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JOHN BURNSIDES HYMNE AUF DIE MAGIE DER VERGÄNGLICHKEIT: EINBLICK IN EINEN SCHARFEN GEIST UND EINE EMPFINDSAME SEELE.John Burnside - ein virtuoser Verehrer des FlüchtigenFür eine Sekunde nur ist er da, flackert auf, offenbart und entzieht sich uns wieder: der Augenblick. Er berührt uns in Form einer möglichen, aber nie geliebten Liebe, in der Anmut einer Schneeflocke, die sich sogleich auf unserer Haut in Wasser verwandelt, oder als kostbare Erinnerung gebannt in einer Fotografie. Betörend schön wirkt das Was-gewesen-Wäre auf uns, fesselt uns das Unwiederbringliche und verlockt uns das, was wir…mehr

Produktbeschreibung
JOHN BURNSIDES HYMNE AUF DIE MAGIE DER VERGÄNGLICHKEIT: EINBLICK IN EINEN SCHARFEN GEIST UND EINE EMPFINDSAME SEELE.John Burnside - ein virtuoser Verehrer des FlüchtigenFür eine Sekunde nur ist er da, flackert auf, offenbart und entzieht sich uns wieder: der Augenblick. Er berührt uns in Form einer möglichen, aber nie geliebten Liebe, in der Anmut einer Schneeflocke, die sich sogleich auf unserer Haut in Wasser verwandelt, oder als kostbare Erinnerung gebannt in einer Fotografie. Betörend schön wirkt das Was-gewesen-Wäre auf uns, fesselt uns das Unwiederbringliche und verlockt uns das, was wir nicht festhalten können."Entscheidend war immer der Moment im Augenblick des Vergehens. Der Moment, der Moment, der Moment - auf nichts sonst kommt es an. Der Moment war vorbei, ehe irgendwer von uns ihn ergreifen konnte, und doch blieb er, während er uns zwischen den Fingern zerrann, lebendig, kaum noch da und zugleich unauslöschlich."Ein betörend schönes Buch über die Faszination des VergänglichenJohn Burnside - Autor von Werken wie "In hellen Sommernächten" und "Lügen über meinen Vater" - war einer der bedeutendsten Schriftsteller der europäischen Gegenwartsliteratur. 2019 stand er mit "Über Liebe und Magie" an der Spitze der SPIEGEL Bestseller-Liste und der SWR-Bestenliste. In "What light there is" macht er uns die Magie der Vergänglichkeit begreifbar: Er lässt uns teilhaben an den intensiven Wahrnehmungen seiner Kindheit, führt uns in das Innenleben eines Antarktis-Forschers im Angesicht des Todes und sinniert über das Verschwinden der Stille in unserer rastlosen Zeit. In persönlichen Erinnerungen, Reflexionen und anmutig-sinnlicher Sprache macht uns der Lyriker und Romancier unserer eigenen Endlichkeit bewusst und lädt ein zum Innehalten und Staunen. Eine beglückende Verneigung vor dem Zauber des Moments im Augenblick seines Erlöschens.
Autorenporträt
John Burnside wurde 1955 in Schottland geboren und war einer der bedeutendsten Schriftsteller der europäischen Gegenwartsliteratur. Für sein Werk, das in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde, wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet. Neben seinen Romanen, Kurzgeschichten und Gedichtbänden glänzt John Burnside mit autobiografischen Werken, wie zuletzt "Über Liebe und Magie. I put a spell on you" (2019), in denen er tiefe Einblicke in seine Lebensund Gedankenwelt gewährt. John Burnside verstarb im Mai 2024.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2020

Die Fragwürdigkeit des Eises und der Helligkeit

Das beeindruckende Werk von John Burnside ist durchsetzt von autobiographischen Schriften. In ihnen steckt die Essenz dieses Autors, so auch jetzt in "What light there is".

