Yunjae ist zum Zirkus Lee zurückgekehrt. Doch genauso alt und verbaucht, genauso unmodern wie dieser Clown ist der Zirkus selbst geworden. Durch die moderne Unterhaltungindustrie in ihrer Existenz bedroht, wächst der Unmut der Artisten. Als die junge Chihye eines Nachts von einem unbekannten Zirkusmitarbeiter vergewaltigt wird und kurz darauf einen Unfall erleidet, verändert sich alles. Die längst schon brüchige Gemeinschaft bricht auseinander, und selbst Hamyong scheint den Untergang des Zirkus Lee nicht mehr aufhalten zu können...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2004Psychogramme der Engel
Dramaturgin der Düsterkeit: Jo Kyung Rans Alltagspoesie
In Abkehr von der politisch oder ideologisch gefärbten, von Teilung und Lagerkämpfen geprägten Literatur der direkten Nachkriegszeit verkörpert die 1969 geborene Jo Kyung Ran die nunmehr gegen die moderne Unruhe der Metropolen und innere Angst anschreibende neue Generation koreanischer Autorinnen. Die erste Einzelveröffentlichung der Autorin in Deutschland versammelt ihre zuweilen an die "unerhörte Begebenheit" deutscher Novellen anklingenden und mit französisch-surrealen Elementen angereicherten bittersüßen Sittengemälde beziehungsunfähiger Großstadtmenschen. Ihre Helden sind denn auch mit Vorliebe Außenseiter, Neurotiker, Kleptomanen oder Selbstmordkandidaten.
Ein Hauch morbider Melancholie, ein verzweifelter Optimismus durchzieht ihre auf den ersten Blick ätherisch-luftigen Geschichten. Die flüchtige Erzählerstimme streift und beschreibt die Charaktere eher beiläufig, ohne Mitleid zu heischen. Im Mittelpunkt steht die literarische Verarbeitung von Verlust, Konventionsdruck, Scheidung, Trennung und Tod in einer retrospektiven Auflösung der Ereignisse, wobei ein gepflegter Rest an Unerklärlichem und ein nach mehreren Seiten offenes Ende den Leser zum Nachdenken animiert. Systematisch verzerrt und verkehrt die Autorin die kulturellen Codes. So sind Maske, Identität und Rollentausch Leitmotive vieler Erzählungen. Surreale Elemente durchbrechen und entlarven die gesellschaftliche Logik und Perfidie.
Das literarische Betätigungsfeld von Jo Kyung Ran sind tragikomische Gesellschaftssatiren oder Psychogramme wirklichkeitsflüchtiger Charaktere wie etwa in der Geschichte "Natürlich, wir sind alle Engel". Die Autorin, bei der die Lichtmetaphorik eine zentrale Rolle spielt, ist eine Dramaturgin der Düsterkeit, eine Grenzgängerin zwischen Malerei und Literatur, Traum und Traumata. Auch die Erzählung "Ich bin der Dorfbarbier", in der sich die Geräusche der Großstadt in raffiniert inszenierten Crescendi von aufheulenden Motoren über die Klingeltöne der Handys bis nachgerade zur Unerträglichkeit steigern, wirkt wie eine Literarisierung von Munchs "Der Schrei".
Dabei machen sich Isolation und Vereinsamung oft schon im äußeren Rahmen der Erzählungen bemerkbar - so ist "Das Gedächtnis der Bäume" ein Monolog einer Frau am Krankenbett ihrer nach einem Selbstmordversuch wegen einer unglücklichen Liebe im Koma liegenden Nichte. Das wiedergewonnene Gedächtnis und Beschwörungsrituale sind sinngebende Elemente ihrer rätselhaften Geschichten.
So wird der pure Alltag zum Ort der Poesie: Jo Kyung Ran, deren leise philosophischen Geschichten ihren von der Konvention erdrückten Heldinnen Auswege und Notausgänge weisen, ist eine Chronistin des ganz alltäglichen Wahnsinns.
