Dieses Buch zeichnet das Porträt einer Generation, die idealistisch fühlte, auf den Nationalsozialismus setzte und nur schwer mit der anschließenden politischen und persönlichen Katastrophe zurechtkam. Eine Familiengeschichte aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, feinfühlig erzählt, die kluge Annäherung an eine Welt, die um so mehr prägte, je heftiger sie verleugnet oder abgelehnt wurde.
Als sie sich im Jahr 1930 zum ersten Mal begegnen, ist er ein 19jähriger Student aus ärmlichen kleinbürgerlichen Verhältnissen, jedoch mit großem Ehrgeiz, und sie eine 22jährige Abenteurerin aus deklassierter großbürgerlicher Familie, die gerne Schriftstellerin wäre. Als sie 1940 heiraten, hat er Karriere bei den Nazis im SD gemacht, und sie will nun vor allem viele Kinder, eine richtige Familie. Von 1940 bis 1944 leben sie im Osten, mitten im Zentrum der Judenverfolgung. Nach Kriegsende entzieht er sich der Internierung, nimmt Hilfsarbeiterjobs an und schlägt sich in wechselnden Quartieren durch, während sie im Haus der Mutter Unterschlupf gefunden hat und fünf Kinder versorgt. Alltagsleben in der Nachkriegszeit, das heißt für sie: Trennung, existentielle Not und die Schmach, zu den politisch Geächteten zu gehören, die Deutschland und die Welt ins Verderben gestürzt haben. Herrad Schenk erzählt die Geschichte ihrer Eltern. Sie spürt den Idealen und Hoffnungen nach, die ihre Eltern bewegten: dem Vater, der bis zum Ende seines Lebens nicht damit fertigwurde, daß das politische System, an das er glaubte, ihn zum Mittäter bestialischer Verbrechen machte; der Mutter, die sich gegen die Banalität des Alltags ihre Freude am Schreiben bewahrte, auch wenn sie schließlich wußte, daß der große Ruhm ausbleiben würde. Herrad Schenk schreibt das beeindruckende Portrait einer idealistischen Generation mitsamt ihrem Versagen, ihrem Scheitern, ohne Tadel und Zorn, dem nachspürend, was die Grenzen und die großen Fähigkeiten der jetzt endgültig Abtretenden waren.
Als sie sich im Jahr 1930 zum ersten Mal begegnen, ist er ein 19jähriger Student aus ärmlichen kleinbürgerlichen Verhältnissen, jedoch mit großem Ehrgeiz, und sie eine 22jährige Abenteurerin aus deklassierter großbürgerlicher Familie, die gerne Schriftstellerin wäre. Als sie 1940 heiraten, hat er Karriere bei den Nazis im SD gemacht, und sie will nun vor allem viele Kinder, eine richtige Familie. Von 1940 bis 1944 leben sie im Osten, mitten im Zentrum der Judenverfolgung. Nach Kriegsende entzieht er sich der Internierung, nimmt Hilfsarbeiterjobs an und schlägt sich in wechselnden Quartieren durch, während sie im Haus der Mutter Unterschlupf gefunden hat und fünf Kinder versorgt. Alltagsleben in der Nachkriegszeit, das heißt für sie: Trennung, existentielle Not und die Schmach, zu den politisch Geächteten zu gehören, die Deutschland und die Welt ins Verderben gestürzt haben. Herrad Schenk erzählt die Geschichte ihrer Eltern. Sie spürt den Idealen und Hoffnungen nach, die ihre Eltern bewegten: dem Vater, der bis zum Ende seines Lebens nicht damit fertigwurde, daß das politische System, an das er glaubte, ihn zum Mittäter bestialischer Verbrechen machte; der Mutter, die sich gegen die Banalität des Alltags ihre Freude am Schreiben bewahrte, auch wenn sie schließlich wußte, daß der große Ruhm ausbleiben würde. Herrad Schenk schreibt das beeindruckende Portrait einer idealistischen Generation mitsamt ihrem Versagen, ihrem Scheitern, ohne Tadel und Zorn, dem nachspürend, was die Grenzen und die großen Fähigkeiten der jetzt endgültig Abtretenden waren.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2003Sie waren dabei
Eine Tochter hadert mit der NS-Geschichte der Eltern
HERRAD SCHENK: Wie in einem uferlosen Strom. Das Leben meiner Eltern, C. H. Beck Verlag, München, 2002. 370 Seiten, 19,90 Euro.
