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In seinen frühen Erzählungen entfaltet Cabrera Infante ein Kaleidoskop der kubanischen Gesellschaft zur Zeit des Batista-Regimes: vierzehn anrührende bis abstruse Szenarios von Alltag unter den Bedingungen der Diktatur. Fünfzehn Textvignetten umrahmen die Erzählungen: Schlaglichter auf die repressive Gewalt des Batista-Regimes, schlichte und gerade deshalb so bewegende Nachrufe auf die Opfer, Ihr lakonischer Stil nimmt vorweg, was in "Ansicht der Tropen im Morgengrauen" zum bestimmenden Merkmal wird, währen in den Erzählungen selbst bereits gegenwärtig ist, was den Autor mit dem Roman "Drei…mehr

Produktbeschreibung
In seinen frühen Erzählungen entfaltet Cabrera Infante ein Kaleidoskop der kubanischen Gesellschaft zur Zeit des Batista-Regimes: vierzehn anrührende bis abstruse Szenarios von Alltag unter den Bedingungen der Diktatur. Fünfzehn Textvignetten umrahmen die Erzählungen: Schlaglichter auf die repressive Gewalt des Batista-Regimes, schlichte und gerade deshalb so bewegende Nachrufe auf die Opfer, Ihr lakonischer Stil nimmt vorweg, was in "Ansicht der Tropen im Morgengrauen" zum bestimmenden Merkmal wird, währen in den Erzählungen selbst bereits gegenwärtig ist, was den Autor mit dem Roman "Drei traurige Tiger" in die erste Riege der lateinamerikanischen Schriftsteller vorrücken ließ: seine virtuose Beherrschung aller Sprachregister.
Autorenporträt
Der 1929 auf Kuba geborene Autor wurde besonders durch den experimentellen Umgang mit der Sprache bekannt und erhielt dafür 1997 den Miguel de Cervantes Preis, die wichtigste Literaturauszeichnung der lateinamerikanischen Literatur. Guillermo Cabrera ist 2005 verstorben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.01.1997

Ein Käfig aus Wasser
Überleben ist alles: Guillermo Cabrera Infantes frühe Erzählungen · Von Paul Ingendaay

Läßt man seine Essays und eine kulturgeschichtliche Grille über die Zigarre mit dem Titel "Rauchzeichen" beiseite, dann besteht das Werk des 1929 geborenen Kubaners Guillermo Cabrera Infante aus drei Büchern. Von diesen erschien auf deutsch 1987 zuerst sein Hauptwerk, der Roman "Drei traurige Tiger", ein langes, redseliges, diesseits und jenseits des Erträglichen kalauerndes Nacht- und Reflexionsbuch über die Wanderungen mehrerer Männer durch das Havanna des Jahres 1958, also gerade noch zu Zeiten Batistas. Daß der Roman mit zwanzigjähriger Verspätung bei uns eintraf, lag wohl nicht nur am Schwierigkeitsgrad der Übersetzung; irgendwie muß der Verlag geahnt haben, daß Cabrera Infante nicht als magisch-realistischer Verführungskünstler mit garantierter Verfilmbarkeit wahrgenommen werden würde, sondern eher als europäisch gebildeter Nachzügler der großen lateinamerikanischen Welle.

Bei den Verspätungen blieb es dann. 1992 erschien auf deutsch der Prosaband "Ansicht der Tropen im Morgengrauen", der in Spanien achtzehn Jahre zuvor herausgekommen war, ein Bilderbogen mit lakonischen Kurztexten, die keinen Helden haben als Kuba selbst - Kuba als erobertes, geplündertes und korrumpiertes Land, fünf Jahrhunderte lang, Fidel Castros Revolution eingeschlossen, ein Land, in dem sich der Staat nur durch Terror bemerkbar macht und in dem willkürliche Tötungen in allen Formen, vom Genickschuß bis zum langsamen Ertränken, an der Tagesordnung sind. Jetzt wird ein Taschenbuch nachgereicht, "Wie im Kriege also auch im Frieden" (Así en la guerra como en la paz), Cabrera Infantes erste Buchpublikation von 1960.

