Viele Menschen wissen, dass Werner Heisenberg (1901 - 1976) zu den größten Physikern des 20. Jahrhunderts zählt. Weitaus weniger bekannt ist, dass die von ihm gefundene Theorie der Atome, die Quantenmechanik, weit über die Physik hinaus Bedeutung hat. Hier setzt Fischers Biographie eines "selbstvergessenen Genies" an. Es ist sicher, dass Heisenbergs Schöpfung zu den wichtigsten philosophischen Ereignissen der Neuzeit zu rechnen ist, dass sie für die moderne Molekularbiologie bahnbrechend war und, dass sie die Grundlage für die rasante Entwicklung der modernen Computer bildet. Heisenberg hat den Menschen eine neue Dimension der Wirklichkeit eröffnet, er war ein Genie vom Range Mozarts oder Schuberts. Vor diesem Hintergrund kann und muss sein Verhalten im Dritten Reich, sein zögerliches Bemühen um die Atombombe neu interpretiert werden. Nicht nur der 100. Geburtstag am 5.12.2001 ist Anlass, den sprachmächtigen und humanistischen Gelehrten zu würdigen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wenig zufrieden zeigt sich Rezensent Arne Schirrmacher mit zwei Monografien, die zum 100. Geburtstag von Werner Heisenberg erschienen sind. Beide Autoren interpretierten den Physiker als "Archetyp des Genies und Deutschen". Eine Sicht, die der Rezensent augenscheinlich mehr als unzureichend findet. Im einen Buch werde Heisenberg für die Erfolge der Physik, im anderen für ihr Scheitern verantwortlich gemacht. Doch der "kollektive Charakter" der Physik im zwanzigsten Jahrhundert werde in keiner der Publikationen gesehen.
Fischer: "Heisenberg"
Besonders Ernst Peter Fischer verklärt Heisenberg nach Ansicht von Arne Schirrmacher zum Genie vom Range Mozarts oder Schuberts, und diese Verklärung, höhnt der Rezensent, "spart viele Erklärungen". Deshalb schreitet er selbst zur Tat, erklärt Heisenberg und diskutiert ein paar zweifelhafte Positionen des Buches. Dabei imitiert er ausgesprochen ungehalten den erzählerischen Ton des Buches, und nimmt Interpretationen, die er fadenscheinig findet, hämisch auseinander. Dem Heisenberg-Biografen wird schließlich vorgeworfen, er perpetuiere die Bildungsvorstellungen der frühen deutschen Nachkriegsjahre, wenn er Heisenberg mit Goethe und Kant in Beziehung setzten wolle. Dabei hatte sich der Rezensent von diesem Buch eigentlich neue Erkenntnisse über den "späten Heisenberg" der "jungen Bundesrepublik" erhofft.
Rose: "Heisenberg und das Atomprojekt"
Auch Roses Buch betrachtet Arne Schirrmacher im wesentlichen als gescheitert. Er findet es zwar faktenreich, und auch die Charakterisierung Heisenbergs als Prototyp des Deutschen, dessen Mentalität den Antisemitismus und seine Folgen "gespeist" habe, leuchten ihm ein. Der Rezensent stößt sich allerdings an Roses an "Aversion" grenzende Skepsis, mit der Heisenberg beschrieben wird. Auch die im Buch vertretene "monokausale Hauptthese", Heisenberg habe nicht angenommen, eine Atombombe bauen zu können, hält Schirrmacher für widerlegt. Die deutsche Ausgabe des Buches habe die Polemik des Originals an manchen Stellen etwas entschärft. Das Nachwort gehe auf die Diskussionen der letzten Jahre nur oberflächlich ein. Für eine detailliertere Kritik verweist der Rezensent auf die Besprechung der amerikanischen Ausgabe in der "FAZ" vor zwei Jahren.
