Peter Huchels Korrespondenzen mit Brecht, Celan, Nossack, Döblin, Eich, Seghers, Becher, Bloch, Thomas Mann, Nelly Sachs, Hans Mayer, Grass, Hermlin und vielen anderen sind zeitgeschichtliche und kulturpolitische Dokumente ersten Ranges. Als legendärer Chefredakteur der Zeitschrift 'Sinn und Form' und geachteter Autor war Huchel Zentralfigur einer Lesegesellschaft, deren Netzwerk die innerdeutsche Grenze überspannte.
Aus privaten Archiven im In- und Ausland, aus Nachlässen, Archiven von Verlagen, Akademien, des Schriftstellerverbandes, der Stasi und vor allem aus dem Archiv von 'Sinn und Form' konnte der niederländische Literaturwissenschaftler Hub Nijssen 3200 Briefe in langjähriger detektivischer Arbeit zusammentragen.
Aus dem gewaltigen Fundus hat der Herausgeber knapp 400 Briefe für diese Edition ausgewählt und ausführlich kommentiert. Sie geben Einblick in Leben und Werk eines großen Dichters, in die Bedingungen seiner Arbeit in der Weimarer Republik, im nationalsozialistischen Deutschland, in der DDR und der Bundesrepublik.
Aus privaten Archiven im In- und Ausland, aus Nachlässen, Archiven von Verlagen, Akademien, des Schriftstellerverbandes, der Stasi und vor allem aus dem Archiv von 'Sinn und Form' konnte der niederländische Literaturwissenschaftler Hub Nijssen 3200 Briefe in langjähriger detektivischer Arbeit zusammentragen.
Aus dem gewaltigen Fundus hat der Herausgeber knapp 400 Briefe für diese Edition ausgewählt und ausführlich kommentiert. Sie geben Einblick in Leben und Werk eines großen Dichters, in die Bedingungen seiner Arbeit in der Weimarer Republik, im nationalsozialistischen Deutschland, in der DDR und der Bundesrepublik.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.07.2000Das Joch des Chefs tragen mit blauen Zehen . . .
. . . aber nur selten klagen: Peter Huchel, Dichter und Zeitschriftenredakteur, in seinen Briefen aus den Jahren 1925 bis 1977
Ein staunenswertes, fesselndes Buch – und das, obwohl es überwiegend die Geschäftskorrespondenz eines Chefredakteurs enthält. Die Kulturgeschichte des Briefs als eines langsamen Mediums geht zu Ende. Besser gesagt: Sie tritt mit der Blitzpost der E-mail gegenwärtig in ein neues Stadium ein. Grund genug, sich weiterhin in der Briefkunst zu üben, in Psychologie, Ökonomie und Strategie des persönlichen oder geschäftlichen Sendschreibens, für dessen Studium die hier zusammengestellten 366 Briefe reichhaltiges Material bieten.
Wer Peter Huchel (1903-1981) bereits als Dichter kennt, der kann ihn in diesem Buch nun auch als Zeitschriftenmacher kennen lernen. Huchel, einer der meistübersetzten deutschen Autoren, verstand sich als Gelegenheitsdichter. Hier schaut man ihm bei seiner Hauptbeschäftigung zu; denn die meisten dieser Briefe versandte oder empfing Huchel zwischen 1948 und 1962, als er die ostdeutsche Literaturzeitschrift Sinn und Form redigierte. Das war ein freiheitliches, weltoffenes, undogmatisches und von heute aus erstaunlich gesamtdeutsches Periodikum, das beste, das auf der kargen DDR-Krume je gedieh. Eben darum wurden Sinn und Form schließlich parteiamtlich zurechtgestutzt und Huchel zum Rücktritt gezwungen – ein Meilenstein auf dem Weg des SED-Staats in seinen Untergang. Anders als der Lyriker Erich Arendt gehofft hatte, gelang es der märkischen „Bauernnatur” also nicht, sich gegen so viel „Unbill” durchzusetzen. Trotzdem belegt der Briefwechsel, wie schwer es Huchels Gegnern fiel, mit ihm fertig zu werden, und wie geschickt er im Kampf mit ihnen den Brief mal zur messerscharfen, mal zur degenspitzen Epistel machte. Wer getraut sich schon so wie er, dem Direktor mitzuteilen, dass seine Ausführungen „anmaßend” und „erbärmlich” seien?
