Seit über 50 Jahren ist Arthur Miller nicht nur Amerikas berühmtester Dramatiker, sondern auch einer seiner engagiertesten und produktivsten Kulturkritiker. 'Widerhall der Zeit' - der Titel spielt an auf Millers bekanntes Stück 'Hexenjagd' - versammelt mehr als vierzig seiner Essays und Reportagen, die die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts umspannen und eindrucksvoll Millers Fähigkeit belegen, Vergangenheit und Gegenwart zusammenzudenken.
"Miller hat die Vorliebe des Journalisten für Fakten, das Auge des Romanciers für Details und das Ohr des Dramatikers für Dialoge" (Steven R. Centola).
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
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"Verhaltenes Lob spendet Rezensent Andreas Kilb dem Band "Widerhall der Zeit", der Arthur Millers Essays versammelt. Zwar findet er darin fast keinen Satz, "den man nicht guten Gewissens unterschreiben könnte." Doch die meisten ordnet er der Kategorie "Schreibtischwahrheiten" zu. Am schönsten findet Kilb die Aufsätze am Anfang und am Ende des Bands, die von einer Jugend in den dreißiger Jahren, von der Universität von Michigan, von einem abgebrannten Haus in Connecticut, von Mark Twains Autobiografie und von schauspielernden amerikanischen Präsidenten handeln. Zwar hält er Miller spätestens seit seiner Autobiografie "Zeitkurven" für einen "großen amerikanischen Schriftsteller." Aber der Essayist Miller kann Kilb nicht so richtig begeistern. Weder die "Brillanz" eines Gore Vidal, noch die "Bissigkeit" eines William Safire entdeckt er bei ihm. Millers großer Autobiografie fügen seine Essays nach Einschätzung Kilbs außer einigen zeitgeschichtlichen Fußnoten nichts hinzu. Insofern scheint ihm der Titel des Bandes sehr treffend. "Es ist tatsächlich nur ein Widerhall, ein Postskript der 'Zeitkurven'", resümiert er, "als solches hat es seinen Wert - und seinen Preis."
© Perlentaucher Medien GmbH"
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2003Es gibt stets zwei Amerikas
In seinen Essays erweist sich Arthur Miller als Grieche im Geiste
Es gibt fast keinen Satz in diesem Buch, den man nicht guten Gewissens unterschreiben könnte. Zum Beispiel den über die Zeit: "Soviel ich weiß, hat noch niemand die Zeit verstanden." Oder über die Eintönigkeit unserer Städte: "Man merkt ja kaum noch, ob man in Rom oder New York lebt, in London oder in Straßburg, so gleichförmig ist das Leben im Westen geworden." Oder über Leben und Kunst: "Das Leben ist immer vollkommener als die Kunst." Natürlich könnte man auch das Gegenteil behaupten, aber damit wäre der Satz noch lange nicht falsch. Denn er gehört zu jenen Schreibtischwahrheiten, die sich durch nichts widerlegen lassen, weder durch das Leben noch durch die Kunst, und die man immer wieder gerne liest, solange man sie nicht allzu ernst nehmen muß. Arthur Miller nimmt sie sehr ernst.
Die Texte dieses Essaybandes sind in "Harper's" und "Holiday", in "House & Garden" und "The New Republic", in der "New York Times" und der "Saturday Evening Post", im "TV Guide" und in "Travel and Leisure", im "International Theatre Annual" und in "Blair & Ketchum's Country Journal" sowie in diversen Büchern erschienen, also praktisch überall, wo man überhaupt schreiben kann, wenn man ein großer amerikanischer Schriftsteller ist. Und das ist Miller gewiß, spätestens seit seiner Autobiographie "Zeitkurven" (1987). Davor war Miller mindestens vierzig Jahre lang der berühmteste Dramatiker Amerikas, und von diesem Ruhm und seinen Schattenseiten - vor allem der Verfolgung wegen "antiamerikanischer Umtriebe" in den Fünfzigern - zeugen auch seine Essays.