An der fast vierzigjährigen Verspätung trägt sein deutscher Verlag keine Schuld. Cabrera Infante selbst, der seit 1967 im Exil in London lebt und längst die englische Staatsbürgerschaft angenommen hat, gab das Buch erst vor gut zwei Jahren zur Neuausgabe frei. So lange hatte es gedauert, bis er seinen Unwillen gegen den erzähltechnischen Trick des Debütanten, der er damals war, überwunden hatte. Der Trick besteht in der Abfolge der Texte, und er funktioniert durchaus nicht so schlecht, wie der Autor heute meint: Jeder der vierzehn Erzählungen ist eine Prosa-Vignette vorangestellt, die zwischen elf Zeilen und anderthalb Seiten lang ist und Variationen des immergleichen Themas bietet: wie Menschen, meist Rebellen gegen die Diktatur Batistas, aber auch Unbeteiligte, von Polizei oder Militär kaltblütig getötet werden.

Die Vignetten haben mit den Erzählungen selbst nichts zu tun, und das macht ihre Wirkung aus. Wie ein monotones Geräusch, das immer wieder zu hören ist, weisen sie (in der "Ansicht der Tropen" wird das Verfahren auf zweihundert Seiten ausgedehnt) auf nichts anderes als die Monotonie des Tötens. Daß so das Kuba der fünfziger Jahre aussieht, diese Erkenntnis wirkt nicht nur wie ein starkes Gift in den längeren Texten weiter, sie begründet überhaupt erst deren überwältigende Melancholie. Es ist das melancholische Bewußtsein des jungen Cabrera Infante, der mit der Diktatur zu leben gelernt hat und die kubanische Gesellschaft als indifferentes Nebeneinander unvereinbarer Kleinsysteme begreift - hier zynische Verhöre, Folter und Mord, dort geduckte, verängstigte Privatwesen, zu deren Glück man bestenfalls sagen kann, daß sie in diesem Buch nicht als Rebellen auftreten müssen. Wie lange das alles her ist, merkt man an dem Spott, den der alte Cabrera Infante über sein sozialrealistisches Erzählprogramm von damals gießt. Er gipfelt in der Empfehlung, die Vignetten einfach zu überspringen; ein Ratschlag, den wohl kein Leser befolgen wird.

Dennoch steckt der Kern des Buches in den erzählenden Langtexten, und in ihnen ist ein bislang nicht bekannter Cabrera Infante zu entdecken - allerdings mit einem alten Ton, der über die pittoresken Wortmalereien der jüngeren Lateinamerikaner in Vergessenheit geraten ist. Juan Carlos Onetti beherrschte diesen Ton, auch Cortázar war er nicht fremd, und beim jungen García Márquez schwingt er noch nach. Er hat weniger mit dem exotischen Klischee von Passion, ausufernden Genealogien und betörend schweren Pflanzendüften zu tun als mit einem alten europäischen Typus, der auf einem anderen Kontinent neu besetzt wurde: dem empfindsamen Beobachter, den seine Einsamkeit zum Außenseiter macht.

In vier Erzählungen dieses Bandes heißt er Silvestre (das Alter ego Cabrera Infantes, das auch in den "Drei traurigen Tigern" vorkommt), und seine Schritte münden in Niederlagen: einmal wird er, der Sohn eines Bestattungsunternehmers, von einem Mädchen sitzengelassen, das doch nur die Tochter des Totengräbers ist; ein andermal, nun als verheirateter Mann, wird er von einer Frau auf rätselhafte Weise gedemütigt; und in einer autobiographisch anmutenden Erzählung wird der achtjährige Junge in die routinierten Lügen der Erwachsenen eingeweiht ("Der Tag, an dem meine Kindheit zu Ende ging").

Verblüffend wenig an diesem geschmeidig übersetzten Band läßt den Sturzbach von Worten ahnen, den die "Drei traurigen Tiger" darstellen; zwei innere Monologe, eher mit Routine als aus Notwendigkeit gehandhabt, verraten den Joyce-Verehrer, mehr nicht. Anrührend wird die Verzweiflung von Cabrera Infantes Figuren merkwürdigerweise durch den Regen, der hier häufig und in großen Mengen fällt. Er trübt den Himmel ein, begrenzt den Blick, er klatscht auf die Straße und macht das Grau im Innern für Augenblicke vergessen. Nimmt man die Erzählung "Meer, Meer, Feind" beim Wort, dann hat schon der junge Guillermo Cabrera Infante alle Felle davonschwimmen sehen; dort ist die Rede von der Insel als schlimmster geographischer Erscheinungsform überhaupt, von einem Käfig aus Wasser. Man wüßte gern, ob diese Erzählung mit einer Vorahnung über die Zukunft der Revolution geschrieben wurde.

Guillermo Cabrera Infante: "Wie im Kriege also auch im Frieden". Aus dem Spanischen übersetzt von Wilfried Böhringer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996. 204 S., br., 16,80 DM.

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