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Europas Auffassung von Japan ist von Klischees bestimmt, dem Japan der Tempel, der Kirschblüten, der Samurai und Geisha, des Zen. Das verklärende Bild hat mit dem gegenwärtigen Japan weniger zu tun als mit der Vorstellung des Westens von dieser scheinbar so ganz anderen Kultur. Der Fotograf Andri Pol hat die Inselkette über Jahre bereist und Bilder gesammelt, die den bekannten Japan-Ansichten die mildernden Umstände entziehen. Fasziniert und irritiert sucht Pol mit skeptisch scharfem Blick die japanische Realität hinter der westlichen Projektion. Und natürlich stößt auch er auf Kirschblüten…mehr

Produktbeschreibung
Europas Auffassung von Japan ist von Klischees bestimmt, dem Japan der Tempel, der Kirschblüten, der Samurai und Geisha, des Zen. Das verklärende Bild hat mit dem gegenwärtigen Japan weniger zu tun als mit der Vorstellung des Westens von dieser scheinbar so ganz anderen Kultur. Der Fotograf Andri Pol hat die Inselkette über Jahre bereist und Bilder gesammelt, die den bekannten Japan-Ansichten die mildernden Umstände entziehen.
Fasziniert und irritiert sucht Pol mit skeptisch scharfem Blick die japanische Realität hinter der westlichen Projektion. Und natürlich stößt auch er auf Kirschblüten und Teezeremonien, doch vor allem entdeckt er Menschen, die gelernt haben, mit Ambivalenzen zu leben, und Meister sind in der nüchternen Profanierung. Pol fotografiert ein Land in der Zerrissenheit zwischen Gestern und Morgen auf der Suche nach dem Heute. Das Buch ist ein unbestechliches Dokument japanischer Alltagsästhetik und ein leise ironisches Glanzstück der Reportagefotografie.
Autorenporträt
Andri Pol, geb. 1961 in der Schweiz, arbeitet als Fotojournalist für 'Geo', 'Stern', das 'Time Magazine', 'National Geographic' und weitere internationale Magazine; er veröffentlichte zahlreiche Bücher.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.07.2010

