Was stößt kreative Prozesse in Personen, in den Wissenschaften oder Gesellschaften an? Wie spielen Phantasie und Vernunft bei der Erzeugung des Neuen zusammen? Was treibt Entwicklungen, Innovationen und Denkrevolutionen an? Lässt sich Kreativität herstellen oder bedarf es eines 'göttlichen Funkens', eines Geniestreiches oder Geistesblitzes? Was verbirgt sich hinter dem schillernden Begriff des Neuen und den Paradoxien der Kreativität? Die Beiträge dieses Bandes umkreisen den modus operandi des Neuen und fragen nach der Logik kreativer Prozesse. International renommierte Kreativitätsforscher aus Psychologie, Philosophie, Systemtheorie und Ökonomie reflektieren die Leitfrage dieses Buches, um dem Betriebsgeheimnis schöpferischer Prozesse auf die Spur zu kommen. Im Mittelpunkt steht der Dialog über ein besseres Verständnis der begrifflichen, psychologischen und sozialen Zusammenhänge von Originalität, Kreativität und Innovationsfähigkeit in Wissenschaft und Kunst. Ein facettenreiches Werk, das den Tücken des Neuen mit alter Begriffsschärfe auf den Pelz rückt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.2014Die Bauerntochter im Heu
Ein Plädoyer für systematische Verrücktheit
"Kinder! Macht Neues! Neues! Und abermals Neues! Hängt Ihr Euch an's Alte, so holt Euch der Teufel der Inproduktivität", schrieb einst Richard Wagner an seinen Freund Franz Liszt. Diese Mischung aus Verzweiflung und Euphorie ist heute nicht bloß auf das Künstlerische beschränkt. Kreativität ist zur Pflicht geworden. Wer erfolgreich in der Wirtschaft bestehen will, muss Neues schaffen. Gute Ratschläge, wie dies zu bewerkstelligen sei, gibt es zuhauf. Sie münden meist darin, doch die verdammten Hierarchien abzuschaffen, eine fehlertolerante Innovationskultur einzuführen, den Unternehmergeist in den Mitarbeitern zu wecken und Ähnlichem mehr.
Dem Heidelberger Philosophen und Systemdenker Hans Rudi Fischer ist nicht nur diese Rezepthaftigkeit suspekt. Für ihn führt "Innovationsmanagement" geradewegs in eine Aporie, auf einen Holzweg. Deshalb rief er renommierte Forscher aus Systemtheorie, Ökonomie, Philosophie, Psychologie und Psychotherapie zusammen, um sich gemeinsam auf die Metaebene des Unbelastet-Seins zu begeben. Wie kommt denn Neues tatsächlich in die Welt? Gibt es Muster der Entstehung von Neuem, und wie könnten diese aussehen? Was ist zu tun, um kreative Einbildungskraft freizusetzen?
So kaleidoskopisch die 15 Beiträge des vorliegenden Buches auch sein mögen, eines eint die Autoren: Solche Prozesse lassen sich nicht rational kontrollieren. Das Denken jenseits der Konformität hat eben auch seine dunklen Seiten: die Ambiguität, Verwirrung und Unsicherheit, die Brüche, Dissonanzen und Divergenzen. Das klassische Management mit seinem Hang zur verordneten Eindeutigkeit passt hier nicht. Viel eher sollten wir uns an Immanuel Kant erinnern, der treffend von "systematischer Verrücktheit" oder "positiver Unvernunft" sprach. Oder an den Vorgang der Bisoziation des Schriftstellers und Renegaten Arthur Koestler. Gemeint ist das Aufeinanderprallen zweier scheinbar unvereinbarer Ebenen, das sehr oft zu neuen Einsichten führt. Auch Witz und Komik fahren ja zweigleisig. Das geht etwa so: Zwei Jäger treffen sich; einer fällt getroffen um.
Folglich gehört Humor in die Unternehmensführung. Er trainiert die Beweglichkeit der Perspektiven, das Rekombinieren von Bekanntem und die Bereitschaft zu Umwegen. Humor entzieht sich auch der Kontrolle und schmuggelt so das Widerständige des Neuen in das Altgewohnte. Wer unbedingt an der Ernsthaftigkeit der Innovation festhalten möchte, dem sei die Denkfigur der "Serendipity" empfohlen. Sie ist die Gabe, in sein Glück zu stolpern.
"Du suchst nach der Nadel im Heuhaufen und kommst heraus mit der Bauerntochter", lautet ein eindrückliches Zitat des Medizinforschers Julius Comroe. Ein Alexander Fleming, Christopher Kolumbus oder Alfred Nobel waren leidenschaftlich Suchende, aber sie fanden genau das, wonach sie nicht gesucht hatten. Wer innovativ sein will, muss Kontingenz, also Zufälligkeiten, wenn schon nicht lieben, so doch zumindest akzeptieren.
Sind damit Routine und Regeln Gift für Kreativität und Innovation? Der Hamburger Betriebswirtschaftler Günther Ortmann widerspricht gegen Ende des Buches den Anhängern eines radikalen Entfesselns. Wir könnten nicht alles zugleich in Frage stellen und erneuern. Routine und Regeln entlasteten und machten dadurch erst frei für Neues. Was natürlich nicht ausschließt, neue Regeln zu erfinden. Wie es zum Beispiel beim Tango war, der neu, aber inmitten älterer Tanzroutinen und -regeln in die Welt kam. Kreatives Tangotanzen, so Ortmann, ereignet sich inmitten und in Abwandlung bisher gültiger Regeln.
Nach der Lektüre dieses Buches kann man die Dinge drehen und wenden, wie man will. Ein zeitgemäßes und noch dazu innovationsfreudiges Management muss Abschied nehmen vom Prinzip des Entweder-oder und sich stattdessen mit den Dualitäten eines Sowohl-als-auch anfreunden.
HEINZ K. STAHL
Hans Rudi Fischer (Hrsg.): Wie kommt Neues in die Welt? Phantasie, Intuition und der Ursprung von Kreativität. Velbrück Wissenschaft 2013, 224 Seiten.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Plädoyer für systematische Verrücktheit
"Kinder! Macht Neues! Neues! Und abermals Neues! Hängt Ihr Euch an's Alte, so holt Euch der Teufel der Inproduktivität", schrieb einst Richard Wagner an seinen Freund Franz Liszt. Diese Mischung aus Verzweiflung und Euphorie ist heute nicht bloß auf das Künstlerische beschränkt. Kreativität ist zur Pflicht geworden. Wer erfolgreich in der Wirtschaft bestehen will, muss Neues schaffen. Gute Ratschläge, wie dies zu bewerkstelligen sei, gibt es zuhauf. Sie münden meist darin, doch die verdammten Hierarchien abzuschaffen, eine fehlertolerante Innovationskultur einzuführen, den Unternehmergeist in den Mitarbeitern zu wecken und Ähnlichem mehr.
Dem Heidelberger Philosophen und Systemdenker Hans Rudi Fischer ist nicht nur diese Rezepthaftigkeit suspekt. Für ihn führt "Innovationsmanagement" geradewegs in eine Aporie, auf einen Holzweg. Deshalb rief er renommierte Forscher aus Systemtheorie, Ökonomie, Philosophie, Psychologie und Psychotherapie zusammen, um sich gemeinsam auf die Metaebene des Unbelastet-Seins zu begeben. Wie kommt denn Neues tatsächlich in die Welt? Gibt es Muster der Entstehung von Neuem, und wie könnten diese aussehen? Was ist zu tun, um kreative Einbildungskraft freizusetzen?
So kaleidoskopisch die 15 Beiträge des vorliegenden Buches auch sein mögen, eines eint die Autoren: Solche Prozesse lassen sich nicht rational kontrollieren. Das Denken jenseits der Konformität hat eben auch seine dunklen Seiten: die Ambiguität, Verwirrung und Unsicherheit, die Brüche, Dissonanzen und Divergenzen. Das klassische Management mit seinem Hang zur verordneten Eindeutigkeit passt hier nicht. Viel eher sollten wir uns an Immanuel Kant erinnern, der treffend von "systematischer Verrücktheit" oder "positiver Unvernunft" sprach. Oder an den Vorgang der Bisoziation des Schriftstellers und Renegaten Arthur Koestler. Gemeint ist das Aufeinanderprallen zweier scheinbar unvereinbarer Ebenen, das sehr oft zu neuen Einsichten führt. Auch Witz und Komik fahren ja zweigleisig. Das geht etwa so: Zwei Jäger treffen sich; einer fällt getroffen um.
Folglich gehört Humor in die Unternehmensführung. Er trainiert die Beweglichkeit der Perspektiven, das Rekombinieren von Bekanntem und die Bereitschaft zu Umwegen. Humor entzieht sich auch der Kontrolle und schmuggelt so das Widerständige des Neuen in das Altgewohnte. Wer unbedingt an der Ernsthaftigkeit der Innovation festhalten möchte, dem sei die Denkfigur der "Serendipity" empfohlen. Sie ist die Gabe, in sein Glück zu stolpern.
"Du suchst nach der Nadel im Heuhaufen und kommst heraus mit der Bauerntochter", lautet ein eindrückliches Zitat des Medizinforschers Julius Comroe. Ein Alexander Fleming, Christopher Kolumbus oder Alfred Nobel waren leidenschaftlich Suchende, aber sie fanden genau das, wonach sie nicht gesucht hatten. Wer innovativ sein will, muss Kontingenz, also Zufälligkeiten, wenn schon nicht lieben, so doch zumindest akzeptieren.
Sind damit Routine und Regeln Gift für Kreativität und Innovation? Der Hamburger Betriebswirtschaftler Günther Ortmann widerspricht gegen Ende des Buches den Anhängern eines radikalen Entfesselns. Wir könnten nicht alles zugleich in Frage stellen und erneuern. Routine und Regeln entlasteten und machten dadurch erst frei für Neues. Was natürlich nicht ausschließt, neue Regeln zu erfinden. Wie es zum Beispiel beim Tango war, der neu, aber inmitten älterer Tanzroutinen und -regeln in die Welt kam. Kreatives Tangotanzen, so Ortmann, ereignet sich inmitten und in Abwandlung bisher gültiger Regeln.
Nach der Lektüre dieses Buches kann man die Dinge drehen und wenden, wie man will. Ein zeitgemäßes und noch dazu innovationsfreudiges Management muss Abschied nehmen vom Prinzip des Entweder-oder und sich stattdessen mit den Dualitäten eines Sowohl-als-auch anfreunden.
HEINZ K. STAHL
Hans Rudi Fischer (Hrsg.): Wie kommt Neues in die Welt? Phantasie, Intuition und der Ursprung von Kreativität. Velbrück Wissenschaft 2013, 224 Seiten.
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