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Niemand bestreitet mehr, daß Deutschland Reformen bitter nötig hat. Heftig umstritten sind jedoch die Reforminhalte, insbesondere die Frage, wer und in welchem Umfang ihre Folgen tragen soll. Doch was an Staat, Wirtschaft und Gesellschaft muß sich eigentlich ändern, damit unser Gemeinwesen überhaupt reformfähig wird? Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog beantwortet genau diese Frage, deren Lösung die entscheidende Voraussetzung dafür ist, daß unser Land wieder stark wird.

Produktbeschreibung
Niemand bestreitet mehr, daß Deutschland Reformen bitter nötig hat. Heftig umstritten sind jedoch die Reforminhalte, insbesondere die Frage, wer und in welchem Umfang ihre Folgen tragen soll. Doch was an Staat, Wirtschaft und Gesellschaft muß sich eigentlich ändern, damit unser Gemeinwesen überhaupt reformfähig wird? Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog beantwortet genau diese Frage, deren Lösung die entscheidende Voraussetzung dafür ist, daß unser Land wieder stark wird.
Autorenporträt
Roman Herzog, Jahrgang 1934, ist Jurist und Politiker. Von 1966 bis 1969 war er Professor an der FU Berlin, danach an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer; von 1978 bis 1980 war er Kultusminister und von 1980 bis 1983 Innenminister in Baden-Württemberg. 1983 wurde er Vizepräsident und 1987 Präsident des Bundesverfassungsgerichts, von 1994 bis 1999 bekleidete er das Amt des Bundespräsidenten. Herzog veröffentlichte zahlreiche staatsrechtliche, politische und historische Bücher, u. a. "Vision Europa. Antworten auf globale Herausforderungen" (1996) und "Wider den Kampf der Kulturen. Eine Friedensstrategie für das 21. Jahrhundert" (2000).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2006

Kein großer Ruck mehr . . .
Sondern viele kleine Schritte: Roman Herzogs Weg zur Wiedergewinnung der innerdeutschen Fitness

Wenn man sich an die Zeiten Roman Herzogs als Bundespräsident erinnert, fällt wohl jedem als erstes die Rede vom 26. April 1997 ein, mit der er die Deutschen aufforderte, einen Ruck durchs Land gehen zu lassen. Was ist ein Ruck? Hauruck, ruck, zuck: Es geht offenbar um eine plötzliche, körperlich spürbare Verhaltensänderung. Da von einem solchen Ruck in den vergangenen neun Jahren bei uns wenig zu spüren war, greift man neugierig nach der neuen Schrift Herzogs, die uns verheißt, wie ein Ruck gelingen kann. Doch dann kommt schon auf der ersten Seite die Überraschung. Man liest: "Der Leser wird rasch begreifen, daß es den großen Wurf, den unser Volk so gern hat, in dieser Frage nicht gibt. Notwendig sind Dutzende, vielleicht sogar Hunderte kleiner Schritte, die sich im Laufe der Zeit und bei entsprechender Zielstrebigkeit aber summieren und auszahlen werden. Eine Reformpolitik, die diesen Namen wirklich verdient, wird sich deshalb zunächst auch nur in kleinen Schritten bewegen können. Die Schritte werden aber von Jahr zu Jahr größer werden, und dasselbe wird von den Gestaltungsräumen gelten, die unser politisches System dadurch gewinnt, gerade auch im finanziellen Bereich. Alles in allem: Der Ruck, den ich vor Jahren gefordert habe, ist möglich. Man muß ihn nur wollen. Und vor allem: Man muß hart daran arbeiten und etwas Geduld haben!" Diese Passage könnte auch von Angela Merkel stammen, die in ihrer ersten Regierungserklärung von kleinen Schritten sprach, in denen sich die neue Koalition bewegen werde. Allerdings bemerkte Bundespräsident Köhler, wer von kleinen Schritten spreche, müsse viele ins Auge fassen. Vorerst treten wir weiter hoffnungsvoll auf der Stelle.

Wer demnach glaubt, er könne sich die Lektüre dieser Schrift sparen, irrt sehr. Herzog skizziert in sieben Kapiteln den Weg zur Wiedergewinnung der innerdeutschen Fitness. Er hält für das eigentliche Thema des Buches, sich nicht mit einzelnen Reformen zu befassen, sondern mit der Reformfähigkeit moderner westlicher Gesellschaften überhaupt. Denn wegen der zunehmenden Geschwindigkeit weltweiter Veränderungen komme es immer mehr auf rasche Entscheidungen an. Die oft gestellte Frage, wohin die Entwicklung der dynamisierten Gesellschaft denn eigentlich gehen solle, sei falsch gestellt. Man müsse sich realistisch vor Augen halten, daß die Entwicklungen nicht absehbar seien. An die Stelle eines einfachen, klaren Zukunftsbildes seien längst bloße Verfahren getreten, ebendas, was offene Gesellschaften als ihr Bestes anzubieten hätten: Versuch und Irrtum. Mehr sei nicht möglich, sei es übrigens in der ganzen Menschheitsgeschichte nie gewesen.

Herzog hebt die zentrale Rolle der Bildungspolitik hervor. Er schildert anschaulich die atemberaubende Wissensexplosion und schlägt vor, Lehrpläne auf die Hälfte zu kürzen; man müsse den Mut zur Lücke haben. Er findet es "völlig absurd", daß Kindergartenbeiträge fast unerschwinglich hoch sind, während akademische Studien gebührenfrei angeboten werden und "ein ganzes politisches Lager daran überhaupt nichts zu beanstanden findet". Er beklagt die Starrheit der Gewerkschaften. So wäre es vernünftig, daß gut verdienende Unternehmen ihren Mitarbeitern bessere Löhne zahlen sollten als stagnierende. Ein entsprechender Vorschlag Franz Münteferings sei also goldrichtig, habe aber einen riesengroßen Haken: Die Gewerkschaften hielten eisern am Flächentarifvertrag fest, weil sie sonst die Abwanderung ihres Einflusses zu den Betriebsräten befürchten müßten. Verbürokratisierung sei ein fundamentaler Mißstand aller Großorganisationen, auch in der Wirtschaft, natürlich beim Staat. Mittelstandsförderung, eine aktive Mittelstandspolitik, sei absolut zentral. Der Staat sei überfordert. Er habe immer mehr auch Aufgaben geschultert, die sich bei nüchterner Betrachtung entweder überhaupt nicht oder doch nur bruchstückhaft lösen ließen. Solange das Wachstum nicht anspringe, bleibe nur öffentliche Sparsamkeit, also die Reduzierung der öffentlichen Haushalte.

Man werde die Leistungen der Krankenkassen wohl weiter beschneiden müssen, was im Extremfall bedeuten könne, daß Kassenpatienten entweder medizinische Spitzenleistungen, zum Beispiel Herztransplantationen, oder Mittel gegen Allerweltskrankheiten, wie Schnupfen, nicht mehr ersetzt würden. Die Überalterung Deutschlands drohe die Entschlußkraft des Landes zu lähmen, weil ältere Menschen weniger reformbereit und reformfähig seien. Mehr und mehr würden unsere Wahlen von den Alten entschieden, die unter den Folgen unterlassener oder verspäteter Reformen weniger zu leiden hätten als junge Generationen. Man müsse also erwägen, entweder Bürgern von einem bestimmten Alter an das Wahlrecht abzuerkennen oder den Eltern minderjähriger Kinder zusätzliche Stimmen zu geben. Denkbar sei auch, das Problem von der anderen Seite zu packen und die Staatstätigkeit zu reduzieren, also den Bereich, in dem sich das demokratische Mehrheitsprinzip auswirke, wesentlich enger zu fassen als heute. Vielleicht solle man auf die Grundforderung des politischen Liberalismus zurückkommen: soviel Staat wie nötig, soviel Freiheit - oder: soviel Gesellschaft - wie möglich. Das Thema werde zwar so gut wie überhaupt nicht diskutiert, brenne aber auf den Nägeln.

Herzog scheut sich nicht, auch an anderen Stellen unkonventionell zu denken. Er fordert, auch im Zeitalter der Globalisierung "ein Minimum an Autarkie sicherzustellen", besonders bei der Versorgung mit Lebensmitteln und Energie. Er fragt sich, ob wir wirklich gut beraten sind, auf der Demokratie, auch auf Menschenrechten in der ganzen Welt zu beharren. Wenn man den Völkern der Dritten Welt nicht glaubhaft die Absicht vermittle, mit ihnen auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln, werde "insbesondere das nicht gerade starke Europa in der Welt nicht sehr gut fahren". Mehrfach beschäftigt sich Herzog mit Samuel Huntingtons "Clash of Civilizations", dem Widerstreit der Kulturen. Er hält es für möglich, daß sich militärische Auseinandersetzungen trotz aller Bemühungen um Ausgleich vielleicht nicht werden vermeiden lassen. Sie dürften das kleine Europa nicht ungerüstet finden. Entschiedener als bisher müsse sich Europa vorbereiten, durch eine Festigung der Bündnisse, durch eigene militärische Anstrengungen. Herzog schließt mit den Worten, die Sicherheit bleibe ein Thema, auf das sich der Westen maßvoll, aber deutlich einstellen solle.

ARNULF BARING

Roman Herzog: Wie der Ruck gelingt. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005. 150 S., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der hier rezensierende Historiker Arnulf Baring legt deutschen Lesern das Buch des ehemaligen Bundespräsidenten sehr ans Herz, da es in sieben Kapiteln den Weg zur "Wiedergewinnung der innerdeutschen Fitness" skizziere. In diesem Zusammenhang hebe Roman Herzog besonders die zentrale Rolle der Bildungspolitik hervor, lege die Finger in strukturelle Wunden des deutschen Bildungssystems. Auch an anderen Stellen scheut er sich Baring zufolge nicht, "unkonventionell zu denken". Auch zum "Clash of Civilizations" äußere er sich und halte in dessen Folge längerfrstig sogar militärische Auseinandersetzungen für vorstellbar, Europa jedoch dafür nicht gerüstet. Im Übrigen lasen sich Herzogs Ausführungen für Baring nicht viel anders als Angela Merkels erste Regierungserklärung. Aber auch das scheint ein Qualitätsmerkmal zu sein.

© Perlentaucher Medien GmbH