© Perlentaucher Medien GmbH
Fischer: "Heisenberg"
Besonders Ernst Peter Fischer verklärt Heisenberg nach Ansicht von Arne Schirrmacher zum Genie vom Range Mozarts oder Schuberts, und diese Verklärung, höhnt der Rezensent, "spart viele Erklärungen". Deshalb schreitet er selbst zur Tat, erklärt Heisenberg und diskutiert ein paar zweifelhafte Positionen des Buches. Dabei imitiert er ausgesprochen ungehalten den erzählerischen Ton des Buches, und nimmt Interpretationen, die er fadenscheinig findet, hämisch auseinander. Dem Heisenberg-Biografen wird schließlich vorgeworfen, er perpetuiere die Bildungsvorstellungen der frühen deutschen Nachkriegsjahre, wenn er Heisenberg mit Goethe und Kant in Beziehung setzten wolle. Dabei hatte sich der Rezensent von diesem Buch eigentlich neue Erkenntnisse über den "späten Heisenberg" der "jungen Bundesrepublik" erhofft.
Rose: "Heisenberg und das Atomprojekt"
Auch Roses Buch betrachtet Arne Schirrmacher im wesentlichen als gescheitert. Er findet es zwar faktenreich, und auch die Charakterisierung Heisenbergs als Prototyp des Deutschen, dessen Mentalität den Antisemitismus und seine Folgen "gespeist" habe, leuchten ihm ein. Der Rezensent stößt sich allerdings an Roses an "Aversion" grenzende Skepsis, mit der Heisenberg beschrieben wird. Auch die im Buch vertretene "monokausale Hauptthese", Heisenberg habe nicht angenommen, eine Atombombe bauen zu können, hält Schirrmacher für widerlegt. Die deutsche Ausgabe des Buches habe die Polemik des Originals an manchen Stellen etwas entschärft. Das Nachwort gehe auf die Diskussionen der letzten Jahre nur oberflächlich ein. Für eine detailliertere Kritik verweist der Rezensent auf die Besprechung der amerikanischen Ausgabe in der "FAZ" vor zwei Jahren.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.11.2001Der Teil und das Halbe
Zwei Biographien stanzen Heisenberg aus seiner Zeit heraus
Werner Heisenberg war der deutsche Wissenschaftler des zwanzigsten Jahrhunderts schlechthin. 1901 geboren, wurde er in den zwanziger Jahren, die für die theoretische Physik goldene waren, zu ihrem jugendlichen Helden. Die besten Jahre dieses Mannes fielen in die Zeit der Nazi-Diktatur. Bis hierhin wissen wir recht gut etwa durch Arbeiten von David Cassidy oder Mark Walker über Heisenbergs Leben und Forschen Bescheid. Sein Verhalten im Dritten Reich hat eine breite Öffentlichkeit beschäftigt. Die zweite Hälfte seines Forscherlebens war dem Aufbau der Physik im Nachkriegsdeutschland gewidmet. Über das weitgehende Scheitern seiner damaligen forschungspolitischen Entwürfe und physikalischen Ideen ist vergleichsweise wenig bekannt. Wer war diese Persönlichkeit der jungen Bundesrepublik, die das Orientierungsbedürfnis breiter Kreise der Nachkriegsgesellschaft befriedigen half? Leider bieten auch die beiden Bücher, die rechtzeitig zum hundertsten Geburtstag erschienen sind, wenig über den späten Heisenberg. Statt dessen interpretieren sie ihn auf völlig unterschiedliche Weise als Archetyp des Genies und des Deutschen.
Für Ernst Peter Fischer ist Heisenberg ein Genie vom Range Mozarts oder Schuberts: selbstvergessen, talentiert, mutig, bescheiden - und, wenn es wichtig wird, immer allein. Heisenberg hat den genialen Blick für die richtigen Lösungen, er nimmt das Ganze wahr, wenn die Details noch unklar sind. So auch auf Helgoland, wo er die Quantenmechanik entdeckt hat. Heisenberg hat uns 1969 alles aufgeschrieben in nachempfundenen platonischen Dialogen. Diese werden zitiert, wenn nötig seitenlang. Der Autor möchte uns den Urheber eines neuen Denkens näherbringen und uns davon überzeugen, wie wichtig ein gewisses Verständnis von der Naturwissenschaft, etwa von der Quantenphysik, für unsere Bildung ist. Heisenbergs Leistung, meint Fischer, sei zu groß, um durch Nebensächlichkeiten verstellt zu werden. Aber was ist, wenn der Kleinkram nicht zum Großen paßt?
