Wernher von Braun war zeit seines Lebens von dem Traum beseelt, zum Mond zu fliegen und die dafür erforderliche Großrakete zu konstruieren. Um dieses Ziel zu verwirklichen, hat er vorrangig Militärraketen entwickelt, zunächst in Deutschland die "V2", dann in den USA die atomar bestückte "Redstone". Er war bereit, sich in den Dienst verschiedener Mächte zu stellen, wenn diese ihm die Mittel verschafften, die er für die Verfolgung seiner Vision benötigte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.04.2000Selbst Faust
WERNHER VON BRAUN stieg erstaunlich rasch an die Spitze der deutschen Raketenforschung. Kaum dreißigjährig, entwickelte er Hitlers Terrorwaffe V2. Bei Kriegsende lief er zu den Amerikanern über und verhalf fortan deren Raumfahrt auf den Weg zum Mond. Diesen Sprung von der Diktatur in die Demokratie führt Johannes Weyer auf reines Kalkül zurück. Der Bielefelder Soziologe schildert Braun als einen zwar idealistischen, aber notorisch eigennützigen Technokraten, der stets der Politik diente und sich ihr zugleich enthielt. Er sei kein überzeugter Nazi, allenfalls "indifferent-konservativ" gewesen, ausgestattet mit einem enormen Selbstbewusstsein und befeuert vom "unbedingten Glauben an die Vision, für die er alles zu tun bereit war". Um seinem Traum vom Flug ins All ein Stück näher zu kommen, habe er den Tod tausender KZ-Häftlinge bei der unterirdischen Raketenfertigung hingenommen. Weyer widmet sich ausführlich dem folgenschweren Tauschgeschäft, das von Braun als Technischer Direktor von Peenemünde einging: Die Nazis stellten ihm Forschungsmittel bereit und erhielten dafür die ersehnte "Wunderwaffe". Gleichwohl verkennt der Verfasser das faustische Element im Drama vom hoch begabten Wissenschaftler, der ehrgeizig, visionär und mithin verführbar war. Die exzentrischen, nachgerade künstlerischen Züge und der von frühem Ruhm angestachelte kaltblütige Pioniergeist Brauns sind Weyer nicht geheuer. Seine Befunde wirken holzschnittartig, wie von interesselosem Unbehagen geleitet. Ein "Egozentriker und Opportunist" sei von Braun gewesen, der sich "problemlos mit einer Diktatur arrangieren" konnte, solange er über ein eigenes Flugzeug, ein Segelboot, eine Villa und ein hohes Einkommen verfügte. "Das Nazi-Regime war ab Sommer 1944 jedoch zunehmend außerstande, von Braun dieses Leben in Luxus und Freiheit zu ermöglichen. Deshalb ging er auf Distanz zum Regime und begann, sich nach einer Alternative umzusehen." Das Rätsel Wernher von Brauns aber handelt weniger von politischen Systemen als von wissenschaftlicher Hybris. Der altbekannte Verdacht des Karrierismus vermag denn auch nicht erschöpfend zu erklären, wie er sich zum Hitler-Staat verhielt und warum er sich im Mai 1945 in die Vereinigten Staaten absetzte. Anstatt den widersprüchlichen Charakter gegen die Zeitumstände abzuwägen, fertigt Weyer Braun rigoros ab. Etwas weniger scharfe Konturen und dafür mehr Zwischentöne hätten dem Portrait nicht geschadet. (Johannes Weyer: Wernher von Braun. Rowohlts Monographien. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999. 160 Seiten, Tabellen und Abbildungen, 12,80 Mark.)
TOBIAS RÜTHER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
WERNHER VON BRAUN stieg erstaunlich rasch an die Spitze der deutschen Raketenforschung. Kaum dreißigjährig, entwickelte er Hitlers Terrorwaffe V2. Bei Kriegsende lief er zu den Amerikanern über und verhalf fortan deren Raumfahrt auf den Weg zum Mond. Diesen Sprung von der Diktatur in die Demokratie führt Johannes Weyer auf reines Kalkül zurück. Der Bielefelder Soziologe schildert Braun als einen zwar idealistischen, aber notorisch eigennützigen Technokraten, der stets der Politik diente und sich ihr zugleich enthielt. Er sei kein überzeugter Nazi, allenfalls "indifferent-konservativ" gewesen, ausgestattet mit einem enormen Selbstbewusstsein und befeuert vom "unbedingten Glauben an die Vision, für die er alles zu tun bereit war". Um seinem Traum vom Flug ins All ein Stück näher zu kommen, habe er den Tod tausender KZ-Häftlinge bei der unterirdischen Raketenfertigung hingenommen. Weyer widmet sich ausführlich dem folgenschweren Tauschgeschäft, das von Braun als Technischer Direktor von Peenemünde einging: Die Nazis stellten ihm Forschungsmittel bereit und erhielten dafür die ersehnte "Wunderwaffe". Gleichwohl verkennt der Verfasser das faustische Element im Drama vom hoch begabten Wissenschaftler, der ehrgeizig, visionär und mithin verführbar war. Die exzentrischen, nachgerade künstlerischen Züge und der von frühem Ruhm angestachelte kaltblütige Pioniergeist Brauns sind Weyer nicht geheuer. Seine Befunde wirken holzschnittartig, wie von interesselosem Unbehagen geleitet. Ein "Egozentriker und Opportunist" sei von Braun gewesen, der sich "problemlos mit einer Diktatur arrangieren" konnte, solange er über ein eigenes Flugzeug, ein Segelboot, eine Villa und ein hohes Einkommen verfügte. "Das Nazi-Regime war ab Sommer 1944 jedoch zunehmend außerstande, von Braun dieses Leben in Luxus und Freiheit zu ermöglichen. Deshalb ging er auf Distanz zum Regime und begann, sich nach einer Alternative umzusehen." Das Rätsel Wernher von Brauns aber handelt weniger von politischen Systemen als von wissenschaftlicher Hybris. Der altbekannte Verdacht des Karrierismus vermag denn auch nicht erschöpfend zu erklären, wie er sich zum Hitler-Staat verhielt und warum er sich im Mai 1945 in die Vereinigten Staaten absetzte. Anstatt den widersprüchlichen Charakter gegen die Zeitumstände abzuwägen, fertigt Weyer Braun rigoros ab. Etwas weniger scharfe Konturen und dafür mehr Zwischentöne hätten dem Portrait nicht geschadet. (Johannes Weyer: Wernher von Braun. Rowohlts Monographien. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999. 160 Seiten, Tabellen und Abbildungen, 12,80 Mark.)
TOBIAS RÜTHER
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Abgefertigt" wird Wernher von Braun hier, kritisiert Tobias Rüther in seiner kurzen Besprechung dieser Monographie. Weyers Darstellung sei "holzschnittartig" und werde der Person des Physikers und Raketenbauers nicht gerecht, weil er diese zum bloßen Karrierist - erst bei den Nazis, dann bei den Amerikanern - zurechtstutze. Was dem Rezensensten fehlt, ist ein vorsichtigeres Abwägen der Zeitumstände und "Zwischentöne", statt der "scharfen Konturen", mit denen Weyer sein Porträt gemalt hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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