Viele dieser bislang größtenteils unveröffentlichten Briefe haben abenteuerliche Wege zurückgelegt, bevor sie in dieses schön ausgestattete Buch gelangten. Was vom ostdeutschen Teilnachlass des Dichters und Publizisten übrig geblieben ist, fand sich nach der Wende an Huchels ehemaliger Wohnstatt in Wilhelmshorst „unter Staub und Hühnerkot”. Wie es dorthin kam, berichtet in seinem Nachwort der Herausgeber, der junge niederländische Huchel-Biograf Hub Nijssen, der die Briefe mit einem vernünftigen, gerade richtig dosierten Aufwand an Philologie lesbar werden lässt: mit Erläuterungen, Querverweisen auf das poetische Werk sowie Kurzbiografien zu den rund fünfhundert Personen, die in Huchels Brief-Theater eine Rolle spielen.
Der Band erscheint in der Jubiläumsreihe zum Fünfzigsten des Hauses Suhrkamp, dem Huchel sich nach teils qualvollen Etappen bei Aufbau, Fischer und Piper 1972 erst mit seinem vorletzten Gedichtbuch Gezählte Tage anschloss. Dass er gut gewählt hatte, erwies spätestens die zweibändige Ausgabe seiner Werke, die Suhrkamp 1984 herausbrachte. Der als schreibfaul verschriene Dichter hatte seinen Zuchtmeister gefunden: „. . . Unseld hält mich im Verleger-Würgegriff, er lässt nicht locker, er treibt mich auf die Schlachtbank . . .”, schreibt Huchel 1971 – ausgerechnet an seinen Ex-Verleger im Osten, Walter Janka, der sich lange nicht sehr um ihn bemüht hatte; der Anti-Unseld ist ebenfalls in diese Sammlung aufgenommen.
Schattenhaft bleibt das Bild des frühen Huchel in den kaum fünfzig Briefen und Postkarten aus der Zeit zwischen 1925 und 1948. Auffällig bei dem vom Großvater erzogenen, in bäuerlichen Verhältnissen vor den Toren Berlins aufgewachsenen jungen Künstler sind zwei Wesenszüge: Familiensinn und Hang zur Bohème. Normalerweise kaum zu vereinbarende Neigungen. Doch Huchel verwob sie miteinander oder lebte sie wenigstens im Wechsel aus. Die Namen, die er unter seine Briefe setzte, deuten es an: Seinen Freunden empfiehlt er sich mit dem landstreicherhaften Pubertäts-Spitznamen „Piese”, Frau und Töchterchen grüßt er mit „Euer Piesepappa”. Beide Neigungen bewahrte er sich, anscheinend ohne je in Zwiespalt zu geraten. In Peter Huchels markantesten Eigenschaften als Chefredakteur sind sie wiederzuerkennen: Verantwortungsbewusstsein und Autonomiestreben.
Einfühlung und soziale Phantasie
Verantwortung wog für ihn schwerer als Parteilichkeit. Nie gibt er sich in seinen Briefen als Marxist zu erkennen – wenn er je einer war. Nur einmal nennt er in der Anrede jemanden „Genosse”. Sonst herrschen bürgerliche Verkehrsformen. Und im Umgang mit den meisten Dichtern und Essayisten, die für Sinn und Form schrieben, führte der Freundschaftsmensch im Handumdrehen das Du ein. Für seine Autoren war er, der Künstlernöte hautnah kannte, bereit, sich zu zerreißen. „Wir sind in der Lage, ein sehr gutes Honorar für die Beiträge zu zahlen”, schrieb er schon 1948 stolz an Hans Mayer, und es stimmte. Immer wieder verlangte er von seinen Oberen in der Ostberliner Akademie, den Honorar-Etat aufzustocken. Westautoren erhielten übrigens Westgeld. Doch Huchel zahlt nicht nur in klingender Münze, er spendet auch Trost – der Trostbrief ist eine alte Gattung –, er lobt („. . . ich kann mich von dieser herrlichen Arbeit einfach nicht trennen”) und er tadelt („Ich glaube, Sie schreiben gegenwärtig zuviel”). Seine Leute durften sich von ihm geführt, ja geliebt fühlen. Ernst Bloch etwa bittet er, dem in der Schweiz angefeindeten Konrad Farner ein gutes Wort zukommen zulassen.
