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Die Schriften zum Film (in dreil Teilbänden), die den Zeitraum von 1921 bis 1961 umfassen, versammeln in chronologischer Folge sämtliche kleineren Film-Texte Kracauers: rund 800 Kritiken, Rezensionen, Essays, Feuilletons sowie nachgelassene Typoskripte und Entwürfe. Sie dokumentieren die Entwicklung und den Facettenreichtum einer der bedeutendsten Filmtheorien der Gegenwart und stellen zugleich ein einzigartiges Kompendium der Filmgeschichte dar. Mit dem Blick eines der genauesten, kenntnisreichsten und theoretisch reflektiertesten Beobachter des Kinos können wir bekannte und vergessene Filme…mehr

Produktbeschreibung
Die Schriften zum Film (in dreil Teilbänden), die den Zeitraum von 1921 bis 1961 umfassen, versammeln in chronologischer Folge sämtliche kleineren Film-Texte Kracauers: rund 800 Kritiken, Rezensionen, Essays, Feuilletons sowie nachgelassene Typoskripte und Entwürfe. Sie dokumentieren die Entwicklung und den Facettenreichtum einer der bedeutendsten Filmtheorien der Gegenwart und stellen zugleich ein einzigartiges Kompendium der Filmgeschichte dar. Mit dem Blick eines der genauesten, kenntnisreichsten und theoretisch reflektiertesten Beobachter des Kinos können wir bekannte und vergessene Filme in ihrem ästhetischen Anspruch sowie ihrem historischen und kulturellen Kontext wiederentdecken.
Autorenporträt
Kracauer, SiegfriedSiegfried Kracauer, geboren am 8. Februar 1889 in Frankfurt am Main, war Architekt, Soziologe, Filmkritiker und Geschichtsphilosoph. Er gilt als einer der bedeutendsten Feuilletonisten der Weimarer Republik und leitete von 1930 bis 1933 die Feuilleton-Redaktion der Frankfurter Zeitung. Mit Die Angestellten veröffentlichte Kracauer 1930 die erste empirisch-soziologische Studie in Deutschland. Er wird darüber hinaus zu den Begründern der Filmsoziologe gezählt. 1933 floh Kracauer mit seiner Frau nach Paris und 1941, nach Kriegsbeginn, nach New York. Am 26. November 1966 starb er dort an einer Lungenentzündung. Zu den wichtigsten Werken Kracauers zählen neben Die Angestellten u.a. die Theorie des Films, die Essaysammlung Von Caligari zu Hitler und der Roman Ginster.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.2005

Heute würde er fernsehen
Die letzte Vorstellung: Siegfried Kracauers Filmkritiken

Am 1. Juni 1924 rezensiert Siegfried Kracauer im "Stadt-Blatt" der "Frankfurter Zeitung" Arsen von Cserépys Film "Fridericus Rex: Vater und Sohn". Es ist der zweite Teil der erfolgreichen Filmserie über Friedrich den Großen, die bis 1942 nicht weniger als sieben Fortsetzungen haben und mit Gustav Ucickys "Flötenkonzert von Sanssouci" (1930) ihren kommerziellen Gipfel erreichen wird. "Abgesehen von der hie und da etwas gar zu reichlich beigemengten Sentimentalität", schreibt Kracauer, "gelingt es auch wirklich, das Genie des Königs durch die Schlaglichter anekdotenhafter Situationen zu erhellen; seine Einsamkeit, seine Macht über Menschen und widrige Umstände, seine dämonische Beharrlichkeit werden aber umso glaubhafter, als der treffliche Darsteller" - Otto Gebühr, der auch in allen weiteren Fridericus-Filmen die Hauptrolle spielen wird - "ihn mit Geist und bedeutender Attitüde auszustatten vermag." Leider bilde der Film "die guten Ansätze nicht vollends durch", sondern überschütte den Zuschauer mit Zwischentiteln, die "zum Teil eine tendenziöse Färbung" zeigten. Und: "Das Wort ,die Preußen marschieren' entfesselte wieder den gewohnten stürmischen Beifall."

