den Expressionismus (1918) - ist er keine dreißig Jahre alt. Sie taugen allerdings auch wenig dazu, ihn als originellen Kopf zu profilieren. Eher handelt es sich um akademische Exerzitien, die der persönlichen und zeithistorischen Verständigung dienen.
Der Essay über das „Leiden unter dem Wissen”, mitten im Weltkrieg zu Papier gebracht, unterstreicht diese Absicht der Klärung und der Bestandsaufnahme schon in der ersten Zwischenüberschrift: „Die Lage der Gegenwart”. Kracauer, an dieser Stelle ganz Lebensphilosoph, diagnostiziert die Spaltung zwischen Aktionismus und Intellektualität - zwischen denen, die sich die Welt als Gegenstand der Erkenntnis zurechtlegen, und jenen, die unmittelbar zur Tat drängen. Wenngleich das „Wir”, das sich in diese Konfliktsituation gestellt sieht, nirgends spezifiziert wird, ist doch deutlich, dass Kracauer die geistige Verfassung, die „Bewusstseinseinstellungen” der Deutschen beschreibt. Es spricht für den jungen Autor, dass er, der wie Simmel anfangs zu den Kriegsbegeisterten zählte, zwischen beiden Optionen einen tieferen Zusammenhang freilegt: die Verherrlichung der Aktion durch eine an ihren Möglichkeiten verzweifelnden Intelligenz. „Tatmensch zu sein, im Dienste einer beliebigen Idee sich handelnd zu entfalten”, darin gipfele die Sehnsucht „des Überbewussten”. Als Zeugnis der Besinnung und des zögernden, zugleich aber tiefgreifenden Auffassungswandels ist die kleine Abhandlung eine Entdeckung.
Bereits diese Studie aus dem Jahr 1917 umkreist das genuin Simmelsche Thema des „tragischen” Konflikts zwischen Leben und Form, zwischen „Freiheit” und „Bindung”. Die wenig später niedergeschriebene Abhandlung über Simmel, deren Eingangskapitel sich auch in der Essay-Sammlung „Ornament der Masse” von 1963 findet, greift diese Problematik auf, möchte darüber hinaus aber ein Porträt sein, ja, mehr noch: eine „Wesenstopographie”. Der Name Simmel wird zum Begriff und fungiert als „Offenbarung einer Epoche”. Als solche steht er für ein Denken, das alle Kulturtatsachen in Relation setzt und, einschließlich des Kulturbeobachters selbst, nichts kennt, was diesen Verweisungszusammenhängen entzogen wäre. Simmel ist hier Vorbild und Gegenstand zugleich, und so gerät die kleine Monographie ganz ohne parodistische Nebenabsichten zum Pastiche. Um so bemerkenswerter, dass Kracauer am Ende kritisch wird und Simmels philosophische Urteilsenthaltung moniert. Im doppelten Wortsinn erscheint Simmel als Denker seiner Zeit, als Personifikation des zu „tragischer Höchstleistung” fähigen und doch „im Leeren schwebenden Intellekts”.
Das Fazit darf durchaus als Bedenken, jedoch nur eingeschränkt als Distanzierung verstanden werden. Tatsächlich dürfte Kracauer die Unfertigkeit seiner frühen Übungen erkannt und ebenso auf sich selbst bezogen haben, was er an Simmel beobachtet hatte: dass dieser konsequent „aus der Froschperspektive” philosophiert habe. Das wenig später aufgenommene Studium der Schriften Kants hat Kracauer nicht davon abgehalten, von der Philosophie als der „strengsten aller Göttinnen” abzurücken, ohne sie allerdings jemals aus dem Blick zu verlieren. Die philosophischen Anfänge Kracauers bezeugen die Lebensklugheit dieser Entscheidung. Denn nur so, aus sicherer Entfernung, vermochte er der Philosophie die Treue zu halten und ihr jene Themen zu erschließen, zu denen sie heute, vier Jahrzehnte nach seinem Tod, unterwegs ist.
RALF KONERSMANN
SIEGFRIED KRACAUER: Frühe Schriften aus dem Nachlass. In: Werke in neun Bänden. Hg. v. Inka Mülder-Bach und Ingrid Belke. Bd. 9.1 u. 9.2. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2004. Zus. 924 S., 52 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mark Siemons berichtet, dass es Siegfried Kracauer zu Lebzeiten nicht gelungen war, auch nur eine der hier nun abgedruckten philosophischen Abhandlungen vollständig zu veröffentlichen. Und der Rezensent hat auch eine Erklärung dafür. Man habe den Eindruck, schreibt Siemons, der Kontakt mit Georg Simmel habe Kracauer "enthemmt, was die Überführung persönlicher Gedanken und Empfindungen in großräumige Theorien" betrifft, nicht aber "diszipliniert, diese Wucherungen auch formal und empirisch zu erden." Aber der Rezensent hat auch eine Erkenntnis gewonnen: ohne den "selbstquälerischen Ernst" der hier jetzt dokumentierten Anfänge hätten Kraucauers spätere Erkundungen der profanen Welt, meint Siemons, "vermutlich auch nicht ihre bis heute nachbebende Vibration" erlangen können.

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