Die Verklärung zum Genie spart viele Erklärungen. Heisenberg war stark im logischen Denken und in der theoretischen Physik, aber seine Wissenslücken in der Experimentalphysik hätten ihn fast den Doktortitel gekostet. Kann es nicht sein, daß gerade die Unbelastetheit von eingefahrenen experimentellen Meß- und Arbeitsformen der Vorgängergenerationen Physikern wie Heisenberg, Pauli und anderen geholfen hat, ihre kühnen theoretischen Ideen zur Quantentheorie zu artikulieren? Sie hatten nach dem Lehrprogramm ihrer Zeit gar kein übliches Studium durchlaufen, sondern waren frühzeitig in die aktuelle Forschung eingestiegen und wurden durch die Struktur der Forschungsförderung der frühen Weimarer Republik zu den ersten Wanderern zwischen den Zentren der Physik in München, Göttingen und Kopenhagen. Auch ein Genie muß zur rechten Zeit am rechten Ort sein. Die Physik der zwanziger Jahre war ein kollektives Unternehmen. Nur die Kombination des Wissens der verschiedenen Forschungszentren um Arnold Sommerfeld, Max Born und Niels Bohr hat die Quantenmechanik möglich gemacht.
Ein Genie, meint Fischer, kann nur in Freiheit gedeihen. 1933 sei Heisenbergs Kreativität verschwunden und er zu einer "Hülle" mutiert, in der ein "deutscher Beamter namens Heisenberg" steckte. Heisenberg setzte sich pflichtbewußt für seine Physik ein, nicht immer aber für die, die diese Physik betrieben. Fischer fragt nicht, ob es wirklich möglich war, 1935 "völlig unpolitisch" zu sein, wie er für Heisenberg reklamiert. Er suggeriert vielmehr, daß dieser von Anfang an wußte, daß das Regime zum Scheitern verurteilt sei, und er sich für den Wiederaufbau bereithalten wollte. Welche Bedeutung Heisenberg hierbei dann wirklich hatte, ist nicht Thema des Buches, wohl aber die Rolle des humanistischen Gelehrten und Philosophen, die er übernahm.
Ausführlich widmet sich der Autor Heisenbergs Philosophie, denn es stünde besser um die Bildung, wenn wir vermehrt Heisenbergs allgemeinverständliche Schriften läsen. Die Behauptung, daß die Philosophen sie nicht zur Kenntnis genommen hätten, erweist sich indes als problematisch. Zum einen ist unklar, wie originär Heisenbergs Ideen wirklich waren, finden sie sich doch häufig auch in Schriften anderer Physiker aus dieser Zeit oder spiegeln seine Sozialisierung in der Jugendbewegung. Wenn Heisenberg 1942 den Zweiten Weltkrieg als Erscheinung des "biologischen Prozesses" ansieht, der sich aus dem "Geist der Zeiten" ergibt, welcher nicht von Menschen gemacht würde, dann erscheint seine Schrift "Ordnung der Wirklichkeit" eher als Zeitdokument denn als überzeitliches philosophisches Werk. Zum anderen interessieren sich Philosophen durchaus dafür, wie etwa ein Buch von Catherine Chevalley belegt. Wer aber Heisenberg mit Goethe und Kant in Beziehung setzen möchte, statt ihn in seinen historischen Kontext zu stellen, perpetuiert die Bildungsvorstellungen der frühen deutschen Nachkriegskultur.
Auf gänzlich andere Art und Weise verbindet Paul Lawrence Rose Heisenberg mit Luther, Kant und Wagner. Sie stünden für eine besondere Mentalität der Deutschen, aus der sich der Antisemitismus und seine Folgen speisten. Daß Rose mit seiner Skepsis und gar Aversion bei seinem dennoch faktenreichen Buch scheitert, ist schon anläßlich der amerikanischen Ausgabe bemerkt worden (F.A.Z. vom 11. März 1999). Leider geht die deutsche Ausgabe, deren Polemik an einigen Stellen etwas entschärft wurde, auf die Diskussion der letzten Jahre nur oberflächlich in einem Nachwort ein. Die monokausale Hauptthese des Buches, daß Heisenberg sich verrechnet hätte und deshalb annahm, keine Atombombe bauen zu können, kann als widerlegt angesehen werden. Der Brief, in dem er angeblich eine bewußte Fälschung seiner Rechnung behauptete, ist nun nicht mehr auffindbar. Wie bei Fischer für die Erfolge der Physik wird Heisenberg bei Rose für ihr Scheitern allein verantwortlich gemacht. Der kollektive Charakter der Physik im zwanzigsten Jahrhundert wird ebensowenig gesehen wie die Tatsache, daß das deutsche Nuklearprogramm eines mit mehreren Köpfen war, gerade in der Polykratie des NS-Staats.
ARNE SCHIRRMACHER
Ernst Peter Fischer: "Werner Heisenberg". Das selbstvergessene Genie. Piper Verlag, München 2001. 286 S., Abb., geb., 44,- DM.
Paul Lawrence Rose: "Heisenberg und das Atombombenprojekt der Nazis". Aus dem Amerikanischen von Angelika Beck. Pendo Verlag, Zürich, München 2001. 504 S., Abb., geb., 58,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwei Biographien stanzen Heisenberg aus seiner Zeit heraus
Werner Heisenberg war der deutsche Wissenschaftler des zwanzigsten Jahrhunderts schlechthin. 1901 geboren, wurde er in den zwanziger Jahren, die für die theoretische Physik goldene waren, zu ihrem jugendlichen Helden. Die besten Jahre dieses Mannes fielen in die Zeit der Nazi-Diktatur. Bis hierhin wissen wir recht gut etwa durch Arbeiten von David Cassidy oder Mark Walker über Heisenbergs Leben und Forschen Bescheid. Sein Verhalten im Dritten Reich hat eine breite Öffentlichkeit beschäftigt. Die zweite Hälfte seines Forscherlebens war dem Aufbau der Physik im Nachkriegsdeutschland gewidmet. Über das weitgehende Scheitern seiner damaligen forschungspolitischen Entwürfe und physikalischen Ideen ist vergleichsweise wenig bekannt. Wer war diese Persönlichkeit der jungen Bundesrepublik, die das Orientierungsbedürfnis breiter Kreise der Nachkriegsgesellschaft befriedigen half? Leider bieten auch die beiden Bücher, die rechtzeitig zum hundertsten Geburtstag erschienen sind, wenig über den späten Heisenberg. Statt dessen interpretieren sie ihn auf völlig unterschiedliche Weise als Archetyp des Genies und des Deutschen.
Für Ernst Peter Fischer ist Heisenberg ein Genie vom Range Mozarts oder Schuberts: selbstvergessen, talentiert, mutig, bescheiden - und, wenn es wichtig wird, immer allein. Heisenberg hat den genialen Blick für die richtigen Lösungen, er nimmt das Ganze wahr, wenn die Details noch unklar sind. So auch auf Helgoland, wo er die Quantenmechanik entdeckt hat. Heisenberg hat uns 1969 alles aufgeschrieben in nachempfundenen platonischen Dialogen. Diese werden zitiert, wenn nötig seitenlang. Der Autor möchte uns den Urheber eines neuen Denkens näherbringen und uns davon überzeugen, wie wichtig ein gewisses Verständnis von der Naturwissenschaft, etwa von der Quantenphysik, für unsere Bildung ist. Heisenbergs Leistung, meint Fischer, sei zu groß, um durch Nebensächlichkeiten verstellt zu werden. Aber was ist, wenn der Kleinkram nicht zum Großen paßt?
Die Verklärung zum Genie spart viele Erklärungen. Heisenberg war stark im logischen Denken und in der theoretischen Physik, aber seine Wissenslücken in der Experimentalphysik hätten ihn fast den Doktortitel gekostet. Kann es nicht sein, daß gerade die Unbelastetheit von eingefahrenen experimentellen Meß- und Arbeitsformen der Vorgängergenerationen Physikern wie Heisenberg, Pauli und anderen geholfen hat, ihre kühnen theoretischen Ideen zur Quantentheorie zu artikulieren? Sie hatten nach dem Lehrprogramm ihrer Zeit gar kein übliches Studium durchlaufen, sondern waren frühzeitig in die aktuelle Forschung eingestiegen und wurden durch die Struktur der Forschungsförderung der frühen Weimarer Republik zu den ersten Wanderern zwischen den Zentren der Physik in München, Göttingen und Kopenhagen. Auch ein Genie muß zur rechten Zeit am rechten Ort sein. Die Physik der zwanziger Jahre war ein kollektives Unternehmen. Nur die Kombination des Wissens der verschiedenen Forschungszentren um Arnold Sommerfeld, Max Born und Niels Bohr hat die Quantenmechanik möglich gemacht.
