Eigentlich glaube ich, dass Regeln ganz generell nur Krücken für kreativ Lahme sind. Und doch gibt es beim Schreiben Dinge, die missfallen (können). Jeder Leser fühlt es intuitiv. Warum ist man bei einem Buch sofort drin, bei anderen auch nach 100 Seiten immer noch nicht?
Alleine der merkfähige
Name „Stefan aus dem Siepen“ brachte mich dazu, neugierig auf dieses Buch zu werden. Der mir bislang…mehrEigentlich glaube ich, dass Regeln ganz generell nur Krücken für kreativ Lahme sind. Und doch gibt es beim Schreiben Dinge, die missfallen (können). Jeder Leser fühlt es intuitiv. Warum ist man bei einem Buch sofort drin, bei anderen auch nach 100 Seiten immer noch nicht?
Alleine der merkfähige Name „Stefan aus dem Siepen“ brachte mich dazu, neugierig auf dieses Buch zu werden. Der mir bislang unbekannte Autor, geb. 1964, studierte Jura und arbeitet heute im Diplomatischen Dienst.
Dass Juristen analysieren können und die Ursachen benennen, kommt diesem Buch zugute. Ich bin ein intensiver Leser und habe mich auf den Seiten wirklich verloren, angeregt mit den Inhalten diskutiert und viel Neues erfahren.
Dass der Name einer handelnden Person wichtig ist bzw. die Erfindung eines guten Namens, war mir bewusst. Die Ausführungen des Autors drehen sich von Seite 51 bis 63 um dieses Problem. Hermann Hesse wird zu Beginn lobend erwähnt. Es stimmt: „Seine Namen sind literarisiert, mit erkennbarem Kunstinn ausgewählt oder erfunden, sie klingen bei aller Lebensechtheit so schön und eigentümlich, besitzen so viel poetische Ausdruckskraft, dass sie ihren Trägern sprachlichen Glanz verleihen.“
Dies ist einer der möglichen Gründe, warum ich bis heute Hesse immer wieder lesen kann: Die menschlich natürlichen, verständlichen Aussagen in allen Werken sind bestechend. Dabei fällt mir eines meiner Lieblingsbücher von ihm wieder ein: „Magie des Buches.“ Es ergänzt das Buch von Stefan aus dem Siepen auf das Trefflichste. Dort insbesondere das Kapitel „Lieblingslektüre“, in dem Hesse die Frage stellt: „Was lesen Sie am liebsten?“
„Ein Vorwort ist meist eine Verteidigungsrede, in der der Verfasser bei aller Beredsamkeit seiner Sache nichts nützt; sie ist ebensowenig imstande, ein gutes Werk zur Geltung zu bringen, als ein schlechtes zu rechtfertigen.“ (Marquis de Vauvenargues) Stefan aus dem Siepen mutet uns ein kurzes Vorwort zu – sieht also den Balken im eigenen Auge. Aber auf zweieinhalb Seiten macht er wirklich Lust auf die ganzen 274, gute und schlechte Beispiele Seite für Seite, aber ohne ein Nachwort oder Ausblick. Allerdings habe ich bei Hesse nicht mal ein Splitterchen im Auge entdeckt, wie im Vorwort, letzter Satz, formuliert.
Es stimmt, es gibt alberne Namen der Protagonisten, die der Autor damit erkennbar abqualifiziert und uns, den Lesern, nicht das Urteil überlässt. Gar nicht gut, das stimmt. Wo nochmal kommen Annettchen Dummermuth, Klara Wäscher oder Jakob Hühnlein vor? Noch viel länger die Negativliste bei Thomas Mann, er hat sogar einen Herrn Klöterjahn eingebaut. Zwischen höchstem literarischem Anspruch und diesen Lächerlichkeiten pendelte Thomas Mann hin und her, offensichtlich um mehr Zielgruppen zu erreichen und ohne dass es ihm geschadet hätte.
Das Ganze ist mithin mehr als die Summe seiner Teile und eingestreute Missgriffe steigern vielleicht die Lust am Lesen, sie geben die Luft zum Atmen, nicht jeder Satz sollte mit Sinn überfrachtet sein, das Leben und auch die Literatur ist Tag und Nacht, Langeweile und Spannung, etwas, das keine künstliche Intelligenz je schaffen könnte.
Trotzdem: es ist gut, die möglichen Fehler zu kennen, im Buch in dieser Reihenfolge: Nachlässigkeit, Unverständlichkeit, schlechter Name, Übertreibung, Abstraktheit, schlechter Anfang, Wiederholung, Überfrachtung, schlechter Titel, Fremdwörter, Füllwörter, schlechte Relativsätze, Vulgärwörter, negative Ausdrucksweisen, Wortspiele, schlechte Sexschilderung, Prahlerei, Belehrungen, schlechte Vergleiche.
Es stimmt, erotische Szenen sind äußerst schwer zu fassen, wirklich ganz wenige Autoren beherrschen diese Kunst. Houellebecq schreibt pornografisch direkt, andere verklausuliert verschämt, andere gar nicht, es dürfte das schwierigste Thema überhaupt sein. Das ausgewählte Beispiel von Brecht empfinde ich so wie vieles von ihm: eher peinlich, er, der bekanntlich unzählige Bettgeschichten hatte und ein rascher Finisher war. Vermutlich habe ich in diesem Kapitel auch erfahren, warum Grass nie auf meiner Lese-Liste stand.
Sollten erotische Schilderungen das Thema überhöhen, nicht bloßstellen? - eine Frage, die immer rätselhaft bleiben wird, wie die Tatsache, dass die schönste Sache der Welt alle Sinne benebelt und sich tatsächlich allen Worten entzieht. Erotik hat ein langes Vorspiel, eine benebelt intensive Komponente, Bewegungen, Liebkosungen, ein Jenseits der Welt und Realität, im Grunde ist es ein ganzer Roman, immer neue Romane, unerklärlich wie das Menschsein, le petit mort und das Neuerwecktwerden. Wenn es nicht schön wäre, wären wir schon längst ausgestorben.
Jeder, der Bücher bespricht oder wissen will, warum ihm etwas gefällt, das andere nicht, erfährt mit diesem Buch Anregungen die Fülle, um besser zu verstehen.