Die hier vorgelegte Auswahledition der Bergengruenschen Aufzeichnungen trägt bei zur Vermittlung von Weltbildern und Werthaltungen der "inneren" und "äußeren" Emigration, wie dies von der zeithistorischen Forschung seit Erscheinen der "Tagebücher" Victor Klemperers (1995) und des "Geheimreports" Carl Zuckmeyers (2002) vielfach eingefordert wird.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.08.2005Ich habe mich grün gemacht
Werner Bergengruens zeitkritische Aufzeichnungen
Werner Bergengruen (1892-1964), einer der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts und von der Kritik wegen seiner Zurückhaltung dem Nationalsozialismus gegenüber als einer der führenden Köpfe der „inneren Emigration” oder besser der „unterirdischen Literatur”, wie er selber sagte, eingestuft, plante erst gegen Ende seines Lebens, seine in über zwanzig Jahren zusammengetragenen zeitkritischen Gedanken zu veröffentlichen. Als Titel schwebte ihm „Compendium Bergengruenianum” vor.
Frank-Lothar Kroll, der Präsident der Werner-Bergengruen-Gesellschaft und Ordinarius für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts in Chemnitz, hat jetzt zusammen mit zwei Mitarbeiterinnen eine thematische Auswahl aus dem insgesamt 29 Kladden umfassenden Gesamtkonvolut, das als Teil des Nachlasses im Deutschen Literaturarchiv in Marbach aufbewahrt wird, herausgebracht. Zwei sachkundige Einleitungen und ein Kommentar, der Eigennamen erläutert, historische Anspielungen aufschlüsselt und weiterführende Literaturhinweise mitteilt, begleiten den Text.
Der Herausgeber hat vor allem die Tagebucheinträge ediert, die Bergengruens Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich näher beleuchten. Der mit einer „Dreivierteljüdin” verheiratete Deutsch-Balte sah den Nationalsozialismus im Preußentum und im Protestantismus verankert. Der preußische Adel habe nie eine reichsritterliche Tradition besessen und kein gesamtdeutsches Verantwortungsgefühl entwickelt. Seine Offizierskaste habe sich folglich zum Maß aller Dinge genommen und den deutschen Untertanengeist befördert. Diese Auffassung dürfte auch einer der Gründe dafür sein, warum der Schriftsteller 1936 zum Katholizismus konvertierte und dadurch seine Außenseiterstellung im Dritten Reich noch unterstrich.
Zwar wurde er aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und in einer in einem Dokumentenanhang mitgeteilten Beurteilung der NSDAP-Ortsgruppe München-Solln als politisch unzuverlässig eingestuft, aber dennoch durfte er mit Sondergenehmigung weiter veröffentlichen. Dabei kam ihm zugute, dass er zu der aus politischen Gründen bis zum Kriegsausbruch gehätschelten Gruppe der auslandsdeutschen Schriftsteller gerechnet wurde. Wie schon in seinem Erfolgsroman „Der Großtyrann und das Gericht” von 1935 kreisen auch alle übrigen Werke aus diesen Jahren, handele es sich um Romane, Novellen oder Gedichte, um Schuld und Untergang. Sie konnten ohne Mühe politisch gedeutet werden, auch wenn sich Bergengruen später dagegen verwahrte, und eröffneten zahlreichen Lesern trostreiche Perspektiven in dunkler Zeit.
Das unheimliche Gesetz
Bergengruens Aufzeichnungen unterscheiden sich von den zeitgleichen Tagebüchern eines Ernst Jünger, Reinhold Schneider, Felix Hartlaub, Jochen Klepper und anderer vor allem dadurch, dass sie Kommentare zu den politischen Ereignissen vermeiden. Es handelt sich vielmehr um Reflexionen und Aphorismen höchst unterschiedlicher Länge in der in Deutschland selten gepflegten Tradition der französischen Moralisten des „grand siècle”. Dafür ein Beispiel: „Auch dies ist sehr preußisch und sehr protestantisch, daß in dem berühmten Konflikt zwischen Pflicht und Neigung das Gewissen immer zu Gunsten der Pflicht zu entscheiden gehalten ist”. Nicht minder hellsichtig und sarkastisch sind die Porträts einiger Schriftstellerkollegen, die der Hakenkreuzfahne nachliefen. Bergengruen glaubte, ein „unheimliches Gesetz” festzustellen, „wonach alle Menschen geistigen Ranges, die sich mit dem braunen Ungeist einließen, diesen Rang fast augenblicklich einbüßten”.
Dementsprechend kaustisch sind seine Urteile: Börries von Münchhausen sei kein ritterlicher Dichter, sondern ein parvenühaft aufgeblasener Schulmeister, Hans Friedrich Blunck, an sich „eine gleichgültige Null”, habe es im Dritten Reich als geschäftstüchtiger Karrierist an die Spitze des braunen Literaturbetriebs gebracht, Ina Seidel sei uneingeschränkt den Lockungen der „nationalsozialistischen Herrlichkeit” erlegen.
Was Bergengruen nach Kriegsende, inzwischen in die Schweiz übergesiedelt, zum Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit und zum „Emigrantenkoller” schrieb, war nicht minder provokativ. So geht der hier gebotenen Auswahl eine ironische Selbstinterpretation des Namens in Form eines alten Sprichworts als Motto voraus: „Wer sich grün macht, den fressen die Zicken. Ich habe mich gruen gemacht, und da haben mich die Zicken gefressen. Sie werden nicht Ruhe geben, bis das letzte Blatt abgerupft ist”. Im Jahr 1959, als Bergengruen dies schrieb, wäre der Vorwurf der Selbstgerechtigkeit oder Mitschuld vermutlich nicht ausgeblieben. Heute möchte man diesem Buch voll höchster Sensibilität für die gesamte Tonleiter moralischer, politischer und ästhetischer Misstöne deutschtümelnder Verirrungen vor, im und nach dem Dritten Reich nichts als Bewunderung zollen.
FRANK-RUTGER HAUSMANN
WERNER BERGENGRUEN: Schriftstellerexistenz in der Diktatur. Aufzeichnungen und Reflexionen zu Politik, Geschichte und Kultur 1940-1963. Hrsg. von Frank-Lothar Kroll, N. Luise Hackelsberger und Sylvia Taschka. R. Oldenbourg Verlag, München 2005. 298 Seiten, 8 Abb., 34,80. Euro.
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Werner Bergengruens zeitkritische Aufzeichnungen
Werner Bergengruen (1892-1964), einer der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts und von der Kritik wegen seiner Zurückhaltung dem Nationalsozialismus gegenüber als einer der führenden Köpfe der „inneren Emigration” oder besser der „unterirdischen Literatur”, wie er selber sagte, eingestuft, plante erst gegen Ende seines Lebens, seine in über zwanzig Jahren zusammengetragenen zeitkritischen Gedanken zu veröffentlichen. Als Titel schwebte ihm „Compendium Bergengruenianum” vor.
Frank-Lothar Kroll, der Präsident der Werner-Bergengruen-Gesellschaft und Ordinarius für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts in Chemnitz, hat jetzt zusammen mit zwei Mitarbeiterinnen eine thematische Auswahl aus dem insgesamt 29 Kladden umfassenden Gesamtkonvolut, das als Teil des Nachlasses im Deutschen Literaturarchiv in Marbach aufbewahrt wird, herausgebracht. Zwei sachkundige Einleitungen und ein Kommentar, der Eigennamen erläutert, historische Anspielungen aufschlüsselt und weiterführende Literaturhinweise mitteilt, begleiten den Text.
Der Herausgeber hat vor allem die Tagebucheinträge ediert, die Bergengruens Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich näher beleuchten. Der mit einer „Dreivierteljüdin” verheiratete Deutsch-Balte sah den Nationalsozialismus im Preußentum und im Protestantismus verankert. Der preußische Adel habe nie eine reichsritterliche Tradition besessen und kein gesamtdeutsches Verantwortungsgefühl entwickelt. Seine Offizierskaste habe sich folglich zum Maß aller Dinge genommen und den deutschen Untertanengeist befördert. Diese Auffassung dürfte auch einer der Gründe dafür sein, warum der Schriftsteller 1936 zum Katholizismus konvertierte und dadurch seine Außenseiterstellung im Dritten Reich noch unterstrich.
Zwar wurde er aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und in einer in einem Dokumentenanhang mitgeteilten Beurteilung der NSDAP-Ortsgruppe München-Solln als politisch unzuverlässig eingestuft, aber dennoch durfte er mit Sondergenehmigung weiter veröffentlichen. Dabei kam ihm zugute, dass er zu der aus politischen Gründen bis zum Kriegsausbruch gehätschelten Gruppe der auslandsdeutschen Schriftsteller gerechnet wurde. Wie schon in seinem Erfolgsroman „Der Großtyrann und das Gericht” von 1935 kreisen auch alle übrigen Werke aus diesen Jahren, handele es sich um Romane, Novellen oder Gedichte, um Schuld und Untergang. Sie konnten ohne Mühe politisch gedeutet werden, auch wenn sich Bergengruen später dagegen verwahrte, und eröffneten zahlreichen Lesern trostreiche Perspektiven in dunkler Zeit.
