Werner Remmers (1930-2011) hat politisches Engagement mit christlichem Glauben auf eine Weise verbunden, die für viele Menschen neu, ansteckend und attraktiv war. Er verkörperte einen frommen und zugleich weltoffenen Katholizismus, der eine Aufbruchsstimmung in die Kirche und in die Politik tragen wollte. Es war ihm wichtig, alte Schemata zu durchbrechen, auch den politischen Gegner anzuhören und zu verstehen. Indem es ihm gelang, die CDU für neue Themen und Positionen zu öffnen, hat er seine Partei nachhaltig geprägt. Eine besondere Bedeutung hatten dabei die Besinnungstage, zu denen der langjährige niedersächsische Landesminister und Akademiedirektor einmal im Jahr Politiker in das Eifel-Kloster Maria Laach einlud. Zu dem einflussreichen Freundeskreis, der sich um Werner Remmers bildete, zählen u.a. Norbert Lammert, Annette Schavan und Christian Wulff.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.02.2012Kohl geschreckt, Wulff entdeckt
Der niedersächsische CDU-Politiker Werner Remmers und seine katholischen Wurzeln
Der im März 2011 verstorbene Werner Remmers - fast drei Jahrzehnte lang aktiver CDU-Politiker in Niedersachsen - zählte als Kultus- und Umweltminister zu den Stützen der Regierungen von Ernst Albrecht. Vor seinem Einstieg in die Politik leitete Remmers die von ihm gegründete und nach Ludwig Windthorst, Otto von Bismarcks parlamentarischem Gegenspieler, benannte Akademie der Diözese Osnabrück in Lingen-Holthausen. Und von 1991 an dirigierte er noch sieben Jahre lang die Katholische Akademie in Berlin, für deren Errichtung er die entsprechende "Steilvorlage des lieben Gottes" resolut aufnahm. Mit der Schilderung dieser letzten beruflichen Etappe beginnt Volker Resings Biographie.
Das einleitende Kapitel "Remmers heute. Spurensuche in Berlin" beruht überwiegend auf Einschätzungen des am vergangenen Freitag zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff ("trinkt gerne Latte Macchiato"), den Remmers 1992 durch einen gelungenen Coup zu einem politischen "Kometen" am Himmel des Emslandes hochgeschossen habe. Wulff nennt Remmers, nicht etwa Helmut Kohl, seinen "politischen Ziehvater" und "vielleicht sogar auf persönlicher Ebene eine Art Ziehvater". Resing beschreibt an den Unterschieden wie an den Parallelen der beiden, auch in ihrer Katholizität "so verschiedenen Politiker" Remmers und Wulff die auf den Umbruch der politischen Kultur folgende Säkularisierung der Union in den vergangenen Jahrzehnten. Dabei kann er sich auf seine Merkel-Biographie von 2009 stützen.
Inzwischen sind die Modernisierungsimpulse der "Generation Remmers" selbst bereits Geschichte, deren Ergebnis Autor Resing "an Merkel und Wulff" würdigt. Dazu heißt es im Vorwort der Bundeskanzlerin, dass der durch seine "katholischen Wurzeln" geprägte Remmers dazu beigetragen habe, "die CDU zukunftsfähig zu halten". Der Reformer und Denker wirke über den Tod hinaus durch seine politischen "Ziehkinder" weiter, die er begeistert und gefördert habe, "und die heute zahlreiche wichtige politische Funktionen bekleiden". Nicht nur deren Namen weisen den Emsländer als begnadeten Netzwerker aus, "der alle hineinholte in eine gefühlte Gemeinsamkeit".
Der 1930 in Papenburg geborene Remmers verband schon früh "katholische Intellektualität" mit politischer Basisarbeit und blieb auch bei seinem sozialen Aufstieg in der dörflichen Gemeinschaft verwurzelt. Sein wissenschaftliches Rüstzeug erwarb er in Münster beim "Soziallehrer" Josef Höffner, der für ihn - neben Windthorst - Vorbild blieb. Die politische Karriere des promovierten Volkswirts begann 1967 mit dem Einzug in den Niedersächsischen Landtag, dem er 27 Jahre lang angehörte. Er trug dazu bei, dem "Westend der Republik" Selbstbewusstsein und wirtschaftliche Prosperität zu verschaffen. Dabei verband der Schnellredner und Querdenker von der Ems unaufdringlich-selbstverständliche Frömmigkeit mit schlagfertiger, geradezu "sprachverliebter Redegewandtheit" und Schelmenhaftigkeit.
