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Der Status der Bundesrepublik Deutschland als Nichtkernwaffenstaat und ihre faktische Position in der nuklearen Weltordnung zur Zeit des Ost-West-Konflikts standen in einem Spannungsverhältnis zueinander. Dies zeigt auch die Geschichte der nuklearen Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er und 1970er Jahren, die Andreas Lutsch in diesem Buch analysiert.
Welche Interessen verfolgte Deutschland in Bezug auf die westliche Nuklearstrategie und die nukleare Rüstungskontrollpolitik, ohne Atommacht werden zu wollen? Wie veränderten sich Positionen, Ziele und
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Produktbeschreibung
Der Status der Bundesrepublik Deutschland als Nichtkernwaffenstaat und ihre faktische Position in der nuklearen Weltordnung zur Zeit des Ost-West-Konflikts standen in einem Spannungsverhältnis zueinander. Dies zeigt auch die Geschichte der nuklearen Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er und 1970er Jahren, die Andreas Lutsch in diesem Buch analysiert.

Welche Interessen verfolgte Deutschland in Bezug auf die westliche Nuklearstrategie und die nukleare Rüstungskontrollpolitik, ohne Atommacht werden zu wollen? Wie veränderten sich Positionen, Ziele und Interessendefinitionen in der deutschen nuklearen Sicher heitspolitik? Wie wurden die deutschen Interessen von den USA eingeschätzt? Wie entwickelte sich die Position der Bundes republik in der NATO? Und welche Rolle spielte Ihr Status als Nichtkernwaffenstaat? Diesen Fragen zur deutschen »Nukleardiplo matie« geht der Autor multiarchivarisch abgestützt auf den Grund.

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Autorenporträt
Andreas Lutsch, Universität Würzburg, Deutschland.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2020

Fast alles schon einmal dagewesen
Eine wichtige Erinnerung an die nukleare Sicherheitspolitik der "alten" Bundesrepublik

Vor dem Hintergrund der wachsenden Skepsis bezüglich der Bündnistreue der Vereinigten Staaten unter Donald Trump und des angespannten sicherheitspolitischen Verhältnisses zu Russland inklusive konventioneller wie nuklearer Aufrüstung und Kündigung bzw. Gefährdung von Abrüstungsverträgen wie INF oder START mag sich manch ein Beobachter heute an die 1980er Jahre und die Nato-Nachrüstungsdebatte erinnert fühlen. Nicht umsonst ist zunehmend vom "Kalten Krieg 2.0" die Rede, der sich nicht nur auf die Beziehungen Amerikas zu China, sondern wahlweise auch auf diejenigen der Nato zu Russland bezieht. Letzteres erscheint umso gravierender, als Russland mit rund 6500 und die Vereinigten Saaten mit knapp 6200 nuklearen Sprengköpfen noch immer über mehrfache globale Overkill-Kapazitäten verfügen. Angesichts der immer wieder geäußerten drohenden Hinweise Russlands auf die eigenen atomaren Fähigkeiten, der Modernisierungsanstrengungen praktisch aller Atommächte und des drängender werdenden Problems der nuklearen Proliferation kann man behaupten, dass die nuklearstrategische Komponente der Sicherheitspolitik auch für Deutschland wieder klar auf der Agenda steht. Dies gilt, obwohl diese bis auf gelegentliche Proteste gegen die verbliebenen amerikanischen Atombomben auf deutschem Boden (in Büchel in der Eifel) und sporadischen Strohfeuer-Forderungen vereinzelter Wissenschaftler nach deutschen Nuklearwaffen öffentlich kaum thematisiert wird.

Umso spannender ist es, daran erinnert zu werden, dass die Frage nach der direkten oder indirekten Verfügung über Nuklearwaffen für die Bundesrepublik praktisch seit der Wiedererlangung der Souveränität durch den Deutschland-Vertrag und den damit verbundenen Beitritt zum westlichen Bündnis 1955 ein zentrales Element sicherheitspolitischer Diskussionen und Aktivitäten war. Andreas Lutsch legt hierzu eine opulente Dissertation vor. Die Arbeit versteht sich als Beitrag zur "New International Nuclear History", einem Forschungsfeld in der historischen Forschung zu den internationalen Beziehungen, das seit rund einem Jahrzehnt auf der Basis neu erschlossenen Archivmaterials, internationaler Vergleichsstudien und stärkerer Einbeziehung technologischer und sozialwissenschaftlicher Ansätze und Inhalte die nuklearstrategische und -politische Seite insbesondere des Kalten Krieges neu beleuchten will. Dies ist gerade im deutschsprachigen Raum von besonderer Bedeutung, denn hierzulande ist das Feld der Strategic History als Teil transdisziplinärer Strategic Studies bislang deutlich unterentwickelt.

Andreas Lutsch schlägt in der materialreichen Studie den Bogen von den grundsätzlichen geopolitischen Problemen der Bundesrepublik im Kalten Krieg über die Ausgestaltung der "nuklearen Weltordnung" der 1950er bis 1970er Jahre bis hin zur evolutionären Positionierung der westdeutschen Regierungen und Regierungskoalitionen gegenüber der Nato-Nuklearstrategie, der Proliferationsproblematik und der militärischen wie politischen Abhängigkeit der BRD als Nichtatomwaffenstaat von den drei Nuklearmächten der Nato, allen voran den Vereinigten Staaten. Der aus strategie- und diplomatiegeschichtlicher Perspektive betrachtete Zeitraum fokussiert auf der Basis einer konzisen und klugen Darstellung der strategietheoretischen wie militärpolitischen Grundlagen des Kriegsbildes im Nuklearzeitalter und der Nato-Abschreckung auf die Periode von 1957 bis zum Nato-Doppelbeschluss 1979. Prägend für die Sicherheitspolitik war in dieser Phase das "nukleare Dilemma der Bundesrepublik", welches sich auf die durch die militärgeographische Exponiertheit verstärkte, existentielle Bedrohung durch die Sowjetunion, die Abhängigkeit von der "erweiterten nuklearen Abschreckung" (extended nuclear deterrence, END) der Vereinigten Staaten und der damit verbundenen Nichtverfügung über eigene Atomwaffen gründete. Dieses Dilemma führte dazu, "dass die Bundesrepublik einstweilen, de facto aber dauerhaft auf die nationale Kernwaffenkontrolle verzichtet hat" und stattdessen einen - wie Lutsch es nennt - "limitierten nuklearen Revisionismus" verfolgte, der darin bestand, "ihre Position und ihren Einfluss in der nuklearen Weltordnung inkrementell und auf zweifach limitierte Weise auszubauen: erstens im Rahmen der Allianz mit den USA und der Nato und zweitens ohne Atommacht zu werden". Ein Fazit der Arbeit lautet daher, dass "weder eine Entscheidung noch eine Präferenz der Bundesregierung nachweisbar [ist], die Abhängigkeit von der US-END durch den Zusatz einer deutschen Nuklearbewaffnung zu verringern".

Dabei arbeitet der Verfasser gleichwohl verschiedene Punkte heraus, welche, selbst wenn sie letztlich keine wirklich fundamentale Neuinterpretation der Geschichte der nuklearen Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er und 1970er Jahren sind, durchaus zu einer Differenzierung und teilweisen Korrektur dieses etablierten Bildes der Bundesrepublik als nichtnuklearer Bündnispartner in der Nato beitragen. So erinnert Lutsch daran, dass die bundesdeutsche Verfügung über Atomwaffen keineswegs von vorneherein ausgeschlossen war, untersagten die völkerrechtlichen Bestimmungen im Rahmen der Pariser Verträge 1955 der Bundesrepublik doch lediglich, "in ihrem Gebiet ( . . . ) Atomwaffen ( . . . ) herzustellen". Dies eröffnete die zumindest theoretische Möglichkeit, Nuklearwaffen von Dritten zu erwerben oder im Ernstfall zur Verfügung gestellt zu bekommen, damit sie von der Bundeswehr eingesetzt werden könnten. Der damit keineswegs vollkommene Ausschluss einer nuklearen Bewaffnung der Bundesrepublik führte in der Folge zu verschiedenen Versuchen, die nukleare Teilhabe zu intensivieren, deren Höhepunkt das Projekt der Multilateral Force (MLF) Anfang der 1960er Jahre war.

