Emilia Roig deckt die Muster der Unterdrückung auf - in der Liebe, in der Ehe, an den Universitäten, in den Medien, im Gerichtssaal, im Beruf, im Gesundheitssystem und in der Justiz. Sie leitet zu radikaler Solidarität an und zeigt - auch anhand der Geschichte ihrer eigenen Familie -, wie Rassismus und Black Pride, Trauma und Auschwitz, Homofeindlichkeit und Queerness, Patriarchat und Feminismus aufeinanderprallen.
"Radikal und behutsam zugleich. Dieses Buch ist ein heilsames, inspirierendes Geschenk." Kübra Gümüsay
"Die Antwort auf viele Fragen unserer unsicheren Zeit heißt: Gleichberechtigung aller. Und dieses großartige Buch ist ein Schritt auf dem Weg dahin."
Sibylle Berg
"Dieses Buch wird verändern, wie Sie die Welt wahrnehmen und Sie verstehen lassen, was Gerechtigkeit wirklich bedeutet."
Teresa Bücker
"Radikal und behutsam zugleich. Dieses Buch ist ein heilsames, inspirierendes Geschenk." Kübra Gümüsay
"Die Antwort auf viele Fragen unserer unsicheren Zeit heißt: Gleichberechtigung aller. Und dieses großartige Buch ist ein Schritt auf dem Weg dahin."
Sibylle Berg
"Dieses Buch wird verändern, wie Sie die Welt wahrnehmen und Sie verstehen lassen, was Gerechtigkeit wirklich bedeutet."
Teresa Bücker
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Sonja Zekri ist bestürzt über die alten "Hierarchien, Entwertungen und verweigerten Chancen", die die Autorin aufzeigt und staunt über die Freundlichkeit, mit der Emilia Roig dennoch dazu aufruft, das Alte hinter sich zu lassen, da unter den herrschenden Verhältnissen immer auch die Täter-Seite leide. Die Forderungen der Autorin findet die Kritikerin radikal, oder auch naiv, jedenfalls aber ist sie beeindruckt von ihrer Fähigkeit, bei klarem Blick auf das vielfältige Opfersein auch die Privilegierung auszumachen, die fast jede auf die eine oder andere Weise gleichzeitig besitzt. Dass nicht Ausgrenzung und Trennung bei Roig herrschen, sondern ein "ozeanisches Miteinander" vorstellbar wird, überrascht die beeindruckte Kritikerin dennoch. In jedem Fall aber beurteilt sie dieses Buch als eine "gute Wahl" für alle, die sich mit dem Thema Diversität auseinandersetzen möchten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2021Ozeanisches
Miteinander
Wohltuend unaufgeregt und optimistisch
mischt sich Emilia Roig in die Debatte um
Repräsentation und Vielfalt ein
VON SONJA ZEKRI
Vielleicht hätte der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse mal Emilia Roig lesen sollen, ehe er sein Manifest weißer Fragilität veröffentlichte. Es müsse endlich Schluss sein mit der Diktatur der Minderheiten, die nur fühlen, aber nicht denken, schrieb er sinngemäß in einem Zeitungsbeitrag und entwarf ein geradezu klassisches Gegeneinander von Biografie, Emotion und Betroffenheit (das Wort gibt es noch) auf der Minderheitenseite und Vernunft, Aufklärung, Wissen auf seiner Seite. Dass Thierse die eigene Perspektive für objektiv und selbstverständlich segensreich für das Gemeinwohl hält, während die anderen lediglich Partikularinteressen folgten und den sozialen Frieden gefährdeten – auch dies hätte er nach ein paar Seiten „Why We Matter“ als altmodische Abwehrstrategie erkannt.
Denn Emilia Roig gelingt in „Why We Matter“ das Kunststück, ein bestürzend dichtes Panorama der Hierarchien, Entwertungen und verweigerten Chancen zu zeichnen, ohne dass es wie eine Abrechnung klingt, sondern stattdessen eher einladend, umarmend. Lassen wir den alten Kram doch hinter uns, wirbt sie, wir alle können nur gewinnen. Auch Männer leiden schließlich unter starren Geschlechterrollen, werden häufiger Opfer von Gewalt, können sich nicht kleiden, wie sie wollen. Welcher europäische Mann wagt es, einen Rock zu tragen, wenn ihm danach ist?
Wer gerade einen guten Tag hat, wird sich diesem freundlichen Menschenbild gern anschließen. All jene, die Ausdiskutieren nicht für den stärksten Motor sozialen Fortschritts halten, dürften sich eher von den radikaleren Überlegungen angesprochen fühlen. Roig, Gründerin und Direktorin des Center for Intersectional Justice in Berlin, fordert das Ende der Polizei, der Gefängnisse, der Ehe, der Arbeit und des Kapitalismus. Sie alle seien Instrumente der Ungleichbehandlung und nicht reformierbar. Weg damit.
Ähnlich schlecht schneidet das westliche Bildungssystem ab, das seinen Kanon vor allem deshalb als überlegen betrachten kann, weil es anderes Wissen nicht wahrnimmt. Für Einwanderer und deren Kinder entfaltet diese Verengung eine höchst ambivalente Wirkung. Bildung und kulturelle Anpassung können sie auf das Niveau der Mehrheitsgesellschaft heben, so das Versprechen, sie als Menschen „veredeln“. Was klingt wie ein Angebot, sei in Wahrheit ein spätes Echo der zivilisatorischen Mission aus der Kolonialzeit, so Roig. Warum sonst werde von Einwanderern aus Syrien oder Afghanistan die möglichst akzentfreie Beherrschung des Deutschen erwartet, nicht aber von amerikanischen oder französischen Kreativen?
Das Ende der Sexarbeit fordert Roig übrigens nicht. Prostituierte seien oft autonome, selbst organisierte Frauen, ihre Kriminalisierung nur ein weiterer Versuch, den weiblichen Körper zu kontrollieren. Deshalb verdienten sie nicht Mitleid, sondern die Solidarität anderer Frauen: „Ein Feminismus, der Sexarbeiter*innen ausschließt, steht auf der Seite des Patriarchats und der Macht“, schreibt Roig.
Aus der Flut woker Werke sticht Emilia Roig nicht nur durch ihren ruhigen Optimismus heraus, der nicht einmal durch den reaktionären Rollback weltweit verunsichert wird. Sie sieht ihn als Reaktion auf das Erreichte, mithin als Kompliment. Roig bringt sogar Verständnis für jene auf, die sich ihrem Kampf nicht anschließen wollen. Ihrer Schwester, einer Kardiologin, fehlen für Aktivismus, und sei es in eigener Sache, die Kapazitäten – eine Einstellung, mit der sie sich in manchen Ecken der sozialen Netzwerke mal besser nicht blicken lässt.
Roig zitiert eine Fülle von Forschungsergebnissen, die oft Bestürzendes dokumentieren, etwa die selbst unter Medizinern verbreitete Annahme, Schwarze empfänden Schmerz nicht so stark wie Weiße. Aber im Grunde beschreibt ihr Buch vor allem ihre eigene Lernkurve als die eines Menschen mit „hybrider Identität“. Ihre Mutter stammt aus Martinique, ihr Vater ist jüdisch-algerisch-spanischer Herkunft. Roig wuchs in Frankreich auf mit einem Großvater, der sie zärtlich liebte, aber ein rassistischer Anhänger des Front National war, und einer Großmutter, die ihre jüdische Herkunft verbarg. Roig heiratete einen Mann, mit dem sie Kinder bekam, ehe sie erkannte, dass sie queer ist. Wenn es jemanden gibt, der „Intersektionalität“ erfahren hat, das Ineinandergreifen verschiedener Ausgrenzungskategorien, dann sie.
Umso bemerkenswerter ist, dass sie auch das Gegenteil kennt, dass sie sich in manchem als privilegiert betrachtet – gegenüber akademisch Ungebildeten beispielsweise, gegenüber Behinderten oder Dicken. Das Tückische an Privilegien sei, dass sie immer dann, wenn sie nützlich sind, nicht mehr wahrgenommen werden, schreibt sie, schließlich möchte niemand die eigene Leistung schmälern. Nach jetzigem Verständnis des Begriffs läuft es aber gerade darauf hinaus: Wären dieser weiße Mann, diese schwarze Frau wirklich so erfolgreich, wenn er nicht von seiner Peer Group und sie nicht von einer Frauen-Quote profitiert hätte?
Roig, und das ist das Befreiende, betrachtet jeden in dieser oder jener Hinsicht als privilegiert gegenüber einem anderen. Damit verliert der Begriff das Schneidende, Trennende. Das wird auch Zeit, wie spätestens der Streit um die weiße Übersetzerin der schwarzen Lyrikerin Amanda Gorman zeigt. Hat nur eine schwarze Übersetzerin die erforderliche historische und politische Prägung, um schwarzen Themen eine Stimme zu geben? Hilft es, dass die weiße Übersetzerin Gormans eine queere Frau ist, um Zurückweisung sprachlich erfahrbar zu machen? Schlimmstenfalls führen solche Fragen zu einem Wettbewerb der Unterdrückten, der nicht zu gewinnen ist. Irgendwann kramen selbst jene, denen es eigentlich ganz gut geht, wenigstens ein bisschen Zurückgesetztwerden heraus, um mitzureden.
Angesichts des schonungslosen Blicks auf die Gesamtsituation fällt Roigs Ende überraschend rosig aus. In einer spirituellen, fast esoterischen Wende entwirft sie eine Befreiung der Menschheitsfamilie, ein ozeanisches Miteinander.
Man könnte sich aber auch einen ganz anderen Schluss vorstellen, denn die Konsequenzen ihres erweiterten Privilegien-Begriffs für den politischen Diskurs liegen auf der Hand. Für viele Angehörige der westlichen Wohlstandsgesellschaft ist ein Leben ohne Klimaschutz oder Demokratie oder auch nur ohne den Kampf um Gleichstellung kaum vorstellbar. Die wenigstens machen sich klar, dass man sich solche Ideale erst mal leisten können muss. Ein indischer Wanderarbeiter oder eine chinesische Bäuerin haben genug damit zu tun, die nächsten Jahre zu überleben.
Müsste man aus dem breiten Angebot zum Thema ein einziges Buch wählen, um den Stand der Forschung und der Debatte anschlussfähig darzulegen, dann wäre „Why We Matter“ eine gute Wahl. Und sage niemand, es sei schon so viel erreicht in Sachen Diversität. Ausgerechnet auf Emilia Roigs Twitter-Account fand sich vor wenigen Tagen zwischen den Beiträgen zu „Why We Matter“ ein Werbetweet. Unter der Überschrift „Beauty Focus“ sah man zwei junge Frauen mit makelloser weißer Haut. Der Link dazu lautete „faltenfreialtern.com“.
Privilegien sind das, was
man nicht mehr bemerkt,
wenn man es hat
Emilia Roig:
Why we matter -
Das Ende
der Unterdrückung.
Aufbau Verlag,
Berlin 2021.
400 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Miteinander
Wohltuend unaufgeregt und optimistisch
mischt sich Emilia Roig in die Debatte um
Repräsentation und Vielfalt ein
VON SONJA ZEKRI
Vielleicht hätte der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse mal Emilia Roig lesen sollen, ehe er sein Manifest weißer Fragilität veröffentlichte. Es müsse endlich Schluss sein mit der Diktatur der Minderheiten, die nur fühlen, aber nicht denken, schrieb er sinngemäß in einem Zeitungsbeitrag und entwarf ein geradezu klassisches Gegeneinander von Biografie, Emotion und Betroffenheit (das Wort gibt es noch) auf der Minderheitenseite und Vernunft, Aufklärung, Wissen auf seiner Seite. Dass Thierse die eigene Perspektive für objektiv und selbstverständlich segensreich für das Gemeinwohl hält, während die anderen lediglich Partikularinteressen folgten und den sozialen Frieden gefährdeten – auch dies hätte er nach ein paar Seiten „Why We Matter“ als altmodische Abwehrstrategie erkannt.
Denn Emilia Roig gelingt in „Why We Matter“ das Kunststück, ein bestürzend dichtes Panorama der Hierarchien, Entwertungen und verweigerten Chancen zu zeichnen, ohne dass es wie eine Abrechnung klingt, sondern stattdessen eher einladend, umarmend. Lassen wir den alten Kram doch hinter uns, wirbt sie, wir alle können nur gewinnen. Auch Männer leiden schließlich unter starren Geschlechterrollen, werden häufiger Opfer von Gewalt, können sich nicht kleiden, wie sie wollen. Welcher europäische Mann wagt es, einen Rock zu tragen, wenn ihm danach ist?
Wer gerade einen guten Tag hat, wird sich diesem freundlichen Menschenbild gern anschließen. All jene, die Ausdiskutieren nicht für den stärksten Motor sozialen Fortschritts halten, dürften sich eher von den radikaleren Überlegungen angesprochen fühlen. Roig, Gründerin und Direktorin des Center for Intersectional Justice in Berlin, fordert das Ende der Polizei, der Gefängnisse, der Ehe, der Arbeit und des Kapitalismus. Sie alle seien Instrumente der Ungleichbehandlung und nicht reformierbar. Weg damit.
Ähnlich schlecht schneidet das westliche Bildungssystem ab, das seinen Kanon vor allem deshalb als überlegen betrachten kann, weil es anderes Wissen nicht wahrnimmt. Für Einwanderer und deren Kinder entfaltet diese Verengung eine höchst ambivalente Wirkung. Bildung und kulturelle Anpassung können sie auf das Niveau der Mehrheitsgesellschaft heben, so das Versprechen, sie als Menschen „veredeln“. Was klingt wie ein Angebot, sei in Wahrheit ein spätes Echo der zivilisatorischen Mission aus der Kolonialzeit, so Roig. Warum sonst werde von Einwanderern aus Syrien oder Afghanistan die möglichst akzentfreie Beherrschung des Deutschen erwartet, nicht aber von amerikanischen oder französischen Kreativen?
Das Ende der Sexarbeit fordert Roig übrigens nicht. Prostituierte seien oft autonome, selbst organisierte Frauen, ihre Kriminalisierung nur ein weiterer Versuch, den weiblichen Körper zu kontrollieren. Deshalb verdienten sie nicht Mitleid, sondern die Solidarität anderer Frauen: „Ein Feminismus, der Sexarbeiter*innen ausschließt, steht auf der Seite des Patriarchats und der Macht“, schreibt Roig.
Aus der Flut woker Werke sticht Emilia Roig nicht nur durch ihren ruhigen Optimismus heraus, der nicht einmal durch den reaktionären Rollback weltweit verunsichert wird. Sie sieht ihn als Reaktion auf das Erreichte, mithin als Kompliment. Roig bringt sogar Verständnis für jene auf, die sich ihrem Kampf nicht anschließen wollen. Ihrer Schwester, einer Kardiologin, fehlen für Aktivismus, und sei es in eigener Sache, die Kapazitäten – eine Einstellung, mit der sie sich in manchen Ecken der sozialen Netzwerke mal besser nicht blicken lässt.
Roig zitiert eine Fülle von Forschungsergebnissen, die oft Bestürzendes dokumentieren, etwa die selbst unter Medizinern verbreitete Annahme, Schwarze empfänden Schmerz nicht so stark wie Weiße. Aber im Grunde beschreibt ihr Buch vor allem ihre eigene Lernkurve als die eines Menschen mit „hybrider Identität“. Ihre Mutter stammt aus Martinique, ihr Vater ist jüdisch-algerisch-spanischer Herkunft. Roig wuchs in Frankreich auf mit einem Großvater, der sie zärtlich liebte, aber ein rassistischer Anhänger des Front National war, und einer Großmutter, die ihre jüdische Herkunft verbarg. Roig heiratete einen Mann, mit dem sie Kinder bekam, ehe sie erkannte, dass sie queer ist. Wenn es jemanden gibt, der „Intersektionalität“ erfahren hat, das Ineinandergreifen verschiedener Ausgrenzungskategorien, dann sie.
Umso bemerkenswerter ist, dass sie auch das Gegenteil kennt, dass sie sich in manchem als privilegiert betrachtet – gegenüber akademisch Ungebildeten beispielsweise, gegenüber Behinderten oder Dicken. Das Tückische an Privilegien sei, dass sie immer dann, wenn sie nützlich sind, nicht mehr wahrgenommen werden, schreibt sie, schließlich möchte niemand die eigene Leistung schmälern. Nach jetzigem Verständnis des Begriffs läuft es aber gerade darauf hinaus: Wären dieser weiße Mann, diese schwarze Frau wirklich so erfolgreich, wenn er nicht von seiner Peer Group und sie nicht von einer Frauen-Quote profitiert hätte?
Roig, und das ist das Befreiende, betrachtet jeden in dieser oder jener Hinsicht als privilegiert gegenüber einem anderen. Damit verliert der Begriff das Schneidende, Trennende. Das wird auch Zeit, wie spätestens der Streit um die weiße Übersetzerin der schwarzen Lyrikerin Amanda Gorman zeigt. Hat nur eine schwarze Übersetzerin die erforderliche historische und politische Prägung, um schwarzen Themen eine Stimme zu geben? Hilft es, dass die weiße Übersetzerin Gormans eine queere Frau ist, um Zurückweisung sprachlich erfahrbar zu machen? Schlimmstenfalls führen solche Fragen zu einem Wettbewerb der Unterdrückten, der nicht zu gewinnen ist. Irgendwann kramen selbst jene, denen es eigentlich ganz gut geht, wenigstens ein bisschen Zurückgesetztwerden heraus, um mitzureden.
Angesichts des schonungslosen Blicks auf die Gesamtsituation fällt Roigs Ende überraschend rosig aus. In einer spirituellen, fast esoterischen Wende entwirft sie eine Befreiung der Menschheitsfamilie, ein ozeanisches Miteinander.
Man könnte sich aber auch einen ganz anderen Schluss vorstellen, denn die Konsequenzen ihres erweiterten Privilegien-Begriffs für den politischen Diskurs liegen auf der Hand. Für viele Angehörige der westlichen Wohlstandsgesellschaft ist ein Leben ohne Klimaschutz oder Demokratie oder auch nur ohne den Kampf um Gleichstellung kaum vorstellbar. Die wenigstens machen sich klar, dass man sich solche Ideale erst mal leisten können muss. Ein indischer Wanderarbeiter oder eine chinesische Bäuerin haben genug damit zu tun, die nächsten Jahre zu überleben.
Müsste man aus dem breiten Angebot zum Thema ein einziges Buch wählen, um den Stand der Forschung und der Debatte anschlussfähig darzulegen, dann wäre „Why We Matter“ eine gute Wahl. Und sage niemand, es sei schon so viel erreicht in Sachen Diversität. Ausgerechnet auf Emilia Roigs Twitter-Account fand sich vor wenigen Tagen zwischen den Beiträgen zu „Why We Matter“ ein Werbetweet. Unter der Überschrift „Beauty Focus“ sah man zwei junge Frauen mit makelloser weißer Haut. Der Link dazu lautete „faltenfreialtern.com“.
Privilegien sind das, was
man nicht mehr bemerkt,
wenn man es hat
Emilia Roig:
Why we matter -
Das Ende
der Unterdrückung.
Aufbau Verlag,
Berlin 2021.
400 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2021Im Dienst der großen Umwälzung
Alles eine Frage der Macht: Emilia Roig erörtert Gründe und Formen alltäglicher Diskriminierung
Stellen wir uns eine Mutter vor, die ihrem Sohn aus einem Buch vorliest. Der Vielfalt wegen ändert sie beim Lesen hin und wieder Namen und Geschlechter, so auch bei der Geschichte über den sechs Jahre alten Alexander den Großen, der das Pferd Bucephalus zähmt. Die letzte Zeile des Kinderbuches lautet: "Alexander, du wirst Großes vollbringen!" Die Mutter sagt: "Alexandra". Nach einer kurzen Pause will der Sohn wissen, ob es sich bei dem mutigen Kind wirklich um ein Mädchen handle. Aber sicher, sagt die Mutter. "Nicht für mich", urteilt ihr Sohn. "Für mich ist sie ein Junge."
Die Autorin und Aktivistin Emilia Roig beschreibt die Reaktion ihres Sohns als Ausdruck eines inneren Konflikts. Er will sich mit der Heldin identifizieren, aber kein Mädchen sein. Wäre er ein Mädchen, so Roig, und Alexander bliebe ein Junge, hätte das Kind die Frage nach dem Geschlecht mit großer Wahrscheinlichkeit nicht gestellt. "Nicht nur Mädchen lernen, die Welt aus der Perspektive der Jungen zu betrachten", schreibt Roig. Nichtweiße Menschen lernen, sich in weiße Menschen hineinzuversetzen, Queere in Heteros. Die natürliche Abgrenzung ihres Sohns ist als Empathielücke bekannt. Die Vielfalt der ungleich verteilten Heldengeschichten als Intersektionalität.
Emilia Roig ist mit zwei Geschwistern in einem Pariser Vorort aufgewachsen. Ihre Mutter stammt aus Martinique, ihr Vater ist als Sohn eines Pied-Noir in Algerien geboren. Ihr Alltag, schreibt sie, war von Rassismus geprägt, auch weil die Eltern des Vaters aus der Hautfarbe der Kinder eine Art Fetisch machten und über andere nicht-weiße Menschen herzogen.
Obwohl sie sich schon früh zu anderen Frauen hingezogen fühlte, heiratete Emilia Roig einen Mann: "Seit meiner Kindheit habe ich verinnerlicht, dass Ehe und Kinderhaben keine Optionen sind, sondern unentbehrliche Etappen im Leben, ohne die eine Frau keine Erfüllung erfahren kann." Die Beziehung galt ihr als nötige Bedingung dafür, Mutter zu werden. Für den Erhalt des Gleichgewichts in der Ehe lernte sie, sich ahnungslos zu stellen, sich von ihrem Mann die Welt erklären zu lassen.
Roig ist 37 Jahre alt. Sie hat Jura und Politik studiert, wurde in Berlin promoviert, lehrt an Hochschulen in Frankreich, Deutschland und Amerika postkoloniale Studien, Völkerrecht, Intersektionalität und Critical Race Theory. Bevor sie ankam, wo sie sich jetzt befindet, hat sie unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen gemacht: als Queere, als Schwarze und als Frau. Sie lässt deshalb kein gutes Haar an den Machtmechanismen unserer Welt.
Ihr Buch zu lesen ist ein Test an den eigenen Empathielücken. Für eine heterosexuelle, weiße Leserin beginnt die Identifikation dort, wo Roig von den Erwartungen an sie als junge Frau berichtet, und endet mit ihrer Auflehnung gegen stereotype partnerschaftliche Rollen. Dann liest man von der Abwertung von Weiblichkeit, auf der Trans- und Homofeindlichkeit basierten, von der Hierarchie zwischen zwei konstruierten Geschlechtern, von unbewussten Vorurteilen.
Die Autorin führt ein Beispiel nach dem anderen an, wie etwa während des vierstündigen Urteilsspruchs nach den NSU-Morden und auf dreitausend Seiten Urteil kein Satz für die Familien der Opfer fiel. Nun, schreibt sie, werde sie die sozialen Hierarchien aufdecken, die dafür gesorgt haben, dass die Realität der einen als spezifisch und die der anderen als universell betrachtet werde.
Die Dichte, die Beweisführung, der instruktive Ton: "Why We Matter" ist eine anstrengende Lektüre. Wem gilt all das, denkt man, legt das Buch weg, fühlt sich belehrt: Sogar am Wohlfühlfilm "Ziemlich beste Freunde" hat Roig etwas auszusetzen. Alle Klischees über Klasse, Behinderung und schwarze Männer würden darin bedient, und eben weil er gesellschaftliche Ordnung erhält, berühre der Film so sehr.
Dann nimmt man das Buch doch wieder zur Hand und liest weiter, von der Angst der Privilegierten, sich eingestehen zu müssen, dass nicht alles in ihrem Leben durch Talent und harte Arbeit erkämpft ist, sondern Konsequenz einer gesellschaftlichen Bevormundung. Für diejenigen, bei denen solche Sätze ein Frösteln auslösen, für die Wegleger und Weiterleser, schreibt sie, und sie dürften in der Mehrzahl sein.
Roig greift ins Herz des Bildungssystems und zerrt an ihm. Sie beklagt das Fehlen postkolonialer und anderer kritischer Studien im Lehrplan, in der Literatur und Philosophie, vermisst eine weitere, nicht von weißen europäischen Männern artikulierte Perspektive auf die Welt. Warum lernten Kinder in Martinique und Guadeloupe alles über das europäische Mittelalter und nahezu nichts von der Sklaverei und der kolonialen Vorgeschichte ihrer Inseln? Bis der Löwe aus seiner Perspektive erzählt, so laute ein Sprichwort aus Simbabwe, werde die Erzählung von der Jagd immer den Jäger verherrlichen.
Im Dienst der gesellschaftlichen Umwälzung geht Roig sehr weit. Auch die im Verlauf der "Black Lives Matter"-Proteste entstandene Debatte über die Abschaffung der Polizei soll an dieser Stelle geführt werden, die Annahme entlarvt, Kriminalität habe mit mangelnder Disziplin und Pathologie zu tun. Wenn es heißt, New York sei sicherer geworden, bedeute das nicht Sicherheit für alle.
Ob die Entfernung des Räderwerks aber die Arbeit einer stinkenden alten Maschine verbessert? Es wäre Zündstoff für ein neues Buch. Und wenn sie anführt, die von ihr erklärte Ausnahmebehandlung der Schoa liege darin begründet, dass es sich um ein Verbrechen gegen weiße Menschen handle (hier sucht Roig Zuflucht in einem Zitat von Aimé Césaire), was wiederum eine tiefe Auseinandersetzung mit dem Rassismus in Deutschland verhindere, hat das Frösteln einen anderen Ursprung. Dass Emilia Roig einen in seiner Radikalität essentiellen Beitrag zu den Diskriminierungsdebatten dieser Zeit geschrieben hat, steht außer Zweifel. Er wird es so lange bleiben, bis eine ganze Reihe weiterer Empathielücken geschlossen ist.
ELENA WITZECK.
Emilia Roig: "Why We Matter".
Das Ende der Unterdrückung.
Aufbau Verlag, Berlin 2021. 397 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alles eine Frage der Macht: Emilia Roig erörtert Gründe und Formen alltäglicher Diskriminierung
Stellen wir uns eine Mutter vor, die ihrem Sohn aus einem Buch vorliest. Der Vielfalt wegen ändert sie beim Lesen hin und wieder Namen und Geschlechter, so auch bei der Geschichte über den sechs Jahre alten Alexander den Großen, der das Pferd Bucephalus zähmt. Die letzte Zeile des Kinderbuches lautet: "Alexander, du wirst Großes vollbringen!" Die Mutter sagt: "Alexandra". Nach einer kurzen Pause will der Sohn wissen, ob es sich bei dem mutigen Kind wirklich um ein Mädchen handle. Aber sicher, sagt die Mutter. "Nicht für mich", urteilt ihr Sohn. "Für mich ist sie ein Junge."
Die Autorin und Aktivistin Emilia Roig beschreibt die Reaktion ihres Sohns als Ausdruck eines inneren Konflikts. Er will sich mit der Heldin identifizieren, aber kein Mädchen sein. Wäre er ein Mädchen, so Roig, und Alexander bliebe ein Junge, hätte das Kind die Frage nach dem Geschlecht mit großer Wahrscheinlichkeit nicht gestellt. "Nicht nur Mädchen lernen, die Welt aus der Perspektive der Jungen zu betrachten", schreibt Roig. Nichtweiße Menschen lernen, sich in weiße Menschen hineinzuversetzen, Queere in Heteros. Die natürliche Abgrenzung ihres Sohns ist als Empathielücke bekannt. Die Vielfalt der ungleich verteilten Heldengeschichten als Intersektionalität.
Emilia Roig ist mit zwei Geschwistern in einem Pariser Vorort aufgewachsen. Ihre Mutter stammt aus Martinique, ihr Vater ist als Sohn eines Pied-Noir in Algerien geboren. Ihr Alltag, schreibt sie, war von Rassismus geprägt, auch weil die Eltern des Vaters aus der Hautfarbe der Kinder eine Art Fetisch machten und über andere nicht-weiße Menschen herzogen.
Obwohl sie sich schon früh zu anderen Frauen hingezogen fühlte, heiratete Emilia Roig einen Mann: "Seit meiner Kindheit habe ich verinnerlicht, dass Ehe und Kinderhaben keine Optionen sind, sondern unentbehrliche Etappen im Leben, ohne die eine Frau keine Erfüllung erfahren kann." Die Beziehung galt ihr als nötige Bedingung dafür, Mutter zu werden. Für den Erhalt des Gleichgewichts in der Ehe lernte sie, sich ahnungslos zu stellen, sich von ihrem Mann die Welt erklären zu lassen.
Roig ist 37 Jahre alt. Sie hat Jura und Politik studiert, wurde in Berlin promoviert, lehrt an Hochschulen in Frankreich, Deutschland und Amerika postkoloniale Studien, Völkerrecht, Intersektionalität und Critical Race Theory. Bevor sie ankam, wo sie sich jetzt befindet, hat sie unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen gemacht: als Queere, als Schwarze und als Frau. Sie lässt deshalb kein gutes Haar an den Machtmechanismen unserer Welt.
Ihr Buch zu lesen ist ein Test an den eigenen Empathielücken. Für eine heterosexuelle, weiße Leserin beginnt die Identifikation dort, wo Roig von den Erwartungen an sie als junge Frau berichtet, und endet mit ihrer Auflehnung gegen stereotype partnerschaftliche Rollen. Dann liest man von der Abwertung von Weiblichkeit, auf der Trans- und Homofeindlichkeit basierten, von der Hierarchie zwischen zwei konstruierten Geschlechtern, von unbewussten Vorurteilen.
Die Autorin führt ein Beispiel nach dem anderen an, wie etwa während des vierstündigen Urteilsspruchs nach den NSU-Morden und auf dreitausend Seiten Urteil kein Satz für die Familien der Opfer fiel. Nun, schreibt sie, werde sie die sozialen Hierarchien aufdecken, die dafür gesorgt haben, dass die Realität der einen als spezifisch und die der anderen als universell betrachtet werde.
Die Dichte, die Beweisführung, der instruktive Ton: "Why We Matter" ist eine anstrengende Lektüre. Wem gilt all das, denkt man, legt das Buch weg, fühlt sich belehrt: Sogar am Wohlfühlfilm "Ziemlich beste Freunde" hat Roig etwas auszusetzen. Alle Klischees über Klasse, Behinderung und schwarze Männer würden darin bedient, und eben weil er gesellschaftliche Ordnung erhält, berühre der Film so sehr.
Dann nimmt man das Buch doch wieder zur Hand und liest weiter, von der Angst der Privilegierten, sich eingestehen zu müssen, dass nicht alles in ihrem Leben durch Talent und harte Arbeit erkämpft ist, sondern Konsequenz einer gesellschaftlichen Bevormundung. Für diejenigen, bei denen solche Sätze ein Frösteln auslösen, für die Wegleger und Weiterleser, schreibt sie, und sie dürften in der Mehrzahl sein.
Roig greift ins Herz des Bildungssystems und zerrt an ihm. Sie beklagt das Fehlen postkolonialer und anderer kritischer Studien im Lehrplan, in der Literatur und Philosophie, vermisst eine weitere, nicht von weißen europäischen Männern artikulierte Perspektive auf die Welt. Warum lernten Kinder in Martinique und Guadeloupe alles über das europäische Mittelalter und nahezu nichts von der Sklaverei und der kolonialen Vorgeschichte ihrer Inseln? Bis der Löwe aus seiner Perspektive erzählt, so laute ein Sprichwort aus Simbabwe, werde die Erzählung von der Jagd immer den Jäger verherrlichen.
Im Dienst der gesellschaftlichen Umwälzung geht Roig sehr weit. Auch die im Verlauf der "Black Lives Matter"-Proteste entstandene Debatte über die Abschaffung der Polizei soll an dieser Stelle geführt werden, die Annahme entlarvt, Kriminalität habe mit mangelnder Disziplin und Pathologie zu tun. Wenn es heißt, New York sei sicherer geworden, bedeute das nicht Sicherheit für alle.
Ob die Entfernung des Räderwerks aber die Arbeit einer stinkenden alten Maschine verbessert? Es wäre Zündstoff für ein neues Buch. Und wenn sie anführt, die von ihr erklärte Ausnahmebehandlung der Schoa liege darin begründet, dass es sich um ein Verbrechen gegen weiße Menschen handle (hier sucht Roig Zuflucht in einem Zitat von Aimé Césaire), was wiederum eine tiefe Auseinandersetzung mit dem Rassismus in Deutschland verhindere, hat das Frösteln einen anderen Ursprung. Dass Emilia Roig einen in seiner Radikalität essentiellen Beitrag zu den Diskriminierungsdebatten dieser Zeit geschrieben hat, steht außer Zweifel. Er wird es so lange bleiben, bis eine ganze Reihe weiterer Empathielücken geschlossen ist.
ELENA WITZECK.
Emilia Roig: "Why We Matter".
Das Ende der Unterdrückung.
Aufbau Verlag, Berlin 2021. 397 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Dass Emilia Roig einen in seiner Radikalität essentiellen Beitrag zu den Diskriminierungsdebatten dieser Zeitgeschrieben hat, steht außer Zweifel. Er wird es so lange bleiben, bis eine ganze Reihe weiterer Empathielücken geschlossen ist.« Frankfurter Allgemeine Zeitung 20210319