In seinem zweiten Roman schickt Joshua Sobol, einer der führenden israelischen Dramatiker, seinen Helden auf eine gefährliche Mission, die vergangene Verbrechen endgültig sühnen soll. Ein ironisches Verwirrspiel um Identität, Literatur, Gewalt und Liebe, das die Geschichte Israels mit der Frage verknüpft, ob das Böse aus der Welt zu schaffen sei.
Hanina Regev hat viele Identitäten, je nachdem, wen man fragt. Ein Star in der Werbebranche. Ein Dichter. Mossad-Agent. Frauenheld. Whiskykenner. Selbst nennt er sich u. a. Shakespeare, Shylock, Nino, je nachdem, in welcher Situation und Gesellschaft er sich befindet und welche Rolle er gerade spielt. Er ist so rätselhaft und vielschichtig wie die israelische Identität und das jüdische Schicksal selbst.
Nach seinem Dienst in der israelischen Armee hat sich Hanina einem Sonderkommando angeschlossen, das weltweit Terroristen und Mörder aufspüren soll. Bei einem Einsatz in der libyschen Wüste kamen damals zwei seiner Kameraden ums Leben, und heute, achtzehn Jahre später, hat Hanina das Gefühl, dass die Geschichte immer noch nicht abgeschlossen ist; er ist überzeugt, dass der Mörder seiner Kameraden noch lebt. Als er eines Tages in Manhattan einen Termin für seine Werbeagentur wahrnehmen will, entdeckt er einen Mann, der diesem Mörder verblüffend ähnlich sieht. Eine rasante Jagd beginnt, und bis sie, wieder in einer Wüste, zu einem überraschenden Ende führt, muss Hanina nicht nur seine Ehe und seine Freundschaften hinterfragen, sondern sich auch seiner Vergangenheit und seinen Überzeugungen stellen.
In diesem hintersinnigen, virtuoserzählten Roman erweist sich Joshua Sobol erneut als wortgewaltiger und humorvoller Chronist seines Landes.
Hanina Regev hat viele Identitäten, je nachdem, wen man fragt. Ein Star in der Werbebranche. Ein Dichter. Mossad-Agent. Frauenheld. Whiskykenner. Selbst nennt er sich u. a. Shakespeare, Shylock, Nino, je nachdem, in welcher Situation und Gesellschaft er sich befindet und welche Rolle er gerade spielt. Er ist so rätselhaft und vielschichtig wie die israelische Identität und das jüdische Schicksal selbst.
Nach seinem Dienst in der israelischen Armee hat sich Hanina einem Sonderkommando angeschlossen, das weltweit Terroristen und Mörder aufspüren soll. Bei einem Einsatz in der libyschen Wüste kamen damals zwei seiner Kameraden ums Leben, und heute, achtzehn Jahre später, hat Hanina das Gefühl, dass die Geschichte immer noch nicht abgeschlossen ist; er ist überzeugt, dass der Mörder seiner Kameraden noch lebt. Als er eines Tages in Manhattan einen Termin für seine Werbeagentur wahrnehmen will, entdeckt er einen Mann, der diesem Mörder verblüffend ähnlich sieht. Eine rasante Jagd beginnt, und bis sie, wieder in einer Wüste, zu einem überraschenden Ende führt, muss Hanina nicht nur seine Ehe und seine Freundschaften hinterfragen, sondern sich auch seiner Vergangenheit und seinen Überzeugungen stellen.