Dies ist ein Winterbuch. Im übertragenen wie im konkreten Sinne. Es bietet hinreißende Passagen wie die folgende: "Dies hier war einst Ackerland. Apfelbäume, Kiefern, Pferde auf der Weide. Schwärme von Honigbienen kartographieren die Wiesen mit ihrem Tanz und im Licht, Graugänse rudern über den Himmel und künden vom kommenden Winter. Die Bäume sind heute ohne Früchte, ohne Blätter; eine Amsel flitzt von einem zum anderen Ast, dann außer Sicht; und ich bleibe zurück; als ich der Amsel aber nachstürze, rieseln Eissplitter von den Zweigen, ein Lauf der Vorahnungen, zurechtgestutzt zu einer Erinnerung ans Wasser." Nature writing? Nein, viel eher Lebensbeschreibung anhand einer assoziativen Naturbetrachtung, die alle Jahreszeiten in einen einzigen Textabsatz fasst, der in den Winter mündet, ins Erstarren, wie es allem Lebendigen bevorsteht. Im weißen Raum.

Der ist die Echokammer für John Burnside, den heute fünfundsechzigjährigen schottischen Schriftsteller, der mit Lyrik und Prosa gleichermaßen brilliert und seit 2006 mehrere autobiographische Erörterungen publiziert hat, die bei uns zunächst mit gewisser zeitlicher Zurückhaltung, dann aber, stets präzise übersetzt von Bernhard Robben, in immer knapperen Abständen zu den englischen Originalveröffentlichungen erschienen sind. Mit dem neuesten, dem vierten Buch dieses autobiographischen Schreibprojekts, ist erstmals der Haymon Verlag zum Zuge gekommen, und er hat das Original sogar überholt: Die deutschsprachige Fassung mit dem gleichwohl englischen Titel "What light there is" erscheint, wieder in Übersetzung von Robben, früher. Wobei es sich diesmal weniger um ein am Leben des Schriftstellers orientiertes erzählerisches Buch handelt als um eines, das mit dessen Tod umzugehen versucht. Einen Essay. Ein Buch für erwachsene Leser. Weshalb es übel aufstößt, dass der Verlag sich nicht entblödet, seine Leser auf dem Umschlag kumpelhaft anzuduzen.

Wie schreibt man über das, was sich dem Erleben entzieht, das Sterben? Burnside greift dafür dann doch wieder tief ins eigene Leben zurück, bis in seine Studentenzeit in Cambridge, als er "längst ein geheimer Verehrer alles Kalten und Weißen" geworden war. Will sagen: der Vorwegnahme des Eingangs in ein großes leeres Nichts, wie der junge Mann es in zahlreichen Kunstwerken wiederfand. Im Gedicht "Der Schneemann" von Wallace Stevens, in Pieter Brueghels Winterlandschaften, in Orson Welles' Spielfilm "The Magnificent Ambersons", im Lied "Beim Schlafengehen" von Richard Strauss, in D. H. Lawrence' Roman "Liebende Frauen" und in Robert F. Scotts Tagebuch der tragisch geendeten Südpol-Expedition, in dem der junge Burnside das fand, was er als "wundervoll britische beau geste" bewunderte: den Tod von Scotts Mitstreiter Lawrence Oates, der in bereits stark geschwächtem Zustand ins Schneetreiben hinausging, um seinen Kameraden Mühe der Pflege und Proviantteilung zu ersparen. Überlebt hat von den vier anderen Pol-Pionieren trotzdem niemand.

Wobei Burnside auf sein jüngeres Selbst heute skeptisch zurückblickt, weil er in dessen ästhetischer Todessehnsucht auch ein Element der Weltverachtung ausmacht, eine Absage an das Leben. Seine nunmehrige Beschäftigung mit dem eigenen Tod ist eine lebenszugewandte, weil sie aus der Erkenntnis schöpft, dass man zwar über den eigenen Tod keine Erfahrung machen kann, es jedoch erlebte Momente gibt, die in ihrer stillen Schönheit den Frieden im weißen Raum vorwegnehmen. Das müssen gar nicht alles Wintereindrücke sein, aber alle bereiten uns vor auf den Tod "in der klassischen Manier der Ars Moriendi, einer Kunst, die meine kleine Meditation nachzuahmen strebt".

