Ein neuer Fall für den liebenswerten Inspecteur und überzeugten Familienmenschen Gilles Sebag aus dem katalanisch geprägten Teil Südfrankreichs:
Drei Buchstaben am Tatort eines wie eine Hinrichtung wirkenden Mordes an einem älteren Mann weisen tief in eine eher finstere Vergangenheit Frankreichs -
in jene Zeit, da die Algerier nach der Unabhängigkeit von Frankreich strebten und die rassistisch…mehrEin neuer Fall für den liebenswerten Inspecteur und überzeugten Familienmenschen Gilles Sebag aus dem katalanisch geprägten Teil Südfrankreichs:
Drei Buchstaben am Tatort eines wie eine Hinrichtung wirkenden Mordes an einem älteren Mann weisen tief in eine eher finstere Vergangenheit Frankreichs - in jene Zeit, da die Algerier nach der Unabhängigkeit von Frankreich strebten und die rassistisch agierende Geheimarmee OAS diese Unabhängigkeit um jeden Preis verhindert wollte ... 10 000 Anschläge, 1600 Tote nennt der Autor als düstere Bilanz der OAS. Doch viele Jahrzehnte liegen zwischen den Verbrechen der OAS und dem Mord an dem älteren Mann, so dass der Hinweis des Mörders auf diese Geheimarmee mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Und leider bleibt es nicht bei einem Mord ...
Gilles Sebag und seinen Kollegen sind dieses Mal mit einem besonders brisanten, viel Fingerspitzengefühl erfordernden Fall konfrontiert und treffen auf Menschen, für die die Vergangenheit auch nach 50 Jahren keineswegs begraben ist - auf der einen Seite die in Algerien geborenen und von dort vertriebenen Franzosen, die in Frankreich nie richtig angekommen zu sein scheinen, und auf der anderen Seite jene Franzosen, die sich gegen den beschönigenden Blick auf die französische Vergangenheit und die neuen Denkmäler der Algerienfranzosen wehren.
Dieser Kriminalroman war für mich in vielerlei Hinsicht besonders spannend:
Er behandelt sehr einfühlsam die großen Fragen von dem Umgang eines Volkes mit seiner Vergangenheit, von Schuld und Verjährung von Schuld, von Heimatvertreibung, Gewalt und Gegengewalt. Ein bisschen fühlte ich mich an die Vergangenheit meiner Großeltern erinnert, deren Vertreibung vor vielen Jahrzehnten aus dem Sudetenland ich zwar für völlig gerechtfertigt halte, aber ich erinnere mich auch noch an das Leid, das dieser nie überwundene Heimatverlust über sie gebracht hat.
Außerdem freue ich mich immer über Bücher, die mich wieder an das Gute im Menschen erinnern. Von einem Krimi würde man dies eigentlich nicht erwarten, aber der Autor ist ganz offensichtlich ein großer Menschenfreund. Zwischen den Zeilen musste ich immer wieder an Camus denken, der in einem Brief schrieb: "In jedem Schuldigen gibt es so etwas wie Unschuld. Das macht jede vollständige Verurteilung abstoßend." - eine Weisheit, die viel zu oft vergessen wird ...
Sehr berührt mich auch, dass Georgets Roman in einem Ort spielt, in dem ich einmal zwei Jahre gelebt habe. Und ich war sehr glücklich, mein sonnenverwöhntes Perpignan mit seinem berühmt-berüchtigten Wind wiederzufinden und auch den weichen, melodischen Klang der katalanischen Sprache - wie schön, dass auch in der deutschen Ausgabe die katalanischen Zitate (natürlich mit Übersetzung) beibehalten wurden!
Und schließlich machte es mir großen Spaß, die deutsche Fassung mit der französischen Originalfassung zu vergleichen. Ich bewundere Corinna Rodewald sehr für ihre mutige und doch treffende und sehr gelungene Übersetzung. Nur auf Seite 23 hätte ich mir statt "Ich bin doch nicht ..." eher "Ich bin doch kein ..." gewünscht, aber vielleicht denke ich hierbei auch an das falsche Wort mit O als vorletztem Buchstaben ... Davon abgesehen sehr elegante Übersetzungslösungen, sehr angenehm zu lesen.
Für mich ein wunderbarer Roman, der viel mehr als ein gewöhnlicher Krimi zu bieten hat, und ich hoffe, von diesem Autor noch viele weitere Bücher lesen zu dürfen!