Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 3,11 €
  • Broschiertes Buch

Der Autor bietet eine Geschichte des Zerfalls Jugoslawiens mit einer historisch fundierten Analyse, die auf genauer Kenntnis der Region, eingehender wissenschaftlicher Forschung und zahlreichen Gesprächen mit Zeitzeugen beruht.

Produktbeschreibung
Der Autor bietet eine Geschichte des Zerfalls Jugoslawiens mit einer historisch fundierten Analyse, die auf genauer Kenntnis der Region, eingehender wissenschaftlicher Forschung und zahlreichen Gesprächen mit Zeitzeugen beruht.
Autorenporträt
Viktor Meier war über dreißig Jahre lang Südosteuropa-Korrespondent für die "Neue Zürcher Zeitung" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Er gilt als einer der besten Kenner dieser Region. Bei C.H.Beck ist von ihm erschienen: Wie Jugoslawien verspielt wurde (bsr 1141).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.12.1995

Fehleinschätzungen, Denkfaulheit und Oberflächlichkeit
Das Zerbrechen Jugoslawiens und die katastrophalen Fehler der westlichen Politik

Viktor Meier: Wie Jugoslawien verspielt wurde. Beck'sche Reihe 1141. Verlag C. H. Beck, München 1995. 464 Seiten, 2 Karten, 29,80 Mark.

Es sind zwei scheinbar unscheinbare Sätze im Vorwort, mit denen Viktor Meier nicht nur sein heuristisches Prinzip vorstellt, sondern zugleich die Quintessenz seines Buches "Wie Jugoslawien verspielt wurde". Das Buch wurde zum Abschluß einer fast dreieinhalb Jahrzehnte dauernden Tätigkeit geschrieben, während deren Viktor Meier einer der am besten informierten Balkan-Korrespondenten war - ausgestattet mit stupenden Sprachkenntnissen, fundiertem Geschichtswissen und treffsicherem Urteilsvermögen. Schon in den fünfziger Jahren hatte sich der 1929 in Winterthur geborene Student der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit Jugoslawien beschäftigt, in Belgrad studiert und 1956 mit einer Dissertation über "Das neue jugoslawische Wirtschaftssystem" promoviert. Nachdem er zum Journalismus gefunden hatte, kam Viktor Meier trotz einiger Abstecher auf Posten in Washington, Moskau und Athen von "seinem" Balkan nicht mehr los. Meist mit Sitz in Wien berichtete er über Jugoslawien und die gesamte Region - zuerst für die "Neue Zürcher Zeitung" und von 1975 bis Ende 1993 als Korrespondent der F.A.Z.

"Jugoslawien erschien mir", lauten die erst auf den zweiten Blick bemerkenswerten Sätze, "weder damals noch später als eine künstliche Schöpfung, aber in dem Augenblick, da dieses Staatsgebilde unrealistisch und politisch untragbar wurde, war es nötig, dies auch einzusehen. Jugoslawien war im Sommer 1991 für die nichtserbischen Nationen und Nationalitäten unbewohnbar geworden." Mit der ersten Feststellung widerspricht Meier der viel zu oft und zumeist aus exkulpatorischen Gründen geäußerten Auffassung, das zweite Jugoslawien sei als artifizielles Gebilde, entstanden aus Kriegswirren und Großmachtinteressen, sowieso zum Untergang verurteilt und von niemandem zu retten gewesen. Der zweite Satz stellt fest, daß jedoch an einem bestimmten Augenblick der Entwicklung der an sich nicht unvermeidliche Zerfall eine Tatsache war, die es anzuerkennen galt.

Wie dieser Punkt erreicht, wie Jugoslawien "verspielt" wurde, entwickelt Meier in seinem Buch minutiös. Seine detaillierte Vorgeschichte des Zerfalls beginnt mit den verhängnisvollen Weichenstellungen nach Titos Tod im Mai 1980 und endet mit dem Ausbruch der Kriege in Kroatien und Bosnien-Hercegovina. Die "Trinität" von Partei, Polizei und Armee, mit welcher Tito seine Herrschaft sicherte, lebte zu Zeiten der kollektiven Staatsführung nach Tito ebenso fort wie die Jugoslawische Volksarmee (JNA) als Staat im Staat. Auch wurden alle Chancen versäumt, durch marktwirtschaftliche und demokratische Reformen der Strukturkrise der jugoslawischen Gesellschaft in den achtziger Jahren, der Staatsverschuldung und der Inflation Herr zu werden.

Breiten Raum gibt Meier der Darstellung der Vorgänge auf dem Amselfeld (Kosovo). Wie diese zu Serbien gehörende autonome Provinz, deren Bevölkerung von zwei Millionen Menschen zu 90 Prozent albanisch ist, von Belgrad nach und nach fast aller Rechte beraubt wurde, war ein Fanal für die düstere Zukunft Jugoslawiens. Dort begann der Zerfall - und dorthin wird sich die Staatengemeinschaft bald wenden müssen, auch wenn nach dem Abkommen von Dayton alle Aufmerksamkeit Bosnien gilt. Wie das Hegemoniestreben Serbiens unter dem 1987 an die Macht gelangten Präsidenten Milosevic den anderen Völkern und Republiken förmlich den Atem abschnürte, zeigte sich zuerst am Kosovo. Seither führen Miliz und Militär Serbiens dort einen kalten Krieg, den es wie die "heißen Krieg" in Slowenien, Kroatien und Bosnien auch einmal zu beenden gilt.

