Produktdetails
  • Sammlung Zenodot
  • Verlag: Contumax
  • Seitenzahl: 200
  • Erscheinungstermin: 6. August 2007
  • Deutsch
  • Abmessung: 220mm x 170mm x 15mm
  • Gewicht: 356g
  • ISBN-13: 9783866402607
  • ISBN-10: 3866402600
  • Artikelnr.: 23033850
Autorenporträt
Peter Altenberg (eigentl. Richard Engländer) wurde am 9.3.1859 in Wien geboren und starb am 8.1.1919 ebenda. Er war Schriftsteller und Lebenskünstler. Das Pseudonym Altenberg lieh er vom gleichnamigen Ort an der Donau. Altenberg war einer der Hauptvertreter des Wiener Impressionismus, ein Meister des sprachlich aphoristischen Prosaskizze.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.12.2007

Alle sagten „bravo”
Peter Altenbergs Erstlingswerk „Wie ich es sehe”
„Die Nachtstunden mit jeunesse von Gmunden sind Schakespearisch. Ich bin der einzige Jude hier, der einzigste. Und wie ich mich benehme. Wie der Luchs schleiche ich an dem Antisemitismus vorbei, trinke enorm viel, kämme die Sechser u. bin von einer scheusslichen Bescheidenheit.” Das ist der Briefschreiber Richard Engländer im Herbst 1895, als er dabei ist, Veränderungen am Manuskript seines Erstlingswerkes „Wie ich es sehe” vorzunehmen und sich für immer in den Dichter Peter Altenberg zu verwandeln. Im Buch, das im Frühling 1896 bei S. Fischer in Berlin erscheint, sucht man solche Töne vergeblich. Das „Ich” in „Wie ich es sehe” schleicht nicht, bescheidet und betrinkt sich nicht, sondern beobachtet, kritisiert und rebelliert. Er ist nicht der „einzigste” Jude, sondern ein integriertes, wenn auch unzufriedenes Mitglied einer guten Gesellschaft, die zwar nicht als eindeutig jüdisch identifiziert, aber im Großen und Ganzen mit dem gehobenen assimilierten Wiener Bürgertum gleichgesetzt wird.
Schon in dieser ersten Buchpublikation tritt die Schriftstellerpersona Peter Altenberg auf, die nur einmal direkt chiffriert als „P.A.” erscheint, aber in vielen anderen Skizzen als das quasi anagrammierte Alter Ego „Albert” oder „Albert Königsberg” auftritt. Sie ist aber vor allem in dem mit Königsberg identischen „Revolutionär” präsent, dem die längste der vier Skizzenreihen der Erstausgabe gewidmet ist. Im Laufe der sich über Monate hinstreckenden Überarbeitung des Manuskriptes entscheidet Altenberg sich, den Text „Im Garten”, der den Untertitel „Der Revolutionär docirt Religions-Philosophie” erhält, in die entsprechende Reihe aufzunehmen. In einem Brief an seine Freundin Ännie Holitscher erklärt er, dass diese Skizze seine „religiösen Lieblings-Ideen” enthalte; er hoffe damit, „alle Juden tödtlich zu treffen”.
Von solchen Hintergründen und Untertönen unbehelligt, kann man in dieser im schönen Druck der bekannten Manesse-Reihe erschienenen Ausgabe zunächst ein Meisterwerk impressionistischer Prosa wieder entdecken. Altenberg selbst hat sich später mit einem „Momentphotographen” verglichen, was nicht auf die Schnelle des technischen Verfahrens, sondern auf die instinktiv getroffene Genauigkeit des Ausschnitts rekurrierte. Seine elliptische Schreibweise, deren auffälligstes äußeres Merkmal die charakteristischen Gedankenstriche bilden, geht weniger auf das Prosagedicht französischer Zeitgenossen als auf den japanischen Holzschnitt und die Radierkunst von Whistler und Klinger zurück. Von dessen berühmtem Graphikzyklus „Der Handschuh” führt eine direkte Linie zu den von Altenberg immer wieder evozierten Frauenhänden, die ebenfalls ein seltsames Eigenleben zu führen scheinen.
Auf und zu
Burkhard Spinnen, der begnadete Erzähler und ausgewiesene Kenner der Wiener Literatur um 1900, hat die Ausgabe mit Anmerkungen und einem informativen Nachwort versehen. Mit der Entscheidung, die Edition auf der vierten, um mehr als 70 Seiten erweiterten Auflage von 1904 zu basieren, gibt er jedoch nicht das Buch, das Gerhart Hauptmann entzückt und den jungen Hofmannsthal verunsichert hat, neu heraus, sondern ein Sammelsurium von Texten. Die Ausgabe von 1904 vereinigte neben einer bereits in der zweiten Auflage vergrößerten Fassung des Erstdrucks, nämlich Essays und andere kurze Prosa aus der im Jahre 1903 von Altenberg redigierten, kurzlebigen Zeitschrift „Kunst” sowie das Herzstück von „Ashantee”, seinem zweiten, 1897 erschienenen Buch. Trotz der leicht geschwächten Wirkung dieser bunten Textmischung gibt es exquisite Prosastücke genug, aus denen klar wird, warum der umtriebige Hermann Bahr und auch Karl Kraus den ehemaligen Zigarettenverkäufer und stadtbekannten Nichtstuer protegierten.
In „Quartett-Soirée” benimmt sich eine junge Frau wie in einem Krankheitsbericht von Freud: „Die junge Frau zieht an ihrem Opernguckersäckchen aus Seide, zu, auf, zu, auf, zu - - -.” Gerade in solchen Szenen offenbart sich eine fast Mannsche Ironie. Am Ende der Vorstellung berichtet der Erzähler: „Alle sagten ,bravo’. Wie wenn man sagt: ,bravo, ein Kind ist gestorben’.”
In der Skizze „Gesellschaft” gibt es eine surrealistische Metaphorisierung der Langeweile, die zwar an den Hyperrealismus von Klingers Graphik erinnern mag, der aber erst die Visionen eines Alfred Kubin gerecht zu werden vermochten: „Die gelblich-weisse fette aufgedunsene Langweile kroch umher auf dem dunkelrothen weichen Teppich des Salons - - -. Dann kroch sie auf den Schooss des jungen wunderschönen Haustöchterchens und küsste sie breit auf den Mund - - -.” Solche Schockbilder setzt Altenberg spärlich ein. Sie machen auch für die Dissonanzen in den leisen Texten hellhörig.
Der junge Martin Buber, der bereits 1897 die epochale Bedeutung von „Wie ich es sehe” in seinen in polnischer Sprache veröffentlichten Artikeln zur Wiener Literatur herausstellte, spürte hinter Altenbergs manchmal poetisch verbrämter „Liebe” zu den verschiedensten Erscheinungen der menschlichen und der Naturwelt „orkanartige Wut” und „wüstenstürmische Leidenschaft”. Das sind keine schlechten Signale auch für heutige Leser. LEO A. LENSING
PETER ALTENBERG: Wie ich es sehe. Hrsg. von Burkhard Spinnen. Manesse Verlag, Zürich 2007. 459 Seiten, 22,90 Euro.
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