Dass die Bundesregierung durchaus ein sehr großes Interesse daran hatte, wenn nicht selbst Atommacht zu werden, so doch ein Mitspracherecht bezüglich eines Nuklearwaffeneinsatzes zu haben, zeigt sich in den 1960er Jahren immer wieder, damals interessanterweise weniger aus Sorge um eine atomare Verwüstung Mitteleuropas als vielmehr zur Gewährleistung eines "aus US-Sicht sehr frühzeitigen - aus deutscher Sicht rechtzeitigen - selektiven" Ersteinsatzes taktischer Nuklearwaffen, um einen Aggressor schnell zum Einhalten zu bewegen: Die Deutschen hielten "eisern am Prinzip der nuklearen Abschreckung . . . und an der Androhung des defensiven selektiven Kernwaffeneinsatzes beim Scheitern der Abschreckung fest, an deren Exekution auch die Bundesrepublik im Rahmen der nuklearen Teilhabe mitwirken würde". Natürlich wurde dieses Bestreben nach außen begleitet von der "Selbstinszenierung der Bundesrepublik durch höchste Vertreter . . . in der Öffentlichkeit, gegenüber den deutschen Verbündeten und den Staaten des Warschauer Pakts . . . eines NV [nichtverbreitungs]-politischen Vorzeigestaates".

Diese Haltung relativierte sich erst, als sich die deutsche Führung im Kontext der Beteiligung an der Nuklearen Planungsgruppe der Nato (ab 1966) stärker der tatsächlichen Folgen eines taktisch-operativen Einsatzes von Atomwaffen für Deutschland bewusst wurde. Dennoch bemühte sich die Bundesregierung auch in der Folge um eine möglichst effektive nukleare Teilhabe, denn es bestand weiter die doppelte Befürchtung, Amerika als "Allianzvormacht könnte zur Verteidigung Europas und der Bundesrepublik keine oder zu spät Kernwaffen einsetzen, oder der Einsatz von Kernwaffen könnte zu extensiv, quantitativ zu ausladend, zu vernichtend und auch auf den Schlachtfeldraum konzentriert sein". In der Folge gab es beispielsweise eine intensive innenpolitische Debatte um den Beitritt der Bundesrepublik zum Nichtverbreitungsvertrag (NPT), getragen von der "kritischen Presseberichterstattung, vor allem der F.A.Z., der ,Welt' und ,Bild', des ,Rheinischen Merkurs', von ,Christ und Welt' sowie der CSU-Wochenzeitung ,Bayern-Kurier'". Der NPT wurde mit seinem grundsätzlichen Verbot der Verfügbarkeit von Atomwaffen als fundamentale Beschränkung (potentieller) deutscher Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit betrachtet, sogar als "neues Versailles". Diese Sichtweise wurde erst durch die enge Auslegung des Vertrages, u. a. als nicht relevant für Trägersysteme, sowie die Regierungsübernahme der sozialliberalen Koalition 1969 überwunden.

Letztere definierte die deutsche Sicherheitspolitik auf der Basis eines "Gleichgewichtsprinzips mit Distanz zur ,Überbetonung' der verteidigungspolitischen Komponente" dahin gehend neu, dass letztlich "deutsche Sicherheitsinteressen . . . nicht mehr ausschließlich im Nato-Rahmen verstanden, was mit dem bundesdeutschen Interesse an Verständigung mit der Sowjetunion, den Staaten Osteuropas und der DDR korrelierte". Im Mittelpunkt stand nun "die Stabilisierung des Ost-West-Verhältnisses . . . anstatt primär . . . die Stärkung der NATO-Bindung". Dass die resultierende Ostpolitik und die folgende "Verweigerung der nuklearen Teilhabe" trotz konservativer Kritik und Befürchtungen der Nato-Partner letztlich kein Appeasement war, zeigte sich schließlich in den Verhandlungen um den Doppelbeschluss, in dem sich Helmut Schmidt, obwohl teilweise unter massivem Druck der anderen Nato-Nuklearmächte stehend, am Ende durchsetzte. Schließlich war die Bundesrepublik aufgrund ihres wirtschaftlichen und militärischen Gewichts aus amerikanischer Sicht mittlerweile in der Nato "our most important ally".

Aus der aktuellen Perspektive sind zwei Aspekte der Untersuchung von besonderem Interesse: Das eine ist die Frage der Glaubwürdigkeit der amerikanischen nuklearen Sicherheitsgarantie für Deutschland und Europa angesichts wachsender nuklearstrategischer Risiken für Amerika selbst und der technologischen Möglichkeit, eine nukleare Drohung oder gar Auseinandersetzung auf Europa zu beschränken. Seit dem Ausbau der sowjetischen - heute russischen - nuklearen Fähigkeiten auf Kurz- und Mittelstreckenebene stellt sich damals wie heute aufgrund der geographischen Asymmetrie zwischen Amerika die Grundfrage, ob die Amerikaner "Deutschland und Westeuropa im Ernstfall zu Tode . . . bomben und/oder im Stich . . . lassen, während die Supermächte sich gegenseitig den Status von Sanktuarien zusicherten". Daraus folgt offensichtlich das Anliegen, dass die Europäer zu ihrer eigenen Sicherheit auch die nukleare Abschreckung in die eigene Hand nehmen sollten. Emmanuel Macron lässt grüßen. Erhellend sind jedoch in diesem Zusammenhang zweitens die Ausführungen von Andreas Lutsch zur Ambivalenz der französischen Avancen bezüglich einer deutschen Teilhabe am nuklearen Schutzschild der V. Republik bereits zu Beginn der 1960er Jahre. Denn damals entstand laut Lutsch durch zweideutige Äußerungen Charles de Gaulles der "Mythos, . . . Frankreich sei . . . zur Bildung einer europäischen Atomstreitmacht durch eine wie auch immer geartete Europäisierung der force de frappe bei deutscher Teilhabe bereit. . . . Bis ,eine wirklich europäische Regierung' etabliert sei, bleibe die force de frappe das nationale französische Abschreckungspotenzial, das zur Verteidigung Europas eingesetzt werde".

Im Lichte der aktuellen Initiativen des französischen Präsidenten zur Europäisierung der Sicherheitspolitik verstärkt das sehr lesenswerte und materialstarke Buch den Eindruck, dass die sicherheitspolitische Problematik der etablierten Nuklearmächte eine wesentlich größere Konstanz aufweist, als dies deutscherseits oftmals wahrgenommen wird. Entsprechend sind die gerade wieder aufbrechenden Debatten zwischen "Atlantikern" und "Gaullisten", wie sie etwa bei der Frage des Nachfolgemodells für den Tornado und den Eurofighter der Luftwaffe (auch als potentieller Atomwaffenträger) zu beobachten sind, aus einer breiteren zeit- und strategiehistorischen Perspektive alles andere als neu. Was natürlich nicht bedeuten muss, dass aus einer praktischen Identifikation von Emanuel Macron als Charles de Gaulle 2.0 auch zwingend ein erneutes Scheitern einer europäisierten nuklearen Abschreckung folgen muss.

RALPH ROTTE

Andreas Lutsch: Westbindung oder Gleichgewicht?

De Gruyter Oldenbourg Verlag, Berlin 2019. 878 S., 79,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Eine konzise und kluge Darstellung der strategietheoretischen wie militärpolitischen Grundlagen des Kriegsbildes im Nuklearzeitalter und der NATO-Abschreckung [...] von 1957 bis zum NATO-Doppelbeschluss 1979."
Ralph Rotte in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (10.03.2020), S. 6

"Standardwerk"
if Zeitschrift für Innere Führung (4/2020) S. 70