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Produktdetails
  • Verlag: DVA
  • 2. Aufl.
  • Seitenzahl: 283
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 454g
  • ISBN-13: 9783421053565
  • ISBN-10: 3421053561
  • Artikelnr.: 24316713
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.03.2001

Spiel mit dem Feuer
Philosophische Recherche in Cambridge – sind Popper und Wittgenstein handgreiflich geworden?
Wie man mit dem Schürhaken philosophiert ... mit einem derartigen Instrument hat Ludwig Wittgenstein Karl Popper bedroht – wenn man Poppers Bericht glauben darf, in seiner Autobiografie „Ausgangspunkte”. David J. Edmonds und John A. Eidinow tun das nicht. Die beiden englischen Journalisten haben das delikate Ereignis genau unter die Lupe genommen und sind zunächst einmal zu dem schönen Ergebnis gelangt, dass zwar eine Reihe von Kollegen und Philosophen Zeugen des Vorfalls gewesen sind, dass ihre Aussagen dazu sich aber so sehr voneinander unterscheiden, dass die Wahrheit – eigentlich der Philosophen vertrautes Terrain – nicht auszumachen ist.
Lügt Karl Popper, wenn er behauptet, Wittgenstein sei über seine Argumente so sehr in Rage geraten, dass er den Schürhaken am Karmin ergriff und damit vor ihm herumfuchtelte – und ein konkretes Beispiel für die von diesem Ansicht forderte, es gäbe ethische Regeln in der Philosophie? Popper will ihm, mit gleichsam entwaffnender Direktheit, gesagt haben, „man soll seinen Gastredner nicht mit einem Schürhaken bedrohen”, worauf Wittgenstein geschlagen den Saal verließ.
Edmonds & Eidinow kombinieren mit kriminalistischer Detailfreude sämtliche bekannten Indizien, die zur Klärung des Falles beitragen könnten, und verdeutlichen so auf überaus spannende Weise, wie sich ein halbes Jahrhundert Philosophie zwischen den zwei „Giganten” – so Karl Poppers selbstbewusste Einschätzung – entladen hat.
Cambridge, 1946: Karl Popper ist für einen Vortrag zu Gast im Moral Science Club. Auf der Einladungskarte war er gebeten worden über philosophische Rätsel zu sprechen, puzzles genauer gesagt – was er für völlig unsinnig hält. Die Einladung hat Ludwig Wittgenstein formuliert, er ist der Vorsitzende des besagten Clubs.
Zwei Welten prallen aufeinander: Hatte Popper damals mit „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde” einen ersten Erfolg in seiner neuen Heimat England, so kann man in Ludwig Wittgenstein durchaus dessen philosophischen Erzfeind sehen – steht er nach Popper doch für eine dogmatische Irrlehre. Das erste Buch Wittgensteins, der „Tractatus logico-philosophicus” aus dem Jahr 1921, umfasst sieben Grundsätze, nach denen der 32-jährige Autor sämtliche philosophische Fragen gelöst zu haben glaubte. In den Jahren darauf behauptet er immerhin, wer meint, mit Begriffen Probleme lösen zu können, strenge sich umsonst an – der Philosoph sollte besser seinen sprachlichen Werkzeugkasten richtig sortieren.
Man kann sich den Kasten tatsächlich ganz konkret vorstellen, wie einen Setzkasten für Begriffe, und wie beim Scrabble gilt es die richtigen Kombinationen zu finden. Karl Popper hält dieses Puzzeln im Elfenbeinturm für gefährlichen Unsinn.
Der große Krieg ist zum Zeitpunkt der begegnung erst seit einem Jahr vorbei. Es gibt Probleme ohne Ende, da kann sich ein Philosoph nicht in „Sprachesoterik” flüchten, erklärt Popper in der „Offenen Gesellschaft”. Er nimmt Wittgensteins Einladung an, aber als Herausforderung. Und der vermeintliche Kontrahent ahnt davon nichts.
Seine Formulierung auf der Einladungskarte ist eine Standardformel, und den Gast kennt er überhaupt nicht. Bertrand Russell möchte ihn hören, Wittgensteins großer und verehrter Ziehvater in Cambridge, der Poppers Meinung teilt, Philosophie sei durchaus gesellschaftlich wirksam.
Nach der Begegnung ist Wittgenstein schlauer und berichtet einem Freund, Dr. Popper, das sei „irgendein Esel aus London, der mehr dummes Zeug verzapft hat, als ich seit langem gehört habe”. Wittgenstein war kein Traumtänzer, er leugnete nicht, dass es tatsächliche Probleme gibt in der Realität, vor dem krieg wie danach. Das verdeutlichen zahlreiche Passagen in diesem Buch, die Ray Monks umfangreiche Wittgenstein-Biografie stellenweise ergänzen. Zum Beispiel, wie Wittgenstein im Juli 1939 als britischer Staatsbürger nach Berlin reiste, um die Einstufung seiner Geschwister in Österreich als Juden zu verhindern.