In diesem hintersinnigen, virtuoserzählten Roman erweist sich Joshua Sobol erneut als wortgewaltiger und humorvoller Chronist seines Landes.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.2005Und immer trügt der Schein
Spiel mit Identitäten: Ein Roman von Joshua Sobol
Wer weiß schon, ob das Leben Theater, die Welt eine Bühne ist? In der Welt des Theaters jedenfalls hält der Dramatiker die Fäden in der Hand, teilt jedem eine Rolle zu. Aber spätestens wenn der Vorhang fällt, ist der Schein durchbrochen. In seinem neuen Roman läßt Joshua Sobol, einer der bekanntesten Dramatiker Israels, im dunkeln, welche Rollen seine Figuren eigentlich spielen. Wo beginnt die Illusion, wo hört sie auf? Nicht einmal Chanina Regev selbst, Sobols Protagonist, könnte diese Frage beantworten. Chanina schon gar nicht. Er nennt sich mal Shakespeare, mal Shylock, ist Dichter, Whiskykenner und ein Star der New Yorker Werbeszene. Früher gehörte er einer Einheit des israelischen Geheimdienstes an, die Terroristen aufspürte und tötete. Eines Tages entdeckt er in einer Bar in Manhattan den Mörder zweier seiner Kameraden: Adonas, Tino der Syrer genannt, der, als wäre dies nicht genug, auch noch identisch ist mit dem skrupellosen Zuhälter Toni, aus dessen Fängen Chanina die New Yorker Prostituierte Winnie befreien will, Winnie, die sich Melissa, Timberlake oder Pipa nennt.
So weit, so gut und so verwirrend. Aber ist Chanina wirklich ein Auftragsmörder? Oder hat er sich diese abenteuerliche Geschichte, die in einer brutalen Verfolgungsjagd in der Wüste endet, bloß ausgedacht? Oder ist sein Leben gar ein Action-Film? Für Chanina, der sich als "Dichter der verlorenen Identität" ausgibt, löst sich die Wirklichkeit im Nebel auf. Chanina entzieht sich für den Leser jeder Festlegung. Nur ein einziges Mal tritt er aus der Deckung hervor, als er von seinen Eltern berichtet, die den Holocaust überlebt haben, als er von seiner schwer traumatisierten Mutter erzählt und dem emotional verhärteten Vater, der von allen der "Eisenmann" genannt wird. Als Junge vernichtete Chanina in seinen Tagträumen das Dritte Reich und verhinderte so auch den Holocaust. Aber in diesem Fall wären seine Eltern einander nicht begegnet, gäbe es keinen Chanina. Wohl oder über mußte er sich damit abfinden, daß sich das Böse nicht aus der Welt schaffen läßt.
Chanina bleibt an die Vergangenheit gekettet, doch wird nicht klar, ob in diesem Umstand auch die Ursache für seine zersplitterte Identität zu suchen ist. "Der Mensch ist ein Material, das jede Eigenschaft annehmen kann. Jede neue Begegnung erzeugt einen neuen Menschen, der bis zu jenem Augenblick nicht existiert hat." Nichts ist fragwürdiger als das Subjekt, und immer in diesem Roman trügt der Schein. Die Agentengeschichte dient als Camouflage einer problematischen Selbstsuche. Und Chanina, der wortgewaltige Erzähler, will im Grunde gar nicht so viele Worte machen: Er behauptet, er wäre gerne ein "Körper-Poet". Da er um die zerstörerische Kraft der Worte weiß, glaubt er, nur in der stummen Sprache der Gebärden Wahrheit und Einheit finden zu können. So gerät er freilich in das alte Dilemma, die Wortlosigkeit mit Worten zu beschwören. Dies erinnert wiederum an Sobols ersten Roman "Schweigen", der aus der Sprachverweigerung ein ganzes Erzähluniversum erstehen ließ. Chanina trägt sein kulturkritisches Klagelied jedoch allzu lärmend vor; zumal so manche Dialoge besser kürzer ausgefallen wären.
Sobol hingegen beweist nach "Schweigen" erneut sein Geschick als einfallsreicher Erzähler. Er flicht ein Netz der Identitäten, zerschneidet aber zuweilen die Fäden und läßt sie in der Luft baumeln. Routiniert, doch augenzwinkernd jongliert er mit Thriller-Elementen und philosophischen wie literarischen Anspielungen, mit Shakespeare-Verweisen wie mit der Metafiktionalität.
"Whisky ist auch in Ordnung" ist ein literarisches Rätsel von bewundernswerter Raffinesse, schwer zu entschlüsseln und voller falscher Fährten. Durch den kühlen Zungenschlag, mit dem es daherkommt, wird man nicht recht warm mit Chanina. "Niemand liebte Chanina", heißt es denn auch, und: "Er hatte nichts an sich, was Menschen gerne lieben." Blitzt hier der wahre Chanina auf, ein armer Kerl, der sich in Größenphantasien flüchtet? Oder setzt er sich nur geschickt als einsamer Wolf in Szene? Es spricht zwar für die Bravour des Autors, daß er beide Möglichkeiten offenläßt. Aber letztlich wünscht sich der Leser doch etwas mehr festen Boden unter den Füßen.
ANDREA NEUHAUS
Joshua Sobol: "Whisky ist auch in Ordnung". Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Barbara Linner. Luchterhand Literaturverlag, München 2005. 317 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Spiel mit Identitäten: Ein Roman von Joshua Sobol
Wer weiß schon, ob das Leben Theater, die Welt eine Bühne ist? In der Welt des Theaters jedenfalls hält der Dramatiker die Fäden in der Hand, teilt jedem eine Rolle zu. Aber spätestens wenn der Vorhang fällt, ist der Schein durchbrochen. In seinem neuen Roman läßt Joshua Sobol, einer der bekanntesten Dramatiker Israels, im dunkeln, welche Rollen seine Figuren eigentlich spielen. Wo beginnt die Illusion, wo hört sie auf? Nicht einmal Chanina Regev selbst, Sobols Protagonist, könnte diese Frage beantworten. Chanina schon gar nicht. Er nennt sich mal Shakespeare, mal Shylock, ist Dichter, Whiskykenner und ein Star der New Yorker Werbeszene. Früher gehörte er einer Einheit des israelischen Geheimdienstes an, die Terroristen aufspürte und tötete. Eines Tages entdeckt er in einer Bar in Manhattan den Mörder zweier seiner Kameraden: Adonas, Tino der Syrer genannt, der, als wäre dies nicht genug, auch noch identisch ist mit dem skrupellosen Zuhälter Toni, aus dessen Fängen Chanina die New Yorker Prostituierte Winnie befreien will, Winnie, die sich Melissa, Timberlake oder Pipa nennt.
So weit, so gut und so verwirrend. Aber ist Chanina wirklich ein Auftragsmörder? Oder hat er sich diese abenteuerliche Geschichte, die in einer brutalen Verfolgungsjagd in der Wüste endet, bloß ausgedacht? Oder ist sein Leben gar ein Action-Film? Für Chanina, der sich als "Dichter der verlorenen Identität" ausgibt, löst sich die Wirklichkeit im Nebel auf. Chanina entzieht sich für den Leser jeder Festlegung. Nur ein einziges Mal tritt er aus der Deckung hervor, als er von seinen Eltern berichtet, die den Holocaust überlebt haben, als er von seiner schwer traumatisierten Mutter erzählt und dem emotional verhärteten Vater, der von allen der "Eisenmann" genannt wird. Als Junge vernichtete Chanina in seinen Tagträumen das Dritte Reich und verhinderte so auch den Holocaust. Aber in diesem Fall wären seine Eltern einander nicht begegnet, gäbe es keinen Chanina. Wohl oder über mußte er sich damit abfinden, daß sich das Böse nicht aus der Welt schaffen läßt.
Chanina bleibt an die Vergangenheit gekettet, doch wird nicht klar, ob in diesem Umstand auch die Ursache für seine zersplitterte Identität zu suchen ist. "Der Mensch ist ein Material, das jede Eigenschaft annehmen kann. Jede neue Begegnung erzeugt einen neuen Menschen, der bis zu jenem Augenblick nicht existiert hat." Nichts ist fragwürdiger als das Subjekt, und immer in diesem Roman trügt der Schein. Die Agentengeschichte dient als Camouflage einer problematischen Selbstsuche. Und Chanina, der wortgewaltige Erzähler, will im Grunde gar nicht so viele Worte machen: Er behauptet, er wäre gerne ein "Körper-Poet". Da er um die zerstörerische Kraft der Worte weiß, glaubt er, nur in der stummen Sprache der Gebärden Wahrheit und Einheit finden zu können. So gerät er freilich in das alte Dilemma, die Wortlosigkeit mit Worten zu beschwören. Dies erinnert wiederum an Sobols ersten Roman "Schweigen", der aus der Sprachverweigerung ein ganzes Erzähluniversum erstehen ließ. Chanina trägt sein kulturkritisches Klagelied jedoch allzu lärmend vor; zumal so manche Dialoge besser kürzer ausgefallen wären.
Sobol hingegen beweist nach "Schweigen" erneut sein Geschick als einfallsreicher Erzähler. Er flicht ein Netz der Identitäten, zerschneidet aber zuweilen die Fäden und läßt sie in der Luft baumeln. Routiniert, doch augenzwinkernd jongliert er mit Thriller-Elementen und philosophischen wie literarischen Anspielungen, mit Shakespeare-Verweisen wie mit der Metafiktionalität.
"Whisky ist auch in Ordnung" ist ein literarisches Rätsel von bewundernswerter Raffinesse, schwer zu entschlüsseln und voller falscher Fährten. Durch den kühlen Zungenschlag, mit dem es daherkommt, wird man nicht recht warm mit Chanina. "Niemand liebte Chanina", heißt es denn auch, und: "Er hatte nichts an sich, was Menschen gerne lieben." Blitzt hier der wahre Chanina auf, ein armer Kerl, der sich in Größenphantasien flüchtet? Oder setzt er sich nur geschickt als einsamer Wolf in Szene? Es spricht zwar für die Bravour des Autors, daß er beide Möglichkeiten offenläßt. Aber letztlich wünscht sich der Leser doch etwas mehr festen Boden unter den Füßen.
ANDREA NEUHAUS
Joshua Sobol: "Whisky ist auch in Ordnung". Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Barbara Linner. Luchterhand Literaturverlag, München 2005. 317 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.12.2005Shylock und die Spinnenfrau
Joshua Sobols Thriller „Whisky ist auch in Ordnung”
Anmaßend ist es schon, dass der israelische Geheimagent und Chef einer Werbeagentur sich Shakespeare nennt. Der Mann erfindet als Stand-up-Poet und Geschichtenerzähler nicht nur, was sein könnte, er will auch sein, was er erfindet. So mag man in ihm einen Urenkel Shakespeares sehen wollen, auch wenn er sich gelegentlich Tyrell Schlusch nennt oder sich am Telefon mit „Shylock” meldet. Seine wahrsten Momente hat der Mann wohl, sobald er sich „Chanina” nennt und aus seiner Zugehörigkeit zu einem Sonderkommando des israelischen Geheimdienstes keinen Hehl macht.
Joshua Sobol, der in seinem zweiten Roman unter dem Titel „Whisky ist auch in Ordnung” auf einen zartbitteren Killerpoeten setzt, legt die Fährten rund um seinen multiplen Helden so, dass Querverweise zum Mossad nicht zu übersehen sind. Die Abteilung des Mossad, die für gezielte Tötungen zuständig sein soll und für die Chanina von Tel Aviv aus operieren würde, wäre er nicht eine Romanfigur, soll sich „Metsade” nennen. Dass Sobols Mann mit der Lizenz zum Töten sich so gerne Shakespeare nennt, könnte man als Versuch sehen, die Geheimdienst-Geschichte poetisch abzumildern. Doch hat Sobol, der im Israel der achtziger Jahre vor allem mit dem Stück „Die Palästinenserin” starke Gegenreaktionen zumal der politischen Rechten hervorrief, auch in seinem zweiten Roman alles andere als Milde im Sinn.
