Nach jahrelangem Aufenthalt in Deutschland kehrt die chinesische Fotografin Tingyi mit ihrem deutschen Lebensgefährten Robert nach China zurück, um den 70. Geburtstag des Vaters zu feiern. Zu ihrem leichten Entsetzen erklärt das Familienoberhaupt im Kreis der Verwandten, ihre vornehmste Aufgabe bestehe jetzt darin, möglichst bald schwanger zu werden und der Familie ein weiteres Mitglied zu schenken. Ihr deutscher Lebensgefährte ist Feuer und Flamme für diesen Plan, aber die Irrungen und Wirrungen von Liebe und Eifersucht sowie kulturelle Missverständnisse bringen erst einmal alles in Unordnung.
Ein kleiner, heiterer, an den praktischen Gegebenheiten des Lebens in China orientierter Roman.
Ein kleiner, heiterer, an den praktischen Gegebenheiten des Lebens in China orientierter Roman.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2010Liebe à la Szechuan
Luo Lingyuans Tipps zur Familienplanung in China
Eigentlich trägt Tingyis Freund den Namen Robert. Aber das phonetisch Ähnlichste, was ihre Eltern zuwege bringen, lautet "Roloko" und heißt übersetzt "Rettichkopf". Es ist Rettichkopfs erster Besuch in Kanton, und die Marschrichtung ist klar: offen und höflich sein, die chinesische Kultur kennenlernen und einen halbwegs guten Eindruck machen. Mit Abstand am besten davon funktioniert der kulturelle Punkt - denn die Gastgeber geben dem Lebensgefährten ihrer Tochter keine andere Chance.
Es gibt haufenweise Bücher über den Kulturschock in China, doch "Wie eine Chinesin schwanger wird" schöpft aus einem besonders tiefen Fass. Das geht schon los mit dem siebzigsten Geburtstag des Vaters, bei dem jeder Geld schenken muss und Robert gar nicht anders kann, als sich in die Nesseln zu setzen. Schließlich ist er als Wissenschaftler nicht reich, wird aber dafür gehalten. Doch Tingyis Vater muss seine große Verärgerung überwinden, denn große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus: Es müsse jetzt ein Enkelkind her, hat die ältere Generation beschlossen, und um einen geeigneten, glücksbeseelten Embryo in die Bahn zu setzen, unternimmt man so einiges.
Es liegt große Komik in der Beschreibung, wie eine ganze Familie versucht, ein neues Leben zu erschaffen. Denn Tingyi, die als Fotografin in Deutschland lebt, wird ohne erkennbaren Grund schon seit zwei Jahren nicht schwanger. Also werden enorme Geschütze aufgefahren: Sud für die Manneskraft, Appelle an das Paar, sich Mühe zu geben, Fruchtbarkeitsfigürchen und eine heimelige Lampiondekoration im Schlafzimmer, die die Besitzerin der so heftig umworbenen Gebärmutter zu der süffisanten Bemerkung hinreißt: "Das ist ja wie auf dem Weihnachtsmarkt am Europacenter." Zu allem Überfluss hüpft auch noch das verwöhnte Balg ihrer Schwester auf dem Bett herum, dessen Anwesenheit die notwendige Kinderluft verbreiten soll. Auch das genaue Datum der Zeugung bestimmt der Vater, ausgehend von einer Weissagung und dem Zyklus seiner Tochter, inklusive Ratschlags zur idealen Häufigkeit von Geschlechtsverkehr: immer ein paar Tage pausieren, sonst droht Samenschwäche.
Das alles könnte noch ein bisschen witziger sein, wenn Robert sich nicht sofort mit allem begeistert einverstanden erklärte. Immerhin wird er großzügig eingebunden durch den Satz: "Was die Schwangerschaft angeht, spielst du, Robert, natürlich eine wichtige Rolle." Nur ein Trottel würde an Roberts Stelle nicht in manchen Situationen Einspruch erheben oder diskret den eigenen Kopf gegen die Wand schlagen. Dass er es nicht tut, nimmt der Geschichte enorm an Spannung und führt zu beträchtlichen Längen im Roman.
Die Autorin kennt sich mit der chinesischen Kultur bestens aus: Luo Lingyuan ist in China aufgewachsen und lebt seit 1990 in Berlin. Vor zwei Jahren erhielt sie den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis, und tatsächlich ist es beeindruckend, wie gut sie auf Deutsch schreibt. Ihre Sprache hat etwas kindlich Einfaches, ohne unbeholfen zu wirken: eine hübsche Erzählung einer Geschichte, die leider unter ihren Möglichkeiten bleibt.