Im weißen Raum, wie Burnside ihn imaginiert, kommt einem nicht "irgendein Engel zuversichtlich aus dem Jenseits" entgegen, es ist ein gottloser, aber höchst menschlicher Zustand, der im Erleben von Schönheit vorauszuahnen ist: "Der Himmel kann warten, alles andere aber ist um uns, zeugt von den Grenzen unseres Verweilens hier, beschreibt eine Pose" - wäre hier nicht "Haltung" die bessere Wortwahl gewesen? - " zwischen dem Ich und dem Anderen, die eine Heimat schafft, erinnert an die Existenz von Licht und der prachtvollen Last der Farbe."

In der Vergegenwärtigung dieser Existenz besteht die Aufgabe von Kunst, auch der des John Burnside. Vorbild dabei ist ihm Joseph Brodsky mit dessen Venedig-Reminiszenzen in "Ufer der Verlorenen", alle angefertigt bei spätherbstlichen oder winterlichen Besuchen - Brodsky reiste nie im Sommer nach Venedig - und mündend in die Erkenntnis, dass "wir uns in Richtung Zukunft bewegen, während die Schönheit die ewige Gegenwart ist".

In diesem Licht wird Burnsides eigenes Werk neu lesbar: als Schreiben auf der Suche nach einem Himmel auf Erden, der sich dadurch auszeichnet, dass nichts passiert, also alles dauerhaft präsent ist. Ihn kann es nur in der Erinnerung an Momente einer ästhetischen Erfahrung geben, und zum Schluss seiner Ausführungen findet Burnside einen solchen Moment am vielleicht unwahrscheinlichsten Ort, nicht in Venedig, sondern auf einer Landstraße im östlichen Kansas: "An dem Weg, den ich einschlage, ist nichts bemerkenswert, und er führt zu dem, was man gemeinhin das Nirgendwo nennt, weshalb der restliche Tag für mich so angenehm verläuft. Ich will kein Lokalkolorit; ich will nichts Pittoreskes; und unter keinen Umständen möchte ich irgendwas erkennbar Historisches. Ich will das Hier und Jetzt, ich will die flüchtige Vergänglichkeit von Himmel und Jahreszeit, die subtile Schönheit des Unscheinbaren . . . Dem zufälligen Besucher ist dies einer der magischen Orte, an denen nie auch nur das geringste geschieht, weshalb ich ihn, als ich Tage später zurückkehre, wohl auch nicht wiederfinden kann."

Aber in John Burnsides neuem Buch können wir ihn wiederfinden, jederzeit. Es mag die Kälte unseres Lebenswinters vorführen, aber es ist voller Licht und Farbe.

ANDREAS PLATTHAUS

John Burnside: "What light there is". Über die Schönheit des Moments.

Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Haymon Verlag, Innsbruck 2020. 176 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

John Burnsides assoziativer Essay ist vieles: Nachdenken über Alter, Tod, Vergänglichkeit auch der Natur, so Rezensent Rainer Moritz. Er scheint beeindruckt, aber am besten gefällt ihm doch das Kapitel, in dem der schottische Dichter über die Kunst spricht, die ihm als Jugendlicher in einem tristen Umfeld Trost und Inspiration geschenkt hat. Hier spürt Moritz eine Feier des flüchtigen Lebens, in dem wenigstens die Schönheit ein andauernder Moment ist.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.12.2020