Zumindest in Israel dürfte man die Kombination von Killerinstinkt und Fabulierlust insofern als Provokation empfinden, als der Mossad gelegentlich tatsächlich danebengreift. 1974 verwechselte er einen algerischen Kellner mit dem Chef der PLO-Sicherheitsabteilung. Folgt man Sobol, sind derartige „Kollateralschäden” kein Zufall, sondern dadurch systembedingt, dass den Geheimdiensten ein unbedingter Wille zur Fiktion innewohnt. Chanina jedenfalls ist eine Geheimdienst-Sheherazade. Er fabuliert und tötet, nimmt seine Werbeagentur nicht mehr ganz so ernst, vertieft sich dafür aber umso intensiver in Melissa, deren spinnenartiger Körper ihn nicht unbedingt in große Erregung versetzt, die er aber dennoch liebevoll umsorgt.
Über den Weg läuft ihm die Frau mitten in Manhattan, genau in jenem Augenblick, da er auch einen Syrer zu erkennen glaubt, den er zeit seines Lebens jagt. Adonas ist auch so ein Maskenmann, nennt sich meist Tino und sein Beiname „Syrer” ist insofern zweifelhaft, als er in Wirklichkeit ein „weißrussischer Bastard” sein soll, „in dessen Adern sich deutsches und englisches Blut mischt.”
Pseudo-Syrer in Manhattan
Tino stand auf der Abschussliste von Chaninas Tötungskommando, drehte aber den Spieß um und erledigte zwei Mitglieder der schnellen Eingreiftruppe, bevor er wie eine Chimäre in einer Bodenfalte der syrischen Wüste verschwand. Ob der Mann, den Chanina bei einem teuren Herrenausstatter wiedererkannt zu haben meint, tatsächlich der Pseudo-Syrer ist, weiß niemand so ganz genau. Sicher dagegen scheint, dass es sich um einen brutalen Zuhälter handelt, der Melissa in seinen Fängen hält. So kann Chanina sich als Beschützer fühlen und am Ende sagen, es habe auf jeden Fall keinen Unschuldigen erwischt. Zur Strecke bringt er den Todfeind, indem er ihn in einem fulminanten Wüstenmarathon strategisch zu Tode läuft.
„Weißt du was, wenn ich lüge, tue ich das nur, um eine Wahrheit zu fixieren, die unerschütterlich ist - dass es unmöglich ist, festzustellen, was die Wahrheit ist”, sagt Chanina ziemlich am Ende des Romans zu seinem Freund und Kampfgefährten Jadnuga. Die beiden sitzen in einem Fischrestaurant am südlichen Ende Tel Avivs im alten Jaffa-Hafen, und wie immer ist Chanina auch hier ein Mann der Sorte „Zartbitter”, zerlegt in größter Ruhe einen Krebs, erzählt dem Freund von seiner platonischen Liebe in Manhattan und spinnt die Figur der Melissa kunstvoll weiter, bis man nicht mehr weiß: Hat man es nun mit einer Frau zu tun, die Männern auch ausgefallenere Wünsche erfüllt, oder ist auch sie eine poetische Kopfgeburt des Herrn Shakespeare im Tatmenschen Chanina?
Es ist diesem Zusammenhang nützlich, sich Joshua Sobols Romanerstling ins Gedächtnis zu rufen und klarzumachen, welch völlig anderen Erzählweg er dort einschlug. Mit „Schweigen” wagte Sobol vor vier Jahren eine epische Ausweitung seines Schreibfeldes. Der Roman war ein Wurf. Er überzeugte durch seinen konzentrierten Erzählton und durch einen Protagonisten, der zeit seines Lebens eine selbst auferlegte Stummheit durchhielt, um zu einem Denk- und Erinnerungswesen ganz eigener Art zu reifen und alles zu notieren, was in der eigenen und der Biografie seines israelischen Heimatdorfes von Bedeutung war.
