Rot ist die Farbe Rupprecht Geigers. Sie ist für ihn ein ebenso grundlegendes Element wie Feuer, Wasser, Luft und Erde. Ihr widmete er sein Leben, sein Werk. Anläßlich seines 95. Geburtstags erscheint erstmals ein Gesamtüberblick über das immense kreative Schaffen Rupprecht Geigers. Mit diesem Werkverzeichnis - durchgehend vierfarbig! - ist nun ein Überblick über das weitverstreute Werk dieses bedeutenden deutschen Künstlers möglich. Der Künstler. Rupprecht Geiger, 1908 in München geboren, 1926-35 Architekturstudium, ab 1942 Beschäftigung mit der Malerei. 1949 Mitbegründer der Gruppe ZEN 49. 1965-76 Professor für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf. Lebt und arbeitet in München.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.01.2003Bitte viel Rouge auflegen
Monochromanie: Das Werkverzeichnis von Rupprecht Geiger
"Rot macht high", hat Rupprecht Geiger einmal gesagt, und diesen Satz versteht man besonders gut, wenn man vor einem seiner roten Gemälde steht. Spontan wirkt sein Rot fast immer poppig, positiv, auch dekorativ. Geigers Rot, das gerne auch mal ins Pink spielt, ist alles andere als erdenschwer, es versprüht sich endlos in den Raum. Nach innen hingegen leuchtet es einen anderen, ungreifbaren Raum aus - einen puren Rotraum. Das Auge findet keinen Halt, unablässig wird es mit Farbe getränkt. So ist es kein Wunder, daß es irgendwann tatsächlich in Trance, ja ins Delirium versetzt wird. Es ist die alles Stoffliche überstrahlende Leichtigkeit, durch die Geigers Rot wirkt, mit dem Blick flirtet, aber auch schon mal blendet oder sticht.
Das schwerelose Dasein der Farbe erzielte Geiger seit den sechziger Jahren lange Zeit durch die Spritzpistole und fluoreszierende Pigmente von Tagesleuchtfarben. Die Wahl solcher unkonventioneller Mittel mutete bei diesem Maler aber nie als avantgardistische Attitüde an. Rupprecht Geiger hat es vielmehr immer auf den Punkt abgesehen, wo sich in der Intensität eines vibrierenden Leuchtens, eines kühlen Glühens das Faktische und das Spirituelle begegnen. So hat Geiger denn auch in seinen vom Rechteck abweichenden Formaten nicht den exzentrischen Bildträger als solchen oder eine formale Neuerung im Sinn gehabt, die man ihm als Erfindung ohnehin nicht zugute halten könnte. Hat doch schon Carl Buchheister, zum Beispiel, in den zwanziger Jahren Bilder in der äußeren Gestalt des Dreiecks gemalt, auch wenn diese viel zuwenig bekannt sind.
Allerdings - und in dieser Hinsicht war Geiger in der alten Bundesrepublik früh dran -, hat dieser Maler die Hierarchie, Komposition und Balance rigoros ausgeblendet, um der Farbe eine passende Bühne zu bereiten. Geigers Gemälde sind Energiespeicher. Besonders das Oval mit seiner vagen Anspielung auf die Sonne behauptete sich klar und konsequent als Form, in der die Farbe ihre expansiven Kräfte entladen kann. Ähnlich wie bei Ellsworth Kelly verhalten sich auch Geigers Gemälde zur Wand wie die Figur zum Grund. So hinterfragt auch Geigers Malerei ohne theoretischen Impetus die Bedingungen des Bildes und seiner Präsentation, eine Frage, die fast alle Maler umgetrieben hat, die sich auf eine einzige Farbe beschränken: ob Ad Reinhardt und das Schwarz, Yves Klein und das Blau, Robert Ryman und das Weiß - diese Maler haben auch den Malgrund bis hin zur Befestigung an der Wand austariert und Antworten auf die Frage gefunden, was ein Bild in der Moderne überhaupt ist. Und damit sogleich wieder neue Fragen aufgeworfen.
