Am 1. April 1943 sandte die amerikanische Botschaft in Bern folgende Depesche nach Washington: "Die Gestapoaktion gegen jüdische Ehefrauen und Männer musste wegen des durch sie ausgelösten Protestes aufgegeben werden". Gemeint war die Protestbewegung in der Berliner Rosenstraße, die einzige erfolgreiche Widerstandsaktion im Dritten Reich gegen die nationalsozialistische Judenvernichtung.
Die Mehrheit der insgesamt 6000 Protestierenden waren Frauen, die sich eine ganze Woche lang auf dem Platz versammelten, um sich für die Freilassung ihrer jüdischen Familienangehörigen einzusetzen. Anhand von Protokollen, Augenzeugenberichten und Interviews rekonstruiert Nathan Stoltzfus dieses beispiellose Ereignis und wirft die beunruhigende Frage auf, ob weitere solidarische Aktionen den antisemitischen Terror hätten aufhalten können.
Die Mehrheit der insgesamt 6000 Protestierenden waren Frauen, die sich eine ganze Woche lang auf dem Platz versammelten, um sich für die Freilassung ihrer jüdischen Familienangehörigen einzusetzen. Anhand von Protokollen, Augenzeugenberichten und Interviews rekonstruiert Nathan Stoltzfus dieses beispiellose Ereignis und wirft die beunruhigende Frage auf, ob weitere solidarische Aktionen den antisemitischen Terror hätten aufhalten können.
»Nathan Stoltzfus hat in einem beeindruckenden Buch nicht nur den wohl einmaligen und bewundernswerten Protest in der Rosenstraße untersucht, sondern auch die Geschichte einer Gruppe von Verfolgten geschrieben, deren Schicksal, obwohl es hunderttausende von Deutschen betraf, bislang wenig beachtet worden ist.« (DIE ZEIT)
»Warum hat es so lange gedauert, bis diese in jeder Hinsicht exzeptionelle Episode deutscher Geschichte ihre gebührende Darstellung gefunden hat?« (Merkur)
»Warum hat es so lange gedauert, bis diese in jeder Hinsicht exzeptionelle Episode deutscher Geschichte ihre gebührende Darstellung gefunden hat?« (Merkur)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.1999Besonders unangenehme Vorkommnisse
Ein kaum bekannter Aufstand Berliner Frauen gegen die Deportation ihrer jüdischen Männer
Nathan Stoltzfus: Widerstand des Herzens. Der Aufstand der Berliner Frauen in der Rosenstraße - 1943. Aus dem Amerikanischen von Michael Müller. Carl Hanser Verlag, München 1999. 54,- Mark.
In den letzten Februartagen 1943 kam es in Berlin zu einem Ereignis, das im nationalsozialistischen Polizeistaat bis dahin undenkbar schien: bei einer Demonstration auf offener Straße setzten sich etwa tausendfünfhundert Frauen für die Freilassung ihrer von SS und Gestapo gewaltsam festgenommenen Männer ein und verhinderten mit ihrem Protest den Abtransport der Verhafteten nach Auschwitz. Die Geretteten waren jüdische Partner aus sogenannten "Mischehen" sowie Kinder aus solchen Ehen, "Mischlinge" genannt, von Himmler als "besonders unangenehme Vorkommnisse" bezeichnet.
Für die nationalsozialistischen Machthaber verkörperte die bloße Existenz solcher Familien, deren Zahl Ende 1942 etwa 30 000 betrug, einen offenkundigen Widerspruch gegen die antisemitische Ideologie und Propaganda. Sie standen der mit allen Mitteln angestrebten Trennung der jüdischen von den "arischen" Deutschen im Wege, die die Voraussetzung für die Vertreibung und schließliche Ermordung der jüdischen Bürger war. Hitler, der es häufig vorzog, nicht mit allzu unpopulären Maßnahmen in Verbindung gebracht zu werden, ließ auf dem Nürnberger Parteitag 1935 künftige Eheschließungen und sexuelle Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden zwar als "Rassenschande" unter Zuchthausstrafe stellen, ging aber nicht so weit, bereits bestehende sogenannte Mischehen auflösen zu lassen.
