Wie entsteht die verrückte Idee, die Welt des Meeres ins Wohnzimmer zu holen? Und wie erklärt sich die begeisterte und variantenreiche Umsetzung dieser Idee - ein Boom, der seit 150 Jahren anhält: immer wieder drücken Kinder und Erwachsene sich die Nasen am Glas der Aquarien platt . . .
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003Ozeanische Gefühle jetzt!
Schwapp: Bernd Brunner hat ein grandioses Buch über Tiefen und Untiefen des Aquariums geschrieben / Von Julia Voss
Auch wenn der Zank zwischen Hunde- und Katzenhaltern über die Eigenarten ihrer Tiere meist unerträglich ist, haben sie doch den Philosophen eines voraus: die Einsicht, daß es sich bei Hunden und Katzen schon um sehr unterschiedliche Wesen handelt. Als ob es sich von Tier zu Tier doch immer nur um ein und dasselbe handeln würde, heißt es häufig bei Philosophen dagegen einfach großzügig "Tier", wo eigentlich wenig Vergleichbares gemeint ist. Es macht aber durchaus einen Unterschied, ob man beispielsweise über Zecken (Agamben) oder Vögel (Deleuze/Guattari) nachdenkt, sich mit dem Wesen der Hunde (Schopenhauer) oder der Wombats (Adorno) identifiziert. Beim Tierthema jedoch bisher fast völlig unbeachtet geblieben ist der Fisch. Er bildet das Schlußlicht der von Philosophen durchdachten Tiere, was um so erstaunlicher ist, als er umgekehrt die Hitparade der Haustiere anführt. Das Auge lidlos, die Bewegung lautlos, durchschwamm er seine nassen vier Wände bisher, ohne näher kommentiert zu werden.
Wie der Mensch auf den Fisch kam und das Wassertier zum Haustier wurde, erzählt Bernd Brunner nun in einem schönen kleinen Buch. Seine historische Studie setzt im neunzehnten Jahrhundert an, dort, wo das Aquarium zum massentauglichen Hobby wurde. Da es zu den Eigenarten dieser Haustiere gehört, daß sie sich nicht mit einem Körbchen oder gar einer alten Wolldecke begnügen, sondern immer ihrer eigenen Lebenswelt bedürfen, ist die Geschichte davon, wie das Meer nach Hause kam, die Geschichte von der Erfindung des Aquariums. Daß es sich dabei um keinen holprigen Seitenpfad der Zivilisation handelt, klärt sich schon beim Durchblättern des Buches auf. Denn die grandiosen historischen Abbildungen von Unterwasserwelten, Taucherkostümen, Fischfangschiffen, Aquarientypen, Eisenbahntransporten und Zubehörgerätschaften, die nicht selten an Jules Verne denken lassen, machen gleich deutlich, daß die Fische samt den Aquarien auf den Hauptstraßen der Moderne zu uns ins Wohnzimmer kamen: mit Bürgertum, Industrialisierung und Verstädterung.
Im Krebsgang machte der Mensch die ersten Schritte zunächst auf die Wasserbewohner zu, als er den Saum des Meeres, den Strand, als Ausflugsort entdeckte. Dort wurden bereits im neunzehnten Jahrhundert so verbissen Muscheln, Seesterne, Farne und Krebse gesammelt, daß sich ganze Küstenstriche in England bis heute nicht davon erholt haben. Zwei Schritte vor, fünf Schritte zurück, war damit aber auch die Idee geboren, daß man nicht nur selbst mit der Eisenbahn ans Meer fahren konnte, sondern andersherum das Meer auch mit der Eisenbahn in die Stadt. Das florierende Geschäft mit dem Import von Fischen und anderen Wassertierchen, Seefarnen und Meerwasser an sich generierte bald die Erfindung des rechteckigen Aquariums, der chemischen Herstellung von Salzwasser und diverser Durchlüftungstechniken. Die alten bauchigen Kristallbowlen, die ihre Insassen durch den Lupeneffekt des rundgeschliffenen Glases grotesk beim Hinundherschwimmen verzerrten, wurden zur Seltenheit. Wieviel Ozean man sich gönnen wollte, schien bald nur noch eine Frage des Geldbeutels zu sein: Zur Pariser Weltausstellung wurde 1867 ein megalomanes Aquarium eröffnet, in das ein Raum mit einer Decke aus Glas integriert war, wodurch das Wasser über den Köpfen der Besucher schwappte, als ob sie selbst auf dem Meeresgrund stünden.