Lange galt es als Tabu, im Zusammenhang mit Nationalsozialismus und Krieg über das Leid der Deutschen zu schreiben; dieses Thema hatte man jahrzehntelang den Heimatvertriebenenverbänden überlassen. Es musste offenbar eine größere Zeitspanne vergehen, bevor Schriftsteller und Historiker sich auch jener Seite widmen konnten, die im Unrecht war. Inzwischen ruft ein solcher Versuch ein überwiegend positives Echo hervor. Das war beim Buch von Günter Grass über die Versenkung des Flüchtlingsschiffs „Wilhelm Gustloff” ebenso wie bei dem sehr erfolgreichen Buch des Historikers Jörg Friedrich über die Bombardierung deutscher Städte durch Briten und Amerikaner.
Auch die Journalistin und Schriftstellerin Herrad Schenk hat sich nun über dieses Tabu hinweggesetzt. Entstanden ist ein aufwühlendes Buch über das Leben ihrer Eltern, eine Art Familienroman mit Anmerkungen aus der historischen Forschung. Es geht um spätes Leid, um die Frage von Schuld und Verstrickung, um Ignoranz während des Krieges und die Scham danach, und um den verzweifelten Versuch, den geliebten Vater, einst Mitglied der SS, zu entlasten, was, wie die Autorin schmerzlich erkennt, nicht möglich ist.
Berichte nach Berlin
Sie erzählt, wie so einer seinen Weg macht: In den 30er-Jahren muss Walter Schenk sein Studium abbrechen, die beruflichen Aussichten sind schlecht. So geht er zum SD, dem Sicherheitsdienst, der zur SS gehört. Seine Frau hat daran nichts auszusetzen und folgt ihm 1941 nach Lemberg, wo sie ein angenehmes Leben mit polnischem Hausmädchen führt. Die Aufgabe des Vaters in den besetzten, polnisch/ukrainischen Gebieten besteht darin, laufend Berichte nach Berlin zu senden, die über die Stimmung in der Bevölkerung Aufschluss geben. Allein das ist für die Tochter Indiz, dass er von den Massenmorden an Zivilisten, vor allem an Juden gewusst haben muss. Denn man sprach durchaus über diese Dinge. Einmal heißt es lakonisch über diese Zeit: „Familiengeschichte, freundliche Seiten im Fotoalbum, und gleich nebenan das Grauen, dokumentiert durch die historische Forschung.”
Es ist besonders die Arbeit von Dieter Pohl über die Judenvernichtung in Galizien, die Herrad Schenk immer wieder zitiert und durch die sie weiß, dass ihr Vater später niemals die Wahrheit gesagt haben konnte, als er vor Gerichten behauptete, von der systematischen Vernichtung der Juden in Osteuropa nichts mitbekommen zu haben.
Der ukrainischen Bevölkerung gegenüber hat er sich jedoch entgegenkommender verhalten, als es seinen Vorgesetzten nötig erschien. Bei den späteren Prozessen haben ihm emigrierte Ukrainer mit ihren schriftlichen Aussagen über seine Fairness ein gutes Zeugnis ausgestellt. Galten die gerichtlichen Vorladungen am Anfang nur dem Zeugen Walter Schenk, so geriet er später immer stärker als Täter ins Fadenkreuz der Ermittler, die über das Wissen und die Aktivitäten des scheinbaren Unschuldslamms inmitten anderer Täter mehr wissen wollten. Doch starb Walter Schenk, bevor es zu weiteren Untersuchungen kommen konnte.