JULIA BÄHR
Luo Lingyuan: "Wie eine Chinesin schwanger wird". Roman. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009. 198 S., br., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Luo Lingyuans Tipps zur Familienplanung in China
Eigentlich trägt Tingyis Freund den Namen Robert. Aber das phonetisch Ähnlichste, was ihre Eltern zuwege bringen, lautet "Roloko" und heißt übersetzt "Rettichkopf". Es ist Rettichkopfs erster Besuch in Kanton, und die Marschrichtung ist klar: offen und höflich sein, die chinesische Kultur kennenlernen und einen halbwegs guten Eindruck machen. Mit Abstand am besten davon funktioniert der kulturelle Punkt - denn die Gastgeber geben dem Lebensgefährten ihrer Tochter keine andere Chance.
Es gibt haufenweise Bücher über den Kulturschock in China, doch "Wie eine Chinesin schwanger wird" schöpft aus einem besonders tiefen Fass. Das geht schon los mit dem siebzigsten Geburtstag des Vaters, bei dem jeder Geld schenken muss und Robert gar nicht anders kann, als sich in die Nesseln zu setzen. Schließlich ist er als Wissenschaftler nicht reich, wird aber dafür gehalten. Doch Tingyis Vater muss seine große Verärgerung überwinden, denn große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus: Es müsse jetzt ein Enkelkind her, hat die ältere Generation beschlossen, und um einen geeigneten, glücksbeseelten Embryo in die Bahn zu setzen, unternimmt man so einiges.
Es liegt große Komik in der Beschreibung, wie eine ganze Familie versucht, ein neues Leben zu erschaffen. Denn Tingyi, die als Fotografin in Deutschland lebt, wird ohne erkennbaren Grund schon seit zwei Jahren nicht schwanger. Also werden enorme Geschütze aufgefahren: Sud für die Manneskraft, Appelle an das Paar, sich Mühe zu geben, Fruchtbarkeitsfigürchen und eine heimelige Lampiondekoration im Schlafzimmer, die die Besitzerin der so heftig umworbenen Gebärmutter zu der süffisanten Bemerkung hinreißt: "Das ist ja wie auf dem Weihnachtsmarkt am Europacenter." Zu allem Überfluss hüpft auch noch das verwöhnte Balg ihrer Schwester auf dem Bett herum, dessen Anwesenheit die notwendige Kinderluft verbreiten soll. Auch das genaue Datum der Zeugung bestimmt der Vater, ausgehend von einer Weissagung und dem Zyklus seiner Tochter, inklusive Ratschlags zur idealen Häufigkeit von Geschlechtsverkehr: immer ein paar Tage pausieren, sonst droht Samenschwäche.
Das alles könnte noch ein bisschen witziger sein, wenn Robert sich nicht sofort mit allem begeistert einverstanden erklärte. Immerhin wird er großzügig eingebunden durch den Satz: "Was die Schwangerschaft angeht, spielst du, Robert, natürlich eine wichtige Rolle." Nur ein Trottel würde an Roberts Stelle nicht in manchen Situationen Einspruch erheben oder diskret den eigenen Kopf gegen die Wand schlagen. Dass er es nicht tut, nimmt der Geschichte enorm an Spannung und führt zu beträchtlichen Längen im Roman.
Die Autorin kennt sich mit der chinesischen Kultur bestens aus: Luo Lingyuan ist in China aufgewachsen und lebt seit 1990 in Berlin. Vor zwei Jahren erhielt sie den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis, und tatsächlich ist es beeindruckend, wie gut sie auf Deutsch schreibt. Ihre Sprache hat etwas kindlich Einfaches, ohne unbeholfen zu wirken: eine hübsche Erzählung einer Geschichte, die leider unter ihren Möglichkeiten bleibt.
JULIA BÄHR
Luo Lingyuan: "Wie eine Chinesin schwanger wird". Roman. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009. 198 S., br., 14,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Julia Bähr hat sich zwar über Luo Lingyuans Roman "Wie eine Chinesin schwanger wird" durchaus amüsiert, sie ist aber enttäuscht, dass er nicht noch lustiger geworden ist und dass er sich insgesamt etwas zieht. Die Ausgangssituation versprach ihr jede Menge Komik: Tingyis Freund Robert setzt sich beim Elternbesuch in Kanton in allerlei kulturelle Fettnäpfchen, und zu allem Überfluss müht sich die chinesische Verwandtschaft nach Kräften, Tingyi zur von ihr wie auch von der Familie ersehnten Schwangerschaft zu verhelfen, erklärt uns die Rezensentin. Die seit 1990 in Berlin lebende chinesische Autorin schreibt erstaunlich gut auf Deutsch, meint Bähr eine Spur gönnerhaft. Ihre "hübsche" Geschichte aber verliere viel von ihrem Witz, weil Robert sich auf die vielen Vorschläge und Eingriffe der Familie seiner chinesischen Freundin allzu bereitwillig einlässt, so Bähr, die sich mehr von diesem Roman versprochen hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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