Ertrunken in Kirschblüten
„Where is Japan“ – ein Bildersturm von Andri Pol
Allein dieses Rosa. Hat man je schon ein Fotobuch gesehen, das auf rosa Papier gedruckt war? Zeitungen, ja, okay, die italienische La Gazetta dello Sport hat Tradition, das holländische Schwulenmagazin Butt Kultstatus. Doch bei Fotobänden liebt man es in der Regel klassisch, probiert höchstens mal Nuancen auf der Scala von Reinweiß bis Elfenbein, lässt möglichst viel sogenannten Weißraum stehen, um die Bilder „atmen“ zu lassen, gibt ihnen gern einen Rahmen wie ein Passepartout, als würde man sie gleich an die Wand hängen. Die Fotografien in diesem Buch dagegen füllen das ganze Format aus, ziehen sich entweder fast über die Doppelseite oder kommen zu zweit, eine dünne schwarze Linie auf transparentem Streifen trennt sie dann, es ist ein eigenwilliger, schneller Rhythmus, der Bild auf Bild folgen lässt, eine rasante Fahrt durch ein Land, das Japan heißt, doch dessen Verortung in einem Bereich des Unwirklichen zu sein scheint.
„Where is Japan“ hat der Schweizer Fotograf Andri Pol dieses Buch genannt, und er gönnt dem „Wo“ kein Fragezeichen, sondern lässt es im Nicht-Fassbaren schweben. Dabei ist das, was zu sehen ist in diesem großartigen Bildersturm, durchaus konkret: Menschen und Orte, Menschen an Orten, Orte allein, selten Menschen allein. Es beginnt, daher das Rosa, mit der in Japan heiligen Kirschblütenzeit, japanisch „Hanami“, die nicht nur den Beginn des Frühlings markiert, sondern ganz Japan in die Parks treibt: zum Fotografieren und zum Feiern, die Kirschblüte ist das Symbol weiblicher Schönheit, aber auch von Aufbruch und Vergänglichkeit. Ein Haiku von Chora: „Als ich zurücksah, / war die Welt ertrunken / in Kirschblüten“.
Andri Pol fängt das Zarte an diesem Fest ein, das junge Paar, das auf einem See im Ueno Park rudert und zwischen den Blüten für sich posiert, sieht die Ausgelassenheit japanischer Berufskollegen, die in der Runde Bier trinken, während ein Blätterregen auf sie niedergeht, aber er dokumentiert auch die Erschöpfung am Ende der Nacht, die abgegessenen Alutabletts, übriggebliebenen Sushirollen, die Kippen in den Plastikbechern.
Doch sein Blick ist nicht schonungslos, nicht entlarvend oder bloßstellend wie etwa der des britischen Fotografen Martin Parr. Während jener mit einem Ringblitz und knackiger Farbigkeit arbeitet, sucht Andri Pol eher die Zwischentöne, sucht Analogien, folgt den Charakteren. Die Menschen werden nicht aus ihrer Umgebung herausgelöst, sondern bilden mit ihnen eine Einheit, wie etwa die Schulgruppe auf einem Hügel in Nagasaki, die mit ihren blauen Umi-Jacken wie eine Herde seltsamer Tiere aussieht, die sich an die Felsbrocken schmiegt.
Manchmal sind die Aufnahmen sogar richtig witzig: Da baden vier Japaner in einer heißen Quelle, darüber ein Schild: „Hot Spring for Fertility“. Ein Golfspieler im grauen Anzug mit grauer Golftasche bleibt in einem ebenfalls in Grau gehaltenen Warteraum stehen und schaut in Richtung Fernseher: Dort wird natürlich gerade ein Golfturnier übertragen. In einem „Dog Hotel“ joggen Betreuerin und Collie je auf einem eigenen Laufband nebeneinander, während ein Dackel vorbeigetragen wird und desinteressiert zur Seite schaut. Oder die beiden Sumo-Ringer, die nur mit ihrem Lederschurz bekleidet an einer öffentlichen Telefonzelle stehen, der eine passt mit seinen Körpermassen so gerade hinter das Glas, der andere trägt eine Brille.
Der „delikate Bereich“
Und zwischen den Bildern zum Lachen und den Bildern zum Staunen sind es die Bilder, die berühren und die ohne Vorwarnung aufspringen: die Obdachlosen am Sumida Fluss, die ihre mit blauen Plastikplanen gebauten Hütten zeigen, die Einblick gewähren in ihren Alltag, und die vor allem auch ihr Gesicht zeigen – ganz nah plötzlich, ein richtiger Bruch im Fluss des Buches, eine Intensität, die sich wiederholt: bei den Sexpuppen – aufgerissene Münder, klaffende Geschlechtsteile –, bei den Porträts von Tokios Trendsettern – abgeklärt, müde, ein bisschen verrückt – und bei den Close-ups der Yakuza. Andri Pol weiß nicht mehr, wie viele Treffen es gegeben hat, bevor die Mitglieder der japanischen Mafia sich haben fotografieren lassen, und sie erscheinen auch ohne Namen, aber irgendwann bekam er „Bescheid“, er durfte sie ablichten, durfte eintreten in diesen „delikaten Bereich“.
Zehn Jahre hat Andri Pol an dem Projekt gearbeitet. Der Reportagefotograf, geboren 1961, dachte sich immer wieder Geschichten zu Japan aus, die dann in Geo, Merian oder im Schweizer Magazin erschienen, reiste quer durch das Land, zu jeder Jahreszeit, mit Dolmetschern oder auch ganz allein. „Man sieht so viel“, sagt er, „man wird bombadiert mit Informationen. Dinge, die man meint zu verstehen, und man weiß, man hat eigentlich nichts verstanden. Japan ist für mich immer noch ein Buch mit sieben Siegeln.“ NADINE BARTH
ANDRI POL: Where is Japan, Steidl Verlag, Göttingen 2010. 320 Seiten, 56 Euro.
Rasante Fahrt durch ein Land, das Japan heißt: (im Uhrzeigersinn) Kirschblütenfest im Ueno-Park in Tokio, eine Klassenfahrt zum Azumakofuji Berg in Fukushima, Zierfische – Kois – und ein Obdachloser am Sumida-Fluss in Tokio.
Abbildungen aus dem besprochenen Band
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Besonders an diesem Fotoband des Reportagefotografen Andri Pol findet Nadine Barth bei weitem nicht nur das rosa Papier. Es ist vor allem die Rasanz, mit der das Buch den Betrachter Bild auf Bild mitreißt in eine unwirkliche Gegend namens Japan. Barth sieht dabei durchaus Konkretes: Menschen und Orte, mit einem Gefühl für Zwischentöne festgehalten von Pol als Teil ihrer Umgebung, wie Barth feststellt. Bilder von japanischen Obdachlosen oder die Closeups der Yakuza überraschen die Rezensentin wiederum durch pure Intensität.

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