Es waren keineswegs einfache Naturen, die er im großen Hof seiner Herzensgüte unterzubringen hatte: Nelly Sachs, Hans Henny Jahnn, Hans Erich Nossack, Alfred Döblin, Thomas Mann, Günter Eich, Anna Seghers, Ludvik Kundera und von den Jüngeren Paul Celan, Christa Reinig, Wulf Kirsten. Huchel verstand sich aber nicht nur auf Einfühlung, er besaß auch soziale Phantasie. Für den ewig nörgelnden Erich Arendt treibt er sogar Lebensplanung: „Allen Ernstes: wie wäre es, wenn Sie sich ein Haus bauen ließen, dessen untere Räume in ein intimes Literatencafé umgewandelt würden? Ich kann mir vorstellen, dass allein der Zigarettenbedarf ausreicht, Ihr Leben zu finanzieren. ” Nur wenn sich auch noch Autorenfrauen einmischen, hebt Huchel zu klagen an und beschwört das „Joch” eines Chefredakteurs: „Ich trage es mit blauangelaufenen Zehen – so schwer sind meine Kreislaufstörungen, aber das nur nebenbei. ”
Er hatte auch seinen Preis zu entrichten, an die Staatsmacht sowieso. Deren „Ablehnung” politisch unliebsamer Schriftsteller – Malraux’ etwa – müsse er sich „vorläufig” noch fügen, erfuhr 1951 Stephan Hermlin von ihm; das „vorläufig” sieht man geradezu vor Hoffnung vibrieren. Andererseits trat inn und Form für die religionsnahe Kunst Ernst Barlachs ein. Huchel konnte sich danach nur im Amt halten, weil Brecht für ihn intervenierte. „Man könnte hier so viel Positives tun, wenn man nicht ab und zu einen bitteren Becher leeren müsste”, stöhnt der Chefredakteur, während er ein bitteres Sonderheft für den Staatsdichter gleichen Namens zu komponieren hat.
Auch manche Autoren zerrten an ihm wie Kinder, die zu den Süßwaren drängen. Als Ernst Bloch siebzig wurde und die Zeitschrift den Philosophen der Hoffnung mit einem Aufsatz ehren wollte, erhielt Huchel von der Hand des Jubilars eine Anfrage, ob man dem Aufsatz nicht „etwas Gratulierendes . . ., Superlativisches oder Großartiges” voranstellen könne. Der Chefredakteur entsprach dem Wunsch, indem er das von ihm verfasste Gedicht „Widmung / Für Ernst Bloch” abdruckte; dort steht der Vers: „Er ahnt, was noch die Nacht verschweigt . . .” Man entsinnt sich, zuvor gelesen zu haben, wie Huchel vom selben Bloch ein Pamphlet gegen Jünger und Benn erbat, um „diese Existenzen in den Orkus zu schleudern”. Jetzt wurde ihm die Gegenrechnung aufgemacht.
Huchel, politisch keineswegs naiv, wusste um die Fronten im Kalten Krieg, auch wenn er sie hin und wieder ignorierte. Inmitten der deutsch-deutschen Feindseligkeit etwa verhielt er sich nicht immer so eindeutig-einseitig wie im Fall Jünger und Benn. Meist versuchte er, die „unsinnige Schranke Ost-West zu durchbrechen”, etwa indem er westdeutsche, schweizerdeutsche und österreichische Literatur gleichermaßen abdruckte. (Am Ende warf man ihm vor, er bringe zuwenig DDR-Gegenwartsliteratur!)