Verehrer des Kalten und Weißen
Zurückschauen und voraus mit John Burnsides Selbsterforschungen
Eigentlich ist der schottische Schriftsteller John Burnside nicht jemand, der sich gern an überlieferte Formen anschmiegt. In diesem Buch hat er das vor, angeblich. Schon nach wenigen Seiten spricht er von der Ars moriendi als „einer Kunst, die meine kleine Meditation nachzuahmen strebt“. Das christliche Erbe der Kunst des Sterbens als Meditationskunst hat er aber gleich zu Beginn ausgeschlagen und eine gewisse Sympathie für das heidnische Denken und dessen Dämonen durchblicken lassen, die der „neue monotheistische Gott, oberster Würfelspieler, der er war“ vertrieben hat. Er wünscht sich das Heidentum nicht zurück, er weiß, dass kein Weg in irgendeine Vergangenheit zurückführt.
Aber fast könnten ihn die Leute in dem kleinen Fischerdorf am Firth of Forth, in dem er mal gelebt hat, dennoch ins Heidentum zurücktreiben, wenn sie die roten Ziegelmauern ihrer Räucherkammern und ihrer Ställe mit schwarzem Teer übertünchen, weil ihnen das Rot der Ziegel zu sinnlich und zu lebensbejahend ist. Er sieht solche Restbestände des alten Puritanismus mit dem Grausen eines seiner Kindheitsreligion entlaufenen Katholiken, den nicht die Sorge um sein Seelenheil zur Ars moriendi treibt, sondern eher seine Neugier.
Nicht Glaubenssätze begleiten ihn oder Kataloge der Versuchungen, denen es auf dem Weg zum Tode standzuhalten gilt, sondern seine Kollegen, moderne Dichter und Denker, William Wordsworth und Matthew Arnold, vor allem der erzirdische Walt Whitman. Es gehört zur Ars moriendi, über Texte zu meditieren. Kurz und bündig formuliert Ludwig Wittgenstein zu Beginn eines berühmten Paragrafen aus seinem „Tractatus logico-philosophicus“ die Grundeinsicht: „Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht.“
Was aber kommt danach? Mit dem christlichen Gott hat Burnside auch die Vorstellung eines persönlichen Weiterlebens nach dem Tod verabschiedet, „vollkommen bizarr“ erscheint ihm der Himmel des monotheistischen Gottes. Mit Wittgenstein zieht er sich auf die Sterblichkeit und das Grundmuster der Ars moriendi zurück, das „media in vita in morte sumus“, die Todverfallenheit mitten im Leben, die Untrennbarkeit von Leben und Sterben. Das bleibt auch für nichtchristliche Seelen: die Ars moriendi als Vorbereitung auf das Unvermeidliche.
Zwar ist Wittgensteins Prägnanz unerreichbar, doch lässt es sich Burnside nicht nehmen, über den Tod zu grübeln. „Was Außenstehende sehen, was im Bericht des Arztes steht, ist das eine, was aber in Kopf und Seele des Menschen geschieht, der seine sterbliche Hülle verlässt, ist etwas, worüber wir nichts wissen.“ „Ins Licht oder die Dunkelheit aber geht jeder von uns allein.“ Es sind nicht Sätze wie diese, die aufhorchen lassen, nicht die alltagsphilosophischen Aufschwünge. Lesenswert wird diese Ars moriendi durch diejenigen Passagen, in denen Burnside so scheibt, wie er es am besten kann, als Erzähler, der mit Verwunderung und häufig einem gewissen Schaudern auf eigenen und fremden Lebensstoff blickt wie in „Lügen über meinen Vater“ (2006) oder zuletzt in „Über Liebe und Magie – I put a spell on you“ (2014). Wer eines dieser Bücher kennt, der kennt die Herkunftswelt von John Burnside, die Musik und Filme, die ihn geprägt haben, hat die Nina-Simone-Version von „I put a spell on you“ im Ohr.
Daran knüpft Burnside in diesem schmalen Buch an, als ein alternder Mann, Jahrgang 1955, dessen Ars moriendi, das Meditieren über die Sterblichkeit, weniger im Vorausblick auf den Tod als im Rückblick auf das eigene Leben besteht. Manchmal behauptet er, über das Sterben als Kunst nachzudenken, aber diese Verbeugungen vor dem alten Genre sind rasch absolviert, sie sind von geringerer Leuchtkraft als die markanten Erinnerungsbilder. Der Teenager Burnside tritt auf, „ein unkritisches Arbeiterkind, das leicht von Bildern heimgesucht wurde“ und in der Kunstbuchabteilung der Stadtbibliothek die holländische und flämische Landschaftsmalerei entdeckt, vor allem die Bilder der Kälte, Jan van Goyens „Eislandschaft mit Schlittschuhläufern“ oder Pieter Brueghels „Winterlandschaft mit Eisläufern und Vogelfalle“, und dadurch zu einem Verehrer alles Kalten und Weißen wird. So wird Wallace Stevens’ Gedicht „Der Schneemann“ zum festen Bestandteil der Innenwelt Burnsides, umrahmt von Schilderungen des geschäftemachenden Budenzaubers auf der zugefrorenen Themse 1684, von Filmfiguren, die in einem alpinen Schneesturm verschwinden oder ins Eis gehen wie Captain Oates bei der gescheiterten, in den Tod führenden Südpolexpedition von Robert Falcon Scott.
„Das Kino“, heißt es einmal, „meine einzige Kirche, war auch meine Schule.“ Wenn überhaupt, dann wird bei Burnside in dieser Kirche, dieser Schule die Ars moriendi, die Kunst des Sterbens gelehrt. Nicht nur im geschauspielerten Tod, sondern vor allem in den langen Blicken, die auf großer Leinwand geworfen werfen. Sie inspirieren Burnside zu einer großen Hommage an das europäische Arthouse-Kino, weil hier die Kunst auf eines seiner großen Lebensthemen trifft, die Unfähigkeit, jemandem ins Auge zu sehen. Vielleicht ist dies das Zentrum in diesem schmalen Buch, die Erinnerung an die Eltern, die es unter keinen Umständen mochten, angeschaut zu werden, an das Aufwachsen „in dieser ausweichenden, blicklosen Welt, in der es einem körperlichen Angriff gleicht, sieht man jemandem eine Millisekunde zu lang ins Gesicht“, und dann der Offenbarung von Gesichtern im Kino, die man lange betrachten darf, wie sie ihre Gefühle durchleben: „Ich durfte meinen Blick auf dem Gesicht eines anderen Menschen ruhen lassen, der zugleich eine reale Person und eine Illusion war.“
An die Seite der Arthouse-Filme, des Film noir und der Blicke von Orson Welles im „Dritten Mann“ treten die Porträtfotografien von Richard Avedon, der die letzten Lebensjahre seines Vaters bis kurz vor dessen Tod begleitet, und die Menschen, die Andy Warhol in seinen „Screen Tests“ vor seine Kamera gesetzt hat, in eine Situation, in der nichts geschieht, außer dass die Zeit vergeht. „Für die angeschaute Person ist der Blick eine Erinnerung an die eigene Sterblichkeit, deren Bestätigung. Deshalb darf der König nie direkt angesehen werden: Starren ihn genügend Untertanen an, verflüchtigt sich seine Macht.“
Weniger in seinen Reflexionen und Meditationen als wie hier in den physiognomischen Kommentaren zu Gedichten, Bildern, Kinofilmen und bösen Balladen wie „The Knoxville Girl“ wird greifbar, woraus sich Burnsides Ars moriendi speist. Sie ist, wie alles, was er schreibt, schon ehe es diesen Begriff gab, „Autofiction“. Dazu gehören auch Tagträume, Visionen wie die vom geistigen Doppelgänger, „der irgendwo in Amerikas Mittlerem Westen lebt, sagen wir im südlichen Illinois oder in Virginia“. Dieser Doppelgänger lebt in einer Kleinstadt mit einer sehr großen Maine-Coon-Katze namens Granger zusammen, von der man annehmen darf, dass sie nach dem Schauspieler Stewart Granger benannt ist, und hat markante Vorlieben und Abneigungen. Er macht sich während eines Unwetters eine Kanne grünen Tee und hört aus dem Regen das Geräusch der Zeit heraus, „auch der Zeit, die dem Ende zugeht“. Er ist kein schlechter Doppelgänger seines Autors.
LOTHAR MÜLLER
John Burnside: What light there is. Über die Schönheit des Moments. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Haymon Verlag, Innsbruck und Wien 2020. 176 Seiten, 19,90 Euro.
Großes Lebensthema: die
Unfähigkeit, jemandem ins Auge
zu sehen, eine blicklose Welt
John Burnside nennt sich „ein unkritisches Arbeiterkind, das leicht von Bildern heimgesucht
wurde“. Zum Beispiel von Pieter Brueghels „Winterlandschaft mit Eisläufern und Vogelfalle“. Unten der Autor 2014 in Berlin.
Fotos: Royal Museums of Fine Arts of Belgium/Regina Schmeken
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