Ein großer Teil des Buches schildert den Familienalltag im Nachkriegsdeutschland. Der Vater entzieht sich der Internierung und nimmt Hilfsarbeiterjobs an, die Mutter flüchtet sich ins Haus ihrer Mutter und versorgt ihre mittlerweile fünf Kinder. Hier erweist sich die Autorin, 1948 als vierte Tochter geboren, als großartige Erzählerin. Der Leser nimmt Anteil daran, wie die Mutter, ohne zu verzagen, mit geringsten finanziellen Mitteln für ihre Töchter sorgt, wie sie mit der verblassten Hoffnung auf den Durchbruch als Schriftstellerin dennoch immer weiter schreibt. Zu dieser Zeit versucht der Vater sich als Journalist durchzuschlagen, lebt jahrelang allein in München, um erst einmal Fuß zu fassen, was nicht gelingt. Da er im Gegensatz zu anderen seine Vergangenheit nie verschwiegen hat, findet er keine Anstellung. Er ist für die Töchter ein seltener, heiß geliebter Gast im Haus.
Walter Schenk, man wagt es kaum zu sagen und dennoch: Er war ganz offensichtlich kein schlechter Mensch. Doch seine Tätigkeit in Lemberg in Galizien klagt ihn an. Immer wieder quält die Autorin die Frage, wie er bis ins Jahr 1945 seine Arbeit verrichten konnte, ohne sich voller Grauen abzuwenden von dem himmelschreienden Verbrechen in unmittelbarer Umgebung. Auch der Leser versteht es nicht, wenngleich ihm bei dem Gedanken bange wird, wie leicht es offensichtlich ist, unter bestimmten Bedingungen wegzuschauen – und wie viel Kraft es kosten mag, entschlossen gut zu handeln.
ELKE
NICOLINI
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Eine Tochter hadert mit der NS-Geschichte der Eltern
HERRAD SCHENK: Wie in einem uferlosen Strom. Das Leben meiner Eltern, C. H. Beck Verlag, München, 2002. 370 Seiten, 19,90 Euro.
Lange galt es als Tabu, im Zusammenhang mit Nationalsozialismus und Krieg über das Leid der Deutschen zu schreiben; dieses Thema hatte man jahrzehntelang den Heimatvertriebenenverbänden überlassen. Es musste offenbar eine größere Zeitspanne vergehen, bevor Schriftsteller und Historiker sich auch jener Seite widmen konnten, die im Unrecht war. Inzwischen ruft ein solcher Versuch ein überwiegend positives Echo hervor. Das war beim Buch von Günter Grass über die Versenkung des Flüchtlingsschiffs „Wilhelm Gustloff” ebenso wie bei dem sehr erfolgreichen Buch des Historikers Jörg Friedrich über die Bombardierung deutscher Städte durch Briten und Amerikaner.
Auch die Journalistin und Schriftstellerin Herrad Schenk hat sich nun über dieses Tabu hinweggesetzt. Entstanden ist ein aufwühlendes Buch über das Leben ihrer Eltern, eine Art Familienroman mit Anmerkungen aus der historischen Forschung. Es geht um spätes Leid, um die Frage von Schuld und Verstrickung, um Ignoranz während des Krieges und die Scham danach, und um den verzweifelten Versuch, den geliebten Vater, einst Mitglied der SS, zu entlasten, was, wie die Autorin schmerzlich erkennt, nicht möglich ist.
Berichte nach Berlin
Sie erzählt, wie so einer seinen Weg macht: In den 30er-Jahren muss Walter Schenk sein Studium abbrechen, die beruflichen Aussichten sind schlecht. So geht er zum SD, dem Sicherheitsdienst, der zur SS gehört. Seine Frau hat daran nichts auszusetzen und folgt ihm 1941 nach Lemberg, wo sie ein angenehmes Leben mit polnischem Hausmädchen führt. Die Aufgabe des Vaters in den besetzten, polnisch/ukrainischen Gebieten besteht darin, laufend Berichte nach Berlin zu senden, die über die Stimmung in der Bevölkerung Aufschluss geben. Allein das ist für die Tochter Indiz, dass er von den Massenmorden an Zivilisten, vor allem an Juden gewusst haben muss. Denn man sprach durchaus über diese Dinge. Einmal heißt es lakonisch über diese Zeit: „Familiengeschichte, freundliche Seiten im Fotoalbum, und gleich nebenan das Grauen, dokumentiert durch die historische Forschung.”