Zu einer Zeit, in der Ehe und Familie noch gesellschaftlich und religiös tief verankerte Institutionen darstellten - die auch in die NS-Norm fest eingebaut waren -, musste etwa bei einer Zwangsscheidung mit Protesten aus dem Kreis der Familienangehörigen und der Kirchen gerechnet werden. Die meisten nichtjüdischen Ehepartner verweigerten auch nach 1935 trotz beständiger Drohungen und Drangsalierungen eine Scheidung, und viele von ihnen wagten nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 als einzige Deutsche vehementen Protest. Somit bildeten sie ein Potential des Ungehorsams, dessen Ausbruch und Ansteckungsgefahr Hitler und Goebbels beständig fürchteten - auch dann noch, als beide den Zeitpunkt für gekommen hielten, selbst die bis dahin noch Verschonten zu deportieren. Es sollte sich zeigen, dass die Furcht begründet war.
Als unter dem Decknamen "Schlussaktion" die letzten noch in Berlin lebenden jüdischen Bürger von ihren Arbeitsplätzen weg abtransportiert werden, bringt man die jüdischen Partner aus "Mischehen" sowie die "Mischlinge" in ein beschlagnahmtes Gebäude der Jüdischen Gemeinde - die als solche längst nicht mehr existiert. Was vom Abend jenes Tages an geschieht, hat in den zwölf Jahren des NS-Regimes nichts Vergleichbares: die Angehörigen, vorwiegend die Frauen der Verhafteten, versammeln sich vor dem provisorischen Gefängnisgebäude in der im Scheunenviertel gelegenen Rosenstraße und fordern lautstark die Freilassung der Gefangenen. Von nun an belagert eine demonstrierende Menschenmenge tagelang die Ausgänge des Gebäudes und lässt sich auch von den drohend postierten Maschinengewehren der Gestapo nicht in die Flucht schlagen.
Wenige Tage zuvor hatte Hitler in München vor Parteiführern eine Rede verlesen lassen, in der er versprach, dass der Krieg dank der Vernichtung der europäischen Juden bald beendet sein würde. Öffentlich ließ er sich kaum noch blicken, die Rolle des Demagogen blieb Goebbels überlassen. Zwei Wochen vorher - die Niederlage von Stalingrad war nicht mehr zu leugnen - trat Goebbels im Sportpalast auf. Aber die propagandistische Lautstärke übertönte nur die gedrückte Stimmung einer demoralisierten und abgestumpften Bevölkerung, die unter den seit Ende Januar verstärkten Bombardements der Alliierten litt.
Am 6. März geschah das Unfassbare: Goebbels stoppte die sogenannte "Judenevakuierung" und befahl die Freilassung der Gefangenen - angeblich, um sie zu einem späteren Zeitpunkt abholen zu lassen. Doch dazu kam es glücklicherweise nicht mehr. Die jüdischen Partner aus "Mischehen" und die "Mischlinge" blieben - zumindest in Berlin, wo die überwiegende Mehrheit von ihnen lebte - vom drohenden Abtransport verschont, und einige bereits nach Auschwitz gebrachte Männer wurden sogar zurückgeholt - ein in der Geschichte des NS-Staats außergewöhnlicher Vorgang. Die meisten von ihnen überlebten die folgenden zwei Jahre bis zum Ende von Krieg und Nationalsozialismus. Mehrere tausend andere allein in diesen Tagen Deportierte waren nicht mehr zu retten.
Der amerikanische Historiker Nathan Stoltzfus beschreibt umfassend Geschichte und Vorgeschichte dieser mutigen Protestaktion, die in der Literatur bis dahin nur sporadisch erwähnt wurde. Stoltzfus gelingt eine geschickt konstruierte Verbindung von Oral History und übergreifender Analyse. Breiten Raum widmet er der Frage, wie in der herrschenden Atmosphäre der Unterdrückung eine öffentliche Manifestation des Unwillens über die Gewaltakte des Regimes entstehen und zu einem so klaren Erfolg führen konnte. Dabei kommt den Erinnerungen und Tagebuchaufzeichnungen der von Stoltzfus befragten Zeitzeugen große Bedeutung zu.
Über Jahre hinweg hatten sie ein Leben in Angst und Gefahr geführt, das ohne alltägliche Illegalitäten gar nicht zu bewältigen war. Über Jahre hinweg waren sie vom Prozess der Ausgrenzung und Verfolgung ihrer jüdischen Partner mitbetroffen und erduldeten den täglich ungehinderter zur Schau gestellten Hass enthemmter Nachbarn, die beispielsweise darüber wachten, dass ihnen der Zutritt zu den Luftschutzbunkern verwehrt blieb. Stoltzfus stellt die These auf, dass die Unbeirrbarkeit dieses Protests nur im Kontext seiner Vorgeschichte zu verstehen sei, nämlich als Fortsetzung jenes jahrelang durchgestandenen Festhaltens an einer verfemten Ehe. Wie eine solch widerständige Existenz täglich mühevoll errungen werden musste, davon zeugen die Tagebücher Viktor Klemperers, die Stoltzfus offenbar noch nicht kannte. "Du weißt es", schreibt Klemperer 1946 an seine Frau Eva gerichtet, "und ein Blinder muss es mit dem Stock fühlen, an wen ich denke, wenn ich vor meinen Hörern über Heroismus spreche." An solchem stummen Heldentum hatte sich das Regime jahrelang vergeblich die Zähne ausgebissen.