In diesem neuen Roman dagegen verliert Sobol sich gleich zu Beginn im schnellen Identitätswechsel Chaninas und übertreibt zudem das Erzählspiel in Phantasieräumen. Dass der Roman von einer Poetik der Lüge ausgeht, hat man schnell verstanden, tappt aber dennoch orientierungslos durch den Identitätsdschungel des Protagonisten. Stark wird der Roman, sobald die außergewöhnliche Liebe in Manhattan Kontur gewinnt, selbst wenn der Tastversuch zweier verlorener Seelen wohl auch nur eine phantastische Lüge ist. JÜRGEN BERGER
JOSHUA SOBOL: Whisky ist auch in Ordnung. Roman. Aus dem Hebräischen von Barbara Linner. Luchterhand Verlag, München 2005. 320 S., 21,90 Euro.
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Joshua Sobols Thriller „Whisky ist auch in Ordnung”
Anmaßend ist es schon, dass der israelische Geheimagent und Chef einer Werbeagentur sich Shakespeare nennt. Der Mann erfindet als Stand-up-Poet und Geschichtenerzähler nicht nur, was sein könnte, er will auch sein, was er erfindet. So mag man in ihm einen Urenkel Shakespeares sehen wollen, auch wenn er sich gelegentlich Tyrell Schlusch nennt oder sich am Telefon mit „Shylock” meldet. Seine wahrsten Momente hat der Mann wohl, sobald er sich „Chanina” nennt und aus seiner Zugehörigkeit zu einem Sonderkommando des israelischen Geheimdienstes keinen Hehl macht.
Joshua Sobol, der in seinem zweiten Roman unter dem Titel „Whisky ist auch in Ordnung” auf einen zartbitteren Killerpoeten setzt, legt die Fährten rund um seinen multiplen Helden so, dass Querverweise zum Mossad nicht zu übersehen sind. Die Abteilung des Mossad, die für gezielte Tötungen zuständig sein soll und für die Chanina von Tel Aviv aus operieren würde, wäre er nicht eine Romanfigur, soll sich „Metsade” nennen. Dass Sobols Mann mit der Lizenz zum Töten sich so gerne Shakespeare nennt, könnte man als Versuch sehen, die Geheimdienst-Geschichte poetisch abzumildern. Doch hat Sobol, der im Israel der achtziger Jahre vor allem mit dem Stück „Die Palästinenserin” starke Gegenreaktionen zumal der politischen Rechten hervorrief, auch in seinem zweiten Roman alles andere als Milde im Sinn.
Zumindest in Israel dürfte man die Kombination von Killerinstinkt und Fabulierlust insofern als Provokation empfinden, als der Mossad gelegentlich tatsächlich danebengreift. 1974 verwechselte er einen algerischen Kellner mit dem Chef der PLO-Sicherheitsabteilung. Folgt man Sobol, sind derartige „Kollateralschäden” kein Zufall, sondern dadurch systembedingt, dass den Geheimdiensten ein unbedingter Wille zur Fiktion innewohnt. Chanina jedenfalls ist eine Geheimdienst-Sheherazade. Er fabuliert und tötet, nimmt seine Werbeagentur nicht mehr ganz so ernst, vertieft sich dafür aber umso intensiver in Melissa, deren spinnenartiger Körper ihn nicht unbedingt in große Erregung versetzt, die er aber dennoch liebevoll umsorgt.
Über den Weg läuft ihm die Frau mitten in Manhattan, genau in jenem Augenblick, da er auch einen Syrer zu erkennen glaubt, den er zeit seines Lebens jagt. Adonas ist auch so ein Maskenmann, nennt sich meist Tino und sein Beiname „Syrer” ist insofern zweifelhaft, als er in Wirklichkeit ein „weißrussischer Bastard” sein soll, „in dessen Adern sich deutsches und englisches Blut mischt.”
Pseudo-Syrer in Manhattan
Tino stand auf der Abschussliste von Chaninas Tötungskommando, drehte aber den Spieß um und erledigte zwei Mitglieder der schnellen Eingreiftruppe, bevor er wie eine Chimäre in einer Bodenfalte der syrischen Wüste verschwand. Ob der Mann, den Chanina bei einem teuren Herrenausstatter wiedererkannt zu haben meint, tatsächlich der Pseudo-Syrer ist, weiß niemand so ganz genau. Sicher dagegen scheint, dass es sich um einen brutalen Zuhälter handelt, der Melissa in seinen Fängen hält. So kann Chanina sich als Beschützer fühlen und am Ende sagen, es habe auf jeden Fall keinen Unschuldigen erwischt. Zur Strecke bringt er den Todfeind, indem er ihn in einem fulminanten Wüstenmarathon strategisch zu Tode läuft.