Freilich nimmt Miller längst nicht jede Schattenseite auch als solche wahr. So geht er im Jahr 1968 als Delegierter des Bundesstaates Connecticut zum Wahlparteitag der Demokratischen Partei nach Chicago und berichtet dann vierzehn Seiten lang über die "Schlacht" der Anhänger Eugene McCarthys gegen die Claqueure von George McGovern und Hubert Humphrey. "Alle vierundvierzig von uns saßen in einem Sitzungszimmer vor dem großen Saal und hörten Senator Benton zu, der die Bombardierung verteidigte, und dann Paul Newman und Joseph Duffey, die sie ablehnten." Es ist tatsächlich der Filmstar Paul Newman, von dem da die Rede ist, und man hätte zu gerne gewußt, was Newman und Miller einander in den Parteitagspausen auf den Fluren des International Amphitheater zu sagen hatten. Aber der eisern-liberale Berichterstatterblick Millers blendet solche Kinkerlitzchen selbstredend aus. Vier Jahre später ist er wieder auf einem demokratischen Wahlparteitag, diesmal in Miami, wo George McGovern gegen Richard Nixon aufgestellt wird, und hier unterläuft ihm dieser Satz: "Die schwere Artillerie der beiden verbleibenden Fernsehkameras walzte in die Menge hinein." Essays sind keine Literatur, und ein Parteitagsbericht kann keine Epopöe sein, aber die klobige militärische Metapher ist dennoch nicht ganz untypisch für das Kaliber der Worte, die Miller auf die Wirklichkeit seiner Epoche richtet. "In Chicago waren zwei Amerikas, aber das ist immer so." Da hört man das Papier rascheln, das sich auf den Bänken der Delegierten türmt.
Die schönsten Aufsätze in diesem Band stehen am Anfang und am Ende. Sie handeln von einer Jugend in den dreißiger Jahren, von der Universität von Michigan, von einem abgebrannten Haus in Connecticut, von Mark Twains Autobiographie und von schauspielenden amerikanischen Präsidenten. Wobei der letztgenannte und zuletzt entstandene Text viel über Millers Haltung zu den Zeitläuften verrät, denn er ist eigentlich eine Liebeserklärung an Franklin D. Roosevelt. "Bis heute kann ich kein Foto von ihm anschauen, ohne daß mich etwas wie Stolz und sogar Glück angesichts seines Stils überkäme." Die neben Roosevelt farbigste und interessanteste Figur des Essays ist sein glückloser einstiger Mitbewerber Huey Long aus Louisiana, und erst weit abgeschlagen folgen zeitgenössische Figuren wie Bill Clinton, Ronald Reagan und George W. Bush. "Die nagende Frage lautet also, ob Schauspielern uns im Ernstfall aus der Patsche hilft." Aus dem Essayisten Arthur Miller wird, wie man es auch drehen mag, weder ein Gore Vidal noch auch ein William Safire, ihm fehlt die Brillanz des einen wie die Bissigkeit des anderen. Die alten Griechen, hat Nietzsche einmal mit verhaltenem Sarkasmus bemerkt, hätten so gar keinen Esprit gehabt, ganz anders als die modernen Franzosen. In diesem Sinn ist Miller, der schon als Dramatiker immer zum Klassischen aspirierte, ein Grieche von echtem Schrot und Korn.
Eine der erschütterndsten Episoden in Millers "Zeitkurven" war die Geschichte seiner Anhörung vor dem HUAC, dem berüchtigten Komitee des Senators McCarthy, im Jahr 1956. Der Ausschußvorsitzende hatte Miller angeboten, die Vorladung zurückzunehmen, falls sich dessen Ehefrau Marilyn Monroe mit ihm zusammen fotografieren ließe, aber Miller blieb fest und bekam ein Jahr Gefängnis auf Bewährung. In "Widerhall der Zeit", dessen Originaltitel "Echoes down the Corridor" ein präziseres Sprachbild gibt als seine Eindeutschung, kommt die Anhörung nun als Anekdote wieder vor, in einem Rückblick auf Millers meistgespieltes Stück "Hexenjagd"; und in einem Aufsatz von 1962 über "Langeweile und Gewalt" heißt es: "Sexualität ist eine Fotografie." Es ist das Vorrecht der Autobiographie, die Lücken zwischen solchen Textstellen zu füllen, die verstreuten Puzzlestücke zum Porträt eines Lebens zusammenzusetzen. Die Miszellen, die der vorliegende Band versammelt, fügen diesem Porträt nichts hinzu, sie setzen nur ein paar zeitgeschichtliche Fußnoten darunter. Insofern trägt das Buch seinen Titel zu Recht: Es ist tatsächlich nur ein Widerhall, ein Postskript der "Zeitkurven". Als solches hat es seinen Wert - und seinen Preis.
Arthur Miller: "Widerhall der Zeit". Essays. Herausgegeben von Steven R. Centola. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ulrich Blumenbach. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003. 441 S., geb., 29,90 [Euro].
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In seinen Essays erweist sich Arthur Miller als Grieche im Geiste
Es gibt fast keinen Satz in diesem Buch, den man nicht guten Gewissens unterschreiben könnte. Zum Beispiel den über die Zeit: "Soviel ich weiß, hat noch niemand die Zeit verstanden." Oder über die Eintönigkeit unserer Städte: "Man merkt ja kaum noch, ob man in Rom oder New York lebt, in London oder in Straßburg, so gleichförmig ist das Leben im Westen geworden." Oder über Leben und Kunst: "Das Leben ist immer vollkommener als die Kunst." Natürlich könnte man auch das Gegenteil behaupten, aber damit wäre der Satz noch lange nicht falsch. Denn er gehört zu jenen Schreibtischwahrheiten, die sich durch nichts widerlegen lassen, weder durch das Leben noch durch die Kunst, und die man immer wieder gerne liest, solange man sie nicht allzu ernst nehmen muß. Arthur Miller nimmt sie sehr ernst.
Die Texte dieses Essaybandes sind in "Harper's" und "Holiday", in "House & Garden" und "The New Republic", in der "New York Times" und der "Saturday Evening Post", im "TV Guide" und in "Travel and Leisure", im "International Theatre Annual" und in "Blair & Ketchum's Country Journal" sowie in diversen Büchern erschienen, also praktisch überall, wo man überhaupt schreiben kann, wenn man ein großer amerikanischer Schriftsteller ist. Und das ist Miller gewiß, spätestens seit seiner Autobiographie "Zeitkurven" (1987). Davor war Miller mindestens vierzig Jahre lang der berühmteste Dramatiker Amerikas, und von diesem Ruhm und seinen Schattenseiten - vor allem der Verfolgung wegen "antiamerikanischer Umtriebe" in den Fünfzigern - zeugen auch seine Essays.
Freilich nimmt Miller längst nicht jede Schattenseite auch als solche wahr. So geht er im Jahr 1968 als Delegierter des Bundesstaates Connecticut zum Wahlparteitag der Demokratischen Partei nach Chicago und berichtet dann vierzehn Seiten lang über die "Schlacht" der Anhänger Eugene McCarthys gegen die Claqueure von George McGovern und Hubert Humphrey. "Alle vierundvierzig von uns saßen in einem Sitzungszimmer vor dem großen Saal und hörten Senator Benton zu, der die Bombardierung verteidigte, und dann Paul Newman und Joseph Duffey, die sie ablehnten." Es ist tatsächlich der Filmstar Paul Newman, von dem da die Rede ist, und man hätte zu gerne gewußt, was Newman und Miller einander in den Parteitagspausen auf den Fluren des International Amphitheater zu sagen hatten. Aber der eisern-liberale Berichterstatterblick Millers blendet solche Kinkerlitzchen selbstredend aus. Vier Jahre später ist er wieder auf einem demokratischen Wahlparteitag, diesmal in Miami, wo George McGovern gegen Richard Nixon aufgestellt wird, und hier unterläuft ihm dieser Satz: "Die schwere Artillerie der beiden verbleibenden Fernsehkameras walzte in die Menge hinein." Essays sind keine Literatur, und ein Parteitagsbericht kann keine Epopöe sein, aber die klobige militärische Metapher ist dennoch nicht ganz untypisch für das Kaliber der Worte, die Miller auf die Wirklichkeit seiner Epoche richtet. "In Chicago waren zwei Amerikas, aber das ist immer so." Da hört man das Papier rascheln, das sich auf den Bänken der Delegierten türmt.
Die schönsten Aufsätze in diesem Band stehen am Anfang und am Ende. Sie handeln von einer Jugend in den dreißiger Jahren, von der Universität von Michigan, von einem abgebrannten Haus in Connecticut, von Mark Twains Autobiographie und von schauspielenden amerikanischen Präsidenten. Wobei der letztgenannte und zuletzt entstandene Text viel über Millers Haltung zu den Zeitläuften verrät, denn er ist eigentlich eine Liebeserklärung an Franklin D. Roosevelt. "Bis heute kann ich kein Foto von ihm anschauen, ohne daß mich etwas wie Stolz und sogar Glück angesichts seines Stils überkäme." Die neben Roosevelt farbigste und interessanteste Figur des Essays ist sein glückloser einstiger Mitbewerber Huey Long aus Louisiana, und erst weit abgeschlagen folgen zeitgenössische Figuren wie Bill Clinton, Ronald Reagan und George W. Bush. "Die nagende Frage lautet also, ob Schauspielern uns im Ernstfall aus der Patsche hilft." Aus dem Essayisten Arthur Miller wird, wie man es auch drehen mag, weder ein Gore Vidal noch auch ein William Safire, ihm fehlt die Brillanz des einen wie die Bissigkeit des anderen. Die alten Griechen, hat Nietzsche einmal mit verhaltenem Sarkasmus bemerkt, hätten so gar keinen Esprit gehabt, ganz anders als die modernen Franzosen. In diesem Sinn ist Miller, der schon als Dramatiker immer zum Klassischen aspirierte, ein Grieche von echtem Schrot und Korn.
Eine der erschütterndsten Episoden in Millers "Zeitkurven" war die Geschichte seiner Anhörung vor dem HUAC, dem berüchtigten Komitee des Senators McCarthy, im Jahr 1956. Der Ausschußvorsitzende hatte Miller angeboten, die Vorladung zurückzunehmen, falls sich dessen Ehefrau Marilyn Monroe mit ihm zusammen fotografieren ließe, aber Miller blieb fest und bekam ein Jahr Gefängnis auf Bewährung. In "Widerhall der Zeit", dessen Originaltitel "Echoes down the Corridor" ein präziseres Sprachbild gibt als seine Eindeutschung, kommt die Anhörung nun als Anekdote wieder vor, in einem Rückblick auf Millers meistgespieltes Stück "Hexenjagd"; und in einem Aufsatz von 1962 über "Langeweile und Gewalt" heißt es: "Sexualität ist eine Fotografie." Es ist das Vorrecht der Autobiographie, die Lücken zwischen solchen Textstellen zu füllen, die verstreuten Puzzlestücke zum Porträt eines Lebens zusammenzusetzen. Die Miszellen, die der vorliegende Band versammelt, fügen diesem Porträt nichts hinzu, sie setzen nur ein paar zeitgeschichtliche Fußnoten darunter. Insofern trägt das Buch seinen Titel zu Recht: Es ist tatsächlich nur ein Widerhall, ein Postskript der "Zeitkurven". Als solches hat es seinen Wert - und seinen Preis.
Arthur Miller: "Widerhall der Zeit". Essays. Herausgegeben von Steven R. Centola. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ulrich Blumenbach. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003. 441 S., geb., 29,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Volker Breidecker hat das "alte Amerika" vermisst und ist ihm in Arthur Millers gesammelten Essays aus sechs Jahrzehnten wieder begegnet - gemeint ist das Amerika des patriotischen Dissidenten. Arthur Millers Stimme habe weder Verve noch Relevanz verloren, weshalb mit diesem Buch gleichsam "eine ganze Epoche nochmals von innen besichtigt" werden könne. Jeder der Essays weist nämlich, so Breidecker bewundernd, zugleich weit über seinen Anlass hinaus auf den Lauf der Dinge in Amerika und der Welt. Miller, einem Dramatiker gemäß, erfasse die Zeitläufte "parabolisch" und könne so beispielsweise das Thema der Hexenjagd von Salem an anderen Orten, zu anderen Zeiten, wieder finden. Breideckers Fazit: das Buch eines "großen Moralisten" und klugen Lehrers.
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