Die 17jährige Evana hat ein Kind bekommen; jetzt fällt ihr zu Hause die Decke auf den Kopf, und der junge Vater sitzt wegen eines Raubüberfalls im Knast. Kann sie das überhaupt, für jemanden sorgen? Zufällig stößt sie auf eine Zeitungsmeldung: In Friesland ist ein Baby vom Hund der Familie getötet worden. Es ist das Foto, das Evana verstört. Diesen Hund hat sie vor Jahren im Tierheim aufgezogen. Hat mit ihm gespielt, gekämpft. Hat sie deshalb das Unglück mit verursacht? Auch andere erkennen das Foto wieder. Der Betreuer aus dem Tierheim, der den kleinen Hund Evana überließ, damit sie an der Verantwortung für ein schwächeres Wesen Halt fand. Die Pflegerin eines Mannes, der ihn zum Wachhund seines Schnapsladens abrichtete und später abgeben musste, an eine junge Familie. Da wusste schon niemand mehr, dass man das Tier einmal mit zehn anderen Welpen aus einem Müllcontainer gerettet hatte - auch dieser Skandal hatte das ganze Land bewegt und eine Welle von Mitleid und Hilfsbereitschaft ausgelöst.Eine Meldung aus dem »Vermischten« schreckt vier Menschen auf, deren Lebensläufe sich sonst nie gekreuzt hätten. In einem vielschichtigen und verstörenden Roman von großer innerer Spannung erzählt Jan van Mersbergen von Schuld und Verantwortung, lotet die Frage aus, »wie es begann« - und wie man nach einer Tragödie ins Leben zurückfindet. Ein Roman, der unter die Haut geht, handelt er doch von unseren intimsten Gefühlen und Ängsten gegenüber Geschöpfen, die uns anvertraut sind.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2011Hundesitter gesucht
Eine junge Mutter, eine polnische Pflegerin, ein Ehepaar und ein alter Mann - sie alle haben nichts miteinander zu tun. Doch der Tag, an dem ein Hund ein Baby zerfleischt, wird zur Verbindungskette, die alle an einem Strang aufreiht. Wer trägt Verantwortung? Das ist die Frage, mit der sich der Roman von Jan van Mersbergen beschäftigt. Das Problem aber ist, dass die Schuldfrage für den Leser nie relevant wird: weil die Figuren zu weit entfernt sind, um Empathie zu erzeugen. Weil von Anfang an durchscheint, dass niemand Schuld trägt. Weil die Geschichte so konstruiert und steril ist, dass sie höchstens als philosophische Erörterung taugt. Dabei ist Potential vorhanden, und ab und zu nimmt der Autor die Leser sogar mit - um sie dann wieder seitenlang im Niemandsland der Aufmerksamkeit stehenzulassen. In kurzen Abschnitten springt van Mersbergen zwischen den Figuren hin und her. Oft ist in den ersten Zeilen noch unklar, bei wem die Geschichte gerade ist. Das klärt sich dann nicht nur durch die Namen schnell auf, sondern auch dadurch, dass die Protagonisten jeder für sich recht eintönige Leben führen. Allerdings verleiht dies dem Roman nicht gerade Schwung. Nur eines funktioniert richtig gut: Es ist das Paradoxon um die Hauptfigur Evana, die sich einerseits noch Jahre nachdem sie ihren Hund aus dem Tierheim gerettet hat, für das Wesen verantwortlich fühlt. Und die es andererseits kaum fertigbringt, sich um ihr eigenes Baby zu kümmern. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass alle Figuren Betreuung brauchen - Hunde, Babys, Erwachsene. (Jan van Mersbergen: "Wie es begann". Roman. Kunstmann Verlag, München 2010. 303 S., geb., 19,90 [Euro].) bähr
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine junge Mutter, eine polnische Pflegerin, ein Ehepaar und ein alter Mann - sie alle haben nichts miteinander zu tun. Doch der Tag, an dem ein Hund ein Baby zerfleischt, wird zur Verbindungskette, die alle an einem Strang aufreiht. Wer trägt Verantwortung? Das ist die Frage, mit der sich der Roman von Jan van Mersbergen beschäftigt. Das Problem aber ist, dass die Schuldfrage für den Leser nie relevant wird: weil die Figuren zu weit entfernt sind, um Empathie zu erzeugen. Weil von Anfang an durchscheint, dass niemand Schuld trägt. Weil die Geschichte so konstruiert und steril ist, dass sie höchstens als philosophische Erörterung taugt. Dabei ist Potential vorhanden, und ab und zu nimmt der Autor die Leser sogar mit - um sie dann wieder seitenlang im Niemandsland der Aufmerksamkeit stehenzulassen. In kurzen Abschnitten springt van Mersbergen zwischen den Figuren hin und her. Oft ist in den ersten Zeilen noch unklar, bei wem die Geschichte gerade ist. Das klärt sich dann nicht nur durch die Namen schnell auf, sondern auch dadurch, dass die Protagonisten jeder für sich recht eintönige Leben führen. Allerdings verleiht dies dem Roman nicht gerade Schwung. Nur eines funktioniert richtig gut: Es ist das Paradoxon um die Hauptfigur Evana, die sich einerseits noch Jahre nachdem sie ihren Hund aus dem Tierheim gerettet hat, für das Wesen verantwortlich fühlt. Und die es andererseits kaum fertigbringt, sich um ihr eigenes Baby zu kümmern. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass alle Figuren Betreuung brauchen - Hunde, Babys, Erwachsene. (Jan van Mersbergen: "Wie es begann". Roman. Kunstmann Verlag, München 2010. 303 S., geb., 19,90 [Euro].) bähr
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