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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.1997

Endlich aufgeklärt
Die Reinkarnationsidee entpuppt sich als Bastard der Moderne

Wer an Reinkarnation glaubt, meint, das Dasein sei wie eine Schule, auf der jeder das Abitur erreicht, nur die Dauer bis dahin sei eben unterschiedlich. Diese Annahme ist weit verbreitet und erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Reinkarnation ist Grundbestandteil einer individualistischen bürgerlichen Privatreligion und hat ihre notwendige Entsprechung in der Auffassung der Allversöhnung.

In dem Buch von Rüdiger Sachau zum Thema wird der Eindruck erweckt, die Frage des Verhältnisses von Reinkarnation und Christentum sei im wesentlichen offen, und es sei vor allem eine Frage der Gesprächsbereitschaft seitens der Christen, Reinkarnation als Alternativmodell zur Auferstehung anzuerkennen. Also eine wohlwollend-offene Haltung seitens eines evangelischen Theologen (und Akademieleiters). Man kann indes die Reinkarnation einen Mythos unkritischer Aufklärung nennen. Jedenfalls liegt in der westlichen Form von Reinkarnation, wie Sachau zeigt, mit der positiven Wertung wiederholter Existenzen ein echtes, westliches "Eigenprodukt" vor.

Denn Reinkarnation ist im Westen wesentlich ein Produkt der Aufklärung, da sie auf rationale Weise die Fragen nach Woher und Wohin und zur individuellen Gestalt der Einzelseele beantworten will. Rational ist daran, daß ein schlichter Zusammenhang von Tun und Ergehen vorausgesetzt wird: Je nachdem, wie man im früheren Leben gehandelt hat, gestalten sich die Bedingungen für das je spätere Leben. Auch die Idee der notwendigen Vollkommenheit ist dabei ebenso typisch aufklärerisch wie der Fortschrittsglaube, der dazu befähigt, einen positiven Gesamtsinn wiederholter Existenzen anzunehmen. Unverkennbar ist der aufklärerische Optimismus, dem zufolge es mit dem Menschen in jedem neuen Leben bergauf geht. Er wird immer vollkommener.

Der Theodizee-Diskussion der Aufklärung entstammt die Annahme, daß man ohne einen persönlichen Gott auskommen könne. Denn die Frage des Bösen muß man nicht mit der Frage nach Gott zusammendenken. Alle Mißlichkeiten, die sich daraus ergeben, wie ein guter Gott Böses zulassen könnte, werden bei der Reinkarnation umgangen. Der Mensch ist ganz und gar autonom, selbstverantwortlich und der gesetzlichen Struktur des Universums ausgeliefert. Er setzt sich dem Prinzip des "trial and error" aus.

Aufgeklärt ist schließlich auch die Fixierung auf das Individuum und seine Vollendung. In der Mitte steht die Frage des isolierten einzelnen: Wer bin ich? Ebenso ist "aufgeklärt" die "Gleichbehandlung" der Subjekte. Ein Subjekt verdankt sich nicht dem Ratschluß eines verborgenen Gottes, sondern hat - mit der Chance wiederholter Lebensläufe - grundsätzlich die gleiche Möglichkeit, vollkommen zu werden.

Die Vorzüge der Auffassung von Reinkarnation liegen auf der Hand. Sie liegen alle im Bereich des Theodizee-Problems. Die Frage nach dem Warum wird erklärt aus der Übernahme von Eigenschaften aus früheren Existenzen. Der einzelne hat Anteil am Fortschritt der Welt und ist trotz der geltenden Gesetzmäßigkeit in der Welt frei und für alles Weitere selbst verantwortlich. Doch diese moderne westliche Rede von Reinkarnation scheint eher ein unkritisch zum Mythos gewordenes Stück Aufklärung zu sein. So ist die Verbreitung dieser Vorstellung eine Antwort auf viele Theologen, die von dem, was nach dem Tod kommt, überhaupt schweigen.

Und weiter: Die modernen Großkirchen können - insbesondere nach dem Verfall der persönlichen Beichte - kaum noch glaubwürdig über Versöhnung reden. Vergebung bleibt abstrakt; sie ist oft zu unverstandenen liturgischen Kurzformeln erstarrt. Wo aber Sündenmacht und Schuld bleiben, drücken sie auf die Dauer so sehr, daß die Menschen einen neuen Ausweg suchen. Reinkarnation ist scheinbar ein Angebot, die Last der Unvollkommenheit - auf lange Zeit verteilt - loszuwerden.

Daß Sachau indes kein Kriterium für eine kritische Beurteilung aller dieser Probleme liefert, ist nicht nur symptomatisch bezüglich des Zustands evangelischer Theologie, sondern auch bedenklich. KLAUS BERGER

Rüdiger Sachau: "Reinkarnationsvorstellungen". Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Gütersloh 1996. 339 Seiten, br., 68,- DM.

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