STEFFEN GNAM
Jo Kyung Ran: "Wie kommt der Elefant in mein Schlafzimmer?" Erzählungen. Aus dem Koreanischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Jung Young-Sun und Herbert Jaumann. Pendragon Verlag, Bielefeld 2004. 248 S., geb., 18,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dramaturgin der Düsterkeit: Jo Kyung Rans Alltagspoesie
In Abkehr von der politisch oder ideologisch gefärbten, von Teilung und Lagerkämpfen geprägten Literatur der direkten Nachkriegszeit verkörpert die 1969 geborene Jo Kyung Ran die nunmehr gegen die moderne Unruhe der Metropolen und innere Angst anschreibende neue Generation koreanischer Autorinnen. Die erste Einzelveröffentlichung der Autorin in Deutschland versammelt ihre zuweilen an die "unerhörte Begebenheit" deutscher Novellen anklingenden und mit französisch-surrealen Elementen angereicherten bittersüßen Sittengemälde beziehungsunfähiger Großstadtmenschen. Ihre Helden sind denn auch mit Vorliebe Außenseiter, Neurotiker, Kleptomanen oder Selbstmordkandidaten.
Ein Hauch morbider Melancholie, ein verzweifelter Optimismus durchzieht ihre auf den ersten Blick ätherisch-luftigen Geschichten. Die flüchtige Erzählerstimme streift und beschreibt die Charaktere eher beiläufig, ohne Mitleid zu heischen. Im Mittelpunkt steht die literarische Verarbeitung von Verlust, Konventionsdruck, Scheidung, Trennung und Tod in einer retrospektiven Auflösung der Ereignisse, wobei ein gepflegter Rest an Unerklärlichem und ein nach mehreren Seiten offenes Ende den Leser zum Nachdenken animiert. Systematisch verzerrt und verkehrt die Autorin die kulturellen Codes. So sind Maske, Identität und Rollentausch Leitmotive vieler Erzählungen. Surreale Elemente durchbrechen und entlarven die gesellschaftliche Logik und Perfidie.
Das literarische Betätigungsfeld von Jo Kyung Ran sind tragikomische Gesellschaftssatiren oder Psychogramme wirklichkeitsflüchtiger Charaktere wie etwa in der Geschichte "Natürlich, wir sind alle Engel". Die Autorin, bei der die Lichtmetaphorik eine zentrale Rolle spielt, ist eine Dramaturgin der Düsterkeit, eine Grenzgängerin zwischen Malerei und Literatur, Traum und Traumata. Auch die Erzählung "Ich bin der Dorfbarbier", in der sich die Geräusche der Großstadt in raffiniert inszenierten Crescendi von aufheulenden Motoren über die Klingeltöne der Handys bis nachgerade zur Unerträglichkeit steigern, wirkt wie eine Literarisierung von Munchs "Der Schrei".
Dabei machen sich Isolation und Vereinsamung oft schon im äußeren Rahmen der Erzählungen bemerkbar - so ist "Das Gedächtnis der Bäume" ein Monolog einer Frau am Krankenbett ihrer nach einem Selbstmordversuch wegen einer unglücklichen Liebe im Koma liegenden Nichte. Das wiedergewonnene Gedächtnis und Beschwörungsrituale sind sinngebende Elemente ihrer rätselhaften Geschichten.
So wird der pure Alltag zum Ort der Poesie: Jo Kyung Ran, deren leise philosophischen Geschichten ihren von der Konvention erdrückten Heldinnen Auswege und Notausgänge weisen, ist eine Chronistin des ganz alltäglichen Wahnsinns.
STEFFEN GNAM
Jo Kyung Ran: "Wie kommt der Elefant in mein Schlafzimmer?" Erzählungen. Aus dem Koreanischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Jung Young-Sun und Herbert Jaumann. Pendragon Verlag, Bielefeld 2004. 248 S., geb., 18,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Steffen Gnam bezeichnet Jo Kyung Ran als eine "Dramaturgin der Düsterkeit, eine Grenzgängerin zwischen Malerei und Literatur, Traum und Traumata". Mit schwebender Sprache verwandle sie den Alltag und die Ängste der postideologischen koreanischen Generationen - oft sind ihre Helden "Außenseiter, Neurotiker, Kleptomanen oder Selbstmordkandidaten" - in poetische, oft rätselhafte Psychogramme oder Satiren. Die Beiläufigkeit der Erzählung, der "Hauch morbider Melancholie", das Spiel der Autorin mit kulturellen Konventionen, die philosophischen Fäden, die sich durch die Geschichten ziehen - das alles hat den Rezensenten sehr gut gefallen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Wenn man die Literatur Südkoreas entdecken will, sollte man mit den Stories dieser begabten Autorin anfangen: überraschende Wendungen, phantastische Elemente, gute Ideen." (Wienerin, November 2003)