Die Frage ist so alt wie die Börse: Bewegt sich der Aktienmarkt ohne Sinn und Verstand, wie es Burton G. Malkiel in „A Random Walk Down Wallstreet“ beschreibt oder belohnt er systematische Anlagestrategien? Davon ist James P. O´Shaughnessy überzeugt und analysiert in seinem Buch „What Works on Wall
Street“ anhand von detaillierten Daten, die teilweise bis ins Jahr 1926 zurückreichen, dass es…mehrDie Frage ist so alt wie die Börse: Bewegt sich der Aktienmarkt ohne Sinn und Verstand, wie es Burton G. Malkiel in „A Random Walk Down Wallstreet“ beschreibt oder belohnt er systematische Anlagestrategien? Davon ist James P. O´Shaughnessy überzeugt und analysiert in seinem Buch „What Works on Wall Street“ anhand von detaillierten Daten, die teilweise bis ins Jahr 1926 zurückreichen, dass es allgemeingültige Anlagestrategien gibt, die den Markt schlagen.
Die erste englischsprachige Ausgabe von „What Works on Wall Street“ erschien 1996 und hat sich zu einem Börsenbuchklassiker entwickelt, der mittlerweile in der 4. Auflage von 2012 vorliegt. Für die deutsche Erstübersetzung wurde auf die aktuelle Ausgabe zurückgegriffen, eine Aktualisierung oder Überarbeitung erfolgte nicht.
Noch eine kurze Anmerkung zu den historischen Daten: Der erste Datenbestand reicht zurück bis 1965. Ab der 3. Auflage wurde das Datenmaterial durch einen zweiten Datenbestand ergänzt, der weniger Merkmale enthält, dafür aber bis 1926 zurückreicht. Für beide Datensätze gilt: Sie enthalten nur Daten aus Nordamerika und nur bis 2009!
Diese Einschränkungen sind nicht unbedingt ein Nachteil. Der Autor hat nämlich festgestellt, dass viele der Empfehlungen, die sich aus dieser Langzeitanalyse ergeben, die gleichen sind wie die, die er bereits bei Erscheinen der ersten Auflage des Buches im Jahr 1996 gegeben hat.
Anleger tendieren dazu, der Anlageklasse mit der besten Performance hinterherzulaufen und alles, was länger als drei bis fünf Jahre zurückliegt, zu vernachlässigen. Dabei schlagen die meisten nicht einmal den S&P 500 Index. Für O'Shaughnessy ist es daher das Hauptziel des Buches, diese Investoren von ihrer Strategie abzubringen. Nur eine langfristige Betrachtung zeige, welche Anlagestrategien über einen längeren Zeitraum die beste Performance generieren. Mit seinem empirisch-rationalen Ansatz untersucht der Autor die Renditen nach Marktkapitalisierung, dann die Renditen nach einzelnen Faktoren und nach Kombinationen mehrerer Faktoren wie Kurs-Gewinn-Verhältnis (hohe KGVs sind gefährlich), Dividendenrendite, Bilanzkennzahlen (z. B. Verschuldungsgrad), Value-Faktoren und Eigenkapitalrendite.
„Die Menschen wollen glauben, dass sich die Gegenwart von der Vergangenheit unterscheidet.“, stellt O'Shaughnessy fest. Seine Analysen zeigen jedoch, dass dies nicht der Fall ist. Deshalb sei es wichtig, Anlageentscheidungen an langfristigen Ergebnissen auszurichten. Und genau hier liegt die Chance für Anleger: Der Preis einer Aktie wird immer noch von Menschen bestimmt, und solange diese ihr Urteilsvermögen von Angst, Gier, Hoffnung und Unwissenheit trüben lassen, werden sie Aktien weiterhin falsch bewerten und denjenigen Chancen einräumen, die sich strikt an einfache und langjährig erprobte Strategien zur Aktienauswahl halten.
Am Ende des Buches weiß der Leser, dass die besten Strategien nicht nur aus einem Faktor bestehen, sondern immer mit mindestens einem anderen Merkmal verknüpft sind – und das sogar mit geringerem Risiko. Bei der konkreten Umsetzung lässt O'Shaughnessy den Leser leider allein, so dass der praktische Nutzen all dieser Analysen aus meiner Sicht begrenzt bleibt bzw. sich an eine andere Zielgruppe (z. B. Fondsmanager) richtet. Hinzu kommt das ungute Gefühl, dass diese Strategien vielleicht doch veraltet sind, weil seit 2009 viele bisher normale Marktmechanismen aus dem Gleichgewicht geraten sind.
„What Works on Wall Street“ ist keine leichte Lektüre und für Einsteiger eher ungeeignet. Fundierte Kenntnisse von Unternehmenskennzahlen und deren englischen Bezeichnungen sind hilfreich, auch Zahlenreihen und Datengräber sollten nicht abschrecken. Insgesamt erfordert das Buch viel Zeit und Mühe, aber es liefert zumindest interessante Ansätze.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)