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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.1995

Die Heisenberg-Materie
David Cassidys große Biographie / Von Armin Hermann

Zu den Sternstunden der Menschheit gehört jener Augenblick im Juni 1925, als es dem 23jährigen Werner Heisenberg bei einem Kurzurlaub auf Helgoland "wie eine Erleuchtung" geschah. Er hatte den Durchbruch zur langgesuchten, für den Mikrokosmos des Atoms zuständigen Quantentheorie geschafft. "Ich rechnete es mühsam aus, und es stimmte. Da bin ich auf einen Felsen gestiegen und habe den Sonnenaufgang gesehen und war glücklich." Noch heute erkennt man auf Photographien die strahlenden Augen des jungen Forschers. Seine Briefe zeigen die Begeisterung für die Physik, die Natur und das Leben.

In seiner Autobiographie ("Der Teil und das Ganze") hat Heisenberg selbst dargestellt, wie er in den zwanziger Jahren, im "goldenen Zeitalter der Atomphysik", mit Niels Bohr und anderen die Quantentheorie schuf, wie es im Dritten Reich dazu kam, daß er als "Ossietzky der Physik" und "Geist vom Geiste Einsteins" angegriffen wurde und wie er schließlich 1958 die "Weltformel" aufstellte. Knapp zwei Jahrzehnte nach Heisenbergs Tod hat nun der amerikanische Wissenschaftshistoriker David Cassidy eine große Biographie vorgelegt. Im Mittelpunkt steht bei Cassidy zu Recht der Aufbau der Quantentheorie, eine der größten Leistungen des 20. Jahrhunderts, mit der "Kopenhagener Deutung" von Werner Heisenberg und Niels Bohr als krönendem Abschluß.

Was ist das Licht, hatten die Physiker lange gefragt, Welle oder Korpuskel, Teilchen also? Jetzt zeigte sich, daß es sich nicht um ein Entweder-Oder handelte, sondern um ein Sowohl-Als-auch. Keine der beiden Theorien trifft die Wahrheit, vielmehr ergänzen sie einander komplementär. Von allen erstaunlichen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts, hat man gesagt, sei dies die erstaunlichste.

Auch die neue Heisenberg-Biographie von Cassidy ist gleichsam ein Anwendungsbeispiel für die "Kopenhagener Deutung", insofern sie zu den Memoiren Heisenbergs im Verhältnis der Komplementarität steht. Heisenbergs "Der Teil und das Ganze" und die Biographie von Cassidy bieten uns zwei einander ergänzende Darstellungen dieses Gelehrtenlebens. Während der Sinnzusammenhang in der Autobiographie klar hervortritt, fällt es dem Leser nicht leicht, sich bei Cassidy durch die vielen Einzelheiten hindurchzufinden. Andererseits hat sich Heisenberg, als er "Der Teil und das Ganze" schrieb, wohl doch zu souverän auf seine nicht immer präzisen Erinnerungen verlassen; der amerikanische Wissenschaftshistoriker dagegen hat sorgfältig alle erreichbaren Quellen herangezogen, in erster Linie die meistenteils immer noch unpublizierten Briefe.

Da gab es am 16. Mai 1933 einen Besuch von Max Planck bei Adolf Hitler. Planck versuchte dem Reichskanzler den unermeßlichen Schaden vor Augen zu führen, den die Vertreibung der jüdischen Wissenschaftler für Deutschland zur Folge haben mußte. In seiner Autobiographie beschrieb Heisenberg, was ihm Planck von seiner Begegnung mit Hitler erzählt hat, und legte dem Altmeister der Physik eine hellseherische Prognose in den Mund: Hitler sei von seinen sogenannten Ideen besessen und werde "Deutschland in eine entsetzliche Katastrophe führen". Cassidy dagegen kennt und zitiert einen 1933 von Heisenberg selbst geschriebenen Brief, den dieser, als er seine Autobiographie verfaßte, nicht mehr im Gedächtnis hatte. Dieser Brief gibt die damalige Stimmung unter den deutschen Gelehrten authentisch wieder: Das "Haupt der Regierung" habe gegenüber Planck die Versicherung abgegeben, "daß über das neue Beamtengesetz hinausgehend nichts von der Regierung unternommen werde, das unsere Wissenschaft erschweren könnte". So tritt bei Cassidy die politische Naivität Plancks und Heisenbergs klar hervor, die der lügenhaften Zusicherung Hitlers Glauben schenkten.

Am 15. Juli 1937 wurde Heisenberg im "Schwarzen Korps", der Zeitschrift der SS, massiv angegriffen. Es gab eine Untersuchung mit entwürdigenden Verhören und üblen Denunziationen. Heisenberg hat es verschmäht, in seiner Autobiographie davon zu berichten, obwohl es ihm zweifellos zusätzliche Sympathien bei den Lesern eingebracht hätte. Die neue Biographie gibt auch hier ausführlich und zuverlässig Auskunft.

In Zusammenarbeit mit den deutschen Übersetzern, hat Cassidy dafür gesorgt, daß keine Rückübersetzungen, sondern die Zitate im Originalwortlaut geboten werden. Für den Kenner ist die Biographie eine Fundgrube, und insofern bleibt kein Wunsch offen, höchstens der, daß die Zeit nach 1945 ausführlicher behandelt worden wäre, als Heisenberg als Präsident des Deutschen Forschungsrates und in Konkurrenz zur "Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft" eine maßgebliche Rolle beim Wiederaufbau der deutschen Wissenschaft spielte. Auch Heisenbergs "Einheitliche Theorie der Materie" von 1958, populär die "Weltformel", hätte eine genauere Würdigung verdient, gerade deshalb, weil sie offenbar ein Fehlschlag war, Heisenberg aber hartnäckig an ihr festhielt.

Auf der anderen Seite besitzen Heisenbergs Memoiren ebenfalls einen großen Vorzug, und zwar gerade dort, wo die Schwäche der neuen Biographie liegt. Schon das Maximiliansgymnasium in München hatte Heisenbergs "Blick für das Wesentliche" gerühmt. Auch "Der Teil und das Ganze" ist ein großer Wurf aus einer souveränen Perspektive. Cassidy hat lange und hart gearbeitet. Er bringt viele, für den Kenner bedeutsame Fakten, diskutiert bei einander widersprechenden Zeugnissen, wo wohl die Wahrheit liegen mag, erschwert aber dadurch dem durchschnittlich interessierten und vorgebildeten Leser den Überblick.

Heisenberg hatte Sinn für Sprache. "Plato war natürlich ein Poet", sagte er, und auch über seiner, nach dem Vorbild der Platonischen Dialoge abgefaßten Autobiographie liegt Poesie. Bei der neuen großen Biographie hat die Sachlichkeit gesiegt, wenn auch Cassidy seine Sympathien für Heisenberg nicht immer verbergen kann. Das sind die besten Stellen des Buches.

David C. Cassidy: "Werner Heisenberg". Leben und Werk. Aus dem Amerikanischen von Andreas und Gisela Kleinert. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg/Berlin/Oxford 1995. 808 S., 19 Abb., geb., 68,- DM.

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