Als Kultusminister in Hannover (ab 1976 ) machte der oft hemdsärmelig auftretende Christdemokrat sein Ressort zum "Zukunftslabor" der Union, nicht selten gegen innerparteiliche Ablehnung des "Störenfrieds". Der "Visionär" setzte eine Oberstufenreform durch und bekannte sich zur Gesamt- und Ganztagsschule. Seine vielgerühmte Spruchweisheit erschien bereits 1981 in Buchform. Das Zusammenspiel mit dem protestantischen "und eher aristokratischen" Ministerpräsidenten Albrecht förderte den Zusammenhalt der Union auch im Bundesrat.
Im Vorsitz der CDU-Landtagsfraktion (ab 1982) fühlte sich Remmers entschieden weniger glücklich denn als gestaltender Ressortchef. Nach Resings Urteil sind sich der "gerne polternde" Kohl und der gleichaltrige emsländische Dickkopf fremd geblieben, der allerdings keineswegs immer "so fein am Mittelstreifen entlang" fuhr, wie er es zu tun glaubte. Denn Remmers liebte politische Gedankenspiele, konnte von ihnen aber auch rasch wieder abrücken und galt deswegen bisweilen als unberechenbar. Mit seiner "Kamin-Runde" hatte er schon früh eine undogmatische Ostpolitik unterstützt und für eine Annäherung an Polen geworben. Er lebte sie vor als Gründungsmitglied der Deutsch-Polnischen Gesellschaft und später im Vorsitz des Maximilian-Kolbe-Werks.
1986 berief Albrecht den quirligen Mitstreiter in sein letztes Kabinett als ersten Umweltminister (der jüngere Bruder Walter Remmers war damals Justizminister). Künftig verteidigte der "Atomminister" die Kernenergie, führte aber zugleich ein "Freiwilliges Ökologisches Jahr" ein. Als prominentes Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken scheute Remmers im Ringen um eine Modernisierung der "Gemeinschaft der Gläubigen" auch nicht die Konfrontation mit Bischöfen. Der Initiator und Leiter der Ludwig-Windthorst-Stiftung beeindruckte mit seiner Begeisterung für dessen Namensgeber, die "Perle von Meppen", selbst die Windthorst-Forschung. Remmers' letztes Lebensjahrzehnt war von schwerer Krankheit überschattet. Resing hat Leben und Werk dieses offensiven Vertreters der christlichen Demokratie con amore dargestellt, ohne sein flüssig geschriebenes Buch mit Belegen und einem Register zu belasten.
RUDOLF MORSEY
Volker Resing: Werner Remmers. Die Kraft des politischen Katholizismus. Mit einem Vorwort von Angela Merkel. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2. Auflage 2012. 160 S., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der niedersächsische CDU-Politiker Werner Remmers und seine katholischen Wurzeln
Der im März 2011 verstorbene Werner Remmers - fast drei Jahrzehnte lang aktiver CDU-Politiker in Niedersachsen - zählte als Kultus- und Umweltminister zu den Stützen der Regierungen von Ernst Albrecht. Vor seinem Einstieg in die Politik leitete Remmers die von ihm gegründete und nach Ludwig Windthorst, Otto von Bismarcks parlamentarischem Gegenspieler, benannte Akademie der Diözese Osnabrück in Lingen-Holthausen. Und von 1991 an dirigierte er noch sieben Jahre lang die Katholische Akademie in Berlin, für deren Errichtung er die entsprechende "Steilvorlage des lieben Gottes" resolut aufnahm. Mit der Schilderung dieser letzten beruflichen Etappe beginnt Volker Resings Biographie.
Das einleitende Kapitel "Remmers heute. Spurensuche in Berlin" beruht überwiegend auf Einschätzungen des am vergangenen Freitag zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff ("trinkt gerne Latte Macchiato"), den Remmers 1992 durch einen gelungenen Coup zu einem politischen "Kometen" am Himmel des Emslandes hochgeschossen habe. Wulff nennt Remmers, nicht etwa Helmut Kohl, seinen "politischen Ziehvater" und "vielleicht sogar auf persönlicher Ebene eine Art Ziehvater". Resing beschreibt an den Unterschieden wie an den Parallelen der beiden, auch in ihrer Katholizität "so verschiedenen Politiker" Remmers und Wulff die auf den Umbruch der politischen Kultur folgende Säkularisierung der Union in den vergangenen Jahrzehnten. Dabei kann er sich auf seine Merkel-Biographie von 2009 stützen.
Inzwischen sind die Modernisierungsimpulse der "Generation Remmers" selbst bereits Geschichte, deren Ergebnis Autor Resing "an Merkel und Wulff" würdigt. Dazu heißt es im Vorwort der Bundeskanzlerin, dass der durch seine "katholischen Wurzeln" geprägte Remmers dazu beigetragen habe, "die CDU zukunftsfähig zu halten". Der Reformer und Denker wirke über den Tod hinaus durch seine politischen "Ziehkinder" weiter, die er begeistert und gefördert habe, "und die heute zahlreiche wichtige politische Funktionen bekleiden". Nicht nur deren Namen weisen den Emsländer als begnadeten Netzwerker aus, "der alle hineinholte in eine gefühlte Gemeinsamkeit".
Der 1930 in Papenburg geborene Remmers verband schon früh "katholische Intellektualität" mit politischer Basisarbeit und blieb auch bei seinem sozialen Aufstieg in der dörflichen Gemeinschaft verwurzelt. Sein wissenschaftliches Rüstzeug erwarb er in Münster beim "Soziallehrer" Josef Höffner, der für ihn - neben Windthorst - Vorbild blieb. Die politische Karriere des promovierten Volkswirts begann 1967 mit dem Einzug in den Niedersächsischen Landtag, dem er 27 Jahre lang angehörte. Er trug dazu bei, dem "Westend der Republik" Selbstbewusstsein und wirtschaftliche Prosperität zu verschaffen. Dabei verband der Schnellredner und Querdenker von der Ems unaufdringlich-selbstverständliche Frömmigkeit mit schlagfertiger, geradezu "sprachverliebter Redegewandtheit" und Schelmenhaftigkeit.
Als Kultusminister in Hannover (ab 1976 ) machte der oft hemdsärmelig auftretende Christdemokrat sein Ressort zum "Zukunftslabor" der Union, nicht selten gegen innerparteiliche Ablehnung des "Störenfrieds". Der "Visionär" setzte eine Oberstufenreform durch und bekannte sich zur Gesamt- und Ganztagsschule. Seine vielgerühmte Spruchweisheit erschien bereits 1981 in Buchform. Das Zusammenspiel mit dem protestantischen "und eher aristokratischen" Ministerpräsidenten Albrecht förderte den Zusammenhalt der Union auch im Bundesrat.
Im Vorsitz der CDU-Landtagsfraktion (ab 1982) fühlte sich Remmers entschieden weniger glücklich denn als gestaltender Ressortchef. Nach Resings Urteil sind sich der "gerne polternde" Kohl und der gleichaltrige emsländische Dickkopf fremd geblieben, der allerdings keineswegs immer "so fein am Mittelstreifen entlang" fuhr, wie er es zu tun glaubte. Denn Remmers liebte politische Gedankenspiele, konnte von ihnen aber auch rasch wieder abrücken und galt deswegen bisweilen als unberechenbar. Mit seiner "Kamin-Runde" hatte er schon früh eine undogmatische Ostpolitik unterstützt und für eine Annäherung an Polen geworben. Er lebte sie vor als Gründungsmitglied der Deutsch-Polnischen Gesellschaft und später im Vorsitz des Maximilian-Kolbe-Werks.
1986 berief Albrecht den quirligen Mitstreiter in sein letztes Kabinett als ersten Umweltminister (der jüngere Bruder Walter Remmers war damals Justizminister). Künftig verteidigte der "Atomminister" die Kernenergie, führte aber zugleich ein "Freiwilliges Ökologisches Jahr" ein. Als prominentes Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken scheute Remmers im Ringen um eine Modernisierung der "Gemeinschaft der Gläubigen" auch nicht die Konfrontation mit Bischöfen. Der Initiator und Leiter der Ludwig-Windthorst-Stiftung beeindruckte mit seiner Begeisterung für dessen Namensgeber, die "Perle von Meppen", selbst die Windthorst-Forschung. Remmers' letztes Lebensjahrzehnt war von schwerer Krankheit überschattet. Resing hat Leben und Werk dieses offensiven Vertreters der christlichen Demokratie con amore dargestellt, ohne sein flüssig geschriebenes Buch mit Belegen und einem Register zu belasten.
RUDOLF MORSEY
Volker Resing: Werner Remmers. Die Kraft des politischen Katholizismus. Mit einem Vorwort von Angela Merkel. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2. Auflage 2012. 160 S., 14,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Kein Zweifel für Rudolf Morsey: Volker Resing hat seine Biografie über den streitbaren niedersächsischen CDU-Mann Werner Remmers mit Liebe geschrieben. Dass der Autor dafür auf Belege und Register verzichtet, findet Morsey dagegen weniger verzeihlich. So sehr ihm die Vita des christlich demokratischen Visionärs, des Leiters der Windthorst-Stiftung und des Gründungsmitglieds der Deutsch-Polnischen Gesellschaft auch imponiert und so sehr er Resings Parallelisierung von Biografie und Modernisierung der Union schätzt – der flüssigen Schreibe des Buches, scheint er zu sagen, hätte ein Anhang wohl auch nicht geschadet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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