Entenhausen, die kleine Stadt im erfundenen Staat Calisota, ist die Heimat von Donald Duck und den anderen weltberühmten Enten. In 402 Erzählungen, erschienen von August 1942 bis Juli 1967, hat Carl Barks (1901-2000) die Saga von den Ducks geschaffen. Diese große Geschichte beschäftigt sich mit dem Erhabenen ebenso wie mit dem Kleinen, dem Philosophischen wie dem Profanen, sie bildet eine Welt ab, die in erster Linie nicht aus großen Ideen besteht, sondern aus Trivialitäten, seltsamen Präferenzen und zweifelhaften Motiven. Gier nach Geld und Ruhm spielt eine ebenso große Rolle wie Appetit auf Truthahn oder Hamburger.
Henner Löffler stellt in diesem Buch den Kosmos von Entenhausen mit seinem tierisch-menschlichen Personal ausführlich vor und würdigt darüber hinaus umfassend den Künstler Carl Barks. Löffler bedient sich dabei literatur- und kulturwissenschaftlicher Methoden. In einer kurzweiligen und humorvollen Argumentation, aber nicht parodistisch, beharrt er darauf, daß das Werk von Barks nicht nur zur Geschichte der Comic Books, sondern durchaus zur Geschichte der Literatur des 20. Jahrhunderts gehört, oft auch mit übersehenen Einflüssen auf Kunst (Pop Art), Literatur (Philip Roth, David Sedaris) und Film (etwa Steven Spielberg, George Lucas und die Coen-Brüder). Barks hat durch seine Entengeschichten tiefe Spuren in der Kultur des 20. Jahrhunderts hinterlassen, und er wird auch das anschließende beeinflussen. Eine eingehendere Beschäftigung mit dem Clan der Ducks ist also durchaus lohnenswert. Wer wissen möchte, wie Enten hausen, lese dieses Buch.
Henner Löffler stellt in diesem Buch den Kosmos von Entenhausen mit seinem tierisch-menschlichen Personal ausführlich vor und würdigt darüber hinaus umfassend den Künstler Carl Barks. Löffler bedient sich dabei literatur- und kulturwissenschaftlicher Methoden. In einer kurzweiligen und humorvollen Argumentation, aber nicht parodistisch, beharrt er darauf, daß das Werk von Barks nicht nur zur Geschichte der Comic Books, sondern durchaus zur Geschichte der Literatur des 20. Jahrhunderts gehört, oft auch mit übersehenen Einflüssen auf Kunst (Pop Art), Literatur (Philip Roth, David Sedaris) und Film (etwa Steven Spielberg, George Lucas und die Coen-Brüder). Barks hat durch seine Entengeschichten tiefe Spuren in der Kultur des 20. Jahrhunderts hinterlassen, und er wird auch das anschließende beeinflussen. Eine eingehendere Beschäftigung mit dem Clan der Ducks ist also durchaus lohnenswert. Wer wissen möchte, wie Enten hausen, lese dieses Buch.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.2004Die Blaubeerflecken kriegt er aus seiner Fliege nie wieder heraus
Entenhausen im Schafspelz: Henner Löffler schildert das rabenschwarze Weltbild der Ducks und distanziert sich vom Donaldismus
Carl Barks (1901 bis 2000) hat von 1942 bis 1967 Heft-Comics mit Donald Duck und dem anderen Entenhausener Personal geschrieben und gezeichnet. Manche Kenner sind der Meinung, daß diese circa 6000 Seiten (oder zumindest große Teile davon) zum Allerbesten gehören, was die Kunstform Comic je hervorgebracht hat. Bei uns erschienen diese Berichte seit 1951 periodisch in der "Micky Maus". In den fünfziger und sechziger Jahren wurde diese Zeitschrift noch komplett von Erika Fuchs (geboren 1906) eingedeutscht. Danach kamen andere Übersetzer dazu, aber auch die verspätet erschienenen Geschichten aus dem Barks-Kanon wurden bis auf unwesentliche Ausnahmen immer noch von Fuchs übersetzt.
Eigentlich darf man nicht von Übersetzungen sprechen. Fuchs hat das amerikanische Rohmaterial hergenommen und dazu kongenial einen oft völlig anderen Text in ihrer persönlichen Sprache und Weltsicht erstellt. Ob sie sich dabei an die ethischen Regeln des Übersetzerberufs gehalten hat, sollte man besser nicht diskutieren. Aus der sehr amerikanischen Stadt Duckburg wurde die nicht leicht lokalisierbare und widersprüchliche Gemeinde Entenhausen. Aus Dollar und Cent wurden Taler und Kreuzer. Aus Mr. Jones wurde Nachbar Zorngibel. Aus Halloween wurde der Rosenmontag. Natürlich kann man beispielsweise an der Architektur erkennen, daß der kleine Herr Duck in den Vereinigen Staaten lebt. Aber welches deutsche Kind kannte 1951 schon die typische Architektur der Vereinigten Staaten? Wie Shakespeare hat Fuchs fremdes geistiges Eigentum genommen und etwas Eigenes daraus gemacht. Wie Luther hat sie dem Volk aufs Maul geschaut und eine unbekannte Welt mit vertrauten deutschen Versatzstücken gefüllt.
Henner Löffler gehört zum Jahrgang 1943. In der heroischen Epoche von 1951 bis 1955 konnte er monatlich ein neues "Micky-Maus"-Heft lesen, das mit einer zehnseitigen Geschichte von Carl Barks und Erika Fuchs begann. Durch eine solche Biographie wird man geprägt wie die Graugänse von Konrad Lorenz. Jetzt hat Löffler ein Buch über den Kosmos von Donald Duck geschrieben. Dabei hat er sich fünfzig Jahre nach seiner Kindheitslektüre hauptsächlich an den amerikanischen Originalen orientiert. Zu Erika Fuchs hat er inzwischen ein gespaltenes Verhältnis. In Fußnoten vergleicht er ihre Übertragung mit dem Original. Ein Beispiel: Fuchs übersetzt "blackberry" falsch mit "Blaubeere". In Wirklichkeit übersetzt sie nicht, sie verbessert: Donald bekommt einen Kuchen ins Gesicht. Die Folgen sind unangenehmer, wenn der Kuchen nicht mit Brombeeren, sondern mit pigmentstarken Blaubeeren gefüllt ist. Die Flecken bekommt er nie wieder aus seiner Fliege heraus.
Man müßte das Barkssche Gesamtwerk mit der Fuchs-Version vergleichen. Dann käme man zu gerechten Ergebnissen. Erika Fuchs hat oft mit dem Bauch übersetzt. Daß ihr, die jeden Monat mit Arbeit überschüttet wurde, dabei manche Schlamperei unterlaufen ist, sei konzediert. Löffler behauptet, daß ihre Version autoritärer, politisch korrekter und oberlehrerhafter als die von Barks ist. Vielleicht ist ihre Art von Ironie aber nur zart wie Zephirsgesäusel, subtil und subversiv. Fanatische Fuchs-Anhänger sind meistens unangepaßte Menschen, die Geschwätz sofort durchschauen. Löffler hat sich in der Regel zuerst an das amerikanische Original gehalten und ist dann manchmal auf die deutsche Variante eingegangen. Die Abbildungen sind alle auf deutsch. Dafür wurde technischer Aufwand getrieben. Bei dem Bild auf Seite 214 sieht man dank eines Fehlers, wie der deutsche Text in eine amerikanische Schwarzweißausgabe einkopiert wurde.
Leser mit gediegenen Kenntnissen der amerikanischen Sprache und des amerikanischen Barks-OEuvres werden am meisten von dem Buch profitieren. Löffler versucht, einem Herrn und einer Dame zu dienen. In der Einleitung heißt es: "Ich wünsche diesem Buch vor allem eine Leserschaft, die über den Kreis der Spezialisten hinausgeht." Diese Leserschaft besteht vor allem aus Deutschen, die mit den Fuchs-Texten aufgewachsen sind.
Löffler nennt die Gesamtheit der Duck-Geschichten von Carl Barks die "Saga". Er macht Einschränkungen. Erstens müssen Bild und Text von Barks stammen. Einverstanden. Zweitens läßt er alles, was nach 1958 entstanden ist, unter den Tisch fallen. Einverstanden. Die alten Geschichten sind aus Platin, die späteren aus Silber. Drittens müssen die Hauptfiguren Donald und Tick, Trick und Track vorkommen. Das macht Sinn. Das ist Löfflers Buch, da kann er sich sein Thema definieren, wie er will. Viertens - da muß widersprochen werden - legt Löffler nur Geschichten mit einer Länge von mehr als vier Seiten zugrunde. Hier wird mit einem groben Netz gefischt. Von den langen Erzählungen wird auch nicht jede berücksichtigt, warum sollte man nicht auch einen (gegebenenfalls kleinen) Prozentsatz der kurzen in die Betrachtung einbringen? Auch dort findet man wichtige Informationen. Besonders perfide ist es, Daniel Düsentrieb als "farblos und unauratisch" abzuqualifizieren, wenn man die vielen starken Vierseitengeschichten mit ihm ignorieren muß.
Die "Donaldisten" gehen davon aus, daß Entenhausen existiert, und erforschen die Konsequenzen dieses Axioms. Löffler distanziert sich vom Donaldismus. Ein Beispiel sollte die unterschiedlichen Positionen klären: Entenhausen liegt im amerikanischen Bundesstaat Calisota. Das erfahren wir nebenbei ein einziges Mal im amerikanischen Kanon. Löffler sagt, im Sommer liege Entenhausen in California. Hier gibt es Palmen und den Pazifik. Im Winter liegt Entenhausen im kalten Minnesota mit gefrorenen Seen, meterhohen Schneebergen und gemütlichen Sesseln vor dem Kaminfeuer. So hat Barks die Erinnerung an verschiedene Wohnorte verarbeitet. Ein Donaldist würde sagen, Entenhausen liege auf einem Planeten, dessen Achse stärker geneigt ist als die von unserer Erde. Deshalb ist der Unterschied zwischen Sommer und Winter dort größer. Man könnte die Schiefe der Ekliptik des Duck-Planeten präzise bestimmen. Manchmal spekuliert auch Löffler vorsichtig nach dieser Fasson. Wenn Donald ständig umziehen muß, dann liege das vielleicht daran, daß er seine Hypotheken nicht bedienen kann, sagt Löffler. Diese Hypotheken werden aber im Kanon nie erwähnt.
An den elementaren Fakten über Entenhausen und die Entenhausener ändert das alles nicht viel. Im Sommer schwimmt man im Meer, im Winter fährt man Schlittschuh und Ski. Eine Analogie findet sich in der Quantenmechanik: Es gibt diverse Interpretationen der Theorie, die Masse des Elektrons aber ist für alle Interpretationen gleich. Löffler berichtet über Grundlegendes. Deshalb kann ein Donaldist von seiner Arbeit profitieren.
Das Buch hat den Untertitel "Die Ducks von A bis Z". Es ist aber kein richtiges Lexikon. Es besteht aus 64 kleinen Artikeln von "Aggressivität" bis "Zeitungen" mit einer Länge von sechs Seiten. Man soll sie in beliebiger Reihenfolge, aber komplett lesen. Um ehrlich zu sein: Ein altmodisches Werk mit Kapiteln, die logisch aufeinander aufbauen, wäre angenehmer zu studieren. Immer wieder meint man, Löffler bei einem Aspekt widersprechen zu müssen, bis man später zu der Stelle kommt, wo alles genau erklärt wird. Auf einen Sitz verkraftet man das Buch nicht, es ist eine anstrengende Lektüre mit seinen vielen Einzelheiten.
Worum geht es? Löffler berichtet über die Details des Lebens in Entenhausen, über Barks als Künstler und über Barks' Philosophie. Löffler ist ein großer Zerstörer. Er nimmt Entenhausen auseinander wie ein Abbruchunternehmer ein altes Schulhaus und sortiert die Bestandteile. Erst die Untersuchung von vielen Geschichten läßt uns erkennen, daß hinter dem Wahnsinn der Erzählung Methode steckt. Zum Beispiel das Fernsehen: Das Entenhausener Programm ist unglaublich schlecht. Es besteht wie in Amerika und bei uns aus hanebüchenen Quizshows, Kalamitätensendungen und primitiven Western und Krimis. Zum Beispiel die Automobile: Donald Ducks winziges verdeckloses Cabrio mit versenkbarem Schwiegermuttersitz entspricht nicht dem, was in den vierziger und fünfziger Jahren in Amerika üblich war. Es hat ohne viele Reparaturen eine Million Kilometer geschafft. Wenn Duck damit fährt, regnet es erstaunlicherweise nie, was sehr unangenehm wäre. Über den Grund dafür spekuliert Löffler nicht. Er ist eben kein Donaldist. Zum Beispiel der Sport: In Entenhausen wird Baseball gespielt, aber nicht Basketball oder Eishockey. Warum? Erst bei der systematischen Untersuchung der kompletten Saga fällt einem so etwas auf.
Barks hat Kunstwerke geschaffen, bedeutende Kunstwerke. Löffler ignoriert in seinen Überlegungen weitgehend, daß es sich um das Medium Comic handelt. Auf diesem Gebiet scheint er nicht besonders kundig zu sein. Vielleicht ist das gut. Barks kam vom Trickfilm, und seine Stilmittel als Comiczeichner hat er sich weitgehend selbst ausgedacht. Er hat eigentlich keine Comics geschaffen, sondern einen Kosmos. Deswegen ist es letzten Endes egal, ob man ihn mit Herriman und Kelly oder mit Dickens, Doderer, Hitchcock, Joyce, Tati, Twain und Wodehouse vergleicht.
Löffler schreibt nicht nur über die ästhetische Form der Geschichten, sondern auch über das, was Entenhausen im Innersten zusammenhält. Das Ergebnis seiner Analyse ist einleuchtend, aber sehr einseitig. Summa summarum meint Löffler, daß Barks ein rabenschwarzes Weltbild hatte, das man unter der heiteren Oberfläche leicht übersieht. Beschränken wir uns auf die Zentralfigur Donald Duck. Duck ist unglaublich aggressiv. Er hat immer eine Handgranate im Safe, "für alle Fälle". Zum Eisfischen baut er sich mit Dynamit eine Bombe. Seine Neffen bedroht er mit der neunschwänzigen Katze. Er und sein Nachbar bekämpfen sich bis aufs Blut, sogar an Weihnachten. Über Donalds Charakter schreibt Löffler: "Donald Duck zeichnet sich weder gegenüber dem engsten Familienkreis noch gegenüber seinen sonstigen Sozialpartnern durch ein hinreichendes Maß an Empathie aus . . . Freundschaft gibt es im Kosmos ebensowenig wie Liebe, es gibt nur Verwandte (ein paar), Bekannte (wenig) und Fremde (viele)." "Kein Erwachsener hat Freunde, auf die Verlaß ist, auch Donald nicht. Deshalb gibt es auch nie Besuch, es sei denn von Verwandten, und die wollen meist was."
An einer Stelle sagt Löffler zusammenfassend, daß Barks "im Menschen wenig mehr als den Wolf" gesehen hat. Damit meint er natürlich einen Wolf wie aus Grimms Märchen oder wie den in "Micky Maus" Nr. 1/1953, der am liebsten Enten-, genauer Duck-Braten ißt. Dieser Behauptung möchte ich laut widersprechen. Ich glaube, Barks hat im Menschen nichts Schlimmeres als einen Schimpansen gesehen. Er hat wunderbare Comics geschaffen, weil für ihn die Welt komisch war. Man darf die slapstickmäßigen Übertreibungen nicht zu ernst nehmen. Er hat sein Universum nicht schöngefärbt, aber es ist trotzdem manchmal eine Lust, in ihm zu leben. Intelligente Kreaturen sind bisher in Entenhausen ebensowenig wie auf unserem Planeten gesichtet worden, aber Glück, Liebe, Altruismus und Heimat findet man dort allemal. Sonst hätte Löffler dieses Buch, in dem fast zwei Jahre Arbeit stecken, nicht geschrieben. Entenhausen ist eine Hydra. Er hat sie nicht erschlagen, aber er hat sich ihr tapfer entgegengestellt. Dafür ist er zu preisen.
ERNST HORST
Henner Löffler: "Wie Enten hausen". Die Ducks von A bis Z. Verlag C. H. Beck, München 2004. 469 S., Abb., br., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Entenhausen im Schafspelz: Henner Löffler schildert das rabenschwarze Weltbild der Ducks und distanziert sich vom Donaldismus
Carl Barks (1901 bis 2000) hat von 1942 bis 1967 Heft-Comics mit Donald Duck und dem anderen Entenhausener Personal geschrieben und gezeichnet. Manche Kenner sind der Meinung, daß diese circa 6000 Seiten (oder zumindest große Teile davon) zum Allerbesten gehören, was die Kunstform Comic je hervorgebracht hat. Bei uns erschienen diese Berichte seit 1951 periodisch in der "Micky Maus". In den fünfziger und sechziger Jahren wurde diese Zeitschrift noch komplett von Erika Fuchs (geboren 1906) eingedeutscht. Danach kamen andere Übersetzer dazu, aber auch die verspätet erschienenen Geschichten aus dem Barks-Kanon wurden bis auf unwesentliche Ausnahmen immer noch von Fuchs übersetzt.
Eigentlich darf man nicht von Übersetzungen sprechen. Fuchs hat das amerikanische Rohmaterial hergenommen und dazu kongenial einen oft völlig anderen Text in ihrer persönlichen Sprache und Weltsicht erstellt. Ob sie sich dabei an die ethischen Regeln des Übersetzerberufs gehalten hat, sollte man besser nicht diskutieren. Aus der sehr amerikanischen Stadt Duckburg wurde die nicht leicht lokalisierbare und widersprüchliche Gemeinde Entenhausen. Aus Dollar und Cent wurden Taler und Kreuzer. Aus Mr. Jones wurde Nachbar Zorngibel. Aus Halloween wurde der Rosenmontag. Natürlich kann man beispielsweise an der Architektur erkennen, daß der kleine Herr Duck in den Vereinigen Staaten lebt. Aber welches deutsche Kind kannte 1951 schon die typische Architektur der Vereinigten Staaten? Wie Shakespeare hat Fuchs fremdes geistiges Eigentum genommen und etwas Eigenes daraus gemacht. Wie Luther hat sie dem Volk aufs Maul geschaut und eine unbekannte Welt mit vertrauten deutschen Versatzstücken gefüllt.
Henner Löffler gehört zum Jahrgang 1943. In der heroischen Epoche von 1951 bis 1955 konnte er monatlich ein neues "Micky-Maus"-Heft lesen, das mit einer zehnseitigen Geschichte von Carl Barks und Erika Fuchs begann. Durch eine solche Biographie wird man geprägt wie die Graugänse von Konrad Lorenz. Jetzt hat Löffler ein Buch über den Kosmos von Donald Duck geschrieben. Dabei hat er sich fünfzig Jahre nach seiner Kindheitslektüre hauptsächlich an den amerikanischen Originalen orientiert. Zu Erika Fuchs hat er inzwischen ein gespaltenes Verhältnis. In Fußnoten vergleicht er ihre Übertragung mit dem Original. Ein Beispiel: Fuchs übersetzt "blackberry" falsch mit "Blaubeere". In Wirklichkeit übersetzt sie nicht, sie verbessert: Donald bekommt einen Kuchen ins Gesicht. Die Folgen sind unangenehmer, wenn der Kuchen nicht mit Brombeeren, sondern mit pigmentstarken Blaubeeren gefüllt ist. Die Flecken bekommt er nie wieder aus seiner Fliege heraus.
Man müßte das Barkssche Gesamtwerk mit der Fuchs-Version vergleichen. Dann käme man zu gerechten Ergebnissen. Erika Fuchs hat oft mit dem Bauch übersetzt. Daß ihr, die jeden Monat mit Arbeit überschüttet wurde, dabei manche Schlamperei unterlaufen ist, sei konzediert. Löffler behauptet, daß ihre Version autoritärer, politisch korrekter und oberlehrerhafter als die von Barks ist. Vielleicht ist ihre Art von Ironie aber nur zart wie Zephirsgesäusel, subtil und subversiv. Fanatische Fuchs-Anhänger sind meistens unangepaßte Menschen, die Geschwätz sofort durchschauen. Löffler hat sich in der Regel zuerst an das amerikanische Original gehalten und ist dann manchmal auf die deutsche Variante eingegangen. Die Abbildungen sind alle auf deutsch. Dafür wurde technischer Aufwand getrieben. Bei dem Bild auf Seite 214 sieht man dank eines Fehlers, wie der deutsche Text in eine amerikanische Schwarzweißausgabe einkopiert wurde.
Leser mit gediegenen Kenntnissen der amerikanischen Sprache und des amerikanischen Barks-OEuvres werden am meisten von dem Buch profitieren. Löffler versucht, einem Herrn und einer Dame zu dienen. In der Einleitung heißt es: "Ich wünsche diesem Buch vor allem eine Leserschaft, die über den Kreis der Spezialisten hinausgeht." Diese Leserschaft besteht vor allem aus Deutschen, die mit den Fuchs-Texten aufgewachsen sind.
Löffler nennt die Gesamtheit der Duck-Geschichten von Carl Barks die "Saga". Er macht Einschränkungen. Erstens müssen Bild und Text von Barks stammen. Einverstanden. Zweitens läßt er alles, was nach 1958 entstanden ist, unter den Tisch fallen. Einverstanden. Die alten Geschichten sind aus Platin, die späteren aus Silber. Drittens müssen die Hauptfiguren Donald und Tick, Trick und Track vorkommen. Das macht Sinn. Das ist Löfflers Buch, da kann er sich sein Thema definieren, wie er will. Viertens - da muß widersprochen werden - legt Löffler nur Geschichten mit einer Länge von mehr als vier Seiten zugrunde. Hier wird mit einem groben Netz gefischt. Von den langen Erzählungen wird auch nicht jede berücksichtigt, warum sollte man nicht auch einen (gegebenenfalls kleinen) Prozentsatz der kurzen in die Betrachtung einbringen? Auch dort findet man wichtige Informationen. Besonders perfide ist es, Daniel Düsentrieb als "farblos und unauratisch" abzuqualifizieren, wenn man die vielen starken Vierseitengeschichten mit ihm ignorieren muß.
Die "Donaldisten" gehen davon aus, daß Entenhausen existiert, und erforschen die Konsequenzen dieses Axioms. Löffler distanziert sich vom Donaldismus. Ein Beispiel sollte die unterschiedlichen Positionen klären: Entenhausen liegt im amerikanischen Bundesstaat Calisota. Das erfahren wir nebenbei ein einziges Mal im amerikanischen Kanon. Löffler sagt, im Sommer liege Entenhausen in California. Hier gibt es Palmen und den Pazifik. Im Winter liegt Entenhausen im kalten Minnesota mit gefrorenen Seen, meterhohen Schneebergen und gemütlichen Sesseln vor dem Kaminfeuer. So hat Barks die Erinnerung an verschiedene Wohnorte verarbeitet. Ein Donaldist würde sagen, Entenhausen liege auf einem Planeten, dessen Achse stärker geneigt ist als die von unserer Erde. Deshalb ist der Unterschied zwischen Sommer und Winter dort größer. Man könnte die Schiefe der Ekliptik des Duck-Planeten präzise bestimmen. Manchmal spekuliert auch Löffler vorsichtig nach dieser Fasson. Wenn Donald ständig umziehen muß, dann liege das vielleicht daran, daß er seine Hypotheken nicht bedienen kann, sagt Löffler. Diese Hypotheken werden aber im Kanon nie erwähnt.
An den elementaren Fakten über Entenhausen und die Entenhausener ändert das alles nicht viel. Im Sommer schwimmt man im Meer, im Winter fährt man Schlittschuh und Ski. Eine Analogie findet sich in der Quantenmechanik: Es gibt diverse Interpretationen der Theorie, die Masse des Elektrons aber ist für alle Interpretationen gleich. Löffler berichtet über Grundlegendes. Deshalb kann ein Donaldist von seiner Arbeit profitieren.
Das Buch hat den Untertitel "Die Ducks von A bis Z". Es ist aber kein richtiges Lexikon. Es besteht aus 64 kleinen Artikeln von "Aggressivität" bis "Zeitungen" mit einer Länge von sechs Seiten. Man soll sie in beliebiger Reihenfolge, aber komplett lesen. Um ehrlich zu sein: Ein altmodisches Werk mit Kapiteln, die logisch aufeinander aufbauen, wäre angenehmer zu studieren. Immer wieder meint man, Löffler bei einem Aspekt widersprechen zu müssen, bis man später zu der Stelle kommt, wo alles genau erklärt wird. Auf einen Sitz verkraftet man das Buch nicht, es ist eine anstrengende Lektüre mit seinen vielen Einzelheiten.
Worum geht es? Löffler berichtet über die Details des Lebens in Entenhausen, über Barks als Künstler und über Barks' Philosophie. Löffler ist ein großer Zerstörer. Er nimmt Entenhausen auseinander wie ein Abbruchunternehmer ein altes Schulhaus und sortiert die Bestandteile. Erst die Untersuchung von vielen Geschichten läßt uns erkennen, daß hinter dem Wahnsinn der Erzählung Methode steckt. Zum Beispiel das Fernsehen: Das Entenhausener Programm ist unglaublich schlecht. Es besteht wie in Amerika und bei uns aus hanebüchenen Quizshows, Kalamitätensendungen und primitiven Western und Krimis. Zum Beispiel die Automobile: Donald Ducks winziges verdeckloses Cabrio mit versenkbarem Schwiegermuttersitz entspricht nicht dem, was in den vierziger und fünfziger Jahren in Amerika üblich war. Es hat ohne viele Reparaturen eine Million Kilometer geschafft. Wenn Duck damit fährt, regnet es erstaunlicherweise nie, was sehr unangenehm wäre. Über den Grund dafür spekuliert Löffler nicht. Er ist eben kein Donaldist. Zum Beispiel der Sport: In Entenhausen wird Baseball gespielt, aber nicht Basketball oder Eishockey. Warum? Erst bei der systematischen Untersuchung der kompletten Saga fällt einem so etwas auf.
Barks hat Kunstwerke geschaffen, bedeutende Kunstwerke. Löffler ignoriert in seinen Überlegungen weitgehend, daß es sich um das Medium Comic handelt. Auf diesem Gebiet scheint er nicht besonders kundig zu sein. Vielleicht ist das gut. Barks kam vom Trickfilm, und seine Stilmittel als Comiczeichner hat er sich weitgehend selbst ausgedacht. Er hat eigentlich keine Comics geschaffen, sondern einen Kosmos. Deswegen ist es letzten Endes egal, ob man ihn mit Herriman und Kelly oder mit Dickens, Doderer, Hitchcock, Joyce, Tati, Twain und Wodehouse vergleicht.
Löffler schreibt nicht nur über die ästhetische Form der Geschichten, sondern auch über das, was Entenhausen im Innersten zusammenhält. Das Ergebnis seiner Analyse ist einleuchtend, aber sehr einseitig. Summa summarum meint Löffler, daß Barks ein rabenschwarzes Weltbild hatte, das man unter der heiteren Oberfläche leicht übersieht. Beschränken wir uns auf die Zentralfigur Donald Duck. Duck ist unglaublich aggressiv. Er hat immer eine Handgranate im Safe, "für alle Fälle". Zum Eisfischen baut er sich mit Dynamit eine Bombe. Seine Neffen bedroht er mit der neunschwänzigen Katze. Er und sein Nachbar bekämpfen sich bis aufs Blut, sogar an Weihnachten. Über Donalds Charakter schreibt Löffler: "Donald Duck zeichnet sich weder gegenüber dem engsten Familienkreis noch gegenüber seinen sonstigen Sozialpartnern durch ein hinreichendes Maß an Empathie aus . . . Freundschaft gibt es im Kosmos ebensowenig wie Liebe, es gibt nur Verwandte (ein paar), Bekannte (wenig) und Fremde (viele)." "Kein Erwachsener hat Freunde, auf die Verlaß ist, auch Donald nicht. Deshalb gibt es auch nie Besuch, es sei denn von Verwandten, und die wollen meist was."
An einer Stelle sagt Löffler zusammenfassend, daß Barks "im Menschen wenig mehr als den Wolf" gesehen hat. Damit meint er natürlich einen Wolf wie aus Grimms Märchen oder wie den in "Micky Maus" Nr. 1/1953, der am liebsten Enten-, genauer Duck-Braten ißt. Dieser Behauptung möchte ich laut widersprechen. Ich glaube, Barks hat im Menschen nichts Schlimmeres als einen Schimpansen gesehen. Er hat wunderbare Comics geschaffen, weil für ihn die Welt komisch war. Man darf die slapstickmäßigen Übertreibungen nicht zu ernst nehmen. Er hat sein Universum nicht schöngefärbt, aber es ist trotzdem manchmal eine Lust, in ihm zu leben. Intelligente Kreaturen sind bisher in Entenhausen ebensowenig wie auf unserem Planeten gesichtet worden, aber Glück, Liebe, Altruismus und Heimat findet man dort allemal. Sonst hätte Löffler dieses Buch, in dem fast zwei Jahre Arbeit stecken, nicht geschrieben. Entenhausen ist eine Hydra. Er hat sie nicht erschlagen, aber er hat sich ihr tapfer entgegengestellt. Dafür ist er zu preisen.
ERNST HORST
Henner Löffler: "Wie Enten hausen". Die Ducks von A bis Z. Verlag C. H. Beck, München 2004. 469 S., Abb., br., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Entenhausen ist eine Hydra. Er hat sie nicht erschlagen, aber er hat sich ihr tapfer entgegengestellt. Dafür ist er zu preisen." Gemeint ist Henner Löffler, der zwei Jahre darauf verwendete, das Universum von Donald Duck & Co, in dem er große Teile seiner Kindheit und wahrscheinlich auch späterer Lebensphasen verbrachte, zu entschlüsseln. Dabei muss man wissen, meint der Rezensent Ernst Horst, dass Löffler kein "Donaldist" ist. Die "Donaldisten" sind der Ansicht, "dass Entenhausen existiert, und erforschen die Konsequenzen dieses Axioms". Löffler dagegen versuche hinter die Absichten und Ansichten des Erfinders Carl Barks zu steigen und mache durch eine genaue Analyse die Welt der Ducks vergleichbar mit der unsrigen. "Löffler ist ein großer Zerstörer", schreibt Horst. "Er nimmt Entenhausen auseinander wie ein Abbruchunternehmer ein altes Schulhaus und sortiert die Bestandteile. Erst die Untersuchung von vielen Geschichten lässt uns erkennen, dass hinter dem Wahnsinn der Erzählung Methode steckt." Dabei ignoriere er zwar, dass es sich um Comics handelt, aber das ist vielleicht gar nicht schlimm, denn "egal, ob man ihn mit Herriman und Kelly oder mit Dickens, Doderer, Hitchcock, Joyce, Tati, Twain und Wodehouse vergleicht" - Barks hat einen "Kosmos" geschaffen. Und wie ist der nun zu charakterisieren? Löfflers Ergebnis fällt trüb und traurig aus: Für Barks, meint er, war der Mensch ein Wolf, deshalb gibt es in Entenhausen keine Liebe und Freundschaft. Der Rezensent jedoch ist anderer Meinung: "Dieser Behauptung möchte ich laut widersprechen. Ich glaube, Barks hat im Menschen nichts Schlimmeres als einen Schimpansen gesehen. Er hat wunderbare Comics geschaffen, weil für ihn die Welt komisch war." Und wäre es anders, und gäbe es in auf der Erde wie in Entenhausen keine Liebe, dann hätte Löffler sein schönes Buch wohl nie geschrieben.
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