Die kleine Tochter versteht ihren Papa nicht. Der ist nämlich groß und stark und kann fast alles, sogar zaubern, aber vor Fremden hat er trotzdem Angst. Ihre Freundin Banja stammt aus Tansania, was Papa allerdings nicht weiß. Was wäre, wenn sie ihn einfach zu Banjas Geburtstag, zu dem all ihre Verwandten kommen, mitnimmt?
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.12.2003Piekfein bei Herrn und Frau Neger
Wenn ein Papa Angst vor Schwarzen hat, dann muss ein kluges Kind ihm das dringend abgewöhnen
RAFIK SCHAMI / OLE KÖNNECKE: Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm. Hanser Verlag, München 2003. 20 Seiten, 12,90 Euro.
Ein gutes Buch? Ein gut gemeintes Buch? Der längst ausgewachsene Journalist, schon von Berufs wegen natürlich gegen Fremdenangst, Rassismus, Vorurteile, hat also ein Kinderbuch vor sich liegen. Der Erzähler Rafik Schami hat es geschrieben; als Christ hatte er aus Syrien fliehen müssen. Ole Könnecke, in Göttingen geboren und in Schweden aufgewachsen, hat es illustriert, was die innere Multikultur des Projektes beweist.
Also: Es war einmal ein kleines Mädchen, das hatte einen Papa. Der war so groß, dass ihm Garderobe zu hoch war, und er war so stark, dass keine Einkaufstasche ihn schreckte. Er war ein kluger und geduldiger Verwalter des Haushalts, lustig, tapfer, allein erziehend. Und er konnte Zaubertricks! Nur vor Schwarzen hatte er Angst. Laut hätte er das nie gesagt, aber seine Tochter spürte es. Und als sie ihn fragte, warum, da zählte er auf: Es sind so viele, schmutzig und laut. „Jeder fürchtet sich vor dem Dunkeln, weil es so unheimlich ist.”
Das ist blöd. Vor allem, wenn die beste Freundin Banja heißt und aus Tansania kommt. Und zumal die Ich-Erzählerin verspricht, dass ihr Vater auf Banjas Geburtstagsfeier zaubern wird. So beginnt eine turbulente Geschichte, an deren Ende der ahnungslose (und zunächst kreidebleiche) Vater von einem Dutzend Schwarzer in Stammestracht gefeiert wird und für Banja und die anderen zaubert. „Ich aber wusste, dass mein Papa nie mehr Angst vor Fremden haben würde”, sagt die Tochter und sieht dabei sehr zufrieden aus.
Das ist mit feiner Ironie erzählt und von geradezu Loriotscher Kunst geprägt, das Alltägliche ins Absurde wachsen zu lassen. Das Buch ist wunderbar sparsam gezeichnet, gerade dadurch wirken die vielen Einfälle: dass der Schwarze auf dem Titelbild die gleichen Kleider anhat wie Papa. Dass, wenn Papa aufzählt, warum die Schwarzen ihm unheimlich sind, die Bilder das Gegenteil des Gesagten vermitteln – sie zeigen einen kleinen Krauskopf auf dem Roller, einen Verkäufer mit Rastazöpfen, der ausfegt, und im Fernsehen einen Mann, der aussieht wie Kofi Annan, während Papa sagt: „Sie sprechen Sprachen, die man nicht versteht.” Dabei sitzt der Vater, das Aktenköfferchen auf dem Knie, den Willkommenstrunk auf dem Köfferchen, umringt von Schwarzen steif auf dem Sofa.
Ist das nicht arg pädagogisch? Listige Tochter heilt Vater vom Vorurteil? Gefällt das nicht eher den verantwortungsfrohen Eltern und weniger den Kindern? Der Test: Katharina, mit fünf Jahren gerade ins vom Verlag genannte Mindestalter gekommen, fragt: „Was hast Du da?” Gedämpfte Begeisterung. Dann: Kind kichert. Nochmal lesen. Nochmal lesen. Das Buch hat jetzt die ersten Knicke und Flecken. Also: Gutes Buch.
MATTHIAS DROBINSKI
Die Illustration ist dem Buch entnommen.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Wenn ein Papa Angst vor Schwarzen hat, dann muss ein kluges Kind ihm das dringend abgewöhnen
RAFIK SCHAMI / OLE KÖNNECKE: Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm. Hanser Verlag, München 2003. 20 Seiten, 12,90 Euro.
Ein gutes Buch? Ein gut gemeintes Buch? Der längst ausgewachsene Journalist, schon von Berufs wegen natürlich gegen Fremdenangst, Rassismus, Vorurteile, hat also ein Kinderbuch vor sich liegen. Der Erzähler Rafik Schami hat es geschrieben; als Christ hatte er aus Syrien fliehen müssen. Ole Könnecke, in Göttingen geboren und in Schweden aufgewachsen, hat es illustriert, was die innere Multikultur des Projektes beweist.
Also: Es war einmal ein kleines Mädchen, das hatte einen Papa. Der war so groß, dass ihm Garderobe zu hoch war, und er war so stark, dass keine Einkaufstasche ihn schreckte. Er war ein kluger und geduldiger Verwalter des Haushalts, lustig, tapfer, allein erziehend. Und er konnte Zaubertricks! Nur vor Schwarzen hatte er Angst. Laut hätte er das nie gesagt, aber seine Tochter spürte es. Und als sie ihn fragte, warum, da zählte er auf: Es sind so viele, schmutzig und laut. „Jeder fürchtet sich vor dem Dunkeln, weil es so unheimlich ist.”
Das ist blöd. Vor allem, wenn die beste Freundin Banja heißt und aus Tansania kommt. Und zumal die Ich-Erzählerin verspricht, dass ihr Vater auf Banjas Geburtstagsfeier zaubern wird. So beginnt eine turbulente Geschichte, an deren Ende der ahnungslose (und zunächst kreidebleiche) Vater von einem Dutzend Schwarzer in Stammestracht gefeiert wird und für Banja und die anderen zaubert. „Ich aber wusste, dass mein Papa nie mehr Angst vor Fremden haben würde”, sagt die Tochter und sieht dabei sehr zufrieden aus.
Das ist mit feiner Ironie erzählt und von geradezu Loriotscher Kunst geprägt, das Alltägliche ins Absurde wachsen zu lassen. Das Buch ist wunderbar sparsam gezeichnet, gerade dadurch wirken die vielen Einfälle: dass der Schwarze auf dem Titelbild die gleichen Kleider anhat wie Papa. Dass, wenn Papa aufzählt, warum die Schwarzen ihm unheimlich sind, die Bilder das Gegenteil des Gesagten vermitteln – sie zeigen einen kleinen Krauskopf auf dem Roller, einen Verkäufer mit Rastazöpfen, der ausfegt, und im Fernsehen einen Mann, der aussieht wie Kofi Annan, während Papa sagt: „Sie sprechen Sprachen, die man nicht versteht.” Dabei sitzt der Vater, das Aktenköfferchen auf dem Knie, den Willkommenstrunk auf dem Köfferchen, umringt von Schwarzen steif auf dem Sofa.
Ist das nicht arg pädagogisch? Listige Tochter heilt Vater vom Vorurteil? Gefällt das nicht eher den verantwortungsfrohen Eltern und weniger den Kindern? Der Test: Katharina, mit fünf Jahren gerade ins vom Verlag genannte Mindestalter gekommen, fragt: „Was hast Du da?” Gedämpfte Begeisterung. Dann: Kind kichert. Nochmal lesen. Nochmal lesen. Das Buch hat jetzt die ersten Knicke und Flecken. Also: Gutes Buch.
MATTHIAS DROBINSKI
Die Illustration ist dem Buch entnommen.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.10.2003Angst vorm schwarzen Mann
Mit leiser Ironie gegen Zerrbilder: Rafik Schami und Ole Könnecke
Xenophobie macht häßlich und führt in der Spiegelverkehrung selbst zu Vorurteilen. Wie ein dumpfer Fremdenhasser aussieht, meint man seit Manfred Deix oder Gerhard Haderer zu wissen: Schmerbäuchig, im Unterhemd, leere Bierdosen mit geballter Faust zerquetschend - und aus fettig rot glänzendem Gesicht quellen die Haßtiraden. Ole Könneckes Zeichnungen zeigen ein anderen Entwurf. Dort kommt der Weiße, der sich vor dem schwarzen Mann fürchtet, schon zu schwitzen beginnt, wenn ein Afrikaner zu ihm in den Aufzug steigt, ganz unspektakulär daher: Braune Schuhe, schwarze Hose, weißes Hemd, grüner Pullover. Durch die Augen seiner kleiner Tochter betrachtet, wird der Rassist vollends sympathisch. Denn in ihren Worten ist er: groß und stark und klug und geduldig und lustig. Und alleinerziehend.
Diese kleine Geschichte von Rafik Schami, der den Text schrieb, und Ole Könnecke, der ihn illustrierte, erzählt davon, wie das kluge kleine Mädchen dem großen Vater beibringt, daß man sich nicht vor anderen Menschen fürchten muß, bloß weil sie eine andere Hautfarbe haben, womöglich anders sind als man selbst. Es ist eine einfache, aufrechte, überaus pädagogische Geschichte, bei der man den erhobenen Zeigefinger ganz selbstverständlich erwartet. Doch Schami treibt die Erzählung einer Erziehung des Herzens weder in Pathos noch in Rührseligkeit. Vielmehr spiegelt er das irrationale Vorurteil des Weißen von der anderen - der schwarzen - Seite durch das Instrument irrwitziger Übertreibung. Auf dem Höhepunkt steht die Begegnung der Antagonisten in einer Prozession, als gälte es, Gottheiten zu huldigen. Dabei geht es doch nur um einen Kindergeburtstag. Mit dieser Szene bricht die Handlung ab, das eigentliche Ende bleibt offen. Aber es kann an dieser Stelle keinen Zweifel mehr geben: Die Geschichte wird gut ausgehen.
Wirklich mitreißend, mit jeder Wendung verständlich und über die gesamte Distanz getragen von wunderbar leiser Ironie wird der Text im Zusammenspiel mit den Zeichnungen. Könnecke ist der eigentliche Meister dieser Geschichte. Seine Bilder füllen die Phantasieräume zwischen den Worten - am schönsten in jener Passage, da der Vater der namenlosen Erzählerin seine Ressentiments gegen Schwarze aufreiht und die Bilder dazu die Stereotypen widerlegen. Schmutzig seien sie, doziert der Vater, und im Hintergrund ist ein Schwarzer zu sehen, der den Boden fegt. Könneckes Bilder sind genauso naiv und - was die Absurdität des erzählten Konflikts angeht - pointiert zugleich, daß das Vergnügen bei der Lektüre stets über dem Gipfel der Erkenntnis bleibt.
ANDREAS OBST
Rafik Schami und Ole Könnecke: "Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm". Carl Hanser Verlag, München 2003. 28 S., geb. 12,90 [Euro]. Ab 5 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit leiser Ironie gegen Zerrbilder: Rafik Schami und Ole Könnecke
Xenophobie macht häßlich und führt in der Spiegelverkehrung selbst zu Vorurteilen. Wie ein dumpfer Fremdenhasser aussieht, meint man seit Manfred Deix oder Gerhard Haderer zu wissen: Schmerbäuchig, im Unterhemd, leere Bierdosen mit geballter Faust zerquetschend - und aus fettig rot glänzendem Gesicht quellen die Haßtiraden. Ole Könneckes Zeichnungen zeigen ein anderen Entwurf. Dort kommt der Weiße, der sich vor dem schwarzen Mann fürchtet, schon zu schwitzen beginnt, wenn ein Afrikaner zu ihm in den Aufzug steigt, ganz unspektakulär daher: Braune Schuhe, schwarze Hose, weißes Hemd, grüner Pullover. Durch die Augen seiner kleiner Tochter betrachtet, wird der Rassist vollends sympathisch. Denn in ihren Worten ist er: groß und stark und klug und geduldig und lustig. Und alleinerziehend.
Diese kleine Geschichte von Rafik Schami, der den Text schrieb, und Ole Könnecke, der ihn illustrierte, erzählt davon, wie das kluge kleine Mädchen dem großen Vater beibringt, daß man sich nicht vor anderen Menschen fürchten muß, bloß weil sie eine andere Hautfarbe haben, womöglich anders sind als man selbst. Es ist eine einfache, aufrechte, überaus pädagogische Geschichte, bei der man den erhobenen Zeigefinger ganz selbstverständlich erwartet. Doch Schami treibt die Erzählung einer Erziehung des Herzens weder in Pathos noch in Rührseligkeit. Vielmehr spiegelt er das irrationale Vorurteil des Weißen von der anderen - der schwarzen - Seite durch das Instrument irrwitziger Übertreibung. Auf dem Höhepunkt steht die Begegnung der Antagonisten in einer Prozession, als gälte es, Gottheiten zu huldigen. Dabei geht es doch nur um einen Kindergeburtstag. Mit dieser Szene bricht die Handlung ab, das eigentliche Ende bleibt offen. Aber es kann an dieser Stelle keinen Zweifel mehr geben: Die Geschichte wird gut ausgehen.
Wirklich mitreißend, mit jeder Wendung verständlich und über die gesamte Distanz getragen von wunderbar leiser Ironie wird der Text im Zusammenspiel mit den Zeichnungen. Könnecke ist der eigentliche Meister dieser Geschichte. Seine Bilder füllen die Phantasieräume zwischen den Worten - am schönsten in jener Passage, da der Vater der namenlosen Erzählerin seine Ressentiments gegen Schwarze aufreiht und die Bilder dazu die Stereotypen widerlegen. Schmutzig seien sie, doziert der Vater, und im Hintergrund ist ein Schwarzer zu sehen, der den Boden fegt. Könneckes Bilder sind genauso naiv und - was die Absurdität des erzählten Konflikts angeht - pointiert zugleich, daß das Vergnügen bei der Lektüre stets über dem Gipfel der Erkenntnis bleibt.
ANDREAS OBST
Rafik Schami und Ole Könnecke: "Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm". Carl Hanser Verlag, München 2003. 28 S., geb. 12,90 [Euro]. Ab 5 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Eine aufrechte und überaus pädagogische Geschichte ist dies, findet Rezensent Andreas Obst und erwartet ganz selbstverständlich den erhobenen Zeigefinger. Doch der bleibt zu seiner allerangenehmsten Überraschung in der Geschichte vom klugen kleinen Mädchen, das "dem großen Vater beibringt, dass man sich nicht vor anderen Menschen fürchten muss, bloß weil sie eine andere Hautfarbe haben" unten. Auch sieht Obst diese "Erziehung des Herzens" weder ins Pathos noch in die Rührseligkeit treiben. Vielmehr findet der Rezensent die irrationalen Vorurteile der Weißen durch das Instrument der irrwitzigen Übertreibung gespiegelt. Wirklich mitreißend, "mit jeder Wendung verständlich und über die gesamte Distanz getragen von wunderbar leiser Ironie" wird die Geschichte für Obst aber erst im Zusammenspiel mit den Zeichnungen, deren Urheber Ole Könnecke er den eigentlichen Meister dieser Geschichte nennt. Denn erst seine Bilder sieht er die Fantasieräume zwischen den Worten füllen.
© Perlentaucher Medien GmbH"
© Perlentaucher Medien GmbH"
"Rafik Schami zeigt einmal mehr, dass er mit Worten zaubern kann. ... Ole Könneckes kleine, an Comics erinnernde Illustrationen erhöhen den Witz der Geschichte noch. Seine Einfälle überraschen ebenso wie die von Schami." Andrea Huber, Die Welt, 25.10.03
"Wirklich mitreißend und getragen von wunderbar leiser Ironie." Andreas Obst, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.10.2003
"Die eigentlich einfache Geschichte einer Begegnung zweier Kulturen wurde eigenwillig illustriert. Köstlich das doppelseitige Bild, auf dem der weiße Papa vom Vater der farbigen Familie willkommen geheißen wird. Dieses Buch ist eine Einladung, die Gastfreundschaft der ausländischen Mitbürger anzunehmen und auf Fremde zuzugehen. Ein tolles Bilderbuch." Christian Meyn-Schwarze, Papa-Liste, Oktober 2014
"Wirklich mitreißend und getragen von wunderbar leiser Ironie." Andreas Obst, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.10.2003
"Die eigentlich einfache Geschichte einer Begegnung zweier Kulturen wurde eigenwillig illustriert. Köstlich das doppelseitige Bild, auf dem der weiße Papa vom Vater der farbigen Familie willkommen geheißen wird. Dieses Buch ist eine Einladung, die Gastfreundschaft der ausländischen Mitbürger anzunehmen und auf Fremde zuzugehen. Ein tolles Bilderbuch." Christian Meyn-Schwarze, Papa-Liste, Oktober 2014