Regensburg vor dem Zweiten Weltkrieg: Ludwig Fichtlscherer, 1924 in Regensburg geboren, wohnte mit seinen Eltern im Velodrom. Da er das Herz am rechten Fleck hat, kann man es nicht Unwesen nennen, was er in seiner Kindheit da trieb. Der Regensburger Arnulfsplatz, sowie die Altstadt und die Donaulände, sind Schauplätze seiner witzigen Geschichten. Der aufgeweckte Ludwig Fichtlscherer hält mit lustigen Streichen seine Regensburger Heimat in Atem. Er erzählt Geschichten von den Hausfrauen, die sich mid Schauferl und Beserl um de Roßboin graffd ham, weils de fia eahnane Blumaschdögg braucht ham, fliegenden Maikäfern während der Hl. Messe, sowie von Dotschngmias, Soachlruamkraut und seinem Freund den Dipferl. Erinnern Sie sich mit Ludwig Fichtlscherers Lausbubengeschichten an Regensburg anno dazumal.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.01.2014World Wide Wiggerl
Der 89 Jahre alte Ludwig Fichtlscherer postet täglich Erlebnisse aus seiner Kindheit
in Regensburg auf Facebook. Seine Fangemeinde reicht bis nach Amerika
VON HANS KRATZER
Regensburg – Sozialbetrug, Armutszuwanderung, Problemviertel – Schlagwörter wie diese begleiten die politischen Debatten im reichen Deutschland, das sich mehr denn je mit der Armut und der Not in Südosteuropa konfrontiert sieht. Dabei haben viele Deutsche vor Jahrzehnten selber noch Mangelwirtschaft und Entbehrungen kennengelernt. Zu ihnen zählt der 89-jährige Ludwig Fichtlscherer, der am Chiemsee lebt, aber in Regensburg aufgewachsen ist. Er ist zwar nicht der erste Zeitzeuge der Weimarer Republik, der seine Erinnerungen aufgeschrieben hat, aber er ist einer der pfiffigsten. Denn trotz seines fortgeschrittenen Alters bewegt sich Fichtlscherer souverän auf der Höhe der Zeit, was nichts anderes heißt, als dass er seine Memoiren auf Facebook gepostet hat.
Seit gut einem Jahr veröffentlicht er auf der Internet-Plattform fast täglich eine Geschichte aus seinen Regensburger Jugendjahren. Dabei klagt er nicht, dass es damals keine Playstation gab, sondern er schildert seine kleine Kinderwelt auf eine dermaßen witzige Art, dass ihm im Netz schon mehr Fans folgen als so manchem Mister-Wichtig-Blogger. Selbst in Amerika hat der Wiggerl, wie ihn seine Freunde nennen, viele Anhänger, vor allem solche, die ihre Kindheit im alten Bayern verbracht haben. Mittlerweile muss man nicht einmal mehr eine Facebook-Freundschaft mit Fichtlscherer schließen, um seine Texte lesen zu können. 86 Geschichten sind nun nämlich in ein Buch gepresst worden, das lediglich einen Haken hat. Fichtlscherer schreibt im harten Dialekt seiner Jugendzeit und gebraucht faszinierend bildhafte Begrifflichkeiten, die aber nicht mehr jedem geläufig sind. Trotzdem: Der Leser wird mit dem Elend und den Freuden der 30er Jahre so authentisch konfrontiert, dass er sich diesem Sog kaum entziehen kann.
Fichtlscherers Texte beschönigen bei aller Unterhaltsamkeit keineswegs die schlimmen Lebensverhältnisse, die für die heutige Wohlstandsbevölkerung unvorstellbar sind. Und doch entwickelten sich damals Kindheiten, deren Erlebnisschwere, Bewegungsfreiheit und emotionale Kraft in den reglementierten und konsumgesteuerten Zwängen von heute nicht mehr aufblühen dürfen. Auch nicht Schulstreiche wie jener von Wiggerls Spezl Kare, der einen Aufsatz über einen Pferderitt seitenweise mit „Trab Trab Trab“ füllte und nur am Ende rechts „Brrrr“ hinschrieb.
