Aus der Nähe gesehen: Gerhard Schröder und die Macht. Die Journalistin Sibylle Krause-Burger hat den Bundeskanzler im zweiten Jahr seiner Regierungszeit begleitet. Sie reiste mit ihm ins Ausland, sie beobachtete den Regierungsalltag in Berlin und untersuchte Schröders Verhältnis zu seinen Parteifreunden. Ihr Bericht schildert den unverkrampften Regierungsstil Schröders und das Unverwechselbare seines persönlichen und politischen Profils.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2001Pragmatiker des Augenblicks
Über die Sonnenseiten des Bundeskanzlers Schröder
Sibylle Krause-Burger: Wie Gerhard Schröder regiert. Beobachtungen im Zentrum der Macht. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart/München 2000. 159 Seiten, 32,- Mark.
Teilnehmende Beobachtung - so kann man die Methode beschreiben, mit der sich die Journalistin Sibylle Krause-Burger dem Bundeskanzler Schröder näherte. Von Februar bis Juli 2000 beobachtete und begleitete die Autorin den Kanzler. Entstanden sind Reportagen über Reisebegegnungen, filigrane Kanzlerporträts und Profilkennzeichnungen der Schröderschen Mannschaft. Ob damit angemessen das Zentrum der Macht getroffen wurde, bleibt fraglich.
Denn die informelle Entscheidungsfindung im vertraulichen Kreise, sozusagen das Instrument des "Stillen Regierens", blieb der Autorin verschlossen. So kann sie aus Beobachtungen und einer Vielzahl von Gesprächen Rückschlüsse ziehen. Doch im Kern wird die Darstellungs- und nicht die Entscheidungspolitik abgebildet. Darstellungspolitik ist medienvermittelte Politik, die sich dem Gesamtkomplex der symbolischen Politik zuordnen läßt.
Die personalisierte Politik in der Mediengesellschaft belohnt scheinbar den Sieger im Kampf um die öffentliche Aufmerksamkeit, nicht unbedingt den, der konkrete Problemlösungen anbietet. Entscheidungspolitik zielt hingegen auf die Verfahrensmerkmale der Politik. Wie verläuft das politische Entscheidungsmanagement zur Problem- und Konfliktbearbeitung?
Als Leseeindruck setzt sich fest, daß Schröder ein Pragmatiker des Augenblicks ist. Der Kanzler tastet inhaltlich Spielräume ab. Stößt das Regieren auf öffentlichen Widerstand, werden neue Optionen gesucht - ein besonderes Kennzeichen einer kulturellen Teflonschicht der Politik, an der alles abtropft und alles in neuer Beliebigkeit unbestimmt bleibt. Multi-Options-Kanzler wählen problemorientiertes, kurzes, temporäres Engagement mit Allianzen auf Zeit als adäquate Antwort auf die Volatilität der Wähler und knappe Mehrheiten. So werden die Konzeption der Steuerreform oder die Green Card als Erfolgsmeldungen im Buch gefeiert, weil sie das pragmatisch-moderierende Moment mit dem Chefsachen-Mythos verbinden. Einmal wird der Resonanzraum verhandlungsdemokratisch abgetastet, ein anderes Mal bezieht der Chef medienwirksam alle Entscheidungsstränge auf sich.
Der Mensch Gerhard Schröder ist, wie man jetzt erfährt, morgens nicht gut ansprechbar. Er liebt die Pünktlichkeit, ist ein angenehmer Chef, kann gut zuhören und haßt das Aktenstudium. In Besprechungsrunden zieht er sich auf die Rolle des Moderators zurück. An vielen Stellen zieht die Autorin Vergleiche mit Helmut Schmidt, den sie auch mehrfach porträtierte. Außer der Parteizugehörigkeit verbindet beide Kanzler fast nichts. Die Führungsstile und das Politikverständnis von Schmidt und Schröder könnten nicht verschiedener ausfallen.
Problematisch sind die Wertungen, die Krause-Burger an vielen Stellen mit einfließen läßt: Der gute Mensch Schröder macht auch offensichtlich eine gute Politik. Da berichtet sie begeistert über Reisen ins Baltikum oder über Schröders Art, auf Menschen zuzugehen. Immer ist der Kanzler offenbar in der Verfassung, die politisch gerade angemessen ist. Das Subjekt der Beobachtung faszinierte anscheinend die Autorin so sehr, daß nur die Sonnenseite des Bundeskanzlers zum Vorschein kommt.
Günstig wirkte sich der Zeitraum der Beobachtung aus. Denn Schröder hatte nach dem ersten Regierungsjahr das Kanzleramt und seinen Machtzirkel neu formiert. Mit dem neuen Kanzleramtschef Steinmeier und ohne Lafontaine kehrte geräuschloser Regierungsalltag ein. Die Personenporträts aus dem Kanzlerbüro, der Staatsminister und des Regierungssprechers sind hilfreich, um das Umfeld der Politikgestaltung zu vermessen. Hier hat die Autorin präzise beschrieben, wie personalisiert Politik abläuft und wie die Machtorganisation ohne vertrauensvolle Mitstreiter erfolglos bleibt. Gelungen sind auch die Hinweise zur Rolle und zum Ablaufmuster der Morgenlage im Kanzleramt.
Die enorme, auch physische Anspannung, mit der Spitzenpolitiker konfrontiert sind, die gnadenlos unter öffentlicher Beobachtung stehen, bleibt als Gesamteindruck der Lektüre zurück. Als sogenannter Spaßkanzler hatte Schröder begonnen. Längst benutzt er dieses Adjektiv nicht mehr. Frühzeitig hat er angemerkt, daß er "acht oder zehn Jahre" maximal regieren möchte. Institutionelle Sklerosen und persönlicher Verschleiß sind stete Begleiter von Machterosionen. Die möglichen Stationen des Machtverfalls sind schon in diesem Buch über den Regierungsalltag in der Startphase mit angelegt.
KARL-RUDOLF KORTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Über die Sonnenseiten des Bundeskanzlers Schröder
Sibylle Krause-Burger: Wie Gerhard Schröder regiert. Beobachtungen im Zentrum der Macht. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart/München 2000. 159 Seiten, 32,- Mark.
Teilnehmende Beobachtung - so kann man die Methode beschreiben, mit der sich die Journalistin Sibylle Krause-Burger dem Bundeskanzler Schröder näherte. Von Februar bis Juli 2000 beobachtete und begleitete die Autorin den Kanzler. Entstanden sind Reportagen über Reisebegegnungen, filigrane Kanzlerporträts und Profilkennzeichnungen der Schröderschen Mannschaft. Ob damit angemessen das Zentrum der Macht getroffen wurde, bleibt fraglich.
Denn die informelle Entscheidungsfindung im vertraulichen Kreise, sozusagen das Instrument des "Stillen Regierens", blieb der Autorin verschlossen. So kann sie aus Beobachtungen und einer Vielzahl von Gesprächen Rückschlüsse ziehen. Doch im Kern wird die Darstellungs- und nicht die Entscheidungspolitik abgebildet. Darstellungspolitik ist medienvermittelte Politik, die sich dem Gesamtkomplex der symbolischen Politik zuordnen läßt.
Die personalisierte Politik in der Mediengesellschaft belohnt scheinbar den Sieger im Kampf um die öffentliche Aufmerksamkeit, nicht unbedingt den, der konkrete Problemlösungen anbietet. Entscheidungspolitik zielt hingegen auf die Verfahrensmerkmale der Politik. Wie verläuft das politische Entscheidungsmanagement zur Problem- und Konfliktbearbeitung?
Als Leseeindruck setzt sich fest, daß Schröder ein Pragmatiker des Augenblicks ist. Der Kanzler tastet inhaltlich Spielräume ab. Stößt das Regieren auf öffentlichen Widerstand, werden neue Optionen gesucht - ein besonderes Kennzeichen einer kulturellen Teflonschicht der Politik, an der alles abtropft und alles in neuer Beliebigkeit unbestimmt bleibt. Multi-Options-Kanzler wählen problemorientiertes, kurzes, temporäres Engagement mit Allianzen auf Zeit als adäquate Antwort auf die Volatilität der Wähler und knappe Mehrheiten. So werden die Konzeption der Steuerreform oder die Green Card als Erfolgsmeldungen im Buch gefeiert, weil sie das pragmatisch-moderierende Moment mit dem Chefsachen-Mythos verbinden. Einmal wird der Resonanzraum verhandlungsdemokratisch abgetastet, ein anderes Mal bezieht der Chef medienwirksam alle Entscheidungsstränge auf sich.
Der Mensch Gerhard Schröder ist, wie man jetzt erfährt, morgens nicht gut ansprechbar. Er liebt die Pünktlichkeit, ist ein angenehmer Chef, kann gut zuhören und haßt das Aktenstudium. In Besprechungsrunden zieht er sich auf die Rolle des Moderators zurück. An vielen Stellen zieht die Autorin Vergleiche mit Helmut Schmidt, den sie auch mehrfach porträtierte. Außer der Parteizugehörigkeit verbindet beide Kanzler fast nichts. Die Führungsstile und das Politikverständnis von Schmidt und Schröder könnten nicht verschiedener ausfallen.
Problematisch sind die Wertungen, die Krause-Burger an vielen Stellen mit einfließen läßt: Der gute Mensch Schröder macht auch offensichtlich eine gute Politik. Da berichtet sie begeistert über Reisen ins Baltikum oder über Schröders Art, auf Menschen zuzugehen. Immer ist der Kanzler offenbar in der Verfassung, die politisch gerade angemessen ist. Das Subjekt der Beobachtung faszinierte anscheinend die Autorin so sehr, daß nur die Sonnenseite des Bundeskanzlers zum Vorschein kommt.
Günstig wirkte sich der Zeitraum der Beobachtung aus. Denn Schröder hatte nach dem ersten Regierungsjahr das Kanzleramt und seinen Machtzirkel neu formiert. Mit dem neuen Kanzleramtschef Steinmeier und ohne Lafontaine kehrte geräuschloser Regierungsalltag ein. Die Personenporträts aus dem Kanzlerbüro, der Staatsminister und des Regierungssprechers sind hilfreich, um das Umfeld der Politikgestaltung zu vermessen. Hier hat die Autorin präzise beschrieben, wie personalisiert Politik abläuft und wie die Machtorganisation ohne vertrauensvolle Mitstreiter erfolglos bleibt. Gelungen sind auch die Hinweise zur Rolle und zum Ablaufmuster der Morgenlage im Kanzleramt.
Die enorme, auch physische Anspannung, mit der Spitzenpolitiker konfrontiert sind, die gnadenlos unter öffentlicher Beobachtung stehen, bleibt als Gesamteindruck der Lektüre zurück. Als sogenannter Spaßkanzler hatte Schröder begonnen. Längst benutzt er dieses Adjektiv nicht mehr. Frühzeitig hat er angemerkt, daß er "acht oder zehn Jahre" maximal regieren möchte. Institutionelle Sklerosen und persönlicher Verschleiß sind stete Begleiter von Machterosionen. Die möglichen Stationen des Machtverfalls sind schon in diesem Buch über den Regierungsalltag in der Startphase mit angelegt.
KARL-RUDOLF KORTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Geteilter Meinung ist Karl-Rudolf Korte über diesen Band, denn obwohl er sich recht angetan von den "Personenporträts aus dem Kanzlerbüro, der Staatsminister und des Regierungssprechers" zeigt, so überwiegt seiner Ansicht nach die "Darstellungs- und nicht die Entscheidungspolitik". Korte meint damit, dass der Leser vor allem etwas über das Auftreten Schröders erfährt, aber auch über seine Vorliebe, schnell auf sich verändernde Situationen zu reagieren, wenn die Wähler es zu verlangen scheinen, etwa bei der Green Card oder der Steuerreform. Korte bringt dabei den Begriff "Chef-Sachen-Mythos" ins Spiel, und deutet an, dass er selbst dieser Art von Politik nicht viel abgewinnen kann. Als weitere Schwäche des Buchs zählt er auf, dass die Autorin seiner Ansicht nach "problematische" Wertungen zu Schröder abgibt, die nach Korte darauf hinaus laufen, dass der "gute Mensch Schröder", der offen auf Leute zugehen kann, nach Krause-Burgers Meinung auch gute Politik macht. Negatives über den Kanzler könne man hier nicht lesen. Beeindruckt zeigt sich Korte dann aber am Schluss doch noch einmal - jedoch nicht von dem Buch, sondern vielmehr von den erheblichen Strapazen, denen ein Kanzler allem Anschein nach gewachsen sein muss.
© Perlentaucher Medien GmbH
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