Meier schildert, wie sich in den "Schicksalsjahren 1986/87" in den Teilrepubliken jene politischen und personellen Konstellationen herauskristallisierten, die später den Lauf der Dinge bestimmen sollten. In ausführlichen Exkursionen werden zudem die historischen Hintergründe beleuchtet, die gerade im von Geschichte förmlich triefenden Jugoslawien die Gegenwart so nachhaltig beeinflussen. Eine Schlüsselfigur ist auch für Meier der serbische Präsident Milosevic. Dieser habe von Beginn an eine doppelte Strategie verfolgt: entweder ein von Serbien beherrschtes Jugoslawien zu erhalten oder ein Groß-Serbien unter Ausschluß der übrigen Volksgruppen zu schaffen. Stets habe Milosevic nach Maßgabe der inneren und der vom zögerlichen und blinden Westen gewährten äußeren Möglichkeiten gehandelt: "Er nahm, was er bekommen konnte." Ein skrupelloser und gerissener, aber wegen seines pragmatischen Gespürs fürs Machbare eben auch berechenbarer Politiker ist Milosevic bis heute geblieben. Deshalb konnte er, einer der Hauptverantwortlichen für die Kriege, zum serbischen "Friedenspolitiker" werden, auf dem die Hoffnungen zumal der endlich Führungsstärke zeigenden Amerikaner liegen.

Meier würdigt auch die Rolle der JNA mit einer ausführlichen Darstellung. Deren Führung fühlte sich seit den Krisenjahren 1987/88 berufen, eine koordinierte Aktion zur "Sanierung" der politischen Lage im Land einzuleiten. Doch statt sich zu entpolitisieren und wahrhaft zur "letzten Klammer" Jugoslawiens zu werden, schlug sich die serbisch dominierte Armeeführung sogleich auf die Seite Milosevics. Neben diesem ist für Meier der damalige Verteidigungsminister General Kadijevic einer der Hauptschuldigen am Zerfall Jugoslawiens. Wie Meier zeigt, hat es von Beginn an ein politisches Zusammenspiel von JNA und serbischer Führung gegeben: zunächst beim Versuch des "serbischen Blocks" im jugoslawischen Staatspräsidium, dieses zum legalistischen Vollstreckungshelfer am gemeinsamen Staat zu machen; später dann durch direkte Teilnahme an den serbischen Eroberungskriegen.

Schließlich wird das Versagen des Westens aufgezeigt, durch welches die innerjugoslawischen Entwicklungen zum Zerfall beschleunigt statt aufgehalten wurden. Viel zu lange setzte der Westen nach Meiers Überzeugung auf den letzten jugoslawischen Ministerpräsidenten Markovic, der als Liberaler und Wirtschaftsreformer galt. Dabei hatte Markovic kaum Einfluß auf die politischen Vorgänge und machte sich faktisch zum wirtschaftspolitischen Handlanger der serbischen Hegemonisten. Anstatt die Teilrepubliken in ihrem Streben nach mehr Selbständigkeit zu stützen - denn dieses Streben war keineswegs von vornherein auf Sezession von Jugoslawien, sondern zunächst auf konföderative Strukturen in einem erneuerten Gesamtstaat der Gleichberechtigten gerichtet -, hielten die westlichen Diplomaten in Belgrad einseitig zur Zentrale. Diese aber war Mitte 1991 längst eine rein serbische Veranstaltung. Die nach Meier "geradezu groteske" Realitätsfremdheit der maßgebenden westlichen Diplomaten, die "massive, kollektiv vorgetragene Mischung von politischer Fehleinschätzung, Denkfaulheit und Oberflächlichkeit" habe die katastrophalen Fehler der westlichen Jugoslawienpolitik mitverursacht.

Viktor Meier hat mit vielen "dramatis personae" in Kroatien, Slowenien, Mazedonien, Deutschland und den Vereinigten Staaten im Herbst und Winter 1994 noch einmal Gespräche geführt. Der Umstand, daß Meier im Buch immer wieder auf seine damals in dieser Zeitung erschienenen Artikel zurückgreifen kann, zeigt, wie genau er schon seinerzeit die Entwicklungen analysierte und mitunter prognostizierte. Meiers Zugang zu den slowenischen Staatsarchiven verdankt der Leser zudem einzigartige Einsichten in die Vorgänge im damaligen Staatspräsidium. Zwar gibt es in dem Buch gelegentlich Redundanzen. Auch vermißt man eine Zeittafel gerade deshalb, weil Meier nicht streng chronologisch schildert, sondern die Vorgänge in den Teilrepubliken und den autonomen Provinzen jeweils einzeln schildert. Doch künftig wird niemand, der sich über den Zerfall Jugoslawiens orientieren will, auf Viktor Meiers Buch, auf seine genaue Darstellung und sein differenziertes Urteil verzichten können. MATTHIAS RÜB

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr