Marktplatzangebote
9 Angebote ab € 4,95 €
  • Gebundenes Buch

Aus täglichen Beobachtungen und Notizen hat Hans Bender das Tagebuch eines Schriftstellers komponiert, in dem sich die Linien des Lebens mit denen des Schreibens kreuzen. Zwischen Gedanken, Erinnerungen und Begegnungen finden sich auch Notizen zu Kollegen, von Elias Canetti bis zu Manes Sperber.

Produktbeschreibung
Aus täglichen Beobachtungen und Notizen hat Hans Bender das Tagebuch eines Schriftstellers komponiert, in dem sich die Linien des Lebens mit denen des Schreibens kreuzen. Zwischen Gedanken, Erinnerungen und Begegnungen finden sich auch Notizen zu Kollegen, von Elias Canetti bis zu Manes Sperber.
Autorenporträt
Bender, Hans
Hans Bender wurde 1919 in Mühlhausen/Kreichgau geboren. Er veröffentlichte Romane und Erzählungen und edierte vielbeachtete Anthologien zur zeitgenössischen Lyrik. 1953 gründete er mit Walter Höllerer imCarl Hanser Verlag die Literaturzeitschrift Akzente. Er starb 2015 in Köln.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.1999

Wunschkost mit Hellhörigkeit
Hans Benders Aufzeichnungen "Wie die Linien meiner Hand"

"Kritiker. Nicht mein Buch, mich rezensieren sie", notierte Hans Bender 1992 mit wissendem Gleichmut in sein Journal. Aber kann man Leben und Werk bei Aufzeichnungen trennen, die den Titel tragen "Wie die Linien meiner Hand"? Verschmilzt doch das Bild einer Handfläche auf geglückte Weise die Unpersönlichkeit physischer Gegebenheit mit den Spuren gelebter Identität.

Die thematischen Linien Benders sind von großer Konstanz: Kindheit im badischen Kraichgau, katholisches Internat, Krieg und Gefangenschaft, Literatur und Literaturbetrieb, Italienreisen, Menschen und Katzen bestimmen gleichermaßen Vita und Werk. Hans Bender, der am 1. Juli seinen achtzigsten Geburtstag beging, gehört zu jenen lesenden Autoren und schöpferischen Lesern, deren Liebe zur Literatur das mechanische Bücherwesen erst erträglich macht. Autor und professioneller Leser standen stets in prekärem Gleichgewicht, denn Bender hat zwar in den fünfundzwanzig Jahren, während derer er zusammen mit Walter Höllerer die Zeitschrift "Akzente" herausgab, die literarische Entwicklung in Deutschland als Anreger, Entdecker, Juror und Kritiker maßgeblich geprägt. Zugleich musste er aber das eigene Schreiben stark einschränken.

So ergibt sich die paradoxe Lage, dass Benders frühe Kurzgeschichten in kaum einem Lesebuch fehlen, seine Gedichte hingegen verschollen sind und seine Romane ein Dasein in städtischen Büchereien fristen. Anders erging es seinen Anthologien. Die Sammlungen "Widerspiel. Lyrik nach 1945" und die poetologischen Texte aus "Mein Gedicht ist mein Messer" (1955/61) gehören heute noch zur Pflichtlektüre ernsthafter Germanistikstudenten. Geht man die Bände der "Akzente" durch, staunt man, wie früh Namen wie Thomas Bernhard und Roland Barthes darin auftauchen, oder darüber, dass Bender als Theoretiker der Kurzgeschichte bereits 1962 die amerikanische Westküste im Auge hatte.

Bender hat dem Geschäft des Herausgebers, von dessen diplomatischer Kunst zwei Briefbände zeugen, auch noch sein Eigenstes abgewonnen. 1987 erschien der Erzählungsband "Bruderherz" und seit den siebziger Jahren publiziert Bender "Aufzeichnungen", Sammlungen kurzer Prosatexte, deren Gattung er mit dem befreundeten Elias Canetti teilt. "Eine Aufzeichnung soll die Konzentration eines Gedichtes erzielen, ohne dessen Stilgebärde, dessen Angestrengtheit oder gar dessen Schmuck. Die eigene Stimme soll aus der Aufzeichnung sprechen, die Erfahrung, der Gedanke, die Einsicht."

