Wer den Mut zum Ungehorsam hat, der entzieht sich nicht nur vermeintlichen Autoritäten, sondern nimmt die Menschen lebendig und mitfühlend wahr. Wie sehr die Kultur des Gehorsams entmenschlichen kann und welche Wege aus dem Kreislauf der Unterordnung führen, zeigt Arno Gruen: ein befreiendes Plädoyer für mehr Mitmenschlichkeit.
Lange bevor wir sprechen können und sich unser Denken organisiert, müssen wir lernen, gehorsam zu sein und unsere Gefühle zu unterdrücken. In allen Lebensbereichen erzwingt unsere Zivilisation einen reflexartigen Gehorsam. Zugleich belohnt sie ein Gruppendenken, das ein selbstbestimmtes, freies Denken unmöglich macht. Scharfsinnig entlarvt der bedeutende Psychoanalytiker Arno Gruen die Pathologie der freiwilligen Knechtschaft: Wir selbst halten uns nicht für gehorsam und erkennen nicht, dass die Idealisierung des Unterdrückers ihm Macht über uns verleiht. Es ist höchste Zeit, gegen die Kultur des verschwiegenen Gehorsams zu revoltieren: Nur so können wir die Demokratie stärken und besser miteinander leben.
Lange bevor wir sprechen können und sich unser Denken organisiert, müssen wir lernen, gehorsam zu sein und unsere Gefühle zu unterdrücken. In allen Lebensbereichen erzwingt unsere Zivilisation einen reflexartigen Gehorsam. Zugleich belohnt sie ein Gruppendenken, das ein selbstbestimmtes, freies Denken unmöglich macht. Scharfsinnig entlarvt der bedeutende Psychoanalytiker Arno Gruen die Pathologie der freiwilligen Knechtschaft: Wir selbst halten uns nicht für gehorsam und erkennen nicht, dass die Idealisierung des Unterdrückers ihm Macht über uns verleiht. Es ist höchste Zeit, gegen die Kultur des verschwiegenen Gehorsams zu revoltieren: Nur so können wir die Demokratie stärken und besser miteinander leben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2014Dem Knecht ist doch alles recht
Gefahren des Gehorsams
Über Politikergrößen und Riesenintellektuelle heißt es oft, sie hätten hinter den Kulissen gern Furcht und Schrecken verbreitet. Dies ist eine effiziente Führungsmethode für all diejenigen, die ihre Entscheidungen nicht begründen oder ihr Umfeld nicht überzeugen wollen. In der Theorie labern sie von der Kraft der Argumente, in der Praxis verlassen sie sich aber auf die Wucht der Hierarchie. Mit dem "von oben" erwarteten Gehorsam setzt sich Arno Gruen in einem glänzenden Essay auseinander. "Die Angst, ungehorsam zu sein, führt dazu, sich dem Unterdrücker unterzuordnen. Indem man sich mit dem Unterdrücker verbündet, kehrt man seine Verachtung und Gewalt in Liebe um. Rechtsradikale Führer gelangen deswegen besonders häufig in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche an die Macht", warnt Gruen im Prolog, um die Strukturen des Gehorsams im heutigen Alltag - mit Rückblicken auf vergangene Diktaturen - aufzuzeigen. Wer gehorcht, "halluziniert" eine Einheit mit dem Befehlenden; dies sei schon in der Kindeserziehung angelegt, die auf Pflichterfüllung pocht, statt das Verantwortungsbewusstsein zu stärken. Und was extremistische "Bewegungen" betrifft, so sind für Gruen nicht die Ideologien der Anführer, sondern die Minderwertigkeitsgefühle der Verführten ausschlaggebend: "Man unterwirft sich, weil man auf eine Erlösung durch die unterdrückende Autorität hofft. Der Hass auf Andere, ob Juden, Türken, Vietnamesen, Polen, Chinesen, Behinderte oder ,unwertes' Leben, ist immer der Hass auf das Eigene, das man aus Gehorsam aufgeben musste, um die lebensnotwendige Bindung an die unterdrückende Autorität zu sichern." Der Gehorsam schaltet Anpassungsfähige gleich, die sich im Streben nach materieller Sicherheit verleugnen, meint Gruen. Er fordert, solche Knechtschaft durch Mut, Mitgefühl und "offenes Denken" zu "besiegen".
RAINER BLASIUS
Arno Gruen: Wider den Gehorsam. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2014. 97 S., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gefahren des Gehorsams
Über Politikergrößen und Riesenintellektuelle heißt es oft, sie hätten hinter den Kulissen gern Furcht und Schrecken verbreitet. Dies ist eine effiziente Führungsmethode für all diejenigen, die ihre Entscheidungen nicht begründen oder ihr Umfeld nicht überzeugen wollen. In der Theorie labern sie von der Kraft der Argumente, in der Praxis verlassen sie sich aber auf die Wucht der Hierarchie. Mit dem "von oben" erwarteten Gehorsam setzt sich Arno Gruen in einem glänzenden Essay auseinander. "Die Angst, ungehorsam zu sein, führt dazu, sich dem Unterdrücker unterzuordnen. Indem man sich mit dem Unterdrücker verbündet, kehrt man seine Verachtung und Gewalt in Liebe um. Rechtsradikale Führer gelangen deswegen besonders häufig in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche an die Macht", warnt Gruen im Prolog, um die Strukturen des Gehorsams im heutigen Alltag - mit Rückblicken auf vergangene Diktaturen - aufzuzeigen. Wer gehorcht, "halluziniert" eine Einheit mit dem Befehlenden; dies sei schon in der Kindeserziehung angelegt, die auf Pflichterfüllung pocht, statt das Verantwortungsbewusstsein zu stärken. Und was extremistische "Bewegungen" betrifft, so sind für Gruen nicht die Ideologien der Anführer, sondern die Minderwertigkeitsgefühle der Verführten ausschlaggebend: "Man unterwirft sich, weil man auf eine Erlösung durch die unterdrückende Autorität hofft. Der Hass auf Andere, ob Juden, Türken, Vietnamesen, Polen, Chinesen, Behinderte oder ,unwertes' Leben, ist immer der Hass auf das Eigene, das man aus Gehorsam aufgeben musste, um die lebensnotwendige Bindung an die unterdrückende Autorität zu sichern." Der Gehorsam schaltet Anpassungsfähige gleich, die sich im Streben nach materieller Sicherheit verleugnen, meint Gruen. Er fordert, solche Knechtschaft durch Mut, Mitgefühl und "offenes Denken" zu "besiegen".
RAINER BLASIUS
Arno Gruen: Wider den Gehorsam. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2014. 97 S., 12,- [Euro].
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»Keiner von Gruens Kollegen hat die Psychoanalyse derart konsequent und grundsätzlich zur Zivilisationskritik weiterentwickelt. Die psychosozialen Motive der DDR-Revolution z.B. ließen sich mit seiner Grundsatzkritik unserer Werte ziemlich schlüssig erklären - und ebenso das Zögern im Westen, das Herrschafts- und Kontrollinteresse hinter unseren Wertvorstellungen zu thematisieren.« Eike Gebhardt, Deutschlandradio Kultur, 7.11.2014 Eike Gebhardt DeutschlandRadio Kultur 20141107