Dieses Buch schließt endlich eine wirkliche Lücke. Allerdings: Snackt Ostfriesland wirklich so? Snackt Ostfriesland überhaupt? Die Mehrheit würde sagen: Wi proten Platt.Ostfriesland zerfällt also in Proterland und Snackerland. Das war schon immer so. Also, seit da wieder Menschen wohnen. Die großen Moorgebiete, die das Land von Nordwesten bis Südosten durchzogen, teilten die ostfriesische Halbinsel. So blieben die Friesen an der südlichen Nordsee lange Zeit wenig betroffen von den Entwicklungen im Binnenland. Sie behielten ihre Sprache, ihre Sitten und gesellschaftlichen Strukturen.Ihre friesische Sprache gaben sie auf, als es ihnen vorteilhafter schien, so wie die meisten anderen Niederdeutsch zu sprechen. Und es lohnt sich, mal zuzuhören. Dieses Buch ist dabei eine kleine Hilfe.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.02.2022Cool und locker
"Fridays for Future" hat einen Vorläufer - in Ostfriesland. Unter dem Motto "Fredag is Plattdag. Daar snackt, daar proten wi Platt" verweigern sich die Ostfriesen schon seit Langem freitags zwar nicht dem Schulzwang, doch dem Zwang, Hochdeutsch zu sprechen. Das erfährt man in dem Buch des Niederdeutsch-Experten Carl-Heinz Dirks, das Deutschlands berühmtester Ostfriese, Otto Waalkes, mit einem Grußwort geadelt hat. Und auch der "Düütse" (wie die Einheimischen Nicht-Ostfriesen nennen) bekommt auf amüsante Weise genug sprachliche und landeskundliche Informationen, um nicht als "Dööskopp" (Dummkopf) zu gelten. Er erfährt etwa, dass einst schräg durchs Land eine Sprachgrenze verlief, auf deren Seiten man zwei verschiedene Arten von Platt sprach. Im Südwesten um Aurich und Leer herum "proten" die Einheimischen Plattdeutsch, während die Harlinger im Nordosten Platt "snacken". Die Ursache ist geographischer Natur: Ein riesiges, schwer zu überwindendes Moor trennte jahrhundertelang die Menschen und wirkte so auch als Sprachbarriere. Obwohl das Niederdeutsche heute außerhalb Ostfrieslands bestenfalls ein Nischendasein in alten Fernsehaufzeichnungen des Ohnsorg-Theaters führt, galt es einst als Sprache der Zukunft. So hatte im fünfzehnten Jahrhundert das Plattdeutsche das Friesische als Sprache der mächtigen Hanse ersetzt. Und die erste vollständige Bibelübersetzung nach der Reformation in Deutschland war nicht etwa eine in hochdeutscher Sprache, sondern eine niederdeutsche, 1534 in Lübeck übersetzt von Luthers Weggefährten Johannes Bugenhagen. Unbekannt ist vermutlich auch, dass die amerikanischen Komiker Marx Brothers ostfriesische Wurzeln haben. Ihre Großeltern Levy und Fanny Schönberg stammten aus Dornum und schlugen sich als Jodlerin und Bauchredner durch, bevor sie nach Amerika auswanderten. Ihren Sinn für Humor haben die Komiker offenbar von ihrem Großvater. Als dieser einer Magd beim Melken zusah, sagte er zu ihr aus dem Bauch heraus: "Harrijasses, Martha, wat hest du för kolle Fingers." Woraufhin die Magd mit dem entsetzten Aufschrei "De Koh kann proten!" ins Haus lief. Nag.
"Wi proten und wi snackt in Ostfriesland" von Carl-Heinz Dirks. Ellert und Richter Verlag, Hamburg 2021. 210 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Broschiert, 12 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Fridays for Future" hat einen Vorläufer - in Ostfriesland. Unter dem Motto "Fredag is Plattdag. Daar snackt, daar proten wi Platt" verweigern sich die Ostfriesen schon seit Langem freitags zwar nicht dem Schulzwang, doch dem Zwang, Hochdeutsch zu sprechen. Das erfährt man in dem Buch des Niederdeutsch-Experten Carl-Heinz Dirks, das Deutschlands berühmtester Ostfriese, Otto Waalkes, mit einem Grußwort geadelt hat. Und auch der "Düütse" (wie die Einheimischen Nicht-Ostfriesen nennen) bekommt auf amüsante Weise genug sprachliche und landeskundliche Informationen, um nicht als "Dööskopp" (Dummkopf) zu gelten. Er erfährt etwa, dass einst schräg durchs Land eine Sprachgrenze verlief, auf deren Seiten man zwei verschiedene Arten von Platt sprach. Im Südwesten um Aurich und Leer herum "proten" die Einheimischen Plattdeutsch, während die Harlinger im Nordosten Platt "snacken". Die Ursache ist geographischer Natur: Ein riesiges, schwer zu überwindendes Moor trennte jahrhundertelang die Menschen und wirkte so auch als Sprachbarriere. Obwohl das Niederdeutsche heute außerhalb Ostfrieslands bestenfalls ein Nischendasein in alten Fernsehaufzeichnungen des Ohnsorg-Theaters führt, galt es einst als Sprache der Zukunft. So hatte im fünfzehnten Jahrhundert das Plattdeutsche das Friesische als Sprache der mächtigen Hanse ersetzt. Und die erste vollständige Bibelübersetzung nach der Reformation in Deutschland war nicht etwa eine in hochdeutscher Sprache, sondern eine niederdeutsche, 1534 in Lübeck übersetzt von Luthers Weggefährten Johannes Bugenhagen. Unbekannt ist vermutlich auch, dass die amerikanischen Komiker Marx Brothers ostfriesische Wurzeln haben. Ihre Großeltern Levy und Fanny Schönberg stammten aus Dornum und schlugen sich als Jodlerin und Bauchredner durch, bevor sie nach Amerika auswanderten. Ihren Sinn für Humor haben die Komiker offenbar von ihrem Großvater. Als dieser einer Magd beim Melken zusah, sagte er zu ihr aus dem Bauch heraus: "Harrijasses, Martha, wat hest du för kolle Fingers." Woraufhin die Magd mit dem entsetzten Aufschrei "De Koh kann proten!" ins Haus lief. Nag.
"Wi proten und wi snackt in Ostfriesland" von Carl-Heinz Dirks. Ellert und Richter Verlag, Hamburg 2021. 210 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Broschiert, 12 Euro.
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