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Wer glaubt, Karl Marx sei tot, der irrt. Die Krise des kapitalistischen Systems hat neues Interesse an seinen Ideen geweckt. Eric Hobsbawm, seit seiner Jugend überzeugter Marxist, zeigt, was wir noch heute von Marx lernen können. Ein Leben lang hat sich der Historiker aus Großbritannien mit den Widersprüchen beschäftigt, die seit der Finanzkrise selbst liberale Ökonomen am Weltbild eines schlichten Kapitalismus zweifeln lassen. Hobsbawms neues Buch zeigt, wie der Marxismus in den letzten 150 Jahren die angeblich alternativlosen Regeln der kapitalistischen Wirtschaft in Frage gestellt und…mehr

Produktbeschreibung
Wer glaubt, Karl Marx sei tot, der irrt. Die Krise des kapitalistischen Systems hat neues Interesse an seinen Ideen geweckt. Eric Hobsbawm, seit seiner Jugend überzeugter Marxist, zeigt, was wir noch heute von Marx lernen können. Ein Leben lang hat sich der Historiker aus Großbritannien mit den Widersprüchen beschäftigt, die seit der Finanzkrise selbst liberale Ökonomen am Weltbild eines schlichten Kapitalismus zweifeln lassen. Hobsbawms neues Buch zeigt, wie der Marxismus in den letzten 150 Jahren die angeblich alternativlosen Regeln der kapitalistischen Wirtschaft in Frage gestellt und widerlegt hat. In Hobsbawm hat Marx seinen souveränen Interpreten für das 21. Jahrhundert gefunden.
Autorenporträt
Hobsbawm, Eric
Eric J. Hobsbawm (1917-2012) war Professor für Geschichte an der University of London und hatte seit 1984 den Lehrstuhl für Politik und Gesellschaft an der New York School for Social Research inne. Im Jahr 2000 wurde er mit dem Ernst-Bloch-Preis ausgezeichnet, 2008 erhielt er den Historikerpreis der Ruhr-Universität Bochum. Bei Hanser erschienen zuletzt seine Bücher Gefährliche Zeiten (2003) und die Neuausgabe Die Banditen (2007). Im Herbst 2012 erscheint: Wie man die Welt verändert. Über Marx und den Marxismus.

Wirthensohn, Andreas
Andreas Wirthensohn, geboren 1967, lebt als freier Lektor, Übersetzer, Literaturkritiker und Hörfunkautor in München. Er übersetzte u.a. Bücher von Michael Hardt/Antonio Negri, Eva Illouz, Neil MacGregor, Eric Hobsbawm, Timothy Snyder und Yuval Harari.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2012

Der tendenzielle Fall der Erkenntnisrate im Marxismus

Kein Vermächtnis: Eric Hobsbawm liefert Anekdoten aus der Chronik des politischen und des intellektuellen Kommunismus, aber keine Begriffe für die Gegenwartsdeutung.

Von Werner Plumpe

Wenn es dem Kapitalismus schlecht geht, ist das für den Marxismus gut: Die Krisen sind geradezu sein Lebenselixier. Galt der Marxismus mit dem Untergang der Sowjetunion und dem gleichzeitigen Verschwinden eines wie auch immer gedachten handlungsfähigen Proletariats in den entwickelten kapitalistischen Industriestaaten der achtziger Jahre als erledigt, so haben die Krise der Finanzmärkte, die hierdurch ausgelöste Wirtschaftskrise und die sich nun zeigende politische Krise handlungsunfähiger, weil überschuldeter Staaten den Anhängern von Marx einen neuen Frühling verschafft.

Eric Hobsbawms Aufsatzsammlung ist trotz eines missverständlichen Titels, der sich wohl der Ausnutzung dieser Konjunktur verdankt, aber recht eigentlich keine Revitalisierung des Marxismus im Lichte der gegenwärtigen Krisen. Das Buch enthält keine theoretische Ortsbestimmung des Marxschen Denkens oder des Marxismus, das liegt dem soeben verstorbenen englischen Wirtschafts- und Sozialhistoriker Eric Hobsbawm offensichtlich nicht. Hobsbawm, jahrzehntelang Mitglied der britischen Kommunistischen Partei und bis zuletzt bekennender Marxist, geht vielmehr der Rezeption und Bedeutung des Marxismus als politischer Bewegung nach. Hier liegt für ihn der Kern: "Die bedeutendste Leistung von Marx ist aus Sicht des Historikers ohne Zweifel die politische Wirkung des Marxismus." Deshalb ist für ihn auch Antonio Gramsci so bedeutend. Dieser habe als erster "eine marxistische Theorie der Politik" vorgelegt, womit implizit auch eine einzige Kritik an den "Klassikern" geübt ist, nämlich ihre Unterschätzung des Politischen.

Der erste Teil des Buches ist eine Zusammenstellung älterer Texte zu den Quellen und zur Verbreitung des Marxschen Denkens einerseits, zu einzelnen Schriften andererseits. Ein langer Abschnitt beschäftigt sich auch mit dem Politikverständnis der "Klassiker". Der umfangreichere zweite Teil widmet sich der politischen Bedeutung des Marxismus und marxistischer Bewegungen von der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Die Schwankungen seiner Rezeption und Wirkung in den unterschiedlichen Epochen, Staaten und Kulturen werden zum Teil recht detailliert nachgezeichnet. Man liest von Auflagen und Auflagenziffern, von Parteien, die sich auf den Marxismus beriefen, von Intellektuellen, die ihm zuneigten oder ihn ablehnten, von Strömungen und Orthodoxien, namentlich nach der Entstehung von sozialistischen Staaten nach 1918.

Wiederholt streut Hobsbawm Bemerkungen zu Künstlern ein, die sich mit dem Marxismus abgaben - oder eben nicht. Das ergibt alles ein facettenreiches, letztlich anekdotisches Bild. Hiernach erlebte der Marxismus bis 1900 einen Bedeutungszuwachs, den er danach aber - regional sehr unterschiedlich - wieder verlor. Deutschland und Russland waren die eigentlichen Zentren der Rezeption, in den westlichen Ländern blieb sein Einfluss begrenzt. Die Entwicklung im Ersten Weltkrieg und in den nachfolgenden revolutionären Ereignissen behandelt Hobsbawm nicht explizit, die Ausbildung einer marxistischen Orthodoxie in Russland ist zwar immer wieder Thema, wird aber nicht systematisch analysiert.

Im Westen jedenfalls habe erst die faschistische Gefahr die Bedeutung des Marxismus unter Intellektuellen wieder wachsen lassen. Viele hätten jetzt in der Sowjetunion den eigentlichen Hort von Aufklärung und Rationalität gesehen. Ob und inwieweit die Sowjetunion als marxistisches Experiment zu begreifen ist - dessen Scheitern entsprechend zu analysieren wäre! -, ob und inwieweit Stalin und die Seinen legitime Angehörige der Marx-Familie sind, bleibt dabei ebenso offen, wie der Hitler-Stalin-Pakt, der in der Zeit des Antifaschismus ein wesentlicher Impuls für zahlreiche westliche Intellektuelle war, sich vom Marxismus gerade abzuwenden, bei Hobsbawm nur am Rande Thema wird.

Dass sich westliche Marxisten seinerzeit nicht sonderlich an der sowjetischen Orthodoxie gerieben hätten, erklärt Hobsbawm in offensichtlicher Selbstrechtfertigung vor allem mit Unkenntnis und auch mit der vermuteten Aussagesicherheit eines marxistischen Standpunktes angesichts der vielen Krisen der kapitalistischen Welt. Schließlich sei die Sowjetunion nicht nur eine starke antifaschistische Kraft gewesen, sondern hätte sich zumindest auf dem Papier der Tradition der Aufklärung und des Humanismus verbunden gezeigt.

Hobsbawm war selbst Teil des englischen intellektuellen Milieus, das in den 1930er Jahren zum Teil zur Sowjetunion hinneigte. Das mag die eigenapologetischen Züge des Buches verständlich machen, erklärt aber nicht, warum man vor den bekannten sowjetischen Zuständen die Augen verschloss. Das zu thematisieren, so klingt durch, war in der damaligen Zeit politisch nicht opportun. Weitere Abschnitte befassen sich mit der Nachkriegszeit, mit dem Aufschwung, aber auch mit der Pluralisierung der Marx-Rezeption seit den 1960er Jahren, der Entstehung marxistischer Bewegungen in der "Dritten Welt" und der "Übertheoretisierung" des Marxismus im westlichen Denken etwa bei Louis Althusser oder Nicos Poulantzas, die schließlich dem poststrukturalen Denken, das Hobsbawm erkennbar ablehnt, den Weg geebnet hätten.

Es ist stets klar, wo Hobsbawm steht. Seine Beobachtungen zur Nachkriegszeit schließt er mit der Bemerkung ab, das Vierteljahrhundert nach dem "100. Todestag von Karl Marx sollte zur finstersten Epoche in der Geschichte seines Vermächtnisses werden", was mithin nicht der stalinsche Terror oder die Verbrechen Maos und Pol Pots waren, sondern eben der Untergang der von diesen geprägten Regime. Die "Revolutionsperspektive" sei in dieser Zeit "wütend" attackiert worden, leider mit Erfolg, doch habe die Krise des Kapitalismus seit 2008 das Blatt noch einmal gewendet. Denn es gehe nun erneut um die politische Perspektive einer nachkapitalistischen Ordnung: "Die Lösung für die Probleme, denen die Welt im 21. Jahrhundert gegenübersteht, lassen sich noch nicht absehen, doch wenn sie am Ende erfolgreich sein sollen, müssen sie Marx' Fragen stellen."