Wie Popper stammte er aus einer Wiener Familie assimilierter Juden, nur war Wittgensteins Vater einer der reichsten Unternehmer Österreichs. Nach dem Anschluss an das Deutsche Reich schätzte die Reichsbank das Vermögen der als jüdisch klassifizierten Bevölkerung. Zunächst bestand tatsächlich noch die Möglichkeit, das Land zu verlassen, unter Abgabe einer „Reichsfluchtsteuer”. Ludwigs Bruder Paul zahlte für seine Ausreise 1,6 Millionen Reichsmark. Die Schwestern waren in Wien geblieben.
Ludwig erreichte in Berlin bei der Reichsstelle für Sippenforschung ihre Einordnung als „deutschblütig” – nach einer Zahlung bei der Reichsbank von 1,7 Tonnen Gold, das entspricht 2 Prozent der österreichischen Goldreserven. Es war einer der zwölf Anträge, die Adolf Hitler in diesem Jahr genehmigte, von insgesamt 2100.
Dass Wittgenstein und Hitler in Linz einmal in dieselbe Schule gegangen sein sollen – Kimberley Cornish hat mit seinem „Der Jude aus Linz” dieser Mutmaßung ein ganzes Buch gewidmet –, halten David J. Edmonds und John A. Eidinow für unbedeutend: Wittgenstein zumindest erinnert sich nicht daran.
Er wusste also durchaus um den politischen Handlungsspielraum. Doch für die Philosophie sah er ihn nicht. Die Wut zwischen ihm und Popper entzündet sich vor allem daran, dass jeder meint, der andere mache sich etwas vor. Wittgenstein glaubt nicht an Philosophie im Talar, seine Grundhaltung ist ein „Ich stecke im Sumpf, ich kenne mich nicht aus”. Popper dagegen ist ein Idealist, gibt sich rational und beherrscht.
Umso genüsslicher führt er Wittgensteins Unbeherrschtheit an, als Zeichen von Schwäche. Was er jedoch nicht erwähnt, ist die Rolle Bertrand Russells in dem Streit. Edmonds und Eidinows These dazu ist, dass Karl Popper nur der Auslöser war für den endgültigen Bruch zwischen Russell und Wittgenstein. Der vermeintliche „Held” des aufgeregten Geschehens begreift also nicht, dass es nur am Rande um ihn geht.
Als Wittgenstein den Schürhaken in die Höhe reckte, so das Protokoll, hat Karl Popper kein Wort gesagt. Die Zeugen Geach und Lewy erklären, Poppers Darstellung sei nicht korrekt, die Anwesenden Peter Munz und Michael Wolff sahen den Konflikt klar zwischen Russell und Wittgenstein: Der alte Herr stand empört auf und bekam sofort zu hören: „Sie verstehen mich immer falsch, Russell.” Worauf Russell zurückgab: „Nein, Wittgenstein, Sie sind es, der alles durcheinanderbringt. Sie bringen immer alles durcheinander!” Dann verließ der Club-Vorsitzende den Saal, und sein Kollege Richard Braithwaite bat Karl Popper um das Beispiel für eine ethische Regel. Darauf läuft also die Gegendarstellung hinaus, die die beiden „Ermittler” präsentieren. Der Bruch zwischen Vater und Sohn war besiegelt: Russell, der Wittgensteins gesamte akademische Laufbahn ermöglicht hatte, versicherte Popper nach dem Eklat seine Loyalität. Ganz hieb- und stichfest ist das Ganze nicht, also gilt wohl auch hier: Im Zweifel für den Angeklagten. Der Zweifel aber hat sich gelohnt – für eine ausgezeichnete Lektüre.
VOLKMAR MÜHLEIS
DAVID J. EDMONDS; JOHN A. EIDINOW: Wie Ludwig Wittgenstein Karl Popper mit dem Feuerhaken traf. Eine Ermittlung. Aus dem Englischen von Holger Fliessbach und Suzanne Gangloff. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart München 2001. 270 Seiten, Abbildungen 39,80 Mark.
Wittgenstein vs Popper – eine Diskussion mit Haken Fotos: Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Auch unter Philosophen kann es mitunter handfest zugehen, beweist die Geschichte eines ursprünglich rhetorisch gedachten Duells von Ludwig Wittgenstein und Karl Popper in Cambridge, bei dem Wittgenstein demonstrativ zum Schürhaken griff. Matthias Kross hat sich die Ermittlungen zweier englischer Wissenschaftsjournalisten zu Gemüte geführt und kommt mit ihnen zu dem Ergebnis, dass die Schilderung des Vorfalls durch Karl Popper in dessen Autobiografie wohl arg geschönt war. Es gebe sogar Beweise, schreibt Kross, dass sich Popper für eine Professur in Cambridge profilieren wollte und den Eklat provoziert habe. Aber die Beteiligten seien tot, die Zeugen betagt und parteiisch, so dass man die Wahrheit nie völlig ermitteln könne. Das Schöne an dem Buch, lobt Kross, seien deshalb auch die spannenden Lebensbeschreibungen dieser so unterschiedlichen Intellektuellen, die beide aus dem Wiener Judentum stammten.

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