»Eine neue Eiszeit kommt auf uns zu, lese ich im 'Spiegel', es sind nur noch 250 Jahre bis dahin - sollten wir uns da nicht noch einmal treffen?« Letzter Brief Paul Celans an Gisela Dischner, 26. Januar 1970
Als sie sich 1964 in Paris kennenlernen, ist die Studentin Gisela Dischner 24 Jahre alt, Paul Celan 43. Für Paul Celan wird sie die jüngste seiner wichtigen Briefpartnerinnen, die Vertreterin einer neuen Generation. Den Nationalsozialismus und den Krieg hat sie nicht mehr bewusst erlebt. Sie studiert bei Adorno und Habermas, steht politisch weit links. Es ist die Zeit der Notstandsgesetzgebung, der Großen Koalition, des ersten Vietnam-Kongresses. Viele politische Zeitereignisse nimmt Celan entschieden anders wahr als seine Briefpartnerin: so den Pariser Mai 1968, bei dem er die Antisemitismen der Aufständischen schärfer beleuchtet, so den Sechstagekrieg, bei dem die unterschiedlichen »Neigungswinkel« deutlich werden. Auch über Literatur, Malerei und Musik tauschen sie sich aus: einander bereichernd so gut wie kontrovers. Allen Differenzen zum Trotz kommt es zu vorübergehendem Schweigen, nie aber zum Bruch.
Das Verhältnis der 121 brieflichen Dokumente ist das unausgewogenste aller Celan-Korrespondenzen. Seine Fortsetzung hat der schriftliche Austausch in zehn, elf Begegnungen oder im Telefonat erfahren. Ein reichhaltiger Kommentar und ein Erinnerungstext erschließen das unausgesprochene 'Dazwischen' dieses Briefwechsels.
Als sie sich 1964 in Paris kennenlernen, ist die Studentin Gisela Dischner 24 Jahre alt, Paul Celan 43. Für Paul Celan wird sie die jüngste seiner wichtigen Briefpartnerinnen, die Vertreterin einer neuen Generation. Den Nationalsozialismus und den Krieg hat sie nicht mehr bewusst erlebt. Sie studiert bei Adorno und Habermas, steht politisch weit links. Es ist die Zeit der Notstandsgesetzgebung, der Großen Koalition, des ersten Vietnam-Kongresses. Viele politische Zeitereignisse nimmt Celan entschieden anders wahr als seine Briefpartnerin: so den Pariser Mai 1968, bei dem er die Antisemitismen der Aufständischen schärfer beleuchtet, so den Sechstagekrieg, bei dem die unterschiedlichen »Neigungswinkel« deutlich werden. Auch über Literatur, Malerei und Musik tauschen sie sich aus: einander bereichernd so gut wie kontrovers. Allen Differenzen zum Trotz kommt es zu vorübergehendem Schweigen, nie aber zum Bruch.
Das Verhältnis der 121 brieflichen Dokumente ist das unausgewogenste aller Celan-Korrespondenzen. Seine Fortsetzung hat der schriftliche Austausch in zehn, elf Begegnungen oder im Telefonat erfahren. Ein reichhaltiger Kommentar und ein Erinnerungstext erschließen das unausgesprochene 'Dazwischen' dieses Briefwechsels.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Das Verhältnis ist nicht von Dauer, berichtet Emmanuelle Vaniet, die diesen schmalen Briefwechsel mit gemischten Gefühlen gelesen hat. Die beiden haben sich 1964 kennengelernt, hatten womöglich eine Affäre, die nur kurz andauerte. Vieles lässt der Briefwechsel offen, manche Briefe scheinen vernichtet, so die Rezensentin weiter. Und auch über die übrigen Briefe meint Vaniet: Sie hatten sich nicht allzu viel zu sagen. Interessant findet sie den Briefwechsel dann aber doch - vor allem weil Dischner Celan, der wegen mangelnder Anerkennung und Plagiatsaffäre deprimiert war, stets verteidigte und ihn auch wieder mit Erich Fried und Adorno zusammenbrachte. Abschließend zitiert die Rezensentin aus Dischners letztem Brief, der nach Celans Selbstmord an seine Frau ging.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.03.2013Nichts vergessen
Die Briefe Paul Celans und Gisela Dischners
Anfang März 1964 begibt sich die vierundzwanzigjährige Gisela Dischner nach Paris, um Paul Celan zu treffen. Sie will ihn zu einer Lesung in München einladen. Nach München wird der 43 Jahre alte Dichter trotz Zusage nicht kommen, vielmehr zeigt er sich an der selbstbewussten Studentin selbst interessiert. Am 31. Oktober 1964 treffen sie sich im Zug in Köln, in Dortmund steigen sie zusammen aus. Was bis zum nächsten Tag, an dem Gisela Dischner weiterfährt, passiert, wird weder im Briefwechsel zwischen den beiden noch in den Erinnerungen Gisela Dischners, die die Korrespondenz ergänzen, enthüllt. Allein eine Umstellung aufs Du und ein beschwörendes "Ich habe nichts vergessen. Nichts" in einem der ersten Briefe Gisela Dischners, lassen vermuten, dass sich das Verhältnis der beiden verändert hat.