Kracauer ist fünfunddreißig, seit drei Jahren gehört er der Redaktion der "Frankfurter Zeitung" an, seit Anfang 1924 als Vollredakteur. Die Rubrik "Von den Lichtspielbühnen", die seit Oktober 1923 erscheint, ist sein Revier, hier bespricht er die neu anlaufenden Filme, die oft einige Wochen brauchen, bis sie nach Frankfurt gelangen. In Berlin sitzt der Korrespondent Bernard von Brentano und berichtet über die Premieren der wichtigsten Filme; beim Frankfurter Kinostart ist Kracauer dann meist zum Schweigen verurteilt. Deshalb gibt es von ihm keine Kritik zu "Caligari", zu "Dr. Mabuse" und den "Nibelungen", zu "Nosferatu" und zum "Letzten Mann", zu den frühen Filmen von Chaplin und den späten von D. W. Griffith.

Wenn er, wie bei Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin", doch das Wort ergreift, kann er nicht sicher sein, daß sein Urteil die Leserschaft unverstümmelt erreicht. Die veröffentlichte Fassung von Kracauers Eisenstein-Essay weist gegenüber der Druckfahne vielsagende Änderungen auf, aus dem "gut-anarchischen Aufbegehren" der russischen Matrosen ist ein "verzweifeltes" geworden, aus der "herrschenden Gesellschaftsklasse" das Attribut gestrichen; eine Passage, die sich über die Filmpolitik des Reichswehrministers Gessler mokiert, fehlt ganz. Kracauer urteilt souverän, aber er ist nicht der Souverän seiner Urteile, er bleibt an die Blattpolitik der "Frankfurter Zeitung" gebunden, deren liberale Linie sich im Feuilleton nur wenig nach links neigt. So widmet er seine ganze Energie den kleinen, täglichen Filmrezensionen, von denen er zwischen 1921 und 1930 fast fünfhundert verfaßt, Kritiken zu Filmen wie "Flammende Herzen", "Im sausenden Galopp", "Gauner im Frack" und "Die drei Kuckucksuhren". An ihnen schult er seinen Blick, und an ihnen wetzt er seinen Stil, bis er die schärfste Klinge in der Weimarer Filmpublizistik führt.

Schnitt. Zeitsprung. Am 23. Dezember 1930 schreibt Kracauer abermals über einen Fridericus-Film, diesmal über das bereits erwähnte "Flötenkonzert von Sanssouci", dessen Premiere zur politischen Kundgebung geworden ist. Seit acht Monaten amtiert Kracauer als Chef des Berliner Feuilletonbüros der "Frankfurter Zeitung" mit weitgehenden Befugnissen. Sein Roman "Die Angestellten" hat ihn in den literarischen Kreisen der Hauptstadt bekannt gemacht. Und durch die Heirat mit Lili Ehrenreich, seiner langjährigen Freundin, mit der er die erste eigene Wohnung seines Lebens in der Schöneberger Sybelstraße bezieht, hat er auch unter sein Junggesellendasein einen Schlußstrich gezogen. Aber Berlin ist nicht mehr dieselbe Stadt. Die Weltwirtschaftskrise hat begonnen, auf den Straßen marschieren Rotfront- und SA-Kämpfer, Nationalsozialisten und Kommunisten gewinnen die Reichstagswahlen. Ein Film über den Alten Fritz ist kein Seelentröster mehr, sondern ein nationales Aufputschmittel. Die Filmoberprüfstelle, die Lewis Milestones Remarque-Verfilmung "Im Westen nichts Neues" aus den Kinos entfernen ließ, hat das "Flötenkonzert" ohne Schnittauflagen freigegeben. Im Ufa-Palast am Zoo, wo der Film uraufgeführt wird, schreien sich Patrioten und Pazifisten gegenseitig nieder. Am Ende siegen die Patrioten. Das ist ein Zeichen. Und Kracauer liest es.

Zunächst lobt er die "vorzügliche Exposition" des Regisseurs Ucicky und die "guten Kräfte" unter den Schauspielern, die "ihre Schuldigkeit tun wie friderizianische Soldaten". Jedoch: "Der Inhalt . . . verdirbt sämtliche Effekte." Es handelt sich um ein "Gemisch aus Gartenlaube und Parade, Pose und Sentimentalität". Wirklich erschüttert aber ist Kracauer nicht von dem Film, sondern von der Reaktion des Publikums. "Das Gebrüll, das den zahmen Protest bald zudeckte, steigerte sich im weiteren Verlauf zu einem Taumel des Entzückens . . . Ich hätte noch begriffen, wenn die jungen Burschen unter den Nationalsozialisten, die den Krieg gar nicht kennen, mit Feldgeschrei aufgetreten wären. Aber das Ungeheuerliche war, daß auch Frauen zu toben begannen, Mütter, deren Söhne vielleicht gefallen sind, daß sie in einen Rauschzustand gerieten, der wider die Natur und die Erkenntnis ist." Kracauer verläßt den Ufa-Palast mit schlimmen Ahnungen. "Die Massen sind irregeleitet . . . Wenn es nicht gelingt, ihrem Sehnen gute, menschenwürdige Ziele zu geben, werden ihre Explosionen fürchterlich sein."