Etwa zur gleichen Zeit, als die Frauen sich in der Rosenstraße versammelten, gingen bei Goebbels Meldungen darüber ein, dass sich in ganz Deutschland Hunderttausende von Frauen dem verordneten Arbeitseinsatz zu entziehen versuchten. Die Erinnerung an die unverhüllte Empörung, die einige Jahre zuvor das "Euthanasieprogramm" in der Bevölkerung, vor allem bei den Angehörigen der Opfer, ausgelöst hatte, sowie an die Predigten des Bischofs Graf Galen tat ein übriges für Goebbels' und Hitlers Zurückweichen. Beide schätzten die Gefahr, die von öffentlichen Unmutsbekundungen ausgehen konnte, hoch ein, beide waren sich im Klaren darüber, dass sie auf die weitgehende Unterstützung der Bevölkerung nicht verzichten konnten, um ihr Hauptziel der "Endlösung" erreichen zu können.
Damit aber verweist der Zusammenhang zwischen der Renitenz der protestierenden Ehepartner und dem Erfolg ihrer Hartnäckigkeit auf die unerbittliche Realität jenes anderen Zusammenhangs, der die massenhafte Deportation der deutschen Juden erst ermöglichte: den der "Mitarbeit", mindestens aber der Apathie der Mehrheit der deutschen Bevölkerung gegenüber der schrittweisen Isolierung derjenigen, die von den Rassegesetzen als Juden definiert worden waren. Am Beispiel der Ausnahme, des zivilen Ungehorsams in der Rosenstraße, macht Stoltzfus die erschreckende Regel des - oft vorauseilenden - Gehorsams deutlich. Zivilisierte Formen des Zusammenlebens lösten sich auf und verkehrten sich in ihr Gegenteil, wodurch es überhaupt erst möglich wurde, dass gesellschaftlich integrierte Bürger durch die Pflicht des Sterntragens stigmatisiert, aus ihren Wohnungen vertrieben und schließlich physisch deportiert werden konnten, ohne dass sich nennenswerter Widerstand regte.
Man kann das Eintreten für den Erhalt der eigenen Familie unter dem Begriff des "Nosismus" fassen, wie ihn Primo Levi in seinem letzten Werk "Die Untergegangenen und die Geretteten" formuliert hat. Doch sollte dieser lediglich auf eine nahestehende Person bezogene "erweiterte Egoismus" laut Stoltzfus nicht geringer geschätzt werden als eine politisch motivierte Gegnerschaft. Denn immerhin vermochte eine derart persönlich motivierte Haltung zumindest punktuell der Staatsgewalt Zugeständnisse abzutrotzen. Die engagierte Untersuchung ist eine längst fällige, weder verklärende noch verharmlosende Würdigung, die den Rettern und Geretteten gewidmet ist und die Untergegangenen nicht vergisst.
SABINE FRÖHLICH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein kaum bekannter Aufstand Berliner Frauen gegen die Deportation ihrer jüdischen Männer
Nathan Stoltzfus: Widerstand des Herzens. Der Aufstand der Berliner Frauen in der Rosenstraße - 1943. Aus dem Amerikanischen von Michael Müller. Carl Hanser Verlag, München 1999. 54,- Mark.
In den letzten Februartagen 1943 kam es in Berlin zu einem Ereignis, das im nationalsozialistischen Polizeistaat bis dahin undenkbar schien: bei einer Demonstration auf offener Straße setzten sich etwa tausendfünfhundert Frauen für die Freilassung ihrer von SS und Gestapo gewaltsam festgenommenen Männer ein und verhinderten mit ihrem Protest den Abtransport der Verhafteten nach Auschwitz. Die Geretteten waren jüdische Partner aus sogenannten "Mischehen" sowie Kinder aus solchen Ehen, "Mischlinge" genannt, von Himmler als "besonders unangenehme Vorkommnisse" bezeichnet.
Für die nationalsozialistischen Machthaber verkörperte die bloße Existenz solcher Familien, deren Zahl Ende 1942 etwa 30 000 betrug, einen offenkundigen Widerspruch gegen die antisemitische Ideologie und Propaganda. Sie standen der mit allen Mitteln angestrebten Trennung der jüdischen von den "arischen" Deutschen im Wege, die die Voraussetzung für die Vertreibung und schließliche Ermordung der jüdischen Bürger war. Hitler, der es häufig vorzog, nicht mit allzu unpopulären Maßnahmen in Verbindung gebracht zu werden, ließ auf dem Nürnberger Parteitag 1935 künftige Eheschließungen und sexuelle Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden zwar als "Rassenschande" unter Zuchthausstrafe stellen, ging aber nicht so weit, bereits bestehende sogenannte Mischehen auflösen zu lassen.
Zu einer Zeit, in der Ehe und Familie noch gesellschaftlich und religiös tief verankerte Institutionen darstellten - die auch in die NS-Norm fest eingebaut waren -, musste etwa bei einer Zwangsscheidung mit Protesten aus dem Kreis der Familienangehörigen und der Kirchen gerechnet werden. Die meisten nichtjüdischen Ehepartner verweigerten auch nach 1935 trotz beständiger Drohungen und Drangsalierungen eine Scheidung, und viele von ihnen wagten nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 als einzige Deutsche vehementen Protest. Somit bildeten sie ein Potential des Ungehorsams, dessen Ausbruch und Ansteckungsgefahr Hitler und Goebbels beständig fürchteten - auch dann noch, als beide den Zeitpunkt für gekommen hielten, selbst die bis dahin noch Verschonten zu deportieren. Es sollte sich zeigen, dass die Furcht begründet war.
Als unter dem Decknamen "Schlussaktion" die letzten noch in Berlin lebenden jüdischen Bürger von ihren Arbeitsplätzen weg abtransportiert werden, bringt man die jüdischen Partner aus "Mischehen" sowie die "Mischlinge" in ein beschlagnahmtes Gebäude der Jüdischen Gemeinde - die als solche längst nicht mehr existiert. Was vom Abend jenes Tages an geschieht, hat in den zwölf Jahren des NS-Regimes nichts Vergleichbares: die Angehörigen, vorwiegend die Frauen der Verhafteten, versammeln sich vor dem provisorischen Gefängnisgebäude in der im Scheunenviertel gelegenen Rosenstraße und fordern lautstark die Freilassung der Gefangenen. Von nun an belagert eine demonstrierende Menschenmenge tagelang die Ausgänge des Gebäudes und lässt sich auch von den drohend postierten Maschinengewehren der Gestapo nicht in die Flucht schlagen.
Wenige Tage zuvor hatte Hitler in München vor Parteiführern eine Rede verlesen lassen, in der er versprach, dass der Krieg dank der Vernichtung der europäischen Juden bald beendet sein würde. Öffentlich ließ er sich kaum noch blicken, die Rolle des Demagogen blieb Goebbels überlassen. Zwei Wochen vorher - die Niederlage von Stalingrad war nicht mehr zu leugnen - trat Goebbels im Sportpalast auf. Aber die propagandistische Lautstärke übertönte nur die gedrückte Stimmung einer demoralisierten und abgestumpften Bevölkerung, die unter den seit Ende Januar verstärkten Bombardements der Alliierten litt.
Am 6. März geschah das Unfassbare: Goebbels stoppte die sogenannte "Judenevakuierung" und befahl die Freilassung der Gefangenen - angeblich, um sie zu einem späteren Zeitpunkt abholen zu lassen. Doch dazu kam es glücklicherweise nicht mehr. Die jüdischen Partner aus "Mischehen" und die "Mischlinge" blieben - zumindest in Berlin, wo die überwiegende Mehrheit von ihnen lebte - vom drohenden Abtransport verschont, und einige bereits nach Auschwitz gebrachte Männer wurden sogar zurückgeholt - ein in der Geschichte des NS-Staats außergewöhnlicher Vorgang. Die meisten von ihnen überlebten die folgenden zwei Jahre bis zum Ende von Krieg und Nationalsozialismus. Mehrere tausend andere allein in diesen Tagen Deportierte waren nicht mehr zu retten.