Später wird Gisela Dischner sagen: "Ich war sehr verliebt", persönliche Briefe von ihr habe Celan wohl vernichtet, doch das Verhältnis ist nicht von Dauer: Im Februar 1965 lernt Gisela Dischner den jungen Lyriker Chris Bezzel kennen, im März reist sie nach Paris, um sich von Celan zu trennen - "ein Abschiednehmen, das einen Monat dauerte", schreibt sie rückblickend. Den Briefwechsel aber will sie nicht abbrechen, obwohl sich die beiden nicht viel zu sagen haben. Sie kommentiert die politischen Ereignisse jener Jahre, erläutert die Theorien Adornos oder Marcuses, von Gefühlen und persönlichen Ereignissen wie ihrer Hochzeit, die sie erst drei Monate später erwähnt, findet sich kaum eine Spur. Er seinerseits hält sich größtenteils heraus: Außer Buchwidmungen und Telegrammen sind es höchstens zwanzig Briefe, die Gisela Dischner innerhalb der sechsjährigen Korrespondenz erreichen.
"Mir wollen keine richtigen Briefe aus der Feder fließen", antwortet er auf ihre Frage, ob er an sie denke. Doch Gisela Dischner beharrt auf dem Briefwechsel, fordert die Diskussion und wird von Celan mitunter scharf zurechtgewiesen. Etwa bei ihren kritischen Äußerungen zur israelischen Außenpolitik: "Dein Brief über Israel - nein, lass mich davon schweigen. Vielleicht erkennst Du selbst Deinen Irrtum." Oder, als er in einer Recherche von ihr über Rassendiskriminierung eine Nivellierung der jüdischen Katastrophe zu sehen glaubt: "Du fragst mich, wie Du zu mir sprechen sollest - als würdest Du's nicht!" Und dennoch: Von der Vitalität, der die Mitteilungsfreude Gisela Dischners entspringt, wird der seit Jahren von Kritik und Plagiat-Affäre gekränkte Celan abhängig. Sie versteht und verehrt sein Werk nicht nur, sie verteidigt ihn entschlossen in der Öffentlichkeit gegen alle Kritik - worauf ein getrösteter und sehnsüchtiger Celan kurzerhand zur Feder greift: "Ich wollte, Du wärst hier", sie vermittelt mit Erich Fried und Adorno, von denen Celan sich distanziert hatte. Aus London, wo er sie trifft, schreibt er seiner Frau: "Dieser Aufenthalt in London tut mir gut. Ich habe Leute gesehen, Fried - mit dem ich eine sehr offene, sehr fruchtbare Auseinandersetzung über Israel, das Judentum, den Antisemitismus gehabt habe." Von den Mordversuchen an seiner Frau, seinem Selbstmordversuch, seinen Zwangseinweisungen in die Psychiatrie schweigt er gegenüber Gisela Dischner: Die Verbindung zu der jungen Frau lebt von einem anderen Bild Celans.
Dieser Celan liest ihr seine Gedichte mit sanfter Stimme vor, summt beim Mozart-Klavierkonzert mit und mimt den Dirigenten. Und er bringt Gisela Dischner zum Lachen. "Die Leute erschrecken immer, wenn ich lache. Ich bin doch schließlich der tragische Dichter", schreibt er. Am 19. April 1970 stürzt er sich in die Seine. Gisela Dischner schreibt an Celans Frau: "Ich glaube nicht, dass er Selbstmord begangen hat. Es wäre möglich, dass er zu viel getrunken hatte und dass er in die Seine gefallen ist oder aber, dass er gesprungen ist, ohne vielleicht zu wissen, was er tut. Glauben Sie, dass das unmöglich wäre?"
EMMANUELLE VANIET
Paul Celan, Gisela Dischner: "Wie aus weiter Ferne zu Dir". Briefwechsel.