Rückzug in die Dichtung
Der Lyriker Wolfgang Bächler mag Huchels deutsche Sorgen auf den Punkt gebracht haben, als er 1952 von Memmigen nach Wilhelmshorst schrieb: „O wenn nur endlich eine vernünftige Wiedervereinigung zustande käme!”
Zu Stande kam die Mauer. Hinter ihr wurde die DDR endgültig mit sich selbst identisch. Nach 1961 schien es dem SED-Staat nicht länger nötig, mit Publikationen, die kulturelle Vielfalt bezeugen sollten, „auszustrahlen”, wie Huchel immer gefordert hatte. Ob ihn im Rückblick nicht doch manchmal das Gefühl beschlich, der nützliche Idiot von Leuten gewesen zu sein, die westlichen Intellektuellen einen pluralistischen Sozialismus vorgaukeln wollten? Das Land verlassen durfte er erst nach Jahren der Dauerschikane, mit der man ihn abstrafte.
Im Westen, zuerst in Rom, dann in Staufen im Breisgau, wo er auch starb, kam er nie richtig an. Das bezeugen die späten Briefe, die von „Emigration”, von „Losgelöstheit” sprechen und fahrig dahingeschrieben scheinen. Für die verlorene Kindheitslandschaft der Mark wird ihn der Ruhm, der nun über ihn hereinbrach, kaum entschädigt haben. Was in den Briefen jedoch wie Schreibfaulheit aussieht, hat einen anderen Grund. Peter Huchel zog sich noch einmal ganz in die Dichtung zurück. Wer nach einem gewichtigen Selbstkommentar aus diesen Jahren sucht, muss ihm dorthin folgen, bis ans äußerste Ende des letzten Gedichtbands Die neunte Stunde, wo es heißt: „Jahreszeiten, Missgeschicke, Nekrologe – / unbekümmert geht der Fremde davon. ”
KURT OESTERLE
PETER HUCHEL: Wie soll man da Gedichte schreiben. Briefe 1925 – 1977. Herausgegeben von Hub Nijssen. Mit einem Vorwort von Hans Dieter Zimmermann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2000. 534 Seiten, 68 Mark.
Wichtiger als ein naturgetreuer Huchel sei ihm ein echter Schwimmer, schrieb Peter Huchel am 7. Mai 1957 an den Illustrator Max Schwimmer, der dann dieses Huchel-Porträt nach Foto-Vorlagen gezeichnet hat.
Abb. : Monika Huchel
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. . . aber nur selten klagen: Peter Huchel, Dichter und Zeitschriftenredakteur, in seinen Briefen aus den Jahren 1925 bis 1977
Ein staunenswertes, fesselndes Buch – und das, obwohl es überwiegend die Geschäftskorrespondenz eines Chefredakteurs enthält. Die Kulturgeschichte des Briefs als eines langsamen Mediums geht zu Ende. Besser gesagt: Sie tritt mit der Blitzpost der E-mail gegenwärtig in ein neues Stadium ein. Grund genug, sich weiterhin in der Briefkunst zu üben, in Psychologie, Ökonomie und Strategie des persönlichen oder geschäftlichen Sendschreibens, für dessen Studium die hier zusammengestellten 366 Briefe reichhaltiges Material bieten.
Wer Peter Huchel (1903-1981) bereits als Dichter kennt, der kann ihn in diesem Buch nun auch als Zeitschriftenmacher kennen lernen. Huchel, einer der meistübersetzten deutschen Autoren, verstand sich als Gelegenheitsdichter. Hier schaut man ihm bei seiner Hauptbeschäftigung zu; denn die meisten dieser Briefe versandte oder empfing Huchel zwischen 1948 und 1962, als er die ostdeutsche Literaturzeitschrift Sinn und Form redigierte. Das war ein freiheitliches, weltoffenes, undogmatisches und von heute aus erstaunlich gesamtdeutsches Periodikum, das beste, das auf der kargen DDR-Krume je gedieh. Eben darum wurden Sinn und Form schließlich parteiamtlich zurechtgestutzt und Huchel zum Rücktritt gezwungen – ein Meilenstein auf dem Weg des SED-Staats in seinen Untergang. Anders als der Lyriker Erich Arendt gehofft hatte, gelang es der märkischen „Bauernnatur” also nicht, sich gegen so viel „Unbill” durchzusetzen. Trotzdem belegt der Briefwechsel, wie schwer es Huchels Gegnern fiel, mit ihm fertig zu werden, und wie geschickt er im Kampf mit ihnen den Brief mal zur messerscharfen, mal zur degenspitzen Epistel machte. Wer getraut sich schon so wie er, dem Direktor mitzuteilen, dass seine Ausführungen „anmaßend” und „erbärmlich” seien?
Viele dieser bislang größtenteils unveröffentlichten Briefe haben abenteuerliche Wege zurückgelegt, bevor sie in dieses schön ausgestattete Buch gelangten. Was vom ostdeutschen Teilnachlass des Dichters und Publizisten übrig geblieben ist, fand sich nach der Wende an Huchels ehemaliger Wohnstatt in Wilhelmshorst „unter Staub und Hühnerkot”. Wie es dorthin kam, berichtet in seinem Nachwort der Herausgeber, der junge niederländische Huchel-Biograf Hub Nijssen, der die Briefe mit einem vernünftigen, gerade richtig dosierten Aufwand an Philologie lesbar werden lässt: mit Erläuterungen, Querverweisen auf das poetische Werk sowie Kurzbiografien zu den rund fünfhundert Personen, die in Huchels Brief-Theater eine Rolle spielen.
Der Band erscheint in der Jubiläumsreihe zum Fünfzigsten des Hauses Suhrkamp, dem Huchel sich nach teils qualvollen Etappen bei Aufbau, Fischer und Piper 1972 erst mit seinem vorletzten Gedichtbuch Gezählte Tage anschloss. Dass er gut gewählt hatte, erwies spätestens die zweibändige Ausgabe seiner Werke, die Suhrkamp 1984 herausbrachte. Der als schreibfaul verschriene Dichter hatte seinen Zuchtmeister gefunden: „. . . Unseld hält mich im Verleger-Würgegriff, er lässt nicht locker, er treibt mich auf die Schlachtbank . . .”, schreibt Huchel 1971 – ausgerechnet an seinen Ex-Verleger im Osten, Walter Janka, der sich lange nicht sehr um ihn bemüht hatte; der Anti-Unseld ist ebenfalls in diese Sammlung aufgenommen.
Schattenhaft bleibt das Bild des frühen Huchel in den kaum fünfzig Briefen und Postkarten aus der Zeit zwischen 1925 und 1948. Auffällig bei dem vom Großvater erzogenen, in bäuerlichen Verhältnissen vor den Toren Berlins aufgewachsenen jungen Künstler sind zwei Wesenszüge: Familiensinn und Hang zur Bohème. Normalerweise kaum zu vereinbarende Neigungen. Doch Huchel verwob sie miteinander oder lebte sie wenigstens im Wechsel aus. Die Namen, die er unter seine Briefe setzte, deuten es an: Seinen Freunden empfiehlt er sich mit dem landstreicherhaften Pubertäts-Spitznamen „Piese”, Frau und Töchterchen grüßt er mit „Euer Piesepappa”. Beide Neigungen bewahrte er sich, anscheinend ohne je in Zwiespalt zu geraten. In Peter Huchels markantesten Eigenschaften als Chefredakteur sind sie wiederzuerkennen: Verantwortungsbewusstsein und Autonomiestreben.
Einfühlung und soziale Phantasie
Verantwortung wog für ihn schwerer als Parteilichkeit. Nie gibt er sich in seinen Briefen als Marxist zu erkennen – wenn er je einer war. Nur einmal nennt er in der Anrede jemanden „Genosse”. Sonst herrschen bürgerliche Verkehrsformen. Und im Umgang mit den meisten Dichtern und Essayisten, die für Sinn und Form schrieben, führte der Freundschaftsmensch im Handumdrehen das Du ein. Für seine Autoren war er, der Künstlernöte hautnah kannte, bereit, sich zu zerreißen. „Wir sind in der Lage, ein sehr gutes Honorar für die Beiträge zu zahlen”, schrieb er schon 1948 stolz an Hans Mayer, und es stimmte. Immer wieder verlangte er von seinen Oberen in der Ostberliner Akademie, den Honorar-Etat aufzustocken. Westautoren erhielten übrigens Westgeld. Doch Huchel zahlt nicht nur in klingender Münze, er spendet auch Trost – der Trostbrief ist eine alte Gattung –, er lobt („. . . ich kann mich von dieser herrlichen Arbeit einfach nicht trennen”) und er tadelt („Ich glaube, Sie schreiben gegenwärtig zuviel”). Seine Leute durften sich von ihm geführt, ja geliebt fühlen. Ernst Bloch etwa bittet er, dem in der Schweiz angefeindeten Konrad Farner ein gutes Wort zukommen zulassen.
Es waren keineswegs einfache Naturen, die er im großen Hof seiner Herzensgüte unterzubringen hatte: Nelly Sachs, Hans Henny Jahnn, Hans Erich Nossack, Alfred Döblin, Thomas Mann, Günter Eich, Anna Seghers, Ludvik Kundera und von den Jüngeren Paul Celan, Christa Reinig, Wulf Kirsten. Huchel verstand sich aber nicht nur auf Einfühlung, er besaß auch soziale Phantasie. Für den ewig nörgelnden Erich Arendt treibt er sogar Lebensplanung: „Allen Ernstes: wie wäre es, wenn Sie sich ein Haus bauen ließen, dessen untere Räume in ein intimes Literatencafé umgewandelt würden? Ich kann mir vorstellen, dass allein der Zigarettenbedarf ausreicht, Ihr Leben zu finanzieren. ” Nur wenn sich auch noch Autorenfrauen einmischen, hebt Huchel zu klagen an und beschwört das „Joch” eines Chefredakteurs: „Ich trage es mit blauangelaufenen Zehen – so schwer sind meine Kreislaufstörungen, aber das nur nebenbei. ”
Er hatte auch seinen Preis zu entrichten, an die Staatsmacht sowieso. Deren „Ablehnung” politisch unliebsamer Schriftsteller – Malraux’ etwa – müsse er sich „vorläufig” noch fügen, erfuhr 1951 Stephan Hermlin von ihm; das „vorläufig” sieht man geradezu vor Hoffnung vibrieren. Andererseits trat inn und Form für die religionsnahe Kunst Ernst Barlachs ein. Huchel konnte sich danach nur im Amt halten, weil Brecht für ihn intervenierte. „Man könnte hier so viel Positives tun, wenn man nicht ab und zu einen bitteren Becher leeren müsste”, stöhnt der Chefredakteur, während er ein bitteres Sonderheft für den Staatsdichter gleichen Namens zu komponieren hat.
Auch manche Autoren zerrten an ihm wie Kinder, die zu den Süßwaren drängen. Als Ernst Bloch siebzig wurde und die Zeitschrift den Philosophen der Hoffnung mit einem Aufsatz ehren wollte, erhielt Huchel von der Hand des Jubilars eine Anfrage, ob man dem Aufsatz nicht „etwas Gratulierendes . . ., Superlativisches oder Großartiges” voranstellen könne. Der Chefredakteur entsprach dem Wunsch, indem er das von ihm verfasste Gedicht „Widmung / Für Ernst Bloch” abdruckte; dort steht der Vers: „Er ahnt, was noch die Nacht verschweigt . . .” Man entsinnt sich, zuvor gelesen zu haben, wie Huchel vom selben Bloch ein Pamphlet gegen Jünger und Benn erbat, um „diese Existenzen in den Orkus zu schleudern”. Jetzt wurde ihm die Gegenrechnung aufgemacht.
Huchel, politisch keineswegs naiv, wusste um die Fronten im Kalten Krieg, auch wenn er sie hin und wieder ignorierte. Inmitten der deutsch-deutschen Feindseligkeit etwa verhielt er sich nicht immer so eindeutig-einseitig wie im Fall Jünger und Benn. Meist versuchte er, die „unsinnige Schranke Ost-West zu durchbrechen”, etwa indem er westdeutsche, schweizerdeutsche und österreichische Literatur gleichermaßen abdruckte. (Am Ende warf man ihm vor, er bringe zuwenig DDR-Gegenwartsliteratur!)
Rückzug in die Dichtung
Der Lyriker Wolfgang Bächler mag Huchels deutsche Sorgen auf den Punkt gebracht haben, als er 1952 von Memmigen nach Wilhelmshorst schrieb: „O wenn nur endlich eine vernünftige Wiedervereinigung zustande käme!”
Zu Stande kam die Mauer. Hinter ihr wurde die DDR endgültig mit sich selbst identisch. Nach 1961 schien es dem SED-Staat nicht länger nötig, mit Publikationen, die kulturelle Vielfalt bezeugen sollten, „auszustrahlen”, wie Huchel immer gefordert hatte. Ob ihn im Rückblick nicht doch manchmal das Gefühl beschlich, der nützliche Idiot von Leuten gewesen zu sein, die westlichen Intellektuellen einen pluralistischen Sozialismus vorgaukeln wollten? Das Land verlassen durfte er erst nach Jahren der Dauerschikane, mit der man ihn abstrafte.
Im Westen, zuerst in Rom, dann in Staufen im Breisgau, wo er auch starb, kam er nie richtig an. Das bezeugen die späten Briefe, die von „Emigration”, von „Losgelöstheit” sprechen und fahrig dahingeschrieben scheinen. Für die verlorene Kindheitslandschaft der Mark wird ihn der Ruhm, der nun über ihn hereinbrach, kaum entschädigt haben. Was in den Briefen jedoch wie Schreibfaulheit aussieht, hat einen anderen Grund. Peter Huchel zog sich noch einmal ganz in die Dichtung zurück. Wer nach einem gewichtigen Selbstkommentar aus diesen Jahren sucht, muss ihm dorthin folgen, bis ans äußerste Ende des letzten Gedichtbands Die neunte Stunde, wo es heißt: „Jahreszeiten, Missgeschicke, Nekrologe – / unbekümmert geht der Fremde davon. ”
KURT OESTERLE
PETER HUCHEL: Wie soll man da Gedichte schreiben. Briefe 1925 – 1977. Herausgegeben von Hub Nijssen. Mit einem Vorwort von Hans Dieter Zimmermann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2000. 534 Seiten, 68 Mark.
Wichtiger als ein naturgetreuer Huchel sei ihm ein echter Schwimmer, schrieb Peter Huchel am 7. Mai 1957 an den Illustrator Max Schwimmer, der dann dieses Huchel-Porträt nach Foto-Vorlagen gezeichnet hat.
Abb. : Monika Huchel
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
In Harald Hartungs Besprechung dieser als vorzüglich gelobten Briefedition kommen uns Peter Huchel und seine Zeit noch einmal sehr nah. Hartung lässt wissen, dass er dies plastische Bild dem jungen holländischen Forscher Hub Nijssen verdankt, der hier aus über 3.000 Briefen 366 ausgewählt sowie mit Nachwort und knappen Kommentaren versehen habe. Enthalten in dieser politisch wie literarisch "hoch interessanten" Briefauswahl, so Hartung, sind verschiedene Korrespondenzen mit wichtigen Zeitgenossen, weshalb nicht alle abgedruckten Briefe ausschließlich von Huchel stammten. Dass Nijssen auf den Abdruck geschäftlicher und rein privater Briefe weitgehend verzichtet hat, findet Hartung nachvollziehbar. Etwas ausführlicher kommentiert hätte Hartung allerdings Datierungs- und andere Schwierigkeiten mit Huchels Gedicht "Späte Zeit" gesehen. Dies nämlich sei ein gutes Beispiel für die Problematik einer solchen Auswahl insgesamt. Hartung kommentiert nun selbst ein wenig. Merkt an, dass er sich generell mehr Material über "Huchels Jahre während der Nazizeit" wünscht. Zeigt sich bestürzt darüber "wie groß das Kapital von Enthusiasmus und Loyalität war, das die östliche Staatsmacht verschmähte" und zieht am Ende noch einmal respektvoll seinen Hut vor dem Herausgeber.
© Perlentaucher Medien GmbH
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