„Weißt du was, wenn ich lüge, tue ich das nur, um eine Wahrheit zu fixieren, die unerschütterlich ist - dass es unmöglich ist, festzustellen, was die Wahrheit ist”, sagt Chanina ziemlich am Ende des Romans zu seinem Freund und Kampfgefährten Jadnuga. Die beiden sitzen in einem Fischrestaurant am südlichen Ende Tel Avivs im alten Jaffa-Hafen, und wie immer ist Chanina auch hier ein Mann der Sorte „Zartbitter”, zerlegt in größter Ruhe einen Krebs, erzählt dem Freund von seiner platonischen Liebe in Manhattan und spinnt die Figur der Melissa kunstvoll weiter, bis man nicht mehr weiß: Hat man es nun mit einer Frau zu tun, die Männern auch ausgefallenere Wünsche erfüllt, oder ist auch sie eine poetische Kopfgeburt des Herrn Shakespeare im Tatmenschen Chanina?
Es ist diesem Zusammenhang nützlich, sich Joshua Sobols Romanerstling ins Gedächtnis zu rufen und klarzumachen, welch völlig anderen Erzählweg er dort einschlug. Mit „Schweigen” wagte Sobol vor vier Jahren eine epische Ausweitung seines Schreibfeldes. Der Roman war ein Wurf. Er überzeugte durch seinen konzentrierten Erzählton und durch einen Protagonisten, der zeit seines Lebens eine selbst auferlegte Stummheit durchhielt, um zu einem Denk- und Erinnerungswesen ganz eigener Art zu reifen und alles zu notieren, was in der eigenen und der Biografie seines israelischen Heimatdorfes von Bedeutung war.
In diesem neuen Roman dagegen verliert Sobol sich gleich zu Beginn im schnellen Identitätswechsel Chaninas und übertreibt zudem das Erzählspiel in Phantasieräumen. Dass der Roman von einer Poetik der Lüge ausgeht, hat man schnell verstanden, tappt aber dennoch orientierungslos durch den Identitätsdschungel des Protagonisten. Stark wird der Roman, sobald die außergewöhnliche Liebe in Manhattan Kontur gewinnt, selbst wenn der Tastversuch zweier verlorener Seelen wohl auch nur eine phantastische Lüge ist. JÜRGEN BERGER
JOSHUA SOBOL: Whisky ist auch in Ordnung. Roman. Aus dem Hebräischen von Barbara Linner. Luchterhand Verlag, München 2005. 320 S., 21,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
In einer Doppelrezension bespricht Maik Söhler diesen Roman und den ihm aufs Verblüffendste ähnelnden Debüt seines Landsmanns und Schriftstellerkollegen Benny Barbasch, "Probelauf". Hier wie da geht es um einen erfolgreichen Werbetexter, in diesem Roman heißt er, abwechselnd, "Shylock" und "Shakespeare" und Nino. Er ist Mossad-Agent - in seiner Fantasie wohl nur, das macht der Rezensent aber nicht ganz klar, der Roman womöglich auch nicht. Dieser Held wird - mutmaßlich in seiner Fantasie - in eine Spionage-Geschichte verwickelt und hat Sex mit vielen schönen Frauen. Ausführlich zitiert Söhler, wie der Autor das beschreibt, überaus konventionell nämlich, nicht besser als sein Kollege Barbasch. Beide können also, sollte man wohl resümieren, so ungefähr die selben Dinge nicht, erzählen etwa, und schreiben. Sobol kommt die Ehre zu, noch ein bisschen schlechter zu sein als Barbasch: Das ist aber, daran lässt der Rezensent keinen Zweifel, auch schon egal.
© Perlentaucher Medien GmbH
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