Die Erfindung des Aquariums, der handlichen für zu Hause, und des bombastischen für Metropolen wie Paris, London und Berlin, ist aber nicht nur ein kleines Lehrstück in Ingenieurskunst und Erfindergeist des neunzehnten Jahrhunderts. Es ist zugleich ein Mikrokosmos der Gesellschaft, denn die Zierfischhaltung führt im Kammerspiel die Fragen vor, die das Bürgertum umtreibt. Ob denn auch Frauen Fische halten sollten? Ob heimische Fische für den Proletarier besser geeignet seien? Sind exotische Zierfische überhaupt noch ein bodenständiges Hobby? Ja, wo hört naturkundliche Belehrung auf und fängt Effekthascherei an?
Aus Sicht derjenigen, die unter Wasser leben, handelt es sich wohl ohnehin eher bei denen, die auf dem Land leben, um einen Sonderfall des blauen Planeten, einen Mikrokosmos im eigentlichen Sinne. Es ist noch nicht so lange her, daß Forscher überzeugend vorrechneten, daß Leben in der Tiefsee gar nicht möglich sei: zu hoch der Druck, zu stark die Kompression, Organismen daher undenkbar. Das wissen wir heute besser. Viel mehr aber auch nicht - man denke etwa an die rätselhafte Riesenkrake. Zum Trost können wir nun wenigstens die Geschichte der Faszination daran, wie es sich unter Wasser lebt, in einem unterhaltsam erzählten und liebevoll bebilderten Buch nachlesen.
Bernd Brunner: "Wie das Meer nach Hause kam". Die Erfindung des Aquariums. Transit Verlag, Berlin 2003. 144 S., Farb- und S/W-Abb., geb., 16,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schwapp: Bernd Brunner hat ein grandioses Buch über Tiefen und Untiefen des Aquariums geschrieben / Von Julia Voss
Auch wenn der Zank zwischen Hunde- und Katzenhaltern über die Eigenarten ihrer Tiere meist unerträglich ist, haben sie doch den Philosophen eines voraus: die Einsicht, daß es sich bei Hunden und Katzen schon um sehr unterschiedliche Wesen handelt. Als ob es sich von Tier zu Tier doch immer nur um ein und dasselbe handeln würde, heißt es häufig bei Philosophen dagegen einfach großzügig "Tier", wo eigentlich wenig Vergleichbares gemeint ist. Es macht aber durchaus einen Unterschied, ob man beispielsweise über Zecken (Agamben) oder Vögel (Deleuze/Guattari) nachdenkt, sich mit dem Wesen der Hunde (Schopenhauer) oder der Wombats (Adorno) identifiziert. Beim Tierthema jedoch bisher fast völlig unbeachtet geblieben ist der Fisch. Er bildet das Schlußlicht der von Philosophen durchdachten Tiere, was um so erstaunlicher ist, als er umgekehrt die Hitparade der Haustiere anführt. Das Auge lidlos, die Bewegung lautlos, durchschwamm er seine nassen vier Wände bisher, ohne näher kommentiert zu werden.
Wie der Mensch auf den Fisch kam und das Wassertier zum Haustier wurde, erzählt Bernd Brunner nun in einem schönen kleinen Buch. Seine historische Studie setzt im neunzehnten Jahrhundert an, dort, wo das Aquarium zum massentauglichen Hobby wurde. Da es zu den Eigenarten dieser Haustiere gehört, daß sie sich nicht mit einem Körbchen oder gar einer alten Wolldecke begnügen, sondern immer ihrer eigenen Lebenswelt bedürfen, ist die Geschichte davon, wie das Meer nach Hause kam, die Geschichte von der Erfindung des Aquariums. Daß es sich dabei um keinen holprigen Seitenpfad der Zivilisation handelt, klärt sich schon beim Durchblättern des Buches auf. Denn die grandiosen historischen Abbildungen von Unterwasserwelten, Taucherkostümen, Fischfangschiffen, Aquarientypen, Eisenbahntransporten und Zubehörgerätschaften, die nicht selten an Jules Verne denken lassen, machen gleich deutlich, daß die Fische samt den Aquarien auf den Hauptstraßen der Moderne zu uns ins Wohnzimmer kamen: mit Bürgertum, Industrialisierung und Verstädterung.
Im Krebsgang machte der Mensch die ersten Schritte zunächst auf die Wasserbewohner zu, als er den Saum des Meeres, den Strand, als Ausflugsort entdeckte. Dort wurden bereits im neunzehnten Jahrhundert so verbissen Muscheln, Seesterne, Farne und Krebse gesammelt, daß sich ganze Küstenstriche in England bis heute nicht davon erholt haben. Zwei Schritte vor, fünf Schritte zurück, war damit aber auch die Idee geboren, daß man nicht nur selbst mit der Eisenbahn ans Meer fahren konnte, sondern andersherum das Meer auch mit der Eisenbahn in die Stadt. Das florierende Geschäft mit dem Import von Fischen und anderen Wassertierchen, Seefarnen und Meerwasser an sich generierte bald die Erfindung des rechteckigen Aquariums, der chemischen Herstellung von Salzwasser und diverser Durchlüftungstechniken. Die alten bauchigen Kristallbowlen, die ihre Insassen durch den Lupeneffekt des rundgeschliffenen Glases grotesk beim Hinundherschwimmen verzerrten, wurden zur Seltenheit. Wieviel Ozean man sich gönnen wollte, schien bald nur noch eine Frage des Geldbeutels zu sein: Zur Pariser Weltausstellung wurde 1867 ein megalomanes Aquarium eröffnet, in das ein Raum mit einer Decke aus Glas integriert war, wodurch das Wasser über den Köpfen der Besucher schwappte, als ob sie selbst auf dem Meeresgrund stünden.
Die Erfindung des Aquariums, der handlichen für zu Hause, und des bombastischen für Metropolen wie Paris, London und Berlin, ist aber nicht nur ein kleines Lehrstück in Ingenieurskunst und Erfindergeist des neunzehnten Jahrhunderts. Es ist zugleich ein Mikrokosmos der Gesellschaft, denn die Zierfischhaltung führt im Kammerspiel die Fragen vor, die das Bürgertum umtreibt. Ob denn auch Frauen Fische halten sollten? Ob heimische Fische für den Proletarier besser geeignet seien? Sind exotische Zierfische überhaupt noch ein bodenständiges Hobby? Ja, wo hört naturkundliche Belehrung auf und fängt Effekthascherei an?
Aus Sicht derjenigen, die unter Wasser leben, handelt es sich wohl ohnehin eher bei denen, die auf dem Land leben, um einen Sonderfall des blauen Planeten, einen Mikrokosmos im eigentlichen Sinne. Es ist noch nicht so lange her, daß Forscher überzeugend vorrechneten, daß Leben in der Tiefsee gar nicht möglich sei: zu hoch der Druck, zu stark die Kompression, Organismen daher undenkbar. Das wissen wir heute besser. Viel mehr aber auch nicht - man denke etwa an die rätselhafte Riesenkrake. Zum Trost können wir nun wenigstens die Geschichte der Faszination daran, wie es sich unter Wasser lebt, in einem unterhaltsam erzählten und liebevoll bebilderten Buch nachlesen.
Bernd Brunner: "Wie das Meer nach Hause kam". Die Erfindung des Aquariums. Transit Verlag, Berlin 2003. 144 S., Farb- und S/W-Abb., geb., 16,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Philosophen haben sich zwar durchaus mit dem Tier - von der Zecke (Agamben) bis zum Wombat (Adorno) - beschäftigt, so Rezensentin Julia Voss, aber viel zu wenig mit dem Fisch. Dafür gibt es jetzt ein "schönes kleines Buch", das davon berichtet, wie im 19. Jahrhundert der Meeresbewohner in die Wohnstuben kam und dort seine Kreise zu ziehen begann. Eine Geschichte des Aquariums also, von den ersten Begegnungen des Reisenden am Strand, zum Wunsch, das Exotische auch zuhause vorzufinden. Man erfährt, dass 1867 auf der Pariser Weltausstellung ein riesiges begehbares Aquarium installiert wurde, dass man diskutierte, ob auch "Frauen Fische halten sollten". Ein Buch, das die Rezensentin gerne gelesen hat, das sie als "unterhaltsam erzählt und liebevoll bebildert" lobt.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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