Gedanken darum, wie eine Welt nach dem Kapitalismus, von deren Kommen er überzeugt ist, aussehen wird, macht er sich freilich nicht. Das hätten auch Marx und Engels nicht getan, deren Verdienst eben darin bestanden habe, die Widersprüchlichkeiten des Kapitalismus aufzudecken und damit dem politischen Widerstand ein wissenschaftliches Fundament zu geben. Die Zukunft hingegen sei eine Frage ihrer politischen Gestaltung, nicht utopischer Entwürfe.

Nun hätte sich eine Bemerkung gelohnt, ob die politische Gestaltung der Zukunft eine Wiederholung realsozialistischer Zustände umfassen kann. Hobsbawm aber weicht einer Auseinandersetzung mit dem Potential der Marxschen Konzeption aus. Ihre Stärke sieht er vor allem in der Schwäche des Kapitalismus, die sie zum Ausdruck bringt. Die Paradoxien der Arbeitswertlehre, das Verhältnis von Wert und Preis, die Rolle von Geld und Kredit, das faktische Nichtzutreffen des "Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate", das offensichtliche Scheitern der Vorstellung einer mehr oder weniger schrankenlosen Konzentration und Zentralisation des Kapitals, die geradezu notorische Unterschätzung des technischen Fortschritts im Kapitalismus - alles Fragen, die Marx beschäftigten und die er eben nicht löste -, nichts davon spricht Hobsbawm ernsthaft an.

Stattdessen berichtet er über die Diskussionen der Arbeiterbewegung und deren Kritiker. Angesichts der Tatsache, dass es eine Arbeiterbewegung nicht mehr gibt, trifft auf Hobsbawms Texte das zu, was er sich im Fall von Marx' Denken zuzugestehen weigert: Es sind historisch interessante Befunde ohne größere Bedeutung für die Gegenwart.

Und auch Gramsci, dem Eurokommunismus und der gegenwärtigen Konjunktur der Kapitalismuskritik kann Hobsbawm nur politische Gesichtspunkte abgewinnen, eine Art nachstalinistische Hoffnung auf eine neue marxistische Politik, kompatibel mit den und attraktiv für die Traditionen westlichen Denkens. Doch warum eine Theorie, die es bis heute nicht fertiggebracht hat, die Ursachen des Niedergangs ihrer eigenen politischen Nutzung zu analysieren, ausgerechnet bei der Analyse des Gesellschaftssystems, das bisher alle seine Krisen bewältigt hat, mit seiner ja auch schon mehr als 150-jährigen Untergangsdiagnose Recht haben soll, ist zumindest so ohne weiteres nicht verständlich. Hier wäre es hilfreich gewesen, wenn Hobsbawm die spezifischen Vorzüge marxistischer Krisendiagnose und Prognostik aktuell gezeigt hätte.

Er tut es nicht, und es ist wohl auch nicht möglich, da selbst eingefleischten Linken der Gedanke an die Verstaatlichung der Banken nicht ausreichen dürfte. Wie in einem gänzlich umgestalteten Kreditsystem Kredite vergeben würden und sich Zinssätze stellten, man wüsste es schon gern, wenn man sich eine nachkapitalistische Welt vorstellen soll. Aber damit belastet sich Hobsbawm nicht; es reicht ihm, dass es eine Krise gibt.

Eric Hobsbawm: "Wie man die Welt verändert". Über Marx und den Marxismus.

Aus dem Englischen von Thomas Atzert und Andreas Wirthensohn. Hanser Verlag, München 2012. 448 S., geb., 27,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Das neue Buch sei eigentlich ein altes, schreibt Franziska Augstein allerdings kein bisschen enttäuscht, denn die in diesem Band versammelten Aufsätze des in diesem Jahr verstorbenen marxistisch geleiteten Universalhistorikers Eric Hobsbawm sind aktuell - der Marx-Renaissance sei Dank. Über den Marxismus und seine Entwicklung erfährt Augstein hier immer noch eine Menge, vor allem, wie unideologisch der Brite mit seinem "Leitstern" umging und dessen Schwächen analysierte. Die neueren Texte im Band hält Augstein sogar für tauglich, die Finanzkrise zu kommentieren und dem Neoliberalismus alternative Gedanken und Motive aus dem Werk von Marx gegenüberzustellen.

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"Wir raten zu Eric Hobsbawm." Alexander Cammann, Die Zeit, 15.11.12