In diesem Text sagt Kracauer "ich". Er tritt aus dem Schatten seiner Profession, wird selbst Figur des Dramas, das er beschreibt. Und er bemüht sich, anders als die meisten Intellektuellen seiner Zeit, Gerechtigkeit zu üben. Er versucht, den inneren Zusammenhang der deutschen Katastrophe zu verstehen, die sich vor seinen Augen abspielt. Patriotismus ist ein Geschäft, und Hugenbergs Ufa betreibt es. Geschichtsvergessenheit ist eine Seuche, und die Nazis verstehen es, von ihr zu profitieren. Nur der Rauschzustand der Frauen bringt Kracauer aus der Fassung. Die Explosionen des Schlußsatzes haben kein Subjekt mehr, sie liegen in der Luft als historisches Unheil. Wenige Stunden nach dem Reichstagsbrand wird Kracauer aus Berlin flüchten, nicht ohne zuvor einen verstörten Reporterblick auf die Ruine der Demokratie geworfen zu haben. Schon vorher hat die "Frankfurter Zeitung" seine Befugnisse beschnitten und sein Gehalt deutlich gekürzt. Im Mai 1933 wird Kracauers Korrespondentenstelle gekündigt. Sein letzter Text für die "Frankfurter Zeitung" handelt von "Zwei deutschen Filmregisseuren im Ausland". Im Ausland sitzt jetzt auch Kracauer, als deutscher Emigrant in Paris.

Siegfried Kracauers gesammelte Filmkritiken, die als sechster Band der Werkausgabe bei Suhrkamp erschienen sind, bieten mehr als ein Kompendium von Gebrauchstexten. Sie sind ein Stück Geistesgeschichte der Weimarer Republik mit ihren Richtungskämpfen, ihren politischen Illusionen, ihrem heute märchenhaft erscheinenden ästhetischen Reichtum. Wobei die Frage, was im Film als Kunst gelten durfte, für Kracauer wie für meisten damaligen Großkritiker von vornherein entschieden war. Für Polgar, Jhering, Kisch oder Kracauers filmtheoretischen Antipoden Rudolf Arnheim gab es neben den russischen Regisseuren nur noch Buster Keaton und Charlie Chaplin, der Rest war Kintopp. Auch Kracauer hat an der "Potemkin"-Hysterie teilgenommen, und wenn er Fred Niblos "Ben Hur" wegen der "Unlänglichkeit des Gehalts" abkanzelt, dann klingt das genau so kunstrichterlich, wie es gemeint war. Aber anders als die Mehrzahl seiner Kollegen hatte Kracauer den Mut, seine ästhetischen Neigungen zu revidieren. An Dowschenkos "Erde" fällt ihm das Zurechtgestutzte der Bauerndarsteller auf, Pudowkins "Sturm über Asien" verspottet er als "Revolutionsweihfestspiel". Ernst Bloch hat damals die Theorielosigkeit Kracauers gegeißelt, sein "Desinteressement an Philosophie". Dieser linke Humanismus ohne Parteibuch wird in den Berliner Feuilletons seinen Höhepunkt erreichen; in den Filmkritiken der zwanziger Jahre kündigt er sich bereits an.

Nur wenn es um deutsche Produktionen geht, kennt Kracauer keine Gnade, am wenigsten in seiner berühmten Studie "Die kleinen Ladenmädchen gehen ins Kino". Wenn man seine Zusammenfassungen von Genrefilmen liest - "Ein Bankier macht einen so ungeschickten Konkurs, daß er aus Anstand Selbstmord begeht. Zu der Konkursmasse gehört eine Tochter" -, kann man sich die dazugehörigen Bilder leicht ausmalen. Aber sein Vorsatz, "die Summe der gesellschaftlichen Ideologien" in den Sujets aufzuspüren und zu entzaubern, ist dennoch historisch erledigt. Mit den Produktionszusammenhängen des Kinos sind auch dessen Ideologien diffus geworden. Die entscheidenden Fragen werden anderswo verhandelt. Heute würde Kracauer vermutlich die Shows und Nachrichtensendungen des Fernsehens analysieren.