Es ist besonders die Arbeit von Dieter Pohl über die Judenvernichtung in Galizien, die Herrad Schenk immer wieder zitiert und durch die sie weiß, dass ihr Vater später niemals die Wahrheit gesagt haben konnte, als er vor Gerichten behauptete, von der systematischen Vernichtung der Juden in Osteuropa nichts mitbekommen zu haben.
Der ukrainischen Bevölkerung gegenüber hat er sich jedoch entgegenkommender verhalten, als es seinen Vorgesetzten nötig erschien. Bei den späteren Prozessen haben ihm emigrierte Ukrainer mit ihren schriftlichen Aussagen über seine Fairness ein gutes Zeugnis ausgestellt. Galten die gerichtlichen Vorladungen am Anfang nur dem Zeugen Walter Schenk, so geriet er später immer stärker als Täter ins Fadenkreuz der Ermittler, die über das Wissen und die Aktivitäten des scheinbaren Unschuldslamms inmitten anderer Täter mehr wissen wollten. Doch starb Walter Schenk, bevor es zu weiteren Untersuchungen kommen konnte.
Ein großer Teil des Buches schildert den Familienalltag im Nachkriegsdeutschland. Der Vater entzieht sich der Internierung und nimmt Hilfsarbeiterjobs an, die Mutter flüchtet sich ins Haus ihrer Mutter und versorgt ihre mittlerweile fünf Kinder. Hier erweist sich die Autorin, 1948 als vierte Tochter geboren, als großartige Erzählerin. Der Leser nimmt Anteil daran, wie die Mutter, ohne zu verzagen, mit geringsten finanziellen Mitteln für ihre Töchter sorgt, wie sie mit der verblassten Hoffnung auf den Durchbruch als Schriftstellerin dennoch immer weiter schreibt. Zu dieser Zeit versucht der Vater sich als Journalist durchzuschlagen, lebt jahrelang allein in München, um erst einmal Fuß zu fassen, was nicht gelingt. Da er im Gegensatz zu anderen seine Vergangenheit nie verschwiegen hat, findet er keine Anstellung. Er ist für die Töchter ein seltener, heiß geliebter Gast im Haus.
Walter Schenk, man wagt es kaum zu sagen und dennoch: Er war ganz offensichtlich kein schlechter Mensch. Doch seine Tätigkeit in Lemberg in Galizien klagt ihn an. Immer wieder quält die Autorin die Frage, wie er bis ins Jahr 1945 seine Arbeit verrichten konnte, ohne sich voller Grauen abzuwenden von dem himmelschreienden Verbrechen in unmittelbarer Umgebung. Auch der Leser versteht es nicht, wenngleich ihm bei dem Gedanken bange wird, wie leicht es offensichtlich ist, unter bestimmten Bedingungen wegzuschauen – und wie viel Kraft es kosten mag, entschlossen gut zu handeln.
ELKE
NICOLINI
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Merkwürdig wohlmeinend äußert sich Michael Wildt zu Herrad Schenks Versuch, die Wahrheit über ihren Vater herauszufinden, der von 1941 bis 1944 als SS-Offizier den SD (Sicherheitsdienst) im besetzten Galizien befehligte. Denn wenn auch Werner Schenk gegenüber seiner Familie keinen Hehl aus seiner Mitgliedschaft beim SD gemacht hatte, berichtet Wildt, sei die Frage nach seiner Beteiligung am Judenmord tabu gewesen. Doch ganz schlau wird man aus Wildt verklausulierter Kritik nicht. Der Autorin gesteht er an einer Stelle zu, ihrem Vater gerecht zu werden und nichts beschönigen zu wollen, stellt aber andernorts fest, dass die Nähe sie zu blenden scheint. So bezeichnet er denn das Buch als "aufrichtig" und "sich um Ehrlichkeit bemühend", obwohl es die Frage nach Walter Schenks Täterschaft am Ende unbeantwortet lasse. Dafür erzähle es viel über das "lähmende Schweigen" und die "geschwätzige Verantwortungslosigkeit" in den Familien Nachkriegsdeutschlands. Es beschleicht einen der Eindruck, dass dieses Lob auch ein ordentlicher Verriss hätte werden können.
© Perlentaucher Medien GmbH
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