Der amerikanische Historiker Nathan Stoltzfus beschreibt umfassend Geschichte und Vorgeschichte dieser mutigen Protestaktion, die in der Literatur bis dahin nur sporadisch erwähnt wurde. Stoltzfus gelingt eine geschickt konstruierte Verbindung von Oral History und übergreifender Analyse. Breiten Raum widmet er der Frage, wie in der herrschenden Atmosphäre der Unterdrückung eine öffentliche Manifestation des Unwillens über die Gewaltakte des Regimes entstehen und zu einem so klaren Erfolg führen konnte. Dabei kommt den Erinnerungen und Tagebuchaufzeichnungen der von Stoltzfus befragten Zeitzeugen große Bedeutung zu.
Über Jahre hinweg hatten sie ein Leben in Angst und Gefahr geführt, das ohne alltägliche Illegalitäten gar nicht zu bewältigen war. Über Jahre hinweg waren sie vom Prozess der Ausgrenzung und Verfolgung ihrer jüdischen Partner mitbetroffen und erduldeten den täglich ungehinderter zur Schau gestellten Hass enthemmter Nachbarn, die beispielsweise darüber wachten, dass ihnen der Zutritt zu den Luftschutzbunkern verwehrt blieb. Stoltzfus stellt die These auf, dass die Unbeirrbarkeit dieses Protests nur im Kontext seiner Vorgeschichte zu verstehen sei, nämlich als Fortsetzung jenes jahrelang durchgestandenen Festhaltens an einer verfemten Ehe. Wie eine solch widerständige Existenz täglich mühevoll errungen werden musste, davon zeugen die Tagebücher Viktor Klemperers, die Stoltzfus offenbar noch nicht kannte. "Du weißt es", schreibt Klemperer 1946 an seine Frau Eva gerichtet, "und ein Blinder muss es mit dem Stock fühlen, an wen ich denke, wenn ich vor meinen Hörern über Heroismus spreche." An solchem stummen Heldentum hatte sich das Regime jahrelang vergeblich die Zähne ausgebissen.
Etwa zur gleichen Zeit, als die Frauen sich in der Rosenstraße versammelten, gingen bei Goebbels Meldungen darüber ein, dass sich in ganz Deutschland Hunderttausende von Frauen dem verordneten Arbeitseinsatz zu entziehen versuchten. Die Erinnerung an die unverhüllte Empörung, die einige Jahre zuvor das "Euthanasieprogramm" in der Bevölkerung, vor allem bei den Angehörigen der Opfer, ausgelöst hatte, sowie an die Predigten des Bischofs Graf Galen tat ein übriges für Goebbels' und Hitlers Zurückweichen. Beide schätzten die Gefahr, die von öffentlichen Unmutsbekundungen ausgehen konnte, hoch ein, beide waren sich im Klaren darüber, dass sie auf die weitgehende Unterstützung der Bevölkerung nicht verzichten konnten, um ihr Hauptziel der "Endlösung" erreichen zu können.
Damit aber verweist der Zusammenhang zwischen der Renitenz der protestierenden Ehepartner und dem Erfolg ihrer Hartnäckigkeit auf die unerbittliche Realität jenes anderen Zusammenhangs, der die massenhafte Deportation der deutschen Juden erst ermöglichte: den der "Mitarbeit", mindestens aber der Apathie der Mehrheit der deutschen Bevölkerung gegenüber der schrittweisen Isolierung derjenigen, die von den Rassegesetzen als Juden definiert worden waren. Am Beispiel der Ausnahme, des zivilen Ungehorsams in der Rosenstraße, macht Stoltzfus die erschreckende Regel des - oft vorauseilenden - Gehorsams deutlich. Zivilisierte Formen des Zusammenlebens lösten sich auf und verkehrten sich in ihr Gegenteil, wodurch es überhaupt erst möglich wurde, dass gesellschaftlich integrierte Bürger durch die Pflicht des Sterntragens stigmatisiert, aus ihren Wohnungen vertrieben und schließlich physisch deportiert werden konnten, ohne dass sich nennenswerter Widerstand regte.
Man kann das Eintreten für den Erhalt der eigenen Familie unter dem Begriff des "Nosismus" fassen, wie ihn Primo Levi in seinem letzten Werk "Die Untergegangenen und die Geretteten" formuliert hat. Doch sollte dieser lediglich auf eine nahestehende Person bezogene "erweiterte Egoismus" laut Stoltzfus nicht geringer geschätzt werden als eine politisch motivierte Gegnerschaft. Denn immerhin vermochte eine derart persönlich motivierte Haltung zumindest punktuell der Staatsgewalt Zugeständnisse abzutrotzen. Die engagierte Untersuchung ist eine längst fällige, weder verklärende noch verharmlosende Würdigung, die den Rettern und Geretteten gewidmet ist und die Untergegangenen nicht vergisst.
SABINE FRÖHLICH
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