Wie kommen Bandwürmer überhaupt in unseren Darm rein? Dieses Buch verrät es. Es stellt außerdem die schrecklichsten Krankheiten aus den Zeiten vor, in denen nur Wünschen und Beten geholfen hat - oder auch nicht. Warum Seemänner plötzlich Sauerkraut liebten und wieso biertrinkende Arbeiter in Zeiten der Cholera besser dran waren als alle anderen in der Stadt: All das erzählt Birte Müller so flapsig und direkt, dass man Fieber kriegt vom Lesen. Oder Pickel vom Schaudern. Oder Bauchweh vom Lachen. Wer nun denkt: "Ach, das war ja alles früher", der hat sich geschnitten! Sogar ein Kapitel über Corona kommt vor. Und Yannick de la Pêches tolle Bilder haben genau den richtigen morbiden Charme und Witz.
Preise & Auszeichnungen:
Luchs des Monats im Mai 2021
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Fridtjof Küchemann findet das Kindersachbuch von Birte Müller und Yannick de la Peche entschieden zu laut und geschmacklos. Weil er aber weit älter ist als die Zielgruppe des Buches, ist er bemüht zu verstehen, wie wohl Kinder Müllers keinen Ekelalarm und auch keinen grellen Witz scheuende Ausführungen über Skorbut, Hautpilze und Tuberkulose finden. Möglicherweise krass, ahnt der Rezensent. Möglicherweise aber auch informativ und spannend genug, um bei Themen wie Depression oder Corona nicht auszusteigen, meint Küchemann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.2021Na, wäschst du dir jetzt öfter die Hände?
Birte Müller stellt vierzehn furchtbare Krankheiten vor - mit einiger Lust am Ekel
Nagelpilz? Eine ziemliche Augenwurst! Ein Rinderbandwurm? Mördereklig! Tollwut? Der reine Wahnsinn! Wenn Birte Müller darüber schreibt, was den Menschen so peinigt, schwingen Abscheu und Attraktion in ihren Worten mit, Lust am Ekel - aber auch Lust am Wissen. Vierzehn "gruselige Krankheiten von früher und heute" versammelt die Autorin in ihrem Kindersachbuch "Wie krank ist das denn?!". Erwachsene Leser könnten sich leicht abgestoßen fühlen von den vielen Witzen und Anlehnungen an die Jugendsprache, dem immensen Lärm, der Aufdringlichkeit und Provokationslust des Buchs - und darüber übersehen, wie sorgfältig es gearbeitet ist, wie gut es informiert und wie gut es die kindlichen Leser bei einem so komplexen und detailreichen Thema zu halten vermag.
Das sehr verbreitete kindliche Interesse an den eigenen Ausscheidungen - und im Weiteren am Thema allgemein - ist schon längst in Bilderbüchern wie dem Klassiker "Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat" von Werner Holzwarth und Wolf Erlbruch oder in Pernilla Stalfelts Kindersachbuch "So ein Kack" aufgegriffen worden. Ohne Scheu wird hier etwas Natürliches, etwas Unvermeidbares verhandelt, wovor viele Erwachsene Abscheu empfinden. Und das die Neugier von Kindern vielleicht auch deshalb weckt, weil sie dabei das Unbehagen Erwachsener durchaus spüren.
Nun hat der Stoffwechsel den thematischen Vorteil, dass er jedem Menschen, sogar jedem Lebewesen zu eigen ist. Krankheiten betreffen Einzelne, sodass Anteilnahme wie auch Abstandnahme anderer ebenfalls Einzelne betreffen und zwischenmenschliches Fingerspitzengefühl erfordern. In "Wie krank ist das denn?!" umschifft Birte Müller dieses Problem, indem sie auf beides verzichtet - und ohne sonderliche Empathie, dafür um so genauer auf vierzehn ausgewählte Leiden schaut.
Dass Seeleute in alten Zeiten durch Vitamin-C-Mangel nach einiger Zeit an Bord an Skorbut erkrankten, ist bekannt. Welche Symptome über den Zahnausfall hinaus sie schließlich vor Schmerz laut schreien und weinen ließen, beschreibt die Autorin ebenso eingehend wie den Weg, mit dem James Cook während der ganzen drei Jahre seiner zweiten Südseereise, zu der er 1772 aufgebrochen war, auch nur einen einzigen Skorbut-Toten in seiner Mannschaft vermeiden konnte.
Sauerkraut und Peitsche: Diese Anspielung hätte womöglich erwachsene Leser amüsiert. Die Autorin hingegen knüpft an ein kindliches Leidensthema an: das elterliche Drängen, ausreichend Obst und Gemüse zu essen. "Manchmal haben Mütter eben doch recht", unterschreibt sie das ganze Kapitel. Mit dem Hinweis, heute seien "fast nur noch unterernährte Menschen in sehr armen Regionen betroffen", beschließt sie es. "Und natürlich bald du, wenn du nicht auf deine Mudda hörst!"
Damit nervt Birte Müller sicherlich nicht nur Kinder, sondern Leser jeder Altersgruppe, aber sie führt sie auch wie nebenbei durch knapp hundertachtzig Jahre Medizingeschichte, von der Versuchsreihe eines britischen Schiffsarztes mit Zitrusfrüchten zur Behandlung von Skorbut bis zur Entdeckung der Ascorbinsäure um das Jahr 1930.
Wer - von Fachleuten einmal abgesehen - hätte gewusst, dass manche Hautpilze ein eigenes Antibiotikum entwickeln, um die schützenden Mikroorganismen auf der menschlichen Haut abzutöten und in die obere Hautschicht eindringen zu können? Wer hätte geahnt, dass Bandwurm-Medikamente den Parasiten betäuben, damit auch dessen Kopf sich aus der Darmwand seines Wirts löst, ausgeschieden werden kann und so verhindert wird, dass das Tier einfach nachwächst? Wem wäre gegenwärtig, dass die Angst vor einer Tuberkulose-Pandemie in unserer Zeit gar nicht unbegründet ist, weil sich der Erreger schnell verändert?
Im Kapitel "Psychische Störungen" schlägt Birte Müller leisere Töne an. Hypochondrie und Depression sind die beiden Beispiele, auf die sie näher eingeht, und bevor sie auch hier mit einem Witz das Thema wechselt, betont die Autorin, dass sie hypochondrische Störungen nicht zum Lachen findet. Ein guter Arzt, auch dieser Hinweis ist ihr wichtig, werde "niemals über einen Patienten lachen, der sich Krankheiten einbildet". Über die gegenwärtige Corona-Pandemie zu schreiben ist der Autorin erkennbar am schwersten gefallen - allein in der Zeit: Mal schreibt sie von ihr in der Vergangenheit, mal gibt sie sich gespannt, wie sie die Welt verändern wird. Dass wir unser Verhalten ändern müssen, macht sie hingegen klar: im Umgang mit Krankheiten wie dieser wie auch in unserer Pflicht, möglichst gut informiert zu bleiben.
Birte Müller erspart Erwachsenen in ihrem Buch keine Geschmacklosigkeit - und Kindern umgekehrt kein Vorwort, keine Fußnote und kein Glossar. So sicher sie sein können, dass die Sachbücher, denen sie in ihrem weiteren Leben begegnen, in der Lautstärke und Lebhaftigkeit die Marke von "Wie krank ist das denn?!" wohl nicht mehr erreichen werden: Während sich die jungen Leser auf mehr als hundert Seiten mit einem nicht allzu naheliegenden Thema beschäftigt haben, sind sie auch mit den Merkmalen heutiger Sachbücher vertraut worden. FRIDTJOF KÜCHEMANN
Birte Müller,
Yannick de la Pêche:
"Wie krank ist das denn?!" Gruselige
Krankheiten von
früher bis heute.
Klett Kinderbuch,
Leipzig 2021. 136 S.,
geb., 15,- Euro. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Birte Müller stellt vierzehn furchtbare Krankheiten vor - mit einiger Lust am Ekel
Nagelpilz? Eine ziemliche Augenwurst! Ein Rinderbandwurm? Mördereklig! Tollwut? Der reine Wahnsinn! Wenn Birte Müller darüber schreibt, was den Menschen so peinigt, schwingen Abscheu und Attraktion in ihren Worten mit, Lust am Ekel - aber auch Lust am Wissen. Vierzehn "gruselige Krankheiten von früher und heute" versammelt die Autorin in ihrem Kindersachbuch "Wie krank ist das denn?!". Erwachsene Leser könnten sich leicht abgestoßen fühlen von den vielen Witzen und Anlehnungen an die Jugendsprache, dem immensen Lärm, der Aufdringlichkeit und Provokationslust des Buchs - und darüber übersehen, wie sorgfältig es gearbeitet ist, wie gut es informiert und wie gut es die kindlichen Leser bei einem so komplexen und detailreichen Thema zu halten vermag.
Das sehr verbreitete kindliche Interesse an den eigenen Ausscheidungen - und im Weiteren am Thema allgemein - ist schon längst in Bilderbüchern wie dem Klassiker "Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat" von Werner Holzwarth und Wolf Erlbruch oder in Pernilla Stalfelts Kindersachbuch "So ein Kack" aufgegriffen worden. Ohne Scheu wird hier etwas Natürliches, etwas Unvermeidbares verhandelt, wovor viele Erwachsene Abscheu empfinden. Und das die Neugier von Kindern vielleicht auch deshalb weckt, weil sie dabei das Unbehagen Erwachsener durchaus spüren.
Nun hat der Stoffwechsel den thematischen Vorteil, dass er jedem Menschen, sogar jedem Lebewesen zu eigen ist. Krankheiten betreffen Einzelne, sodass Anteilnahme wie auch Abstandnahme anderer ebenfalls Einzelne betreffen und zwischenmenschliches Fingerspitzengefühl erfordern. In "Wie krank ist das denn?!" umschifft Birte Müller dieses Problem, indem sie auf beides verzichtet - und ohne sonderliche Empathie, dafür um so genauer auf vierzehn ausgewählte Leiden schaut.
Dass Seeleute in alten Zeiten durch Vitamin-C-Mangel nach einiger Zeit an Bord an Skorbut erkrankten, ist bekannt. Welche Symptome über den Zahnausfall hinaus sie schließlich vor Schmerz laut schreien und weinen ließen, beschreibt die Autorin ebenso eingehend wie den Weg, mit dem James Cook während der ganzen drei Jahre seiner zweiten Südseereise, zu der er 1772 aufgebrochen war, auch nur einen einzigen Skorbut-Toten in seiner Mannschaft vermeiden konnte.
Sauerkraut und Peitsche: Diese Anspielung hätte womöglich erwachsene Leser amüsiert. Die Autorin hingegen knüpft an ein kindliches Leidensthema an: das elterliche Drängen, ausreichend Obst und Gemüse zu essen. "Manchmal haben Mütter eben doch recht", unterschreibt sie das ganze Kapitel. Mit dem Hinweis, heute seien "fast nur noch unterernährte Menschen in sehr armen Regionen betroffen", beschließt sie es. "Und natürlich bald du, wenn du nicht auf deine Mudda hörst!"
Damit nervt Birte Müller sicherlich nicht nur Kinder, sondern Leser jeder Altersgruppe, aber sie führt sie auch wie nebenbei durch knapp hundertachtzig Jahre Medizingeschichte, von der Versuchsreihe eines britischen Schiffsarztes mit Zitrusfrüchten zur Behandlung von Skorbut bis zur Entdeckung der Ascorbinsäure um das Jahr 1930.
Wer - von Fachleuten einmal abgesehen - hätte gewusst, dass manche Hautpilze ein eigenes Antibiotikum entwickeln, um die schützenden Mikroorganismen auf der menschlichen Haut abzutöten und in die obere Hautschicht eindringen zu können? Wer hätte geahnt, dass Bandwurm-Medikamente den Parasiten betäuben, damit auch dessen Kopf sich aus der Darmwand seines Wirts löst, ausgeschieden werden kann und so verhindert wird, dass das Tier einfach nachwächst? Wem wäre gegenwärtig, dass die Angst vor einer Tuberkulose-Pandemie in unserer Zeit gar nicht unbegründet ist, weil sich der Erreger schnell verändert?
Im Kapitel "Psychische Störungen" schlägt Birte Müller leisere Töne an. Hypochondrie und Depression sind die beiden Beispiele, auf die sie näher eingeht, und bevor sie auch hier mit einem Witz das Thema wechselt, betont die Autorin, dass sie hypochondrische Störungen nicht zum Lachen findet. Ein guter Arzt, auch dieser Hinweis ist ihr wichtig, werde "niemals über einen Patienten lachen, der sich Krankheiten einbildet". Über die gegenwärtige Corona-Pandemie zu schreiben ist der Autorin erkennbar am schwersten gefallen - allein in der Zeit: Mal schreibt sie von ihr in der Vergangenheit, mal gibt sie sich gespannt, wie sie die Welt verändern wird. Dass wir unser Verhalten ändern müssen, macht sie hingegen klar: im Umgang mit Krankheiten wie dieser wie auch in unserer Pflicht, möglichst gut informiert zu bleiben.
Birte Müller erspart Erwachsenen in ihrem Buch keine Geschmacklosigkeit - und Kindern umgekehrt kein Vorwort, keine Fußnote und kein Glossar. So sicher sie sein können, dass die Sachbücher, denen sie in ihrem weiteren Leben begegnen, in der Lautstärke und Lebhaftigkeit die Marke von "Wie krank ist das denn?!" wohl nicht mehr erreichen werden: Während sich die jungen Leser auf mehr als hundert Seiten mit einem nicht allzu naheliegenden Thema beschäftigt haben, sind sie auch mit den Merkmalen heutiger Sachbücher vertraut worden. FRIDTJOF KÜCHEMANN
Birte Müller,
Yannick de la Pêche:
"Wie krank ist das denn?!" Gruselige
Krankheiten von
früher bis heute.
Klett Kinderbuch,
Leipzig 2021. 136 S.,
geb., 15,- Euro. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main