Die Familie Fichtlscherer wohnte zusammengedrängt im dritten Stock eines Mietshauses am Arnulfsplatz, wo sich vier Parteien eine Wohnung teilten. Es gab ein einziges Klo am Gang. Wenn man mitten in der Nacht bieseln musste, plätscherte man in einen Eimer. „In der Friah hod ma dann glurt, ob koana am Gang draus is und dann is ma midm Eimer leise zum Klo gschlicha“, beschreibt Fichtlscherer den Ablauf der Grundverrichtungen. Diese Scham war aber immer noch leichter zu ertragen als die Zustände in den Gassenhäusern, wo die Aborte im Freien standen. An der Wand ein Drahthaken mit Zeitungsschnipseln, Klopapier gab’s keines. Das Verzwickte an diesen Plumpsklo war, dass man sein Papierl geschwind in den Orkus werfen und den Holzdeckel blitzschnell draufstellen musste, sonst passierte es, „dass des Scheisbabial da Wind wieda aufablosn hod“, erinnert sich der Wiggerl, der sich mit seinem Buch einen Traum erfüllt hat. Eigentlich schrieb er seine Kindheitserlebnisse nur für seine Enkel in Florida auf. Sie sollten erfahren, dass die Schuhe früher vom Frühjahr bis zum Herbst im Kasten blieben, dass sich Kinder einst barfuß Spielen wie Heislhupfa, Fangamandl, Vastegga und Schussern hingaben oder Papierschifferl bauten und sie in einer Drecklache schwimmen ließen.
Auf der Regensburger Facebook-Seite gewann Fichtlscherers Blog aber schnell eine Fangemeinde. Bei vielen Lesern weckten diese Gschichterln Erinnerungen an die eigene Kindheit. „Ja genau so war’s!“ lautete der vielstimmige Tenor. Karin Holz vom Schriftstellerverband Ostbayern sowie die auf Facebook aktiven Autor(inn)en Christine Kandlbinder, Uschy Schlichtinger und Fritz Rehbach halfen Fichtlscherer bei der Herausgabe des Buches, das voll von schrägen Episoden ist.
Der Leser erfährt, wie in Zeiten ohne klinisch reinigende Chemiekeulen sauber gemacht wurde. Einmal in der Woche schüttete die Mama Fichtlscherer heißes Wasser auf die Unterseite des Ofens und verbrühte damit 50 Kakerlaken. Früh lernten die Kinder aus materiellen Zwängen heraus die Kunst der Notlüge. Einmal hatte sich der Vater Halbschuhe gekauft, die er mit Raten von je 50 Pfennigen abstotterte. Der Herr Schuhmacher kam jede Woche zum Kassieren. Wiggerl, sagte sein Vater, „wenn da Herr leit, dann gehst aussi und sagst, das i ned dahoam bin“. Das tat der Bub, dann aber „hob i mi umdraht und ganz laut gschrien: Babba, etza hob es scho gsagt!“
Nicht selten war die häusliche Pädagogik holzgeschnitzt. Wenn der beim Postsportverein stürmende Bub des alten Buhl am Tor vorbeigeschossen hatte, wurde der Alte narrisch und schrie: „Heid gibts koa Omdessen und du gehst glei ins Bett.“ Langeweile wurde mit lustigen Streichen bekämpft. Einen Grantler tratzten die Buben, indem sie Hundshaufen in eine Zeitung einpapierlten, diese vor der Haustür anzündeten und wegrannten. Als der Alte das Feuer austreten wollte, tappte er in das stinkende Weiche. „Heid bin i soiba a alter Grantler und wenn der Oide im Himmel Facebook seng ko, möcht i eahm song, das ’s mia leid tuat“, schreibt der Wiggerl, den 80 Jahre danach immer noch das Gewissen drückt.
Ludwig Fichtlscherer: Wia i no da Wiggerl vom Arnulfsplatz woa. . ., Edition Regensburg, Spielberg Verlag, 174 Seiten, 9,95 Euro.
Mama Fichtlscherer schaffte
50 Kakerlaken auf einen Streich
– ganz ohne Chemiekeule
Die Weimarer Republik grüßt Facebook – dank Ludwig Fichtlscherer.
Foto: privat
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Der 89 Jahre alte Ludwig Fichtlscherer postet täglich Erlebnisse aus seiner Kindheit
in Regensburg auf Facebook. Seine Fangemeinde reicht bis nach Amerika
VON HANS KRATZER
Regensburg – Sozialbetrug, Armutszuwanderung, Problemviertel – Schlagwörter wie diese begleiten die politischen Debatten im reichen Deutschland, das sich mehr denn je mit der Armut und der Not in Südosteuropa konfrontiert sieht. Dabei haben viele Deutsche vor Jahrzehnten selber noch Mangelwirtschaft und Entbehrungen kennengelernt. Zu ihnen zählt der 89-jährige Ludwig Fichtlscherer, der am Chiemsee lebt, aber in Regensburg aufgewachsen ist. Er ist zwar nicht der erste Zeitzeuge der Weimarer Republik, der seine Erinnerungen aufgeschrieben hat, aber er ist einer der pfiffigsten. Denn trotz seines fortgeschrittenen Alters bewegt sich Fichtlscherer souverän auf der Höhe der Zeit, was nichts anderes heißt, als dass er seine Memoiren auf Facebook gepostet hat.
Seit gut einem Jahr veröffentlicht er auf der Internet-Plattform fast täglich eine Geschichte aus seinen Regensburger Jugendjahren. Dabei klagt er nicht, dass es damals keine Playstation gab, sondern er schildert seine kleine Kinderwelt auf eine dermaßen witzige Art, dass ihm im Netz schon mehr Fans folgen als so manchem Mister-Wichtig-Blogger. Selbst in Amerika hat der Wiggerl, wie ihn seine Freunde nennen, viele Anhänger, vor allem solche, die ihre Kindheit im alten Bayern verbracht haben. Mittlerweile muss man nicht einmal mehr eine Facebook-Freundschaft mit Fichtlscherer schließen, um seine Texte lesen zu können. 86 Geschichten sind nun nämlich in ein Buch gepresst worden, das lediglich einen Haken hat. Fichtlscherer schreibt im harten Dialekt seiner Jugendzeit und gebraucht faszinierend bildhafte Begrifflichkeiten, die aber nicht mehr jedem geläufig sind. Trotzdem: Der Leser wird mit dem Elend und den Freuden der 30er Jahre so authentisch konfrontiert, dass er sich diesem Sog kaum entziehen kann.
Fichtlscherers Texte beschönigen bei aller Unterhaltsamkeit keineswegs die schlimmen Lebensverhältnisse, die für die heutige Wohlstandsbevölkerung unvorstellbar sind. Und doch entwickelten sich damals Kindheiten, deren Erlebnisschwere, Bewegungsfreiheit und emotionale Kraft in den reglementierten und konsumgesteuerten Zwängen von heute nicht mehr aufblühen dürfen. Auch nicht Schulstreiche wie jener von Wiggerls Spezl Kare, der einen Aufsatz über einen Pferderitt seitenweise mit „Trab Trab Trab“ füllte und nur am Ende rechts „Brrrr“ hinschrieb.
Die Familie Fichtlscherer wohnte zusammengedrängt im dritten Stock eines Mietshauses am Arnulfsplatz, wo sich vier Parteien eine Wohnung teilten. Es gab ein einziges Klo am Gang. Wenn man mitten in der Nacht bieseln musste, plätscherte man in einen Eimer. „In der Friah hod ma dann glurt, ob koana am Gang draus is und dann is ma midm Eimer leise zum Klo gschlicha“, beschreibt Fichtlscherer den Ablauf der Grundverrichtungen. Diese Scham war aber immer noch leichter zu ertragen als die Zustände in den Gassenhäusern, wo die Aborte im Freien standen. An der Wand ein Drahthaken mit Zeitungsschnipseln, Klopapier gab’s keines. Das Verzwickte an diesen Plumpsklo war, dass man sein Papierl geschwind in den Orkus werfen und den Holzdeckel blitzschnell draufstellen musste, sonst passierte es, „dass des Scheisbabial da Wind wieda aufablosn hod“, erinnert sich der Wiggerl, der sich mit seinem Buch einen Traum erfüllt hat. Eigentlich schrieb er seine Kindheitserlebnisse nur für seine Enkel in Florida auf. Sie sollten erfahren, dass die Schuhe früher vom Frühjahr bis zum Herbst im Kasten blieben, dass sich Kinder einst barfuß Spielen wie Heislhupfa, Fangamandl, Vastegga und Schussern hingaben oder Papierschifferl bauten und sie in einer Drecklache schwimmen ließen.
Auf der Regensburger Facebook-Seite gewann Fichtlscherers Blog aber schnell eine Fangemeinde. Bei vielen Lesern weckten diese Gschichterln Erinnerungen an die eigene Kindheit. „Ja genau so war’s!“ lautete der vielstimmige Tenor. Karin Holz vom Schriftstellerverband Ostbayern sowie die auf Facebook aktiven Autor(inn)en Christine Kandlbinder, Uschy Schlichtinger und Fritz Rehbach halfen Fichtlscherer bei der Herausgabe des Buches, das voll von schrägen Episoden ist.
Der Leser erfährt, wie in Zeiten ohne klinisch reinigende Chemiekeulen sauber gemacht wurde. Einmal in der Woche schüttete die Mama Fichtlscherer heißes Wasser auf die Unterseite des Ofens und verbrühte damit 50 Kakerlaken. Früh lernten die Kinder aus materiellen Zwängen heraus die Kunst der Notlüge. Einmal hatte sich der Vater Halbschuhe gekauft, die er mit Raten von je 50 Pfennigen abstotterte. Der Herr Schuhmacher kam jede Woche zum Kassieren. Wiggerl, sagte sein Vater, „wenn da Herr leit, dann gehst aussi und sagst, das i ned dahoam bin“. Das tat der Bub, dann aber „hob i mi umdraht und ganz laut gschrien: Babba, etza hob es scho gsagt!“
Nicht selten war die häusliche Pädagogik holzgeschnitzt. Wenn der beim Postsportverein stürmende Bub des alten Buhl am Tor vorbeigeschossen hatte, wurde der Alte narrisch und schrie: „Heid gibts koa Omdessen und du gehst glei ins Bett.“ Langeweile wurde mit lustigen Streichen bekämpft. Einen Grantler tratzten die Buben, indem sie Hundshaufen in eine Zeitung einpapierlten, diese vor der Haustür anzündeten und wegrannten. Als der Alte das Feuer austreten wollte, tappte er in das stinkende Weiche. „Heid bin i soiba a alter Grantler und wenn der Oide im Himmel Facebook seng ko, möcht i eahm song, das ’s mia leid tuat“, schreibt der Wiggerl, den 80 Jahre danach immer noch das Gewissen drückt.
Ludwig Fichtlscherer: Wia i no da Wiggerl vom Arnulfsplatz woa. . ., Edition Regensburg, Spielberg Verlag, 174 Seiten, 9,95 Euro.
Mama Fichtlscherer schaffte
50 Kakerlaken auf einen Streich
– ganz ohne Chemiekeule
Die Weimarer Republik grüßt Facebook – dank Ludwig Fichtlscherer.
Foto: privat
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