Das unheimliche Gesetz
Bergengruens Aufzeichnungen unterscheiden sich von den zeitgleichen Tagebüchern eines Ernst Jünger, Reinhold Schneider, Felix Hartlaub, Jochen Klepper und anderer vor allem dadurch, dass sie Kommentare zu den politischen Ereignissen vermeiden. Es handelt sich vielmehr um Reflexionen und Aphorismen höchst unterschiedlicher Länge in der in Deutschland selten gepflegten Tradition der französischen Moralisten des „grand siècle”. Dafür ein Beispiel: „Auch dies ist sehr preußisch und sehr protestantisch, daß in dem berühmten Konflikt zwischen Pflicht und Neigung das Gewissen immer zu Gunsten der Pflicht zu entscheiden gehalten ist”. Nicht minder hellsichtig und sarkastisch sind die Porträts einiger Schriftstellerkollegen, die der Hakenkreuzfahne nachliefen. Bergengruen glaubte, ein „unheimliches Gesetz” festzustellen, „wonach alle Menschen geistigen Ranges, die sich mit dem braunen Ungeist einließen, diesen Rang fast augenblicklich einbüßten”.
Dementsprechend kaustisch sind seine Urteile: Börries von Münchhausen sei kein ritterlicher Dichter, sondern ein parvenühaft aufgeblasener Schulmeister, Hans Friedrich Blunck, an sich „eine gleichgültige Null”, habe es im Dritten Reich als geschäftstüchtiger Karrierist an die Spitze des braunen Literaturbetriebs gebracht, Ina Seidel sei uneingeschränkt den Lockungen der „nationalsozialistischen Herrlichkeit” erlegen.
Was Bergengruen nach Kriegsende, inzwischen in die Schweiz übergesiedelt, zum Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit und zum „Emigrantenkoller” schrieb, war nicht minder provokativ. So geht der hier gebotenen Auswahl eine ironische Selbstinterpretation des Namens in Form eines alten Sprichworts als Motto voraus: „Wer sich grün macht, den fressen die Zicken. Ich habe mich gruen gemacht, und da haben mich die Zicken gefressen. Sie werden nicht Ruhe geben, bis das letzte Blatt abgerupft ist”. Im Jahr 1959, als Bergengruen dies schrieb, wäre der Vorwurf der Selbstgerechtigkeit oder Mitschuld vermutlich nicht ausgeblieben. Heute möchte man diesem Buch voll höchster Sensibilität für die gesamte Tonleiter moralischer, politischer und ästhetischer Misstöne deutschtümelnder Verirrungen vor, im und nach dem Dritten Reich nichts als Bewunderung zollen.
FRANK-RUTGER HAUSMANN
WERNER BERGENGRUEN: Schriftstellerexistenz in der Diktatur. Aufzeichnungen und Reflexionen zu Politik, Geschichte und Kultur 1940-1963. Hrsg. von Frank-Lothar Kroll, N. Luise Hackelsberger und Sylvia Taschka. R. Oldenbourg Verlag, München 2005. 298 Seiten, 8 Abb., 34,80. Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Als einen der "erfolgreichsten" Autoren des 20. Jahrhunderts und wichtigen Vertreter der "inneren Emigration" stellt uns rezensent Frank-Rutger Hausmann den Schriftsteller Werner Bergengruen vor, der zwar aus der "Reichsschriftumskammer" ausgeschlossen war, dennoch bis zum Zweiten Weltkrieg in Deutschland veröffentlichen konnte, informiert der Rezensent. Für diesen Auswahlband von Bergengruens Schriften hat der Herausgeber Frank-Lothar Kroll vor allem Tagebucheinträge zusammengestellt, um dessen Haltung gegenüber den Nationalsozialisten zu beleuchten, stellt Frank-Rutger Hausmann fest. Im Gegensatz zu Tagebucheintragungen von Ernst Jünger, Reinhold Schneider und anderen Zeitgenossen werden in Bergengruens Aufzeichnungen die "politischen Ereignisse" nicht kommentiert, sondern in "Reflexionen und Aphorismen" gegossen und so mancher Schriftstellerkollege, der sich mit den Nationalsozialisten einließ, aufs Korn genommen. Gerade diese Porträts lobt der Rezensent als besonders "hellsichtig und sarkastisch", wie er überhaupt Bergengruens Gespür für die "moralischen, politischen und ästhetischen Misstöne deutschtümelnder Verwirrungen" bewundert. Für diese Haltung hat Hausmann dann auch "nichts als Bewunderung" übrig.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ein großes Lob den Herausgebern für einen in der Tat ganz wesentlichen Beitrag zur Geschichte der "Inneren Emigration" in Deutschland und für ein menschlich bewegendes Zeugnis!" Alice Bolterauer in: sehepunkte 6, 2006 / Nr. 4 (15.4.06)