Rupprecht Geigers jetzt zu seinem 95. Geburtstag vorgelegtes Werkverzeichnis für Gemälde, Objekte und architekturbezogene Werke von 1942 bis 2002 zeigt die Metamorphosen eines Autodidakten, der aus anfänglich surrealistischen und phantastisch angehauchten Nachkriegslandschaften nach und nach ortlose Farbräume entstehen läßt. "Extreme Malerei" hatte man so etwas schon 1947, anläßlich einer einflußreichen Ausstellung in Augsburg, genannt, lange bevor sich in den Achtzigern in Deutschland und Amerika eine Gruppe "radikaler" und "essentieller" Maler zusammenschloß. Und wer heute die "Day-Glow"-Farben eines Peter Halley oder die großräumig gesprühten Farbwände einer Katharina Grosse bewundert, der dürfte auch bei Geiger an der richtigen Adresse sein. Auch Snackbars im Flughafen und U-Bahnhöfe wie an der Machtlfinger Straße, beide in München, haben den ausgebildeten Architekten herausgefordert, außerdem von eigener Hand projektierte Meditationsräume wie eine offene Rotrotunde im Parkgrün eines Krankenhauses in Taufkirchen (Vils).
Wenn man behaupten kann - wie Helmut Friedel in seinem kurzen einleitenden Beitrag zum nun veröffentlichten Catalogue Raisonnée -, Geiger habe der Farbe Rot "einen neuen Ort in unserem Bewußtsein geschaffen", dann braucht man eigentlich nicht zu bedauern, daß dieses OEuvre bislang zuwenig im internationalen, zumal dem amerikanischen Kontext diskutiert worden ist. "Rot ist schön. Rot ist Leben. Energie, Potenz, Macht, Liebe, Wärme, Kraft": auch dies Erkenntnisse von Rupprecht Geiger, gewonnen in einer ausdauernden und leidenschaftlichen Recherche. Wer mit fünfundneunzig Jahren - denn so alt wird Rupprecht Geiger an diesem Sonntag - noch immer "high" davon ist, den darf man beglückwünschen.
GEORG IMDAHL
"Rupprecht Geiger - Werkverzeichnis 1942 -2002". Gemälde und Objekte, architekturbezogene Kunst. Herausgegeben von der Rupprecht-Geiger-Gesellschaft, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München. Bearbeitet von Pia Dornacher und Julia Geiger. Mit einem Vorwort von Helmut Friedel. Prestel Verlag, München 2003. 360 S., 960 Abb., geb., 95,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Monochromanie: Das Werkverzeichnis von Rupprecht Geiger
"Rot macht high", hat Rupprecht Geiger einmal gesagt, und diesen Satz versteht man besonders gut, wenn man vor einem seiner roten Gemälde steht. Spontan wirkt sein Rot fast immer poppig, positiv, auch dekorativ. Geigers Rot, das gerne auch mal ins Pink spielt, ist alles andere als erdenschwer, es versprüht sich endlos in den Raum. Nach innen hingegen leuchtet es einen anderen, ungreifbaren Raum aus - einen puren Rotraum. Das Auge findet keinen Halt, unablässig wird es mit Farbe getränkt. So ist es kein Wunder, daß es irgendwann tatsächlich in Trance, ja ins Delirium versetzt wird. Es ist die alles Stoffliche überstrahlende Leichtigkeit, durch die Geigers Rot wirkt, mit dem Blick flirtet, aber auch schon mal blendet oder sticht.
Das schwerelose Dasein der Farbe erzielte Geiger seit den sechziger Jahren lange Zeit durch die Spritzpistole und fluoreszierende Pigmente von Tagesleuchtfarben. Die Wahl solcher unkonventioneller Mittel mutete bei diesem Maler aber nie als avantgardistische Attitüde an. Rupprecht Geiger hat es vielmehr immer auf den Punkt abgesehen, wo sich in der Intensität eines vibrierenden Leuchtens, eines kühlen Glühens das Faktische und das Spirituelle begegnen. So hat Geiger denn auch in seinen vom Rechteck abweichenden Formaten nicht den exzentrischen Bildträger als solchen oder eine formale Neuerung im Sinn gehabt, die man ihm als Erfindung ohnehin nicht zugute halten könnte. Hat doch schon Carl Buchheister, zum Beispiel, in den zwanziger Jahren Bilder in der äußeren Gestalt des Dreiecks gemalt, auch wenn diese viel zuwenig bekannt sind.