Hrsg. von Barbara Wiedemann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 280 S., geb., 26,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Briefe Paul Celans und Gisela Dischners
Anfang März 1964 begibt sich die vierundzwanzigjährige Gisela Dischner nach Paris, um Paul Celan zu treffen. Sie will ihn zu einer Lesung in München einladen. Nach München wird der 43 Jahre alte Dichter trotz Zusage nicht kommen, vielmehr zeigt er sich an der selbstbewussten Studentin selbst interessiert. Am 31. Oktober 1964 treffen sie sich im Zug in Köln, in Dortmund steigen sie zusammen aus. Was bis zum nächsten Tag, an dem Gisela Dischner weiterfährt, passiert, wird weder im Briefwechsel zwischen den beiden noch in den Erinnerungen Gisela Dischners, die die Korrespondenz ergänzen, enthüllt. Allein eine Umstellung aufs Du und ein beschwörendes "Ich habe nichts vergessen. Nichts" in einem der ersten Briefe Gisela Dischners, lassen vermuten, dass sich das Verhältnis der beiden verändert hat.
Später wird Gisela Dischner sagen: "Ich war sehr verliebt", persönliche Briefe von ihr habe Celan wohl vernichtet, doch das Verhältnis ist nicht von Dauer: Im Februar 1965 lernt Gisela Dischner den jungen Lyriker Chris Bezzel kennen, im März reist sie nach Paris, um sich von Celan zu trennen - "ein Abschiednehmen, das einen Monat dauerte", schreibt sie rückblickend. Den Briefwechsel aber will sie nicht abbrechen, obwohl sich die beiden nicht viel zu sagen haben. Sie kommentiert die politischen Ereignisse jener Jahre, erläutert die Theorien Adornos oder Marcuses, von Gefühlen und persönlichen Ereignissen wie ihrer Hochzeit, die sie erst drei Monate später erwähnt, findet sich kaum eine Spur. Er seinerseits hält sich größtenteils heraus: Außer Buchwidmungen und Telegrammen sind es höchstens zwanzig Briefe, die Gisela Dischner innerhalb der sechsjährigen Korrespondenz erreichen.
"Mir wollen keine richtigen Briefe aus der Feder fließen", antwortet er auf ihre Frage, ob er an sie denke. Doch Gisela Dischner beharrt auf dem Briefwechsel, fordert die Diskussion und wird von Celan mitunter scharf zurechtgewiesen. Etwa bei ihren kritischen Äußerungen zur israelischen Außenpolitik: "Dein Brief über Israel - nein, lass mich davon schweigen. Vielleicht erkennst Du selbst Deinen Irrtum." Oder, als er in einer Recherche von ihr über Rassendiskriminierung eine Nivellierung der jüdischen Katastrophe zu sehen glaubt: "Du fragst mich, wie Du zu mir sprechen sollest - als würdest Du's nicht!" Und dennoch: Von der Vitalität, der die Mitteilungsfreude Gisela Dischners entspringt, wird der seit Jahren von Kritik und Plagiat-Affäre gekränkte Celan abhängig. Sie versteht und verehrt sein Werk nicht nur, sie verteidigt ihn entschlossen in der Öffentlichkeit gegen alle Kritik - worauf ein getrösteter und sehnsüchtiger Celan kurzerhand zur Feder greift: "Ich wollte, Du wärst hier", sie vermittelt mit Erich Fried und Adorno, von denen Celan sich distanziert hatte. Aus London, wo er sie trifft, schreibt er seiner Frau: "Dieser Aufenthalt in London tut mir gut. Ich habe Leute gesehen, Fried - mit dem ich eine sehr offene, sehr fruchtbare Auseinandersetzung über Israel, das Judentum, den Antisemitismus gehabt habe." Von den Mordversuchen an seiner Frau, seinem Selbstmordversuch, seinen Zwangseinweisungen in die Psychiatrie schweigt er gegenüber Gisela Dischner: Die Verbindung zu der jungen Frau lebt von einem anderen Bild Celans.
Dieser Celan liest ihr seine Gedichte mit sanfter Stimme vor, summt beim Mozart-Klavierkonzert mit und mimt den Dirigenten. Und er bringt Gisela Dischner zum Lachen. "Die Leute erschrecken immer, wenn ich lache. Ich bin doch schließlich der tragische Dichter", schreibt er. Am 19. April 1970 stürzt er sich in die Seine. Gisela Dischner schreibt an Celans Frau: "Ich glaube nicht, dass er Selbstmord begangen hat. Es wäre möglich, dass er zu viel getrunken hatte und dass er in die Seine gefallen ist oder aber, dass er gesprungen ist, ohne vielleicht zu wissen, was er tut. Glauben Sie, dass das unmöglich wäre?"
EMMANUELLE VANIET
Paul Celan, Gisela Dischner: "Wie aus weiter Ferne zu Dir". Briefwechsel.
Hrsg. von Barbara Wiedemann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 280 S., geb., 26,95 [Euro].
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