Ein Genie, meint Fischer, kann nur in Freiheit gedeihen. 1933 sei Heisenbergs Kreativität verschwunden und er zu einer "Hülle" mutiert, in der ein "deutscher Beamter namens Heisenberg" steckte. Heisenberg setzte sich pflichtbewußt für seine Physik ein, nicht immer aber für die, die diese Physik betrieben. Fischer fragt nicht, ob es wirklich möglich war, 1935 "völlig unpolitisch" zu sein, wie er für Heisenberg reklamiert. Er suggeriert vielmehr, daß dieser von Anfang an wußte, daß das Regime zum Scheitern verurteilt sei, und er sich für den Wiederaufbau bereithalten wollte. Welche Bedeutung Heisenberg hierbei dann wirklich hatte, ist nicht Thema des Buches, wohl aber die Rolle des humanistischen Gelehrten und Philosophen, die er übernahm.
Ausführlich widmet sich der Autor Heisenbergs Philosophie, denn es stünde besser um die Bildung, wenn wir vermehrt Heisenbergs allgemeinverständliche Schriften läsen. Die Behauptung, daß die Philosophen sie nicht zur Kenntnis genommen hätten, erweist sich indes als problematisch. Zum einen ist unklar, wie originär Heisenbergs Ideen wirklich waren, finden sie sich doch häufig auch in Schriften anderer Physiker aus dieser Zeit oder spiegeln seine Sozialisierung in der Jugendbewegung. Wenn Heisenberg 1942 den Zweiten Weltkrieg als Erscheinung des "biologischen Prozesses" ansieht, der sich aus dem "Geist der Zeiten" ergibt, welcher nicht von Menschen gemacht würde, dann erscheint seine Schrift "Ordnung der Wirklichkeit" eher als Zeitdokument denn als überzeitliches philosophisches Werk. Zum anderen interessieren sich Philosophen durchaus dafür, wie etwa ein Buch von Catherine Chevalley belegt. Wer aber Heisenberg mit Goethe und Kant in Beziehung setzen möchte, statt ihn in seinen historischen Kontext zu stellen, perpetuiert die Bildungsvorstellungen der frühen deutschen Nachkriegskultur.
Auf gänzlich andere Art und Weise verbindet Paul Lawrence Rose Heisenberg mit Luther, Kant und Wagner. Sie stünden für eine besondere Mentalität der Deutschen, aus der sich der Antisemitismus und seine Folgen speisten. Daß Rose mit seiner Skepsis und gar Aversion bei seinem dennoch faktenreichen Buch scheitert, ist schon anläßlich der amerikanischen Ausgabe bemerkt worden (F.A.Z. vom 11. März 1999). Leider geht die deutsche Ausgabe, deren Polemik an einigen Stellen etwas entschärft wurde, auf die Diskussion der letzten Jahre nur oberflächlich in einem Nachwort ein. Die monokausale Hauptthese des Buches, daß Heisenberg sich verrechnet hätte und deshalb annahm, keine Atombombe bauen zu können, kann als widerlegt angesehen werden. Der Brief, in dem er angeblich eine bewußte Fälschung seiner Rechnung behauptete, ist nun nicht mehr auffindbar. Wie bei Fischer für die Erfolge der Physik wird Heisenberg bei Rose für ihr Scheitern allein verantwortlich gemacht. Der kollektive Charakter der Physik im zwanzigsten Jahrhundert wird ebensowenig gesehen wie die Tatsache, daß das deutsche Nuklearprogramm eines mit mehreren Köpfen war, gerade in der Polykratie des NS-Staats.
ARNE SCHIRRMACHER
Ernst Peter Fischer: "Werner Heisenberg". Das selbstvergessene Genie. Piper Verlag, München 2001. 286 S., Abb., geb., 44,- DM.
Paul Lawrence Rose: "Heisenberg und das Atombombenprojekt der Nazis". Aus dem Amerikanischen von Angelika Beck. Pendo Verlag, Zürich, München 2001. 504 S., Abb., geb., 58,- DM.
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