Allerdings - und in dieser Hinsicht war Geiger in der alten Bundesrepublik früh dran -, hat dieser Maler die Hierarchie, Komposition und Balance rigoros ausgeblendet, um der Farbe eine passende Bühne zu bereiten. Geigers Gemälde sind Energiespeicher. Besonders das Oval mit seiner vagen Anspielung auf die Sonne behauptete sich klar und konsequent als Form, in der die Farbe ihre expansiven Kräfte entladen kann. Ähnlich wie bei Ellsworth Kelly verhalten sich auch Geigers Gemälde zur Wand wie die Figur zum Grund. So hinterfragt auch Geigers Malerei ohne theoretischen Impetus die Bedingungen des Bildes und seiner Präsentation, eine Frage, die fast alle Maler umgetrieben hat, die sich auf eine einzige Farbe beschränken: ob Ad Reinhardt und das Schwarz, Yves Klein und das Blau, Robert Ryman und das Weiß - diese Maler haben auch den Malgrund bis hin zur Befestigung an der Wand austariert und Antworten auf die Frage gefunden, was ein Bild in der Moderne überhaupt ist. Und damit sogleich wieder neue Fragen aufgeworfen.
Rupprecht Geigers jetzt zu seinem 95. Geburtstag vorgelegtes Werkverzeichnis für Gemälde, Objekte und architekturbezogene Werke von 1942 bis 2002 zeigt die Metamorphosen eines Autodidakten, der aus anfänglich surrealistischen und phantastisch angehauchten Nachkriegslandschaften nach und nach ortlose Farbräume entstehen läßt. "Extreme Malerei" hatte man so etwas schon 1947, anläßlich einer einflußreichen Ausstellung in Augsburg, genannt, lange bevor sich in den Achtzigern in Deutschland und Amerika eine Gruppe "radikaler" und "essentieller" Maler zusammenschloß. Und wer heute die "Day-Glow"-Farben eines Peter Halley oder die großräumig gesprühten Farbwände einer Katharina Grosse bewundert, der dürfte auch bei Geiger an der richtigen Adresse sein. Auch Snackbars im Flughafen und U-Bahnhöfe wie an der Machtlfinger Straße, beide in München, haben den ausgebildeten Architekten herausgefordert, außerdem von eigener Hand projektierte Meditationsräume wie eine offene Rotrotunde im Parkgrün eines Krankenhauses in Taufkirchen (Vils).
Wenn man behaupten kann - wie Helmut Friedel in seinem kurzen einleitenden Beitrag zum nun veröffentlichten Catalogue Raisonnée -, Geiger habe der Farbe Rot "einen neuen Ort in unserem Bewußtsein geschaffen", dann braucht man eigentlich nicht zu bedauern, daß dieses OEuvre bislang zuwenig im internationalen, zumal dem amerikanischen Kontext diskutiert worden ist. "Rot ist schön. Rot ist Leben. Energie, Potenz, Macht, Liebe, Wärme, Kraft": auch dies Erkenntnisse von Rupprecht Geiger, gewonnen in einer ausdauernden und leidenschaftlichen Recherche. Wer mit fünfundneunzig Jahren - denn so alt wird Rupprecht Geiger an diesem Sonntag - noch immer "high" davon ist, den darf man beglückwünschen.
GEORG IMDAHL
"Rupprecht Geiger - Werkverzeichnis 1942 -2002". Gemälde und Objekte, architekturbezogene Kunst. Herausgegeben von der Rupprecht-Geiger-Gesellschaft, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München. Bearbeitet von Pia Dornacher und Julia Geiger. Mit einem Vorwort von Helmut Friedel. Prestel Verlag, München 2003. 360 S., 960 Abb., geb., 95,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rupprecht Geigers zu seinem 95. Geburtstag vorgelegtes Werkverzeichnis für Gemälde, Objekte und architekturbezogene Werke von 1942 bis 2002 zeigt nach Ansicht von Rezensent Georg Imdahl die "Metamorphosen eines Autodidakten, der aus anfänglich surrealistischen und phantastisch angehauchten Nachkriegslandschaften nach und nach ortlose Farbräume entstehen lässt". Vor allem Geigers rote Gemälde haben es Imdahl angetan. Spontan wirke Geigers Rot fast immer poppig, positiv, dekorativ, alles andere als erdenschwer, es versprühe sich endlos in den Raum. "Nach innen hingegen", hält Imdahl fest, "leuchtet es einen anderen, ungreifbaren Raum aus - einen puren Rotraum." Darüber hinaus hinterfrage Geiger mit seiner Malerei die Bedingungen des Bildes und seiner Präsentation - eine Frage, die fast alle Maler umgetrieben habe, die sich auf eine einzige Farbe beschränken: Ad Reinhardt, Yves Klein, Robert Ryman.
© Perlentaucher Medien GmbH
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