Vier Jahre später, in einer Rede zur Tagung der Frankfurter Lichtspieltheaterbesitzer im Mai 1931, fällt dann jener Satz, für den Kracauer hierzulande berüchtigt ist: Der "Filmkritiker von Rang" sei "nur als Gesellschaftskritiker denkbar". Das ist einerseits eine Platitüde - jede Art von Kulturkritik berührt auch den gesellschaftlichen Hintergrund von Kultur - und andererseits in seiner ideologiekritischen Selbstgewißheit nicht mehr wahr. Aber es galt durchaus in einer Zeit, in welcher der Ufa-Konzern mit der deutschen Großindustrie verflochten war und die großen Hollywoodfirmen nicht nur die Studios besaßen, in denen ihre Filme produziert, sondern auch die Kinos, in denen sie gezeigt wurden.

Im Pariser Exil schreibt Kracauer bis Mai 1940 Korrespondentenberichte für die "Neue Züricher Zeitung" und die Baseler "National-Zeitung". Bei Kriegsausbruch wird er wie viele andere Emigranten in Frankreich interniert, 1941 gelingt ihm mit Hilfe von Varian Frys "Emergency Rescue Committee" die Flucht nach Lissabon, von wo er sich nach New York einschifft. In Amerika arbeitet Kracauer im Auftrag des Museum of Modern Art an einer großen Abrechnung mit dem Kino von Weimar. Sie trägt ihre These schon im Titel: "From Caligari to Hitler". Das Buch wird ein internationaler Erfolg, nur in Deutschland kommt es zu spät und in verstümmelter Form auf den Markt, fast gleichzeitig mit der "Theorie des Films", der einzigen deutschen Kinotheorie, die sich neben den großen Entwürfen von Eisenstein, Bazin und Deleuze behaupten kann.

Siegfried Kracauer hat nicht die deutsche Filmkritik "aufs Niveau gebracht", wie ihm sein untreuer Freund Adorno gönnerhaft attestierte, aber er hat das filmkritische Metier, bis dahin eine Angelegenheit begeisterter Amateure, auf eine Weise professionalisiert, die bis heute vorbildlich wirkt. Wenn man seine Rezensionen liest, begegnet man einem Mann, der vor der Leinwand immer wach genug blieb, um auch den tiefsten Kinotraum ohne Trübung des Bewußtseins mitträumen zu können. Wir, die heute über Filme, Produzenten, Schauspieler und Regisseure schreiben, stammen alle von ihm her.

Siegfried Kracauer: "Werke in neun Bänden". Band 6: "Kleine Schriften zum Film 1921-1961". Hrsg. von Inka Mülder-Bach. Unter Mitarbeit von Mirjam Wenzel und Sabine Biebl. 3 Teilbände. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. Zus. 1672 S., geb., 82,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Höchstes Lob zollt Thomas Meyer den Herausgeberinnen dieser Werkausgabe. Zu seiner Freude haben sich Ingrid Belke, Sabine Biebl und Mirjam Wetzel nicht mit den "üblichen Archivrecherchen" begnügt, sondern "Tausende von schwer erreichbaren Details zu Filmen zusammengetragen, die zum Teil nicht mal mehr in Kopie existieren". Der vorliegende sechste Band mit Kracauers frühen Schriften zum Film hat ihn auch deshalb überzeugt, weil er nicht nur Kracauers Bedeutung für die Etablierung des damals jungen Genres reflektiert, sondern auch den "Entwicklungsgang des Autors" erkennbar werden lasse. Tag für Tag, erzählt Meyer, habe sich Kracauer ins Kino gesetzt, vieles schnell abgehandelt, anderes wiederum zum Ideal erklärt, um "die Unterschiede von Masse und Klasse besser festlegen zu können", wobei er sich auch als früher Chronist des von der Filmindustrie "kalkulierten Wechsels von der flott verdienten Mark und der Ideologisierung der Massen" erwiesen hat. Und so schließt Meyer seine durch und durch positive Kritik mit großem Worte: "Der Suhrkamp Verlag und die Leser haben einen großen Autor wiedergewonnen."

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