Dieser eigene Tonfall akzentuiert leise, aber auch sehr bestimmt Fragmente aus einer Autobiografie, deren Abfassung Bender sich durch natürlichen Takt versagte. Einem Kollegen, der nicht über diese Qualität verfügte, widmet Bender denn auch das briefliche Lob: "Die Kriegserlebnisse sind Ihnen geglückt!" Nein, er selbst hat sie nicht im Nachhinein glücken lassen, wie ein kürzlich publizierter Vierzeiler festhält: "Jahrgang 1919 / Nicht gefallen / nicht ungehorsam gewesen zu sein. / Und weiterzuleben / mit dieser Schuld". Schliff und Intention der einzelnen Texte treten daher auch erst deutlich hervor, wenn man sie in das Lebensbild eines Mannes einfügt, der als Kind noch die "Lauretanische Litanei" beten lernte und darin zum ersten Mal der Dichtung begegnet ist.

Als Beispiel für die Vielschichtigkeit der Aufzeichnungen mag die unscheinbare Notiz über einen italienischen Sportreporter dienen, der von einem Tormann sagt, er fliege "come un angelo". Die geläufige, jedem Italiener auch durch Oper und Gianna Nannini ins Ohr geheftete Phrase bekomme einen persönlichen Nebensinn, wenn man sie neben eine Aufzeichnung hält, die dem eigenen Knabensopran im Kirchenchor galt: Man sagte, er habe "wie ein Engel" gesungen. Genau um diese Erinnerung ist die Erzählung "Stimmen wie Engel" aufgebaut, in der Bender 1987 eine erste erotische Erfahrung beschreibt. Die Phrase des Sportreporters trifft auf Benders gespanntes Ohr und bereichert dieses um eine skurrile Nuance moderner Engelkunde.

Auch genretypische Italienreisen und Restaurantbeschreibungen stehen bei Bender in explizitem Kontrast zur Erfahrung von über vier Jahren Kriegsgefangenschaft. Im Lazarett konnte dort die Gewährung von "Wunschkost" - so der Titel eines Romans von 1959 - über ein Schicksal entscheiden, und Italien wird aus dieser Perspektive noch viele Jahre später zum Ort des Trostes über das nie mehr einholbare Leben. Funkelnden und zum Teil scharfen Witz gewinnt Bender aus seiner Kenntnis des Literaturbetriebes. Er verrät das von Döblin entdeckte Geheimnis funktionierender literarischer Akademien: Kein Mitglied hat die Bücher der anderen gelesen. Eigener Beobachtung entspringt die Erkenntnis, dass Leute bei Lesungen, die sie schon rein akustisch nicht verstehen konnten, besonders ausgiebig applaudieren.

Da gibt es "Lyrikerinnen, die nacheinander Gedichtbände legen wie Hennen Eier", aber was ist das gegen die vom Nachbarn zugeflüsterten "drei fröhlichen Grabsteine", die Bender vor vielen Jahren bei einer Greisenlesung auf dem Podium sah. Doch kein Alter schützt: "Der junge Autor schnarcht. Auch das erfahren wir aus seinem ersten autobiografischen Roman." Ein wenig schmunzeln muss man dann doch über die Grenzen von Benders Welt, denn die deutsche Wiedervereinigung taucht in einer einzigen Notiz auf, die PEN-Club-Wirren zum Gegenstand hat. Dafür hat Bender aber schon vor Jahrzehnten im Gespräch mit einem Autor aus Ostberlin die sprachliche Lösung der Staatsteilung gefunden: Statt BRD und DDR sagten sie spontan "bei uns" und "bei euch".

Benders Aufzeichnungen machen Leser hellhörig für die Implikationen solch falscher oder richtiger Töne. Hellhörig wie Katzenohren. Ein ganzes "Katzen-Buch" (1982) zeugt von Benders Liebe zu diesem Tier, die ihn sogar Blauberts Antinomie "Wir leben mit denen, die stören" widersprechen lässt. Bender apodiktisch: "Das gilt nicht für Katzen." Nicht zu stören, das ist wahre Tugend nicht nur im Umkreis eines Schreibtisches.

Eines der schönsten Geschenke hält Bender als Leser bereit, den Hinweis auf Jules Renard (1864 bis 1910). Dessen in Deutschland zu Unrecht kaum bekanntes "Journal" ist Benders Begleiter in allen Situationen, was unmittelbar einleuchtet angesichts von Wahrnehmungen wie "Ameisen, kleine schwarze Perlen, zwischen denen der Faden gerissen ist". Renards freundlicher Scharfblick fand auch ein Bild für jenen Zustand, in dem Autor und Leser nicht mehr zu trennen sind: "Nach einer Träumerei auf der Bank einschlafen, die Augen voller Sterne." Und viele Male erwachen.

THOMAS POISS.

Hans Bender: "Wie die Linien meiner Hand. Aufzeichnungen 1988-1998". Carl Hanser Verlag